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Autor Thema: Das liederliche Spiel  (Gelesen 84932 mal)

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Xū Dǎnshí

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Das liederliche Spiel
« Antwort #180 am: 05.03.2011, 02:39:03 »
Danshi nickt, als Makosan seine Fragen stellt. Es sind gute Fragen und auch welche, die mich selbst interessieren. Wenn Erde sagt, dass sie nichts bedarf, bedeutet es noch nicht, dass sie keine Wünsche hat. Sonst würde sie sich nicht interessieren und nicht hier sein. Und warum sollte sie auch nicht, wenn sie empfindet?

"Und wenn ich eine weitere Frage hinzufügen darf, was wünscht sich Tŭsama, was mit Chuang geschieht?", sagt er daraufhin.
« Letzte Änderung: 05.03.2011, 02:50:29 von Xū Dǎnshí »

Menthir

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Das liederliche Spiel
« Antwort #181 am: 06.03.2011, 12:18:25 »
03.01.1042 - Tag des Affen - Später Nachmittag

Die dumpfe, schroffe und brummende Erde übernahm wieder das Sprechen und die alte Schwermütigkeit und das Gewicht ihrer Masse drückte wieder ihre Stimme nieder. "Ein menschlicher Kaiser ist selten für die Enwe bedeutender als ein menschlicher Bauer. Wohl mag er eher das Rüstzeug haben, aber seltener hat er den Geist. Nicht alleine der Kaiser darf für euch von Bedeutung sein, sonst werdet ihr so bedeutungslos wie er es sein ganzes Leben war. Der Kaiser war kein weiser Mann, das hat jeder gespürt. Ein Mann kluger Worte, doch tatenlos und unüberlegt in den wenigen Versuchen, seine Worte in Taten umzusetzen. Etwas Bedeutungsloses zu töten, das bringt keine Bedeutung. Auch wenn ich sehe, dass es dann dabei nicht um die Person des Kaisers gehen kann, sondern um seine scheinbar bedeutungsschwangere, symbolische Position. Aber auch die ist für die Enwe nicht von absoluter Bedeutung, sie ist nur für die Humanoiden von wirklicher Bedeutung und für Engel und Teufel gleichermaßen zumindest von Interesse." Die Stimme musste eine Pause machen, um sich auszuruhen und sie tat es relativ lange, es war wahrscheinlich unglaublich, wieviel Zeit in der Anwesenheit der Erde verstrich. Aber es wurde deutlich, als die lebende Respektbekundung Chuang Wangs dampfenden, gelben Tee unaufgefordert in den Raum brachte und darauf Hinwies, dass bald bereits die Abendstunden anbrechen würden. Die Zeit verging fast rasend schnell. Doch nachdem sich die Teedienerin zurückgezogen hatte, erhob die Erde wieder ihre Stimme.
"Ich habe es erwähnt. Das Größte in Chuang ist nicht Chuang oder eines seines Wesen, weder Freund noch Feind, das Größte ist der unendliche Garten und der Kaiser ist nur insofern interessant, als dass nur er im Moment in diesen Garten kommt. Ich wünsche, dass ihr von Bedeutung seid. Das bedeutet, dass ihr den Garten oder seinen Schlüssel erreicht. In euren Worten erkenne ich nicht den Willen, diesen Garten zu entweihen oder nur für euch zu beanspruchen. Macht den Garten wieder zu dem, was er war. Ein Teil der Enwe. Dann seid ihr von Bedeutung, für die Enwe, für Chuang und für den Rest des Kontinents. Der Kontinent soll wieder blühen, Chuang darf dann wieder blühen."
Plötzlich veränderte sich die Stimme wieder in diese kristallklare Stimme, welche diesmal schneidend schien.
"Nur dann könnt ihr den Urintrinker aufhalten!"
Die Worte hallten in der Marmorhalle, in welcher die Denunzianten gefangen waren. Stille. Das schwere Atmen setzte wieder ein.
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Sūn Ai

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Das liederliche Spiel
« Antwort #182 am: 07.03.2011, 14:48:14 »
Sūn Ai erstarrte zunächst bei der Erscheinung der Stimme. Zwar war sie Außergewöhnliches gewohnt, doch schaffte die Angst es trotzdem Kontrolle über sie zu haben für einen Moment. Die Erde selbst sprach zu ihnen und je länger die Erde sprach, um so mehr verfloss die anfängliche Angst, dass ihr irgendetwas zu stoßen wird, da die Erde keines falls aggressive oder angreifend wirkte. Allerdings kam eine neue Angst auf, je länger die Erde sprach. Ihr Blick bisher war so kurzsichtig gewesen. Die Erde selbst sprach zu ihnen, dass hatte etwas zu bedeuten. Ihr Tot war bisher ihre größte Angst, die grausigste Vision. Der gesamten Situation lag aber viel mehr Bedeutung bei, als nur die Entscheidung über ihr Leben. Es schien mehr als nur die Last des Gefängnisses auf ihren Schultern zu liegen plötzlich. Zumindest schien die Last ihr Lippen zu zuhalten. Fast den gesamten Tag schwieg sie und lauschte nur. Sie verstand die Erde oder zumindest glaubte, zu verstehen, was die wünsche der Erde sind. Vielleicht war es aber auch nur ein Wunschdenken, um von Bedeutung zu sein, wie die Erde es wollte. Der Kaiser bedeute der Erde nicht so viel, aber sie alle waren Humanoide und so mussten sie sich nach gewissen Regeln richten. Die Vorstellung einfach aus dem Gefängnis zu spazieren, mit der Botschaft, dass der Tot des Kaisers nicht sonderlich wichtig sei, erschien absurd. Es war auch nicht, dass was die Erde wollte, aber für alleine weil ihr Leben daran gekoppelt war, musste es Bedeutung für sie haben, im Gegensatz zur Erde. Allerdings wurde schon erwähnt, dass die Erde ihnen nicht viel weiterhelfen kann mit der Aufklärung des Mordes und so schwieg sie darüber.

