01.01.1042 - Tag des Skorpions - Früher MorgenKun Shis schweres Atmen durchbrach und zerfraß jede Regung in diesem Raum und legte sich wie ein schwerer Schleier über das rote Marmor und schien alle kleinen Geräusche zu verschlucken, so dass jede Bewegung Chuang Ans fast lautlos klang. Nur einmal konnten laute Stiefel vor der Tür für einen Moment das Atmen übertönen, welches sonst ein steter Begleiter war, sich über alles legte und die ganze Situation beherrschte. Kun Shi selbst stand weiterhin in würdevoller Pose vor den Gefangenen und mühte sich, seinen Hals gerade gestreckt zu halten. Die Anstrengung rang ihm das schwere Atmen ab, leichter Schweiß stand auf seiner Stirn und der platten Nase. Dass dies seine Anstrengung und damit eine Schwäche zeigte, ärgerte den Religionskritiker und hochrangigen Hofbeamten bestimmt, doch seine Haltung fallen zu lassen, das würde ihn demütigen. Chuang An ließ sich dementsprechend viel Zeit über die Worte eines jeden zu sinnieren und hörte sehr sorgfältig zu.
"Das sind weniger Fragen, als ich erwartet hätte. Aber vielleicht werden meine Antworten euch eine Möglichkeit geben, mehr Fragen zu stellen.", sagt Chuang An nach einer ganzen Weile, ein zufriedenes Lächeln stahl sich dabei auf seine Züge, einen Seitenblick schenkte er dem alten Kun und blickte dann wieder in die Gruppe von Denunzianten, bereit sich mit deren Fragen auseinanderzusetzen.
"Ich will jede Frage beantworten, lasst mir nur einen Moment, um sie mir nochmal in Erinnerung zu rufen." Chuang An griff sich ins ebenmäßige Gesicht an die Augen, welche er geschlossen hielt, und senkte den Kopf dabei, den Blick gen Boden gerichtet. Angestrengt schien er nachzudenken. Vielleicht fragte er sich, welche Antworten er geben durfte und welche er geben musste. Vielleicht dachte er darüber nach, wie er den Denunzianten am ehesten gefallen konnte. Vielleicht zögerte er das Leiden Kuns nur hinaus und labte sich daran, den höchsten Grad an Insubordination zu üben, denn subtile Untergrabung von Authorität, und diese lag in Chuang stets beim Alter, war die nagenste Art und Weise.
"Du musst mir nicht danken," begann der jüngste Kaisersohn unvermittelt,
"es ist doch eine Selbstverständlichkeit, dass jene, auf welche die Schuld geladen werden soll oder auf welche sie tatsächlich zu laden ist, zumindest das Recht haben sollten, sich zu diesen Vorwurfen zu äußern und etwas über die Umstände zu erfahren." Er blickte von einem Verbrecher zum nächsten.
"Ihr alle werdet sehen, dass die meisten euch vorhalten werden, dass nicht zu viele Informationen rausgegeben werden sollen. Das liegt daran, dass dann der Mörder besser einen Ausweg konstruieren könnten, so meinen die hohen Herren des Hofes. Ich hingegen sage, soll der Mörder doch dieselben Informationen haben, wie jene, welche den Mord aufklären wollen, um nicht auf dem Blutgerüst zu enden. Ihr Scharfsinn, das heißt euer Scharfsinn, wird ausreichen, um den Mörder zu fassen, selbst wenn ihm diese Informationen hilfreich sein sollten." Er begann zu lächeln und sagte beinahe schelmisch.
"Und mal ganz unter uns Klosterfrauen; sollte der Mörder derart von Genialität durchdrungen sein, dass er einen ganzen ehrenhaften Hof samt jener Männer, die nur mit dem Beweis der Unschuld ihr Leben retten können, zu einem solchen Gespött machen kann, dann hat dieser Mann es doch eher verdient den Himmelsthron zu besteigen, als am Galgenbaum zu enden. Denn wäre nicht sämtliche Weisheit und Tradition und Stärke verwirkt, wenn der Hof es nicht bewältigte, einen einfachen Strolch zu überführen, der er nach Ansicht des Hofes sein muss?" Sein Lächeln endet, während Kun Shis Gesicht einen zornigen Ausdruck bekommt. Dessen Schultern beben vor Zorn, er drückt den Rücken noch ein wenig weiter durch. Es war ein ungleicher Kampf in diesem Moment, denn ein Einschreiten Kun Shis würde nur bewirken, dass er sich eingestand, dass er auf den Respekt der Barbaren angewiesen war. Chuang An schien zumindest nicht so törricht zu sein, wie man ihm gerne andichtete.
