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Autor Thema: Casus Belli  (Gelesen 83074 mal)

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Menthir

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Casus Belli
« Antwort #180 am: 30.11.2011, 00:44:39 »
6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 11:06 Uhr - Gut Emkendorf

Conrad stürzte nach der Heilung wieder nach vorne, doch der Schotte hatte mit seinem Angriff gerechnet und es gelang ihm, so auszuweichen, dass Conrads Schlag Donald zu sehr gefährdete und somit ins Leere ging. Donald traktierte seinen Gegner auch ohne Hilfe des Leoparden weiter. Zwar vermochte der Schotte noch Schwanz und Biss auszuweichen, doch ohne die rothaarige Frau schien die Magie um ihn herum geschwächt. Mühelos durchdrangen Donalds Klauen die schwächer werdende Magie und zerfurchte die Brust des Barbaren mit tiefen Wunden, die stark zu bluten beginnen. Sofort keuchte der Haldane Blut, noch solch schwere Treffer würde er nicht überleben. Carl schlug derweil wie ein Derwisch zu, gleich zweimal durchstach er die Bauchdecke seines Feindes mit schnellen Schlägen, als dieser seinen Zweihänder zu einem kraftvollen Hieb über den Kopf hob. Zu hoch, Carl nutzte dies, und sah sofort wie die Muskeln des Mannes vor Schmerz und Anstregung erschlaffte und er bewusstlos zu Boden zu sinken begann. Doch Hermene hatte dasselbe Ziel gehabt und gerade als der hünenhafte Schotte zu Boden sank, traf die spirtuelle Waffe mit solch einer Kraft auf den Kopf, dass es dem keinerlei Gegenwehr zeigenden Schotten das Genick brach. Wie ein Sack sank er blutend zwischen Büchern und Papieren auf den Boden.
Der andere Schotte bemerkte, dass er mit dem Nebel, den Hermene vor dem Fenster erneuert hatte, und der Überzahl der Feinde, der Tod eines Clansbrüders und der Flucht der rothaarigen Attentäterin keine Chance mehr auf den Sieg hatte. Erschöpft warf er seinen Zweihänder bei Seite und sank auf die Knie. "I surrender, lads."

Die Attentäterin blieb für den Moment verschwunden und der Schütze war hinter Nebel ausgesperrt, zumindest für einen kurzen Augenblick schien die Gefahr gebannt.
Alle brachten sie ausreichend in Sicherheit, dass ein Verziehen des Nebels keinen in der Schusslinie ließ und der Nebel verzog sich. Es war klar, dass der mysteriöse Schütze und die geflohene Attentäterin noch irgendwo im oder in der Nähe des Gebäudes sein mussten. Doch der Nebel verzog sich, ohne dass wer schoss, jedoch auch ohne, dass jemand vor das Fenster zu treten wagte. Der Haldaneschotte war herüber gerobbt zu seinem Clansbruder und betastete dessen hervorstehenden Halswirbel, die auf einen Genickbruch schließen ließen. Der Mann blieb ansonsten regungslos, abwartend, was mit ihr passieren würde. Er wirkte niedergeschlagen, demotiviert und vielleicht auch ein wenig desillusioniert. Er nahm seine Maske ab und warf sie in die Ecke. Ein noch sehr junges Gesicht kam hervor, vielleicht gerade einmal zwanzig Jahre alt. Schweiß und Blut waren hinter die Maske gelaufen und hatten sich mit Schmutz vermischt. Sein Blick war gebrochen.