"Wen meint ihr mit Urintrinker!" Ihr Worte klangen naive und sie wirkten noch viel naiver, dadurch dass es ihre ersten Worte waren in dem gesamten Gespräch.

Xū Dǎnshí

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« Antwort #183 am: 11.03.2011, 15:51:27 »
Danshi schüttelte fast unmerklich den Kopf und auch seine Stirn zeigte Falten, als würde er nachdenken. Es schien offensichtlich, dass für ihn ein Widerspruch im Raum stand, denn er nicht auflösen konnte. Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, denn kleine Schweißtropfen kitzelten ihn. So viele Mythen, Behauptungen und Mutmaßungen - ein Käfig voller Narren könnte hier keinen Sinn hineinbringen, geschweige denn die Wahrheit herausfinden. Es ist die alte Frage, die sich stellt, nur zugespritzt: Was soll ich tun? Danshi schwieg und auch Erde schien zu überlegen. Was soll ich tun?, fragte er sich wieder.

Vielleicht braucht es nicht die ganze Wahrheit des Himmels. Laotse sagt, jede Reise beginne mit einem ersten Schritt.

"Man sagt, die Geschichte wiederhole sich. Für mich erscheint es als das karmische Prinzip. Kein Geschehen ist ohne Anfang, keine Tat ohne Folge. Der Entstehungsmythos erzählt von Drakthur[1], der die Erde erschuf und seine ganze Leidenschaft auf die Gestaltung ihrer Form verwendete. Doch die Erde hasste ihren Schöpfer, der ihr anhaftete, und nahm ihn in sich auf. Die Urintrinker könnten die Folge dieses Handelns sein und wollen ihrerseits Chuang zerstören, sodass es wiedergeboren werden kann." Danshi schwieg, um dem Gesagten Gewicht zu verleihen. Er war sich bewusst, dass er Erde mit seinen Worten verärgern konnte, doch er sagte es aus anderem Grund.

"Die erleuchteten Meister sagen, dass erst die Einsicht in das karmische Prinzip es den Menschen erlaube, aus dem leidvollen Kreislauf von Sterben und Wiedergeburt auszutreten. Wir können die Urintrinker aufhalten oder gar vernichten - und erkaufen uns nichts als etwas Zeit, die wir noch dazu mit Angst teuer bezahlen. Die Wahrheit mag schmerzlich sein, aber nur für den Stolzen. Sagt mir, Tŭsama, habt Ihr missgünstig gehandelt in Gedanken und Tun?", fragte er. Seine Stimme verriet Wachsamkeit.
 1. Drakthar, der verstorbene Erdgott. Umgebracht von seiner eigenen Schöpfung
« Letzte Änderung: 11.03.2011, 20:51:44 von Xū Dǎnshí »

Menthir

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Das liederliche Spiel
« Antwort #184 am: 14.03.2011, 14:52:27 »
03.01.1042 - Tag des Affen - Abend

Dieses Mal benötigte die Erde länger, um zu antworten. Schwer hob sich ihr Atem abermals, schien ein paar Mal dann jedoch so langsam zu werden, als wäre die Erde einfach gegangen. Doch noch einer Weile regte sie sich wieder und wieder. "Ich brauche Zeit, um mir eine Antwort zu überlegen, welche die Bildsprache der Humanoiden nutzen kann. Es ist nicht leicht, wahrhaftig nicht leicht, mit eurer Zunge zu sprechen. Gerade in Chuang, da jedes Wort nicht einen Zweck erfüllt, jeder Buchstabe kulturell überladen scheint und das Miteinander seiner Zungen somit um ein Vielfaches erschwert wird." Die Erde versuchte mit diesen Worten augenscheinlich ihre Probleme zu erklären oder vielleicht sogar Zeit gewinnen, so sie denn Zeit wirklich in dieser Kleinschrittigkeit von Stunden wahrnahm. Es musste bestimmt schon die Sonne langsam hinter dem Horizont im Westen verschwinden, als das Atmen der Erde wieder heftiger und stoßhafter wurde, sie schien wieder in das Diesseits zurückzukehren, nachdem ihr langes Atmen nach der Ankündigung wie ein fernes, jenseitiges Geräusch war, welches in dem Moment kurz erstorben war, als die beiden fremdländischen Dienerinnen wortlos das Abendessen und kalten Tee servierten.

Nachdem sie dann endlich verschwunden waren, antwortete die Erde wieder, erst zaghaft und schleifend. "Der Urintrinker ist wohl am ehesten als jener zu verstehen, den man sehen möchte, wenn man alle Urintrinker zusammenfasst. Ich dachte, es würde eurer Bildsprache und eurer Art entsprechen. Ich selbst bin auch der Kiesel, der Schlamm, der Schiefer, der Humus, der Diamant und ebenso der heiße Sand der weiten Wüsten. Und dennoch bezeichnet ihr mich als Erde. Der Urintrinker selbst nennt sich Ouroboros, ihre Einzelteile werden Ouroboroi genannt, weil sie sich als zusammengehörig betrachten. Aber sie sind es nicht immer, auch wenn sie sich ähneln. Es gibt dort Alben, Elben, Menschen und andere Wesen. Ich will euch sagen, welche Weisheit dazwischen steht, denn sie gilt auch für Chuang, denn sie gilt auch für die Erde. Wenn ich Kiesel bin, wurde ich vom Wasser geschliffen, aber nicht durchdrungen. Wenn ich Schlamm bin, bin ich vom Wasser durchdrungen, aber nicht geschliffen. Wenn ich ein Diamant bin, hat Äonen lang mein Gewicht auf diesem Stein gelegen und Feuer hat mir geholfen. Wenn ich aber Feuer zu viel Macht lasse, werden wir zur Magma und wenn wir plötzlich zusammen ins Wasser stürzen, werden wir zu Obsidian. Wenn Feuer aber lange auf Wasser und mich einwirkt, werden wir meist Wüstensand oder verdorrte Erde. Wenn der Wind mich dann aufnimmt, kann ich sein Sandsturm werden. Und trotzdem bin ich immer für euch Erde. So ist es mit den Ouroboroi und so ist es mit Chuang. Könnt ihr das nicht mit Toleranz sehen, sondern mit Akzeptanz?"