"Aber wer bin ich, dass ich euch mit Fragen belästige, wo ihr doch die seid, die erst einmal Antworten verdient haben. Als Gegenleistung für das harte Bett und die unfreudige Unterbringung." Er blickte wieder zum Spielzeugmacher und entspannte seine Sitzpose ein wenig und saß nun im deutlich entspannteren Schneidersitz.
"Shǎzi ist ein Mann unzähliger Masken. Eine seiner glaubwürdigsten Masken ist die des Weisen. Er ist der Überzeugung, dass der Hof niemals direkt gegen den Kaiser vorgegangen wäre, sondern eine Strohpuppe notwendig gewesen ist, um diesen Coup gegen den Kaiser durchzuführen. Shǎzi geht also davon aus, dass es nur eine höfische Intrige sein kann, denn sonst hält er einen Mord am Kaiser für unwahrscheinlich, wenn nicht gar unmöglich. Einer von euch ist der verlängerte Arm eines Intrigenmeisters. Shǎzi ist dabei bewusst, dass jeder von euch, eine Zusammenarbeit abstreiten wird und er hält es sogar für möglich, dass der Intrigenmeister in falscher Gestalt aufgetaucht sein kann und seine Identität gar nicht bekannt gegeben hat. Shǎzi wäre jedoch auch zuzutrauen, dass es nur ein großer Bluff ist, um etwas anderes, wichtigeres zu erreichen. Vielleicht hält er euch auch auf andere Art und Weise für eine sinnvolle Unterhaltung, wenn ich es so dreist ausdrücken darf. Vielleicht seid ihr für ihn auch der Schlüssel zu den ganzen Intrigen des Hofes. Shǎzi ist so undurchsichtig wie die ganze Situation. Es gibt einen Grund, warum man Narren fürchtet. Vor allem kann man kaum in ihr wirres Gedankenspiel einsteigen."Dann setzte Chuang An ein mildes Lächeln auf, ein weiterer Beweis dafür, dass er gar nicht in das Bild eines blutrünstigen oder gar gefürchteten Piraten passen wollte.
"Eine solche Puppe würde meiner Tochter sehr wohl gefallen." Diese Antwort reichte ihm in Bezug auf die Puppe, obwohl es ihn augenscheinlich erheiterte, dass eine solche Frage in Anbetracht der Situation gestellt wurde, sein Lächeln wurde nämlich immer breiter.
Als er Mako Jinsei anblickte, verschwand sein Lächeln allerdings rasch und wich einem etwas erschrockenen Anblick. Er entsann sich der schweren Frage des Weiberhelden und griff sich ans Kinn.
"Ich muss zugeben, dass es mir schwer fällt, diese Frage zu einer ausreichenden Antwort zu bringen, denn gerade, als du es gesagt hast, ist mir aufgefallen, dass ich wenig über euch weiß. Gib mir einen Moment, damit ich mich daran erinnern kann, was ich über euch gehört habe." Fast etwas ratlos schaute er in die Gesichter der Denunzianten.
"Mhm, beim besten Willen, ich kann mich kaum eines Details erinnern, das eben nicht bereits von euch angerissen worden ist." Er grübelte noch einen Augenblick und zog dann die Nase hoch.
"Dieser feuchte Keller ist eine Qual, fast wie diese ganze Informiererei. Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr wird mir bewusst, wie lästig diese Tragödie ist. Wir sollten uns wahrhaft sputen, dass ihr zu der Lösung beitragen könnt, denn es wäre doch Verschwendung von Leben und Geist, wenn ihr am Tag des Drachen sterben würdet, und der Kampf um die wahren Hintergründe weiter anhielte, vor allem wenn die Wahrheit mit einem von euch stürbe."Sein Antlitz erhellte sich ein wenig, und er hob den rechten Zeigefinger in die Luft, als wäre ihm ein Geistesblitz gekommen.