"Habt Dank.", keuchte der Herzog, der noch zusammengekauert hinter dem Braunschweiger lag und die Hände schützend vor das Gesicht hielt. "Sind sie weg? Sie die anderen geflohen?" Es lag Aufregung in seiner Stimme. Mit einem so dreisten und gefährlichen Angriff hatte der Herzog mitnichten gerechnet. Die Überraschung und die Angst war tief in seine Züge eingedrungen. "Sie könnten eine weitere Falle zurechtlegen oder diese Situation könnte eine Falle sein, wenn irgendjemand hier mit diesen kooperiert.", merkte der Braunschweiger missmutig an und blieb in Verteidigungshaltung, auch gegenüber jenen, die gerade ihr Leben fast für den Herzog gaben, ob freiwillig oder nicht. "Nein. Sie sind keine Feinde. Sonst wären sie nicht fast daran gestorben. So gut plant keiner." Der Braunschweiger musste dem Herzog recht geben, auch wenn er dies nur mit einem widerwilligem Brummen tat. Langsam senkte er die Pistole, behielt sie aber für den Fall der Fälle in der Hand. Er versuchte einen Befehl zu geben. "Schaut nach, ob noch Feinde in der Nähe sind.", sagte er, unwillig den ungeschützten Herzog preiszugeben.

6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 12:27 Uhr - Frau Borggrefes Haus, Unter Arrest

Richard Röschmann hatte sich Zeit gelassen und Alfreds kleine Fingerübung war schon längst zuende gegangen, als es wieder an der Tür klopfte. Er trug eine Beutel um den Arm, leise klimperte Glas dort aneinander. Die glasigen Augen des dürren Mannes blickten Nobel an. "Mit Zeitung an einem Nikolaus bekommen, das war gar nicht so einfach, Herr Nobel.", sagte er stammelnd und leise, fast stotternd. Richard Röschmann war sicherlich kein Gardeexemplar für einen Ehrensoldaten. Vielleicht mochte er Selbstbewusstsein haben, aber strahlte es nicht übermäßig aus. Seine Hände zeigten ein leichtes Zittern, vielleicht vom vielen Alkohol, vielleicht auch aus anderen Gründen. Ein guter Schütze würde er wahrscheinlich nicht sein. Entweder er hatte andere Qualitäten oder man hatte in Holstein nicht viel Auswahl, was die Soldaten anging. "Die meisten sind in der Kirche und beten für die Gefallenen des letzten Tages, für ein gnädiges Weihnachtsfest und jeder Mann in Waffe betet, dass es keinen Krieg geben wird."
Auf der Dienstkleidung des Mannes schmolzen die letzten Schneeflocken, die er mit ins den kalten Flur gebracht hatte. "Aber ich habe Hoffnung, dass der Herr uns gnädig sein wird. Wer hätte gedacht, dass ein harter Winter für einen Soldaten mal ein Segen sein kann. Zumindest, wenn keiner die Nerven verliert."
Der Mann kratzte sich am haarlosen Kinn und reichte dem Schweden eine Zeitung. "Zwei Tage alt. Schleswig-Holsteinische Zeitung. In Rendsburg gedruckt. Liest mein Ohm[1] immer, der hat sie mir geliehen. Sagt immer, was der Mommsen[2] schreibt, hat Hand und Fuß. Haben sie hoffentlich was von."
Die Zeitung war knittrig und an manchen Stellen wellig, sie hatte ein wenig Feuchtigkeit abbekommen, war jedoch noch lesbar. Ein schneller Blick auf die Titelseite verriet, dass man sich noch immer wegen der Novemberverfassung ängstigte. Ein Kommentar zum Londoner Protokoll war drin, ein Rückblick auf die schleswig-holsteinische Erhebung, die Ernennung mehrerer Minister und ein Weihnachtsbrief von Theodor Mommsen an seine Heimat, der Rest würden eher belanglose Lokalitäten sein. Aber mehr an Zeitung war an einem Nikolaus wahrscheinlich auch nicht zu erwarten. Richard Röschmann wandte sich langsam zum Gehen. "Sonst noch was, Herr Nobel? Sonst würde ich sie dem Blatt überlassen?"
Von Emil schien er zumindest keine Neuigkeiten zu haben.
 1. Ohm
 2. gemeint ist Theodor Mommsen, der lange Zeit an der Zeitung beteiligt war
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Alfred Nobel

