Ein breites Grinsen erschien auf Ikiros Gesicht. Scheinbar gab es wenig, was dieses Mädchen so glücklich machte wie der Verdienst von Münzen. "Ja, führe euch! Zehn Silber und ihr sehen viele Geheimnisse von Handelsfest, bis die Sonne untergeht!"
Nachdem Moandor ihr die Münzen ausgehändigt hatte, fasste die Kleine den Agenten an der Hand, und zog ihn mit sich. "Jetzt wir gehen zur großen Bühne, ihr sehen Aimerelle!"
Und so führte Ikiro sie durch die Straßen von Handelsfest, und plapperte dabei fröhlich weiter. Wie Eretria sie gebeten hatte, erzählte sie von Aimerelles Reden.
Die Frau erzählte offenbar davon, dass es Mächte gab, die den gewöhnlichen Personen das Leben vorschrieben. Sie kritisierte nicht, dass die Leute lebten, wie sie lebten - wenn sie es denn aus freien Stücken taten. Sie kritisierte, dass einem keine Wahl gelassen wurde, dass die Herrscher bis hin zu den Siddhai vorschrieben, wie das Leben zu laufen hatte. Ihrer Ansicht nach behandelten die Siddhai die normalen Bürger wie unmündige Kinder, die nicht selbst entscheiden konnten, was gut für sie war. Aimerelle war offenbar der Ansicht, dass den Leuten das Recht genommen worden war, sich einen eigenen Lebensweg zu wählen, und dabei auch Fehler zu machen.
Wie Ikiro erzählte, waren die Zuhörer dabei wohl sehr gespalten. Einige - wie Ikiro - fühlten sich von ihren Reden sehr angesprochen, während andere sie für eine Unruhestifterin hielten. Je öfter sie auftrat, desto heftiger wurden die Diskussionen.
Schließlich erreichte die kleine Gruppe einen offenen Platz, auf dem sich bereits einige Hundert Leute versammelt hatten. Vor der Menge stand eine große, hölzerne Bühne - kein großes Kunstwerk, sondern ein eher pragmatisches Bauwerk, dem man ansah, dass es schon oft geflickt und repariert worden war.
Deutlich interessanter war die Person, die auf der Bühne stand: Eine Frau in einem schillernden, goldgelben Kleid, deren Kopfschmuck aus ausufernden, blaugrünen Federn bestand, die ihr wie wallendes Haar bis auf den Rücken reichten. In grazilen Bewegungen lief sie über die Bühne, und sprach mit einer Stimme, die ebenso durchdringend wie klar war.
"Ihr müsst begreifen, dass ihr in einer Zeit des Wandels lebt", erklärte sie, und die Menge hörte ihr aufmerksam zu. "Die Dinge werden sich ändern, die Frage ist, ob ihr daneben stehen und zusehen wollt, oder ob ihr eure Welt mit gestalten wollt. Niemand verlangt von euch, eine Revolution anzuführen! Niemand sagt, dass ihr in den Krieg ziehen sollt. Ich sage nur, dass ihr darüber nachdenken sollt, ob euer Leben wirklich so ist, wie ihr es euch wünscht, oder ob da... mehr ist. Schaut in eure Herzen! Schaut in eure Seelen. Denkt darüber nach, ob ihr wirklich im Innern die seid, die ihr im Augenblick im Äußeren seid."
Sie ließ die Worte einige Momente wirken, bevor sie weiter sprach. "Beantwortet die Frage mit ja, dann lebt weiter, wie ihr es bisher getan habt. Aber seid ihr unsicher, entdeckt ihr, dass dort eine tief verborgene Sehnsucht ist, so als wäre euer wahres Selbst tief in eurem Innern gefangen..."
Wieder machte sie eine Pause, und ließ den Blick über die Menge schweifen. "Ihr müsst selbst entscheiden, ob ihr bis zu eurem Lebensende als Gefangene leben wollt, eingesperrt in euren eigenen Ängsten und den Regeln und Gesetzen, die man euch auferlegt hat, oder ob ihr frei sein wollt, ob ihr ihr selbst sein wollt!"
Ikiro sah die Gefährten mit leuchtenden Augen an. "Ist sie nicht wunderbar?"