Die Erde verstärkte ihre Präsenz wieder soweit, dass sie einen mit diesem merkwürdigen Gefühl von Macht füllte. Wieder tat sie es. Die Stimme wechselte jedoch nicht in das kristallklare, sondern wurde noch zwei Oktaven tiefer, wenn auch ein klein wenig deutlicher. Ihre Antwort war an Xū Dǎnshí gerichtet. "Wenn es das denn Menschen erlaubt, hat auch jeder andere die Möglichkeit? Vielleicht habt ihr Recht, vielleicht ist das Austreten aus Sterben und Wiedergeburt auch eine Art Leid. Die Frage wäre immer, für wen[1]. Aber vielleicht bedeutet dies auch nur eine geistige Haltung der Gleichgültig, sowohl in einem positiven, als auch in einem negativen Aspekt. Vielleicht."
Die Stimme wechselte schlagartig wieder zu der kristallklaren Stimme und das Gefühl von Macht wurde ersetzt durch das Gefühl entsetzlicher Kälte.
"Ich trage Feuer in meinem Bauch, doch mein Herz ist bisweilen kalt. Ich habe missgünstig gehandelt. Ich kann nicht anders gehandelt haben, wenn ich Drakthar gefressen habe. Ich habe auch immer dann missgünstig gehandelt, wenn sah, wie man mich zu zerstören versuchte. Ich bin neidisch und verletzt, wenn Menschen meine schönsten Ebenen mit Wasser fluten, um Reis anzubauen. Ich bin wütend, wenn Zwerge unter meiner Haut graben und mir meine Innereien zerschlagen und meine Schätze klauen. Ich bin entsetzt, wenn die Elben versuchen, mir meine Macht zu rauben. Ich weine, wenn Orks meine schönsten Wälder brandschatzen. Ich habe mich an vielem gerächt. Sicher habe ich auch Freude empfunden, wenn Wesen mich schmückten. Doch heute füllt mich vor allem Kälte und Gleichgültigkeit. Ich bin verheert und habe keine Lust mich zu regen. Erst ihr habt mich geweckt aus dieser Gleichgültigkeit.", verkündete die kristallklare Stimme und versandete wieder, um in die normale, schroffe, schieferartige Stimme der Erde zu verfallen, die wirklich gut die Gleichgültigkeit der Erde wiedergab.
"Mein Anliegen ist genannt."
Es war mehr als deutlich, dass sich im Laufe des Gespräches die Erde mehrfach gewandelt hatte, aber sie hatte ihrem Wunsch Ausdruck verliehen, so es ihr denn möglich war.
 1. Bezug zur Seelenjagd
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Xū Dǎnshí

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Das liederliche Spiel
« Antwort #185 am: 16.03.2011, 23:14:58 »
In den ersten Momenten verschlägt es Danshi die Sprache. Er hatte die Mythe um Drakthur ohne viele Gedanken, nur mit einer gewissen, milden Neugierde ausgesprochen. Umso unerwarteter traf es ihn, als Erde die Mythe bestätigte. Das ist... fast unglaublich! Wenn Drakthur tatsächlich existierte und von Erde umgebracht wurde, dann gäbe es keinen Grund..., er schluckte, denn soeben wurde seine Weltanschauung umgeworfen, ... nicht auch an die Existenz anderer Götter zu glauben. Danshi hatte durchaus die Lehren von Ahava, Rylban und Zendegi studiert. Nicht aus Glauben, sondern weil ihre spezifischen Sichtweisen seine eigene komplettierte und ihn so manche Lehrsätze seiner eigenen Tradition besser verstehen ließen. Zendegi und Mengzi, Rylban und die Reinigung des Geists sowie die Praxis des Bön[1] und nicht zuletzt Ahava und der angestrebte Zustand unendlichen Mitgefühls. Ja insbesondere Ahavas[2] Worte hatten ihn stets berührt und inspiriert zurückgelassen. Doch Glauben? So hatte er es nie gesehen.

Danshi musste schwer schlucken, so dass seine Stimme belegt klang. "Welche leidvolle Geschichte. Wie lange muss Eure Wut gekocht haben. Und die Jahre der Schuld und Anhaftung. Mein Beileid. Bis Ihr aus Euren Schmerzen befreit seit, aus tiefstem Herzen mein Beileid." Danshi wischte sich wieder über die Stirn. Die Geschehenisse der letzten Minuten waren schwer verdaulich und gerne hätte er sich jetzt gesetzt und einige Tage seine Seele geprüft.

Wieder schüttelt er leicht den Kopf, als er fortfährt. "Noch hat Tŭsama nicht gesagt, was sie von uns begehrt, doch es scheint mir augenscheinlich. Doch ich frage mich, wie sich die Situation unterschieden hätte, wenn der Urintrinker, der uns besuchte, seine Motive und seinen Wunsch klarer formuliert hätte. Die Urintrinker sind die Zeit der Verwüstung leid. Sie glauben ebenfalls an Wiedergeburt - jedenfalls eine Art Wiedergeburt. Doch bevor das Land wieder erblühen kann, muss es erst gestorben sein." Danshi blickte direkt in Hongs Augen, als er den nächsten Satz in aller Deutlichkeit aussprach: "Doch so unverständlich es auch scheint, letzten Endes wollen sie, dass das Land wieder erblüht. Ihr Bedürfnis unterscheidet sich nicht von unserem."

