Mika war noch eine Weile draußen geblieben, bis sie sich irgendwann - leise, fast wie ein unerwünschter Eindringling - zurück in das Haus begab, und in das Zimmer, das man ihr zugewiesen hatte. Dieses "Gästezimmer" war für sie wie das Schlafgemach eines Palastes. Nie zuvor hatte sie in einem so weichen Bett geschlafen, hatte solch teure Bettwäsche gehabt. Selbst mit all dem, was sie in ihrer Vergangenheit gestohlen hatte, hätte sie vermutlich gerade einmal das Bettzeug zahlen können. Offenbar konnte man doch reich werden, auch wenn man ehrlich arbeitete.
Ihre Gedanken kreisten noch lange um das Gespräch mit Tarak, und sie war froh über die Ablenkung, denn es hielt sie davon ab, allzu sehr auf all die teuren Dinge um sie herum zu achten. Irgendwann, es musste schon sehr spät sein, überkam sie schließlich der Schlaf...
"Shemiya!"
Sie lächelte. Unael winkte ihr zu, von der Spitze des Felsens, den er erklommen hatte. Der Junge war kaum vierzehn Jahre alt, und jetzt schon davon überzeugt, dass er eines Tages als Held in die Geschichten eingehen würde. Und auch davon, dass Shemiya die Frau an seiner Seite sein würde.
Sie hatte ihm sanft, aber deutlich klar gemacht, dass sie kein Interesse hatte. Das hielt ihn nicht davon ab, zu werben, und sie störte sein Gehabe nicht weiter. Es war amüsant.
Sie wandte den Blick ab, sah auf den Steinbrocken in ihrer Hand. "Also, mein Freund, was möchtest du mir erzählen?"
Sie schloss die Augen. Eine Melodie erklang in ihrem Geist, und verließ kurz darauf ihre Lippen. Musik, die universelle Sprache. Die ganze Natur war erfüllt von ihr, wenn man nur zu lauschen wusste. Sie konzentrierte sich auf den Stein, auf sein Wesen, seine Form, seine Struktur, seinen Geist...
Ein sanftes, melodisches Brummen ertönte in ihrer Brust. Unwillkürlich musste sie an die Meditationen ihres Großvaters denken. Mühsam unterdrückte sie ein Kichern bei dem Gedanken, wie sie als Kind immer wieder versucht hatte, ihn zu stören. Er hatte es ihr nicht übel genommen, es als Herausforderung betrachtet. Und irgendwann hatte er das Licht gefunden...
"Die Geister des Lichts weinen."
Ihre Lippen hatten die Worte geformt, doch es war der Geist des Steins, der aus ihr sprach.
"Etwas Finsteres nimmt Besitz von beiden Welten, der Welt der Sterblichen und der Welt der Geister. Himmelssängerin Shemiya, bereite dich vor auf einen Krieg!"
Urplötzlich schlug Mika die Augen auf. Die Strahlen der Morgensonne fielen in ihr Gesicht. Sie benötigte einen Moment, um zu begreifen, dass sie nicht mehr inmitten der wilden, aber wunderschönen Felslandschaft stand, sondern in einem weichen, luxuriösen Bett lag...