"Ich sag euch was, ich werde mich darum bemühen einen vorzeitigen, zweiten Besuch zu arrangieren, dann sage ich euch, wie ihr hier alle gelandet seid. Mehr kann ich euch leider nicht bieten..."[1]Er blickte Hong an und es war offensichtlich, dass sich kein Schatten über das Antlitz von Chuang An legte, als er über seinen Vater sprach. Er war sehr abgeklärt, was dieses Thema anging und seine Pose entspannte sich noch ein wenig mehr.
"Hong, wie sehr ich dir Recht geben muss, dass diese Welt immer turbulenter wird. Die Zeiten des Frieden, unseres persönlichen Friedens sind endgültig vorbei. Der Kaiser, obgleich ich seinen Leichnam nur von einer Seite gesehen habe und nur das bleiche Gesicht mit den geschlossenen Augen sehen durfte, ist an einer trickreichen Kette von Umständen gestorben. Leichte Verwundung, geistesbeeinflussende Drogen, dadurch anhaltende Schwächung des Körpers, Schlaflosigkeit und innere Gebrechen. Schließlich ist er in geschwächtem Zustand erdrosselt worden, mit einem grünen Seidentuch. Das zumindest sagt der Hofarzt. Wie und ob das zugefügt worden ist, oder ob der Kaiser nicht selbst geistesbeeinflussende Mittel genommen hat, um Kontakt zu den Göttern aufzunehmen oder dergleichen, das kann euch nur der Arzt sagen. Das Erwürgen war anhand der Male am Hals aber eindeutig. Ich habe viele gehängte Männer und Frauen gesehen; diese Male würde ich auf hunderten von Metern erkennen. Mehr weiß ich über den Tod jedoch nicht."Chuang An zog eine Augenbraue hoch, als er nochmal über Xū Dǎnshís Frage nachdachte und gerade den ersten Teil der Frage nochmal laut wiederholte.
"...dass ich nicht daran interessiert bin, an dieser Art von Investigation mitzuwirken. Mein einziges Interesse gilt dem Reich Chuang. Was bedeutet der Tod des Kaisers für die Zukunft des Reichs?" Dann grübelte er noch einen Augenblick und genoss das schwere Atmen des alten Kuns.
"Shǎzi würde dir sagen, dass diese...Art...der Investigation von fundamentaler Bedeutung für das Reich ist. Aber ich muss dich enttäuschen, wenn du mich für einen Sehenden hälst, der treffsicher die Zukunft Chuangs auf gelegten Karten oder anhand der Sterne ablesen kann. Dazu müsstest du den Astronom, Zhuge Yan, fragen. Alles Mittelbare vermag ich nicht abzusehen, nur ein paar Vermutungen hege ich. Sobald der Tod des Kaisers an die Außenwelt dringt, wird er die Feinde Chuangs animieren, noch eher anzugreifen und auch Gebiete wie Gangxi[2] vor der Regenzeit anzugreifen und dadurch tief in das Land einzufallen. Die Usurpatoren wie Qinglong werden sich sammeln und ihre Kräfte bündeln und um eure zweite Frage gleich mitzubeantworten, in Cui Bao wird sich ein zweiter Usurpator einrichten und dein Erbe fortführen in seinen Gedanken, auch wenn seine Handlungen andere sein werden, wahrscheinlich nicht so weise, wie deine. Unabhängig davon, ob du frei kommst oder nicht, wirst du dir deinen alten Posten erstreiten müssen. Dein Land ist zu fern von der göttlichen Ordnung, um jetzt kaiserliche Beamte die Herrschaft zu überlassen. Noch geht es deiner Provinz gut, die Menschen sorgen sich um deine Person, deine Generale haben die Streitkräfte aufgestockt. Sie erwarten, dass ihr Widerstand gegen die Ordnung angefochten werden wird. Das ist auch das, was Cui Bao passieren wird. Es sei denn, du kannst von hier aus schlichten. Das kannst du, wenn du dir Respekt neu verdienst, Xū Dǎnshí"Chaung An blickte euch weiter gespannt an, noch standen ein paar Fragen aus. "
Beeilt euch mit den letzten Fragen, unsere Besuchszeit ist eigentlich schon abgelaufen." Dann lachte er laut.
"Aber andererseits haben wir wohl noch zwei, drei Minuten." Das schwere Atmen Kuns hatte inzwischen einen pfeifenden Rhythmus erreicht, der zornige Anblick jedoch war wieder hochnäsiger Ignoranz gewichen. Es schien, als hätte Kun einen Gedanken gefasst, der ihn befriedigte.