01.01.1042 - Tag des Skorpions - Späte Nacht
Das atmende Lachen des zweistimmigen Mannes brach abrupt ab...
nur um in ein lautes und zweifach dröhnendes Lachen zu fallen, was scheinbar gar nicht enden wollte. Mit einer Hand wischte er eine Träne aus seinem rechten Auge und ließ das Lachen dann ausklingen, es abfallen und wieder zu einem atmenden Lachen werden.
Der merkwürdige Maskierte setzte sich auf seine Afterballen und überkreuzte die Beine, kein vollführter Lotossitz, eher ein einfacher und bequemer Schneidersitz. Seine ganze Art ließ darauf schließen, dass er die Bequemlichkeit der übertriebenen Askese in Form körperlicher Schmerzen bevorzugte. Sein Verhalten mochte absonderbar sein, denn er ignorierte schlichtweg alles andere Gesagte und setzte wieder zu einer eher ungewöhnlichen Antwort an.
„Sanft in rötlichen, zart rosanen und purpurnen Farben fielen die leichten, meist weißlichen, Blätter von den Bäumen der Kirsch- und Pfirsichbäumen. Sie bedeckten den Boden und zeugten für die Zeit des Herbstes, der Beginn der Erneuerung. Doch hier, an diesem Ort, ging diese Erneuerung besonders schnell. Während die Blätter fielen, bildeten sich bereits Knospen und deuteten das Erwachen der Natur an. Ein ununterbrochener Vorgang von Verfall und Blüte. Die Einheit von Sterben und Geboren werden. Es war ein Paradies.
Und sechs ernste Paar Augen sahen sich, in staunender Stille, dieses Schauspiel an. Sie waren alles Männer gehobenen Alters, grau an Haaren und alt an Jahren. Einer von ihnen, war ein kleiner, behäbiger Mann mit kurzem und wirrem Haar, aber fast güldenen und sehr warmen Augen, ein anderer von ihnen war ein großer, hagerer Mann mit langem, glatten und gepflegten Haar, mit ehernen und sehr kalten Augen. Und der Dritte von ihnen hatte kein volles Haar mehr, nur an den Ohren standen noch wenige Haare, die lang in einen fein getrimmten Vollbart übergingen, er war etwas größer als der Kleine und etwas dicker als der Hagere. Er hatte keine Augen, denn er war ohne sie geboren worden.
Die Augen wandten sich von dem Garten der Kirsch- und Pfirsichbäume ab und blickten über ihn hinaus. An manchen Enden der Welt brannte es, an anderen hatten Fluten die Welt an sich gerissen. Die Welt war in Chaos versunken. Gegen das Getöse der Welt erklang das Aufeinandertreffen dreier Klingen.“ Der maskierte Mann hatte tatsächlich nicht eine, sondern drei schlanke Klingen gezogen, die in diesem Moment aufeinandertrafen.
„Ein Schwert, ein Speer und eine Hellebarde trafen aufeinander und der große Hagere sagte mit sanfter Stimme. «Fortan will ich Chuang heißen und der Himmel sein, dem Feuer und dem Wasser trotzen. Das schwöre ich beim Schwert des Himmels!»
Der kleine Dicke wandte seinen Blick von dem Kampf von Feuer und Wasser ab und blickte auf die drei Waffen, welche eine neue Einheit bildeten. «Fortan will ich Xian heißen und standhaft wie die Erde sein, dem Feuer und dem Wasser trotzen. Das schwöre ich beim Sporn der Erde!»
Der Augenlose spürte, wie seine Hellebarde auf den beiden Waffen mit großen Gewicht lag und er verzog das Gesicht zu einem zufriedenen Lächeln. «Fortan will ich Qi heißen und das Unscheinbare und die Verbindung zwischen dem sein, was nicht zusammengehört. Und sollte ich es nicht schaffen, dass sie dem Feuer und dem Wasser trotzen, will ich sie für immer entzweien. Das schwöre ich bei Ouroboros.»
Fast silbrig fiel das Mondlicht in den paradiesischen Garten und zeugte von der Macht des letzten Ortes, welcher Feuer und Wasser trotzte, Himmel und Erde an diesem Tag gebar. Ein stolzer Moment…“
Der Mann stand auf und trat wieder vor in das Licht, sodass seine milchiggrauen Augen gut zu sehen waren.
„…welcher freilich in Angesicht des Alters der Welt nur einen Herzschlag hielt. Als Flamme und Gischt für einen Moment zu weichen schienen, nicht mehr als ein Luft holen um zu Kraft kommen, und Himmel und Erde Ordnung auf die geschundene Welt gebracht zu haben schienen, überzog neuer Krieg das Land. Chuang wollte den Garten aus Pfirsichen und Kirschen für sich selbst und er vertrieb Xian, während Qi schon verschwunden war, nachdem sie den Schwur geschlossen hatten, denn er war der Unscheinbare.“
Der maskierte Mann blickte jeden Denunzianten an und sein Blick war nicht, als würde er einem in die Augen schauen, vielmehr bohrte sich sein blinder Blick in die Seele selbst. Wieder schien sein Atmen ein kaum merkliches Lachen zu sein.
„Die Reiche Chuang und Xian waren gegründet, aber das Feuer der Welt war nicht erloschen und das tosende Meer hatte sich nicht beruhigt. Qi erschien im Garten des Himmels und erneuerte seine Prophezeiung. «Chuang, dreiunddreißig deines Geschlechts mögen nach dir herrschen, doch hast du dann Feuer und Wasser nicht befriedet und ihnen nicht auf Dauer trotzen können und die Erde nicht wieder an deine Seite geholt, werde ich deiner Herrschaft ein Ende setzen. Dann soll keiner diesen Garten haben. Nimmermehr!»
Qi erkannte, dass Xian auch so uneinsichtig wie ein Berg selbst geworden ist und schenkte auch ihm die Prophezeiung erneut."
Der Mann enthielt sich der Aussage, wie viele Herrscher Chuang schon hatte und wie viele Xian gehabt haben mochte, doch jetzt lachte er wieder deutlich, doch es war nicht zu erkennen, ob sein Lachen belustigt oder sardonisch war. „Es gibt Gerüchte, dass die Hauptstadt des Kaisers, der Himmel, diesen wundersamen Garten umschließt. Soweit durfte noch kein Sterblicher und wohl auch kein Unsterblicher seit diesen Gründungstagen vortreten. Niemand hat den Garten, das Paradies mehr gesehen seit diesen Tagen. Man sagt, er sei des Kaisers größter Schatz und noch immer würde dort Tod und Wiedergeburt jeden Tag zu bewundern sein. Ein Ort der Erleuchtung. Die schönste Ort auf dem geschundenen Kontinent.“ Der Mann ließ eine lange Stille folgen, das Zeichen, dass seine Geschichte geendet hatte. Er trat wieder einen Schritt in den Schatten zurück.