Dann wandte er sich wieder zur Tür und atmete einmal schwer durch. "Mir fällt kein Weg ein, wie ich Tŭsama helfen kann, ohne dass sich weiteres, negatives Karma ansammelt. Ich kann nur eines tun. Ich werde... beten zu... Ahava... . Für Euch... beten.

Bodhichitta, kostbar und erhaben,
Möge es in jedem entstehen, in denen es nicht entstanden ist,
möge es niemals schwinden, wo es entstanden ist,
sondern weiter und weiter wachsen
[3]

Wir sind wie Boote in einem Sturm,
in einem Sturm aus Anhaftung, Sinnesrausch und Sehnen.
In den dunkelsten Stunden sehnen wir uns nach einem sicheren Hafen,
oder zumindest einer Stimme, die Trost spendet.


Ich möchte bitten,
dass ich allen Wesen von Hilfe sein mag,
dass sie mit ihren Schmerzen nicht allein sind
[4],
bis in den Tod und darüber hinaus,
wie ich es vermag
 1. gemeint ist die Praxis des Traumyogas innerhalb der buddhistischen Schule des Bön. Es wird angestrebt, das unverzerrte Bewusstsein selbst in den Träumen aufrecht zu erhalten (Danshi beherrscht die Praxis allerdings nicht).
 2. Ahava, Liebesgötting
 3. Shantideva
 4. nach Thomas D - an alle Hinterbliebenen
« Letzte Änderung: 16.03.2011, 23:23:04 von Xū Dǎnshí »

Hong Gil-dong

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Das liederliche Spiel
« Antwort #186 am: 20.03.2011, 14:03:29 »
Hong war in ehrfürchtiger Stille vor der Erde verfallen. Wie er anfangs noch zweifelte, es könnte ein Spiel des Narren sein, doch es fühlte sich  zu sehr wie Tŭ an. Sie hatte einen Wunsch, den Hong in seinem innern unbedingt teilte, die Gleichgültigkeit und Wut auf den Kaiserhof wie Hong sie fühlte und sie sagte es gebe eine Möglichkeit das Antlitz von Enwe in diesem Teil wieder zu heilen. Es waren nicht hochtrabende Elfenworte die mehr ein Amalgam Hoffnung und Verwirrnung waren, nur ihre Schuld mitverschleierten. Es gab ein Weg und Hong war in der Nähe des Hebels, den Garten zu einem Teil von Enwe zu machen. Der unbändige Drang zur Flucht bei der ersten Möglichkeit war geschwächt. Es gab erstmals seit über 10 Jahren eine Aufgabe, die Hong zu erledigen hatte, die selbe Berufung welcher seine Familie für Jahrhunderte nachgekommen war.
"Nur die Verstossenen Urintrinker[1] haben im Ansatz das selbe Bedürfnis wie wir. Doch zu glauben, die anderen hätten die selben Bedürfnisse wie wir ist ebenso naiv wie zu glauben, dass Kannibalen mit dem Verzehr des Fleisches von zweibeinern ebenfalls nur ihren Hunger stillen zu wollen." erwiderte Hong. "Ihr wisst nicht, was in den Köpfen selbst der sogenannt gemässigten Ouroboroi vorgeht. [2]"
 1. Die Gemäßigten Ouroboroi
 2. 
Erinnerung (Anzeigen)
Bitterer Tee, mit Wohlwollen dargeboten, schmeckt süßer als Tee, den man mit saurer Miene reicht.

Xū Dǎnshí

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Das liederliche Spiel
« Antwort #187 am: 20.03.2011, 14:49:40 »
"Natürlich weiß ich nicht, was die Ourobui denken. Aber ich fühle: Der Mensch ist von Natur aus nicht böse. Alle Menschen wollen sehr ähnliche Dinge und das ist weder gut noch schlecht, sondern natürlich. Es ist eine andere Sache, welchen Weg er verfolgt, um seine Bedürfnisse zu befriedigen. Allerdings, was auch ein Mensch an Verfehlungen begangen haben mag, verführt durch seine urtümliche Meinung vom Leben, es braucht ihn nicht zu bedrücken, denn er kann sich ändern. Der Mensch ist frei, glücklich zu sein und andere zu erfreuen.[1]", sagt Danshi. Vielleicht würde es etwas belehrend wirken, würde er nicht die Hände ausbreiten und Lächeln. So entstand eher der Eindruck eines gut gemeinten Ratschlages unter Bekannten, zumindest versuchte Danshi es so zu vermitteln.
 1. nach Alfred Adler
« Letzte Änderung: 20.03.2011, 15:02:55 von Xū Dǎnshí »

Menthir

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Das liederliche Spiel
« Antwort #188 am: 20.03.2011, 21:00:17 »
03.01.1042 - Tag des Affen - Abend