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Casus Belli
« Antwort #181 am: 30.11.2011, 16:06:33 »
Mit einem Nicken bedeutete Alfred seinen Dank, als er sich die Zeitung unter den Arm klemmte. Dem Schweden war nicht bewusst gewesen, dass der heutige Tag nicht nur ein gemeiner Sonntag, sondern gar ein Gedenktag an Nikolaus von Myra war. Zwar war Nikolai der Wundertäter, wie ihn die Russen nannten, eine heilige Ikone im Kaiserreich, doch die Familie Nobel pflegte in ihrer Zeit in Sankt Petersburg viel eher nach schwedischer Tradition den 13. Dezember als festlichen Tag der Lucia von Syrakus[1] zu preisen, nicht ohne das immerwährende bestreben Alfreds Mutter, eine gewisse Besinnlichkeit in die immer geschäftliche und beschäftigte Arbeitswelt der Nobelschen Männer zu versetzen.

"Vielen Dank für die Umstände," sprach Alfred in einem freundlichen Ton und einem Verweis auf die Zeitung, "und ein schönes Nikolausfest Ihnen, Corporal. Ich muss wohl befürchten, dass ich nicht unschuldig daran bin, dass Sie den heutigen Tag nicht mit Ihrer Familie verbringen können, sondern sich mit Ihren drei Kameraden eine fremde Kabine teilen müssen."
Entschuldigend blickte Alfred den Soldaten an, wandte sich ab und schritt schnell in die Schlafkammer, während die Tür noch immer weit aufstand. Währenddessen sprach Alfred weiter, um Röschmann nicht die Gelegenheit zu bieten, zu gehen.
"Ebenso wenig kann ich die Verantwortung verschweigen, die ich angesichts der gestrigen Ereignisse auf mich nehmen muss. Dass so viele Männer gestern Ihr Leben verloren haben, mag nicht gänzlich mein Verschulden sein, aber ich will meine Befangenheit ob dieser Sache nicht leugnen."
Mit einer schnellen Bewegung aus dem Handgelenk warf Alfred die Zeitung auf das Bett, trat wieder in die Wohnkammer.
"Will sagen: wäre ich nicht gewesen, würden einige Kieler, Londoner und Stockholmer heute noch leben. Kommen Sie herein, Herr Röschmann," Mit einem schwermütigen Blick winkte Alfred den Corporal herein, ehe er in der Küche verschwand.
"Im Zarenreich gilt die Heiligenfigur Nikolai als Patron der Seefahrer, Corporal," rief der Chemiker aus der Küche, von wo man einiges weniges Geschirr klirren hören konnte. "In Sankt Petersburg beispielsweise befindet sich ein beeindruckendes Bauwerk in seinem Namen, eine Kathedrale, die auch dem weniger frommen Mann wirkungsvoll erscheint."

Mit drei kleinen, ungleichen Gläsern zwischen den Fingern kam Alfred wieder in die Wohnkabine.
"Nun kommen Sie schon, Röschmann, es wird ja sonst ganz kalt hier drinnen. Jedenfalls. In meiner Zeit in Sankt Petersburg habe ich gelernt, dass die Russen ein jedes Fest in jeglichem Gedenken an die Verstorbenen in Trauer begießen. Ich kann mir keine angemessenere Weise denken, die gefallenen Seemänner in den Schutz des Heiligen Nikolai zu geben, nicht am heutigen Tage, nicht bei dem, was gestern geschah. Kommen Sie, Corporal, Obergefreiter Rix soll auch bald zu uns stoßen. Trinken wir!"
 1. Luciafest
« Letzte Änderung: 30.11.2011, 17:35:19 von Alfred Nobel »
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 - A Riddle, 1851

Carl von Lütjenburg

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Casus Belli
« Antwort #182 am: 30.11.2011, 21:36:59 »
Carl hustete und spuckte etwas Blut aus. Er hatte einige sehr heftige Treffer kassiert und lange hätte es auf diese Art wohl nicht weiter gehen können. Karl ist tot, hallte es nun allmählich durch seinen Kopf als das fiebrige Gefühl des Kampfes sich langsam löste. Er sah zu seinem ehemaligen Bundesbruder herüber und er dachte daran wie sie erst vor wenigen Stunden auf der Förde ihr Leben riskiert hatten, um die Schiffbrüchigen zu retten.

Carl ignorierte das Geschen um ihn herum für den Augenblick und begann sich wieder zu sammeln. Auch für einen Soldaten war so ein unerwarteter Überfall nach einer Nacht wie der Vergangenen nichts das man ohne Weiteres abschütteln konnte.

Er blickte zu seinem verbliebenen Freund und sah, dass dieser ebenso sehr in Mitleidenschaft gezogen war wie Carl selbst. "Conrad, wie geht es dir? Bist du wohlauf?"

Conrad Rosenstock

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Casus Belli
« Antwort #183 am: 02.12.2011, 22:13:07 »
Conrad schnaufft etwas durch nach diesem anstrengenden Kampf. Immer noch hat er mit einigen Verwundungen zu kämpfen. Trotzdem sagt er zu Carl: "Es geht schon, auch wenn ich immer noch einige Schmerzen habe. Aber immerhin sind wir nicht getötet worden wie unser Kommilitone. Er sollte eine anständige Beerdigung von uns und seinen Mitstudenten bekommen. Sein Verlust ist tragisch, aber er ist wohl nicht zu ändern."

Dann wendet sich Conrad an Herzog Friedrich: "Werter Herzog, wir sollten dieses Zimmer nun verlassen. Jederzeit kann der Nebel wieder davongeweht werden und dieser Raum ist einfach nicht sicher und wir müssen uns ja nicht unbedingt alle in diesem Raum in ein Eck hier verkriechen."

Conrad steckt dann den Degen weg und macht sich dann dran den toten Karl an den Beinen zu packen und sagt dann zu Carl: "Hilf mir mal dabei ihn heraus zu tragen, Carl. Ich hoffe nicht, dass wir wieder in Kämpfe verwickelt werden."

Menthir

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Casus Belli
« Antwort #184 am: 04.12.2011, 02:28:47 »
6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 11:11 Uhr - Gut Emkendorf

Der Herzog erhob sich langsam, als über eine Minute kein Schuss erklang, obwohl der Nebel sich schon längst verzogen hatte. Vorsichtig wagte der Braunschweiger den Blick aus dem Fenster, kurz und flüchtig. Als kein Schuss kam, wagte er es immer länger, versuchte die Umgebung zu erfassen. Zwischen den kahlen Bäumen, die im Vorhof standen, hatte er nicht unendlich Möglichkeiten zu lauern und so war sich der Schwarze Braunschweiger irgendwann sicher, dass der Schütze sich zurückgezogen haben musste. Er lud seine Pistole nach, denn sicher war sicher. Der Schotte blieb derweil kniend am Boden, über seinem gefallenen Kameraden. Fast regenlos betrachtete er dessen leblosen und blutüberströmten Körper, sagte jedoch nichts. Der Braunschweiger nutzte die Chance, um auch auf dem Flur nach dem Rechten zu sehen. "Keine unmittelbare Gefahr. Die Blutspur der Attentäterin führt in die westlichen Räume.", stellte der Mann fest. "Eigentlich hätten dort zwei meiner..." Ein lauter Schuss ertönte, gequälte Schreie ertönten durch die zerbrochenen Fenster. Die Schreie kamen deutlich aus dem Westen. Das Geschreie ließ für einen Moment nicht nach, ehe es gurgelnd und plötzlich erstickte. "Der Versorgungseingang...", brachte der Herzog mit zitternden Lippen hervor. "Sie werden über ihn fliehen wollen. Die Schreie gehörten bestimmt Horst..." Der Herzog blickte traurig auf den verwüsteten Boden seines Arbeitszimmers. Seine Augen wurden feucht, aber er hielt die Tränen zurück. Wieviel Arbeit mochten in der einzigen Minute des intensiven Gefechtes verloren und zerstört worden sein? Jahre der Arbeit waren getränkt mit Blut, durchstoßen von Säbeln, zerschlagen von Zweihändern...