Schlagartig wurde es nach Xū Dǎnshís letztem Wort still, der Ort selbst schien auf einmal ein Ort der absoluten Stille zu sein, denn die Denunzianten hörten nicht einmal mehr ihren eigenen Atmen, das Atmen der Erde war ebenso fort. Wenn jemand versuchte zu sprechen, hörte er nicht mehr seine eigenen Worte. Den eigenen Herzschlag spürte man in diesem Moment jedoch überdeutlich. Die diamantene Stimme durchschnitt den Zustand absoluter Geräuschlosigkeit.
"Die Ouroboroi sind keine Menschen, sie sind Ouroboroi.", sagt die Stimme mit Nachdruck und unterdrückte weiterhin alle anderen Geräusche. "Die Ouroboroi sind keine Wesen, die wahre Wiedergeburt wollen. Es sind Wesen, welche die Unsterblichkeit wollen. Die auszubrechen gedenken aus dem ewigen Zyklus und auf ewig als lebendes Wesen im Diesseits zu sein, in demselben Körper, mit demselben Geist, mit denselben Erinnerungen. So wie es einstmals war, als Seheiah[1] den Gral des Lebens stahl und ihren ersten Kindern das Geschenk des ewigen Lebens machte. Elben nennt ihr diese Wesen und erst ihre Hybris hat den Göttern die Eintracht geschenkt, um ihnen die Unsterblichkeit zu nehmen. Nun sterblich, zerstritten sich die Elben untereinander und während die Schönen, wie sie auch genannt werden, die Anmutigen, sich in ihr neues Schicksal ergaben, da sie selbst so noch so alt wie zehn Menschen werden, haben manche Elben die kostbare, zeitliche Unsterblichkeit und das Gefühl der damit verbundenen Macht nicht vergessen. Um sie zu erlangen, verbanden sie sich mit den Schatten. Ihr Erster heißt Imbrâsîl[2]. Sie jagen die Unsterblichkeit. Und sie hoffen, dass wenn sie mich töten und ich, oder jemand anderes als mein Ersatz, neu geboren werde, dass sie meine Macht stehlen können, um wieder ohne Schatten leben zu können, um wieder zeitlich unsterblich zu sein!"
Die Trägheit der Erde war wie verschwunden, sie schien tatsächlich aus ihrer Gleichgültigkeit geweckt, wie sie gesagt hatte. Die kristallklare Stimme sprach nicht nur deutlich, sie äußerte auch erstmals ihre Sorgen, mit Nachdruck und ohne die Möglichkeit, dass man ihr ins Wort fallen konnte[3].

"Ich habe mehr gesprochen als in tausend Jahren. Dieser Respekt gebührt euch. Macht aus diesem Wissen, was ihr für richtig haltet. Ich wünsche euch alles Gute.", sagte die Stimme mit neu gewonnener Weichheit, mit fast schon einer unglaublichen Fürsorge, welche durch eine letzte Berührung mit der Macht verstärkt wurde. Die Stimme der Erde veränderte die Klangfarbe in eine weibliche. Es schien kein Wunderwerk mehr, dass andere Wesen auf die Idee gekommen waren, die Erde auch Mutter Erde zu nennen. Vielleicht waren sie auch dieser Stimme begegnet. Und auch wenn die Worte an Xū Dǎnshí eher kritisch klangen, schienen die Worte der Erde nicht nachtragend. Die Berührung war warm.
Dann endete die Präsenz abrupt, der Raum schien sich wieder aufzuhellen und er wirkte wieder kalt und bis auf die Denunzianten und die karge Einrichtung leer und rot. Das Gefühl der warmen Berührung jedoch blieb[4].

04.01.1042 - Tag des Takin - Morgen

Waren das so große Dimensionen, die dort in diesem kleinen Gefängnis von statten ging? Steckte dort so viel dahinter? Gab die Erde vielleicht nur einen Blick darauf, wie sie die Dinge sah und fürchtete? Sie hatte nicht ein Wort über die direkte Konstellation am Hof oder mit den Feinden des Hofes erwähnt, nur kryptisch von den Ouroboroi und der Gefahr, und für andere wohl auch Hoffnung, für den Kontinent gesprochen. Vielleicht machten die Aussagen auch deshalb einen Sinn, vielleicht war es aber ein Spiel Shǎzis[5]? War dieses Wissen den Denunzianten überhaupt von Nutzen? Fragen über Fragen, welche einen unter Umständen um den Schlaf bringen konnten. Ohne Zweifel war es eine merkwürdige und doch bleibende Begegnung. Und während die Gedanken darum kreisten, ging auch der Tag des Affen vorbei und wechselte in den Tag des Takin. Der Takin ist wohl die größte und kräftigste der Ziegen und war das Zeichen für Ausdauer und Sanftmut, aber galt auch als Symbol für Intuition und Genügsamkeit, auf der Schattenseite der Attribute waren jedoch auch Eigensinn, Überängstlichkeit und Uneinsichtkeit zu finden. Was dieser Tag wohl bringen mochte? Der Tag des Drachen rückte unaufhaltsam näher...