Der Braunschweiger übernahm die Initiative, als er sah, wie fassungslos der Herzog ob dieses Angriffes war. "Sie haben Recht, Herr Rosenstock. Ihre zynischen Worte sind angebracht. Herr von Reventlow ließ einen geheimen Keller für literarische Schätze anlegen, soweit ich weiß. Dorthin sollten wir uns zurückziehen und beraten, austauschen oder was seine Durchlaucht wünscht."
Fast wie eine dampfbetriebene Entwässerungsanlage, so mechanisch und automatisch, bewegte sich der Herzog auf eine Regalwand zu und nahm einen Schlüssel hervor, der zwischen zwei Buddelschiffen[1] gestellt war. Sie waren staubig und hatte Blutspritzer abbekommen. Der Schlüssel war ein großer und dem Aussehen nach sehr alter Skelettschlüssel[2].

Schnell war Karl gepackt und alle konnten den gefährlichen Raum verlassen, doch nicht, bevor der Herzog noch einen Stapel aktueller Briefe und die oberste Schublade seines Schreibtisches an sich genommen hatte. Ein paar Briefe hatten Blut abbekommen und würden alsbald abgeschrieben werden müssen, damit Nuancen nicht unter Umständen verloren gingen. In der Schublade lagen Urkunden. Er ließ sich vom Braunschweiger noch ein Stapel leeres Papier mitnehmen, sowie ein Tintenfässchen, Tintenpulver und eine Schreibfeder hatte er sowieso am Mann. Dem Schotten wurde befohlen, schweigend und unbewaffnet zu folgen, was dieser mit sich machen ließ. Donald sah deutlich, dass dessen Kampfgeist gebrochen war.
Der Braunschweiger und Donald übernahmen Vor- beziehungsweise Nachhut und so bewegten sich alle aus dem Raum. Sie gingen auch nach Westen, folgten einer tiefroten Blutspur bis kurz vor Ende des Traktes. Der Herzog zögerte und wollte durch die große Doppeltür gehen, doch der Braunschweiger hielt ihn fest. "Euer Durchlaucht! Euer Koch wird tot sein und vielleicht lauert dahinter eine weitere Falle. Lasst uns Reventlows Sanktuarium aufsuchen." Die Blutspur führte durch die Tür durch, sie war deutlich. Die Attentäterin musste schnellen Schrittes unterwegs gewesen sein, sie blutete so stark, dass es nur eine Frage der Zeit war, ehe sie verblutete. Während der Herzog auf die Blutspur starrte, öffnete der Braunschweiger eine der umgebenden Türen, welche in ein auffällig leeres Musikzimmer führte. Auch dieses Zimmer war verhangen, was dafür sprach, dass der Herzog es relativ häufig aufsuchte. Es roch deswegen muffig und nach altem Eau de Cologne[3]. Der Boden war ein alter Dielenboden, wohl auch aus akustischen Gründen, die Wände waren beinahe schmucklos. Nur Staubränder an den weißen Tapeten erinnerten daran, dass hier einstmals Porträts hangen. Ein elfenbeinfarbener Flügel stand in der Mitte des Raumes, darum aufgestellt waren mehrere ebenso elfenbeinfarbene Sitzhocker und Notenständer aus Messing. Auf manchen langen noch Notenblätter. Ein Bratschenkoffer stand neben dem Flügel. Auf dem Hinterdeckel des Flügels lag ein abgebrochenes Griffbrett einer Geige. Der Braunschweiger schob das schwere Tasteninstrument ein Stück zur Seite. Die Diele schien hier so geschlossen, wie an anderen Stellen auch. Mit einem Naserümpfen nahm er das abgebrochene Griffbrett vom Flügel und zog zwei der aufgelegten Metallstreben raus. Am Ende der vielleicht fünfzehn Zentimeter langen Metallstreben kamen, als sie herausgezogen waren, Haken zum Vorschein. Mit jenen voraus steckte er die Streben zwischen die Fugen links und rechts einer Diele, bis sie einhakten. Dann nahm er einfach die Diele, die sich erstaunlich leicht rausheben ließ, heraus. Dies wiederholte er bei drei weiteren Dielen, sodass der Boden unbedeckt war. Ein schmaler Durchgang kam zum Vorschein, durch den ein fülliger Mensch kaum käme. Spinnweben hangen in ihm, er war lange nicht benutzt worden.
"Sie sehen ein, dass wir leicht dort unten entdeckt würden, wenn alle dorthin gingen. Ich werde hier bleiben und die Dielen gleich wieder einsetzen und mich umschauen, nach meinen Männern suchen und die Größe des Schadens bestimmen. Sie werden sehen, dass wenn Sie hochwollen, Sie leichtes Spiel haben werden, wenn Sie von unten die Dielen herausdrücken. Den Flügel werde ich seitlich stehend belassen, und den Rest so arrangieren, dass sein neuer Stellplatz natürlich wirkt."
Er deutete auf den dunklen Durchgang, der wahrscheinlich nicht tief in die Erde führte, dennoch strömte kühlere Luft entgegen. Der Herzog nickte nur, schwer in Gedanken und mit der Situation beschäftigt. Der Blick auf den toten Karl verbesserte seinen Zustand nicht sonderlich. "Sie sehen, ich vertraue Ihnen.", fügte der schlanke, soldatische Braunschweiger an. "Sonst würde ich Sie nicht alleine mit seiner Durchlaucht lassen. Sie haben seiner Durchlaucht das Leben gerettet, da wird Ihnen zu trauen sein. Aber da wir vielleicht nicht viel Zeit haben, biete ich Ihnen diesen Unterschlupf nur jetzt an. Wenn Sie der Meinung sind, dass Sie diesen Ort schnell verlassen sollten, werde ich Sie nicht aufhalten. Nicht, dass ich nicht wollte, aber ich kann Ihnen dies nicht verdenken, auch wenn ich es für törricht hielte. Und da Sie dem Herzog das Leben gerettet haben, stehe ich in dieser Hinsicht auch in Ihrer Schuld. Wenn Sie gehen wollen, sind Sie frei zu gehen. Wenn Sie bleiben wollen und gedenken, sich mit seiner Durchlaucht zu arrangieren, würde ich dies das erste Mal auch begrüßen." Der Schwarze Braunschweiger versuchte sich an einem freundlichen Lächeln, aber auch wenn er sich bemühte, das Beil des Argwohns zu begraben, selbst jetzt schaffte er es nicht, sich seine Arroganz und Süffisanz aus dem Gesicht zu wischen. Der Herzog war der gröbste Gegensatz dazu. Stillschweigend und zu Tode betrübt.

6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 12:30 Uhr - Frau Borggrefes Haus, Unter Arrest

Der Corporal zuckte mit den Schulter auf Alfreds Worte und trat ein paar Schritte ein. "Keine Sorge, Herr Nobel. Bin Ihnen nicht böse dafür, dass Sie mir meinen Nikolaustag verhagelt haben könnten. Wären Sie nicht gewesen, hätte ich wahrscheinlich den Einlauf irgendeines preußischen Schiffes überwacht und mir die Kronjuwelen am Kai verfroren." Der Corporal versuchte sich diplomatisch und er sah es wahrscheinlich nicht ganz so locker, wie er es auszudrucken versuchte. Er setzte sich hin und legte sein dürres rechtes Bein über sein nicht fülligeres linkes Bein und stütze die Arme darauf ab. Sein Kopf schien wenig Fülle zu haben, unter der Haut lag der Schädel eng an, als hätte man ihn mit zu wenig Haut bespannt und sie deswegen übermäßig strecken müssen. Nur die Falten an den Augen und den Mundwinkeln deuteten darauf hin, dass genügend Haut vorhanden war.
"Wenn Menschen sterben, egal wessen Rock sie tragen, ist das doch meist tragisch, nicht wahr? Und man kann sich immer Vorwürfe machen und vielleicht stimmen sie auch. Aber was hat man davon, wenn man diese Vorwürfe, gerechtfertigt oder nicht, in jede Unterhaltung bringt? Wenn Sie mich fragen, Herr Nobel, können Sie das Thema gerne ruhen lassen, wenn es Sie traurig macht." Die glasigen Augen des dürren Corporals blickten Nobel an, er lächelte sehr sanft für einen so ausgezehrt wirkenden Mann. "Ein Gericht hat über Sie zu urteilen, Sie haben über sich zu urteilen und...", er zeigte mit dem knorrigen Zeigefinger seiner linken Hand an die weiß verputzte Decke des Raumes, "...der da oben. Ich kann nicht urteilen und ich habe keine Freude an ihrem guten oder ihrem schlechten Gewissen. Aber ich bin dankbar dafür, dass Sie an die Männer denken mögen, welche dort draußen auf und in See um Ihr und unser Wohl kämpfen, seien es nun Soldaten oder Fischer."