"Ich befehle, dass die Männer und die Frau umgehend geweckt werden. Sie sollen sich herrichten, wie sie es gewohnt sind, wenn hoher Besuch kommt.", es war die Stimme von Boss, welche vor der Tür des Gefängnisses bellte. "Frühstücken müssen sie später. Der General des Nordens ist ungeduldig. Macht schon!"
Eine Wache stürmte in das Gefängnis und hämmerte an jede Zellentür. "Aufstehen! Schnell, macht euch fertig. Der General des Nordens[6] wird euch gleich besuchen! Schnell! Schnell!"
Die Stimme klang unsicher und nervös, es schien ein junger Wachmann zu sein, der es nicht gewohnt war, dass hohe Beamte in seiner Nähe sein konnten. "Schnell, sonst wird er euch..."
"Raus.", unterbrach eine scharfe Stimme den jungen Wachmann. Sie erinnerte an die Stimme Chuang Wangs, nur noch ein bisschen authoritärer, und etwas tiefer. "Ich, Chuang Qi, möchte eure Gesichter nicht sehen, weshalb ihr in euren Zellen, hinter euren geschlossenen Türen, bleiben werdet." Sie war nicht nur authoritärer, sie war drohend, aggressiv und determiniert. "Jede Zuwiderhandlung wird mit Schmerz enden. Ich habe drei der besten Armbrustschützen bei mir. Sollte sich eine eurer Türen öffnen, wird der jenige qualvoll verstümmelt. Zwei Schüsse in die Schultergelenkte, einer in den Hals." Wie zur Bestätigung seiner drohenden Worte, ertönte das Spannen von Armbrüsten. Die Männer mussten sich leise oder im Schutz der auffordernden Worte des jungen Wächters in den Raum bewegt haben. Die Tür aus dem Raum raus wurde geschlossen.
"Ich habe viel gehört und ich habe viel von euch gesehen. Akten, das Verhalten der Gan-Brüder gegenüber, das konspirative Gespräch mit meinem nichtsnutzigen Bruder. Aber ich will nicht so sein. Wenn einer von euch gesteht, egal wer, können wir diese Chose beenden. Klingt einfach und ist einfach. Mir ist es egal, wer von euch etwas Schlimmes getan hat. Mir ist egal, welches Ausmaß das hat. Sucht es euch aus, einer von euch opfert sich und denkt sich eine gute Geschichte aus, wie er den Kaiser getötet hat. Der Rest darf ungehindert ins Exil gehen."
Ein merkwürdiges Angebot, welches Chuang Qi unterbreitete, und scheinbar schien er nicht mal Sorge zu haben, dass ihn jemand belauschen könnte.
"Exil bedeutet ein Domizil in Gangxi[7], freie Ausreise nach Xian oder ein Schiff nach Niedra[8]. Wer die dritte Möglichkeit in Betracht zieht, muss sich schnell entscheiden. Es läuft in sieben Tagen aus. Der Weg zum nächsten Hafen ist weit. Alternativ wäre auch eine Flucht in die nördlichen Berge oder in das Sumpfherz denkbar. Ihr würdet für zehn Jahre verbannt werden, danach könntet ihr zurückkehren, wenn es euer Wunsch ist. Es muss sich lediglich einer von euch opfern."
Der General des Nordens sprach sehr direkt, kurz angebunden und zielgerichtet und dadurch unterschied er sich sehr von allen anderen Besuchern, die bisher gastierten. Und er machte kein Hehl aus seiner Art. Seine Offenheit war fast angsteinflößend, auch wenn seine Präsenz sehr blass war gegen jene, welche die Erde hatte.
Der Tag begann...ungewöhnlich.
 1. Seheiah
 2. Imbrâsîl
 3. Wer das versuchen möchte, dem steht natürlich ein Willenswurf zu. SG 20.
 4. Stufenaufstieg!
 5. Shǎzi
 6. Chuang Qi
 7. Gangxi
 8. Niedra
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Hong Gil-dong

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Das liederliche Spiel
« Antwort #189 am: 23.03.2011, 20:58:56 »
Ein Hund? wunderte sich Hong als er von Boss Rufen geweckt wurde. Doch auch gleich kam die Erinnerung an seine Situation zurück Immer noch gefangen. stellte er resigniert fest. Doch im Gegensatz zu den vorhergehenden Nächten war Hong's Schlaf gut. Die Wände schienen weniger bedrückend, weniger kalt. Es war, als ob das Bewusstsein Tŭ einen Dienst erweisen zu können, ihm einen Sinn gab hier zu sein. Die Freiheit lockte nicht mehr so seht, die Mauern waren nicht mehr so einengend. Hong war von Bedeutung für die Erde.

Mit einem Schnauben Quittiert Hong die Verkündung des neuen Gastes. Am liebsten hätte er Ausgespuckt. Doch es war nun seine Schlafstätte, auch für Morgen und so schluckte er stattdessen die Spucke herunter. Genau so wie der General des Nordens einst die heile Welt von Hong zerstörte, so drohte er nun seinen kleinen Frieden auch zu gefährden. Der brutale Vernichter zeigte auch heute wieder sein wahres Gesicht offen zur Schau, ohne irgendwelche Scham sein Wesen anderen zu zeigen. So leise dass man es nicht vor der Zimmertür hören konnte kommentierte Hong die Einfältigkeit, die den ansonsten so Weise wirkenden Xū antrieb"Hier habt ihr euren bösen Menschen alter Xū, hier habt ihr ihn." Lautere Worte war Chuang Wang nicht wert. Für lautere Worte war Chuang Wang zu gefährlich. Er will wieder jemanden umbringen, egal wer. Hatte er nicht auch den kleinen Oda Zektau in den Tod getrieben? Hatte er ein Gift in der Werkbank versteckt, welche einen bereits angeschlagenen Geist den letzten Rest lebenswillen nehmen konnte. Es war wirklich besser zu schweigen.
Bitterer Tee, mit Wohlwollen dargeboten, schmeckt süßer als Tee, den man mit saurer Miene reicht.

Lu Chieng

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Das liederliche Spiel
« Antwort #190 am: 25.03.2011, 12:49:01 »
Nachdem Lu Chiengs Kopfschmerzen nach dem Verschwinden von Erde fast abgeklungen waren wurde er nun aus seinen Träumen gerissen. Und hatte er gedacht Boss wäre eine schroffe Persönlichkeit so stand der General des Nordens ihm in nichts nach. Nachdem der Ton der Ansprache des Kaiserssohn klar war legte sich Lu Chieng wieder auf seine Ruhestätte.

"Wer Akten sieht, sieht nichts. Denn sie sind nichts als ein Abbild dieser Welt, nicht die Welt selbst." denkt er bei sich während er die Augen schließt und das Gebrülle außerhalb seines Raumes so gut es geht zu unterdrücken versucht.