Die rechte Hand griff nach einem der Gläser, welche Alfred reichte. Ihm schien das Thema mit Alfred und seinem Schiff und dessen mögliche Verwicklung unangenehm zu sein. Vielleicht mochte er es einfach nicht, sich mit solchen Dingen zu beschäftigen. Er wechselte das Thema, nachdem er klaren Korn[4] in die Gläser gefüllt hatte und mit Alfred auf die vielen aufopferungsbereiten, aber sicher auch teils egoistischen, Seefahrer getrunken hatte. Auch auf jene Seefahrer, welche in der Nikolausnacht, in der Nacht ihres Patrons, ihr Leben verloren hatten. "Den Obergefreiten haben sie auch geladen? Haben Sie denn nichts für die anderen beiden Obergefreiten, Herr Nobel? Es wäre mir doch schwerlich, wenn ich schon nicht bei meiner Familie sein kann und dann doch jene, die nichts dafür können, dass es ihnen genauso ergeht, darunter leiden müssen. Ich und der Rix dürfen genießen, während Hammer und Fritz lägerig vor Müdigkeit sind?"
Jetzt füllte der Corporal alle drei Gläser, die Alfred mitgebracht hatte und blickte ihn an. Es lag eine gewisse Aufforderung in seinem Blick, aber keine unfreundliche.
 1. Buddelschiff
 2. Skelettschlüssel
 3. Eau de Cologne
 4. Kornbrand
« Letzte Änderung: 04.12.2011, 02:58:00 von Menthir »
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Alfred Nobel

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Casus Belli
« Antwort #185 am: 06.12.2011, 17:36:39 »
Obwohl Alfred Nobel nicht lächelte, war sein Blick freundlich, als er zum zweiten Mal zum Glas griff. Er war durchaus erleichtert, als er das Gefühl bekam, dass Röschmann die Ereignisse auf See nicht zum Thema machen wollte. Alfred mochte nicht behaupten, dass sein Gewissen rein und unaufgewühlt war. Der Corporal hatte ein schwerwiegendes Thema angeschnitten, doch zum Glück vorsichtig wieder fallen gelassen. Zwar hatte Alfred die Absicht, eine gesellige Atmosphäre zu bewirken, doch über sein Gewissen zu sprechen war nicht nur nicht die Art des reservierten Wissenschaftlers, sondern auch ein unvorsichtiger Umgang mit seinen fremden Wächtern.

Der erste Schluck Korn brannte noch immer in Alfreds Kehle, der garstige und grobe Geschmack der Spirituose war nicht zu vergleichen mit dem fast reinen Wodka, den der Schwede gewohnt war. Doch schließlich ging es hier um mehr, als nur den Verzehr von Alkohol, dachte sich Alfred, und hob das Glas zum Salut, wie er es zuvor auch schon getan hatte. Eine Angewohnheit, die er sich von den Russen abgeschaut hatte: Trinkt man gemeinsam, so stößt man zu jedem Glas an, keiner trinkt allein.

"Ich war der Annahme, dass Ihre beiden Kameraden ihre vermisste Nachtruhe nachholen, Herr Röschmann," sprach der Chemiker, dem der penetrante Ethanolgeruch langsam in die Nase stieg. Das Glas hielt er immer noch erhoben. "Ich will sie gerne auch als Gäste empfangen, sofern ihnen unsere Gesellschaft lieber ist als ihr Schlaf. Laden Sie sie nur ein, ich bitte darum."
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 - A Riddle, 1851

Menthir

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Casus Belli
« Antwort #186 am: 10.12.2011, 20:57:54 »
6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 12:34 Uhr - Frau Borggrefes Haus, Unter Arrest