Er hatte geträumt von einem Garten und blühenden Bäumen, von dem Wind der sich leise in den Blättern fängt, von dem Geruch der Freiheit. Nicht der Freiheit hin gehen zu können wo man will, sondern von der absoluten Freiheit, Freiheit von den Bedürfnissen dieser Welt. Ein Grinsen zeichnete sich auf seinem Gesicht ab, als er plötzlich seine Augen öffnete. Vielleicht war diese Vision ein Teil der Lösung des Rätsels, eine Gruppe von Leute verhaftet, die nicht zusammen gehört und noch nie einander sah geschweige denn sprach. Vielleicht war es eine Vision eines Priester oder vielleicht Shǎzis selbst, dass sie in der Lage waren den Garten zu betreten und zu öffnen. Vielleicht dort wo der Kaiser gescheitert war...
"Furchtlosigkeit ist die Tugend der Narren. Sie entsteht nicht aus Mut, sondern aus mangelnder Vorstellungskraft. Der Weise fürchtet sich und lässt sich trotzdem nicht von seinem Weg abbringen. Er wird nur vorsichtig."

Xū Dǎnshí

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Das liederliche Spiel
« Antwort #191 am: 25.03.2011, 16:06:53 »
Auch Danshi wurde erst durch die Stimme unsanft geweckt. Es war ungewöhnlich, dass er so lange schlief, doch er hatte einen bemerkenswerten Traum gehabt. Sein Traum hatte damit begonnen, dass in einer Gasse am Rande eines Marktplatzes stand. Seine Gestalt war geisterhaft und unstetig und er wusste, dass er tot war. Nach alter Erzählung blieben die Geister der Verstorbenen noch eine Weile dort, wo sie gestorben waren und darum brachte man den Körper normalerweise für 3 Tage nicht fort. Doch seiner war fort. Unschlüssig, was er nun tun sollte, blickte er noch eine Weile über eine Art Marktplatz. Die Handwerker gingen geräuschvoll ihrer Tätigkeit nach, die Bauern priesen ihre Waren an und Tagelöhner warteten auf Arbeit. Langsam kamen einige Erinnerungsfetzen zu ihm zurück. Er hatte eine Gruppe von Bauern angeführt und wollte zum kaiserlichen Palast gehen. Auf einer engen Straße begegneten sie kaiserlichen Soldaten, die Pfeile auf den Sehnen ihrer Bögen liegen hatten. Danshi und seine Leute waren nicht bewaffnet.
Sie sollten zurückweichen und sich auflösen, befahlen die Schützen. Sie würden zum Palast wollen, um dem Kaiser ihre Wünsche mitzuteilen. Der Schütze antwortete nicht, sondern schrie noch einmal, dass sie zurückweichen sollten, hörbar erregt. Danshi lief einfach weiter, durch die Reihen der Soldaten hindurch. Der Schütze schrie und zeterte, rieß sich das Abzeichen von der Schulter und trat darauf herum. Warum er denn ein Soldat sei, wenn er den Menschen doch nichts zu sagen hätte? Wutembrand sah er sich um. Danshis Bauern waren verschwunden. Waren sie geflüchtet oder waren sie weitergegangen, fragte sich Danshi. Dann hob der Soldat seinen Bogen auf...

In jenem Moment war er geweckt worden. Eben wollte er aufstehen, da übermannte ihn ein morgendlicher Hustenanfall. Sein Husten klang schwer und tief und sein japsender Atem rasselte. Schließlich würgte er dunkelrote Brocken herauf und spuckte sie neben seine Schlafstatt. Erheben war ihm praktisch unmöglich, dafür waren seine Schmerzen zu groß. Kalter Schweiß trat auf sein Gesicht. Noch nicht. Bitte noch nicht. Es gibt noch einige Kleinigkeiten, die ich tun kann., dachte er bei sich. Erschöpft blieb er liegen, ohne dem Kaisersohn zu antworten.

Menthir

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Das liederliche Spiel
« Antwort #192 am: 26.03.2011, 00:01:47 »
04.01.1042 - Tag des Takin - Morgen[1]

Die Stiefel des Generals des Nordens schienen eine weiche Ledersohle zu haben, denn sie machten selbst auf dem glatten und kalten Steinboden kaum ein Geräusch, lediglich die Sporen, mit welchen seine Stiefel versehen sein mussten, klackten im Takt. Nur der Teppich schluckte das Klacken. Er ging umsichtig, mit genügend Muße und in gleichbleibenden Tempo, sodass nur die kurzen Schritte über den Teppich wie eine gewisse Disharmonie in seinen Bewegungen wirkte, obwohl sie sicherlich in der Haltung in ihrer Einfachheit perfekt und behände schienen. Man konnte sich geradezu vorstellen, wie er mit aufrechtem Gang, ohne stocksteif zu wirken, mit glanzloser Würde durch den Raum schritt, wieder herum um die Armbrustschützen, welche in eine Starre verfielen schienen und einfach durchweg auf die Türen der Denunzianten zielten. Der Grad der Selbstdisziplin, die auf der anderen Seite der Tür zu finden war, schien beinahe grenzenlos, solange wie von ihnen keine Regung zu hören war. Oder die Zeit war zähflüssig geworden und die Schritte des Generals klangen deswegen so weit entfernt und schwebend. Er forderte eine Entscheidung und doch hatte nur Hong gil-Dong ein paar Worte zu Xū Dǎnshí, die weder der alte Beamte noch der General wirklich kommentierten. Er schritt einfach nur weiter und weiter und vermied es auch nur ein Wort zu sprechen.

Es war eine Situation vollkommener Seltsamkeit, denn auf der einen Seiten drängte Chuang Qi die Denunzianten zu einer harten Entscheidung und drückte sie mit der Androhung der sofortigen Verstümmelung in ihre Zellen und gleichzeitig entzog er sie damit zu einem Teil seinem direkten Einfluss. Er konnte unmöglich sehen, was sie taten, wie sie reagierten. Ob ihre Gesichter entgleisten, das entging ihm ebenso, wie jegliche unausgesprochene, mit Gesten vollführte Höflichkeitsformel, wie der Finger, welcher über die Kehle gezogen wird[2]. Sicherlich mochte er das schwere Keuchen und brockige Husten Xū Dǎnshís hören, vielleicht konnte er gar hören, wie Lu Chieng sich wieder auf sein hartes, hölzernes Lager legte. Aber erst der unmittelbare, persönliche Umgang ließ die Motive einer Person mit einiger Sicherheit entschlüsseln. Warum nahm er sich die Möglichkeit darauf, dies bei den Denunzianten umzusetzen. Xū Dǎnshí, Lu Chieng und Hong gil-Dong wussten durch ihre Erfahrung mit hochrangigen Beamten und Generalen mehr als gut, dass jeder hochrangige Beamte auf diese Art und Weise der Kommunikation geschult wurde. Ob durch das lange Cháyì[3] oder durch das Spiel, wofür sich Xiàngqí[4] und im Besondern Wéiqí[5] anbot. Alle diese Methoden drehten sich darum, nicht nur die Disziplin und die Konzentration zu schulen, sondern auch geistige Balance zu erlernen. Es half oftmals dabei, erkennen zu lernen, wenn der Gegenüber die geistige Balance verlor und gleichzeitig half es, seine eigene bewahren zu lernen. Aber diese Spiele waren in der Philosophie noch so viel mehr, und doch benötigten sie für den vollen Erfolg vor allem eine Person, die gegenübersaß. Dem Mann in das Gesicht schauen können, aus dem man im Idealfall eines Tages  wie aus einer geöffneten Schriftrolle lesen konnte. Als dies vernachlässigte der Kaisersohn. War es ihm egal? Dachte er nicht darüber nach, da er ein festes Angebot gemacht hatte? Hatte er gar Angst, sein eigenes Gesicht zu einem offenen Buch zu machen und nutzte die geschlossenen Zellen selbst als Schutzwall, dessen Zinnen er mit Armbrustschützen besetzen ließ?

Der Klang der Schritte wurde immer noch unregelmäßig vom Teppich unterbrochen, gleichförmig bewegte er sich zwischen seinen Schützen lang, doch mit der Zeit erkannte man das Muster. Man spürte, wann er die Richtung wechselte. Irgendwann stoppte er und es waren keine Schritte zu hören, dann begann er wieder von vorne, fließend und doch mit starken und abrupten Richtungswechseln. Es war, als würde er ein Schriftzeichen laufen[6]. Geräusche des Nachdenkens, ein "Mhm" hier, ein "Hmm" dort, erklangen, ansonsten nur das Klacken der Sporen. Ja, es machte einen Sinn. Seine Sporen sponnen eine Art Harmonie und das Unterbrechen war das Wandern über den Teppich zurück zum Ausgangspunkt. Dann lief er das Muster wieder und wieder und wieder. Es war ein Klacken in solcher Form, dass man glaubte erkennen zu können, wo er sich im Raum bewegte, Zentimeter für Zentimeter glaubte man es nachvollziehen zu können.
 1. General's Order
 2. Damit ist natürlich die Ankündigung des Todes gemeint und keine Höflichkeit
 3. Chinesische Teezeremonie
 4. Chinesisches Schach
 5. Go
 6. 
Wahrnehmung SG 22 (Anzeigen)
« Letzte Änderung: 26.03.2011, 00:29:25 von Menthir »
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Hong Gil-dong

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Das liederliche Spiel
« Antwort #193 am: 26.03.2011, 11:40:52 »
Mit geschlossenen Augen lauschte Hong der Schrittfolge. Es war ein Muster darin. Wollte sich der Kaisersohn die Blösse geben selbst seine Konzentration zu verraten, indem er aus dem Muster ausweicht, ohne den Vorteil seinen Gegenüber selbst zu geniessen. Hong entschied sich die Akazie zu schelten, doch auf den Maulbeerbaum zu zeigen[1]. "Erinnert ihr euch noch an den kleinen Oda Zektau oder die Stille Zhào Làn?" fragte er laut zur Tür hin, so dass seine Mitgefangenen ihn hören konnten. "beide hätten mit ihrem Tod uns retten können. Es erstaunt mich, dass die Eunuchenbrüder kein Schriftstück gefunden haben, das ein Geständnis von Oda war. Bereits zwei Opfer wurden von der Inkompetenz der Ganbrüder nicht genutzt. Sie würden vermutlich auch mit einem dritten Opfer nichrt die Freilassung erreichen können."
 1. Eines der Strategeme, auf die List aufmerksam gemacht hat
Bitterer Tee, mit Wohlwollen dargeboten, schmeckt süßer als Tee, den man mit saurer Miene reicht.

Xū Dǎnshí

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Das liederliche Spiel
« Antwort #194 am: 28.03.2011, 14:16:37 »
Auch wenn der Kaisersohn durch seine Worte vielleicht gereizt wurde, sprach Hongsan etwas durchaus Bedeutsames aus. Danshi überlegte sich, ob er sich selbst zu Wort melden sollte. Doch er entschied sich dagegen, denn die Situation war mitnichten so, dass sie sich auf gleicher Ebene unterhalten konnten. Der Kaisersohn war für eine Zustimmung oder eine Ablehnung gekommen, doch nicht für ein Gespräch. Darum legte sich Danshi wieder auf seine Pritsche und dachte darüber nach, was er heute zu tun gedachte. Gedankenverloren strich er Yu über das kleine Köpfchen. Wann es wohl Frühstück gab? Der kleine Kerl musste hungrig sein.

Doch auch spürte Danshi, dass ihn die Sache nicht losließ und eine seltsame Erregtheit von ihm Besitz ergriff.
« Letzte Änderung: 02.04.2011, 01:02:39 von Xū Dǎnshí »

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