Der skelettartig wirkende Mann nickte mit seinem knöchernen Schädel und kratzte sich am kurzen Kinn. "Ja, das machen sie wohl. Besser, dass wir es dabei lassen. Sicherlich werden sie über Schlaf glücklicher als über Schnaps sein.", kommentierte der Corporal kurz und blickte durch das Fenster in das Schneetreiben. "Ich hole eben den OG Rix ran." Dann stand er mit knackenden Knochen auf und verschwand für einen Moment. Während Alfred ihm hinterher blickte, spürte er kurz, wie sein Ring an Wärme gewann, doch dann wieder abrupt abkühlte. Als hätte jemand versucht ihn zu kontaktieren und es sich dann doch anders überlegt. Das Schneetreiben draußen wurde derweil stärker und stärker, die Flocken wurden größer und bedeckten die Pflasterstraßen und die umliegenden Dächer, die im Hafen liegenden Schiffe und Boote. Doch sie wirkten an diesem Tag nicht wie Zuckerwatte oder sonstige schöne Umschreibungen, welche man für große Flocken der Kristalle fand. Der Himmel war grau verhangen und der Schnee wirkte matschig und dreckig auf den Dächern und der Straße. Die beißende Kälte, die sich trotz des brennenden Ofens in die Wohnung zu kämpfen suchte, ließ jede romantisierende Beschreibung klirrend zerspringen.

Der Corporal Röschmann kehrte mit dem Obergefreiten Rix zurück und beide setzten sich wortlos und bedächtig schweigend an den Tisch. Röschmann schenkte von dem schweren Kornbrand nach und still schweigend stieß man diesmal an. Die an sich leichten Schneeflocken wirkte an diesem Tag schwer, wie ein großes schweres Tuch, welches sich mit unbarmherziger Stille über Kiel legte. Und der ebenfalls übermüdete Glatzkopf Rix und der kränklich wirkende Röschmann sorgten nicht gerade für ein helleres Gesamtbild.
"Danke für die Einladung.", sagte Rix schließlich und roch an den Resten in seinem Glas. "Die meisten, die unter Hausarrest stehen, begegnen uns oftmals feindlich oder mit Bestechungen. Da ist ein einfacher Schnaps wirklich mal eine willkommene Alternative."
Röschmann lachte kurz auf, sein Lachen wirkte wie sein Sprechen jedoch etwas stammelig. Seine knotigen Finger hielten das Glas umklammert, welches er nur zur Hälfte geleert hatte. "Ja, wie der alte Hölzlein. An den erinnere ich mich noch gut.", begann der Corporal unvermittelt zu erzählen. "Stand den ganzen Tag an genau diesem Fenster, öffnete es und bepöbelte jeden Passanten in der Hoffnung, dass man ihn verlegte. Fühlte sich unschuldig und dachte, dass er damit seinen Fall in die Öffentlichkeit brachte. Stellte sich aber doch raus, dass er die alte Hölzlein mit einer Klavierseite stranguliert hatte. Tja, auch alte Beamte sind keine Heiligen, was?"
Rix nickte seinen kahlen Schädel energisch und forderte mit einem starren Blick, dass sein Glas wieder gefüllt würde. Röschmann stürzte die Reste seines Glases runter und schenkte nach[1].
 1. Alfred verträgt fünf Gläschchen Korn ohne Probleme. Jedes weitere Glas birgt Gefahr. Wenn Alfred ein Zähigkeitswurf gegen SG 15 besteht, kann Alfred einen Diplomatiewurf gegen SG 16 mit einem +2 Umstandbonus durchführen, um das Verhältnis zu den beiden Soldaten zu verbessern (für alle fünf Punkte, die der Diplomatiewurf den SG von 16 übertrifft, erhöht sich das Verhältnis um eine weitere Stufe). Patzt Alfred bei Zähigkeitswurf (Ergebnis 5 oder weniger, welches nur bei einer natürlichen 1 eintritt), verschlechtert sich das Verhältnis zu den Soldaten automatisch um eine Stufe.
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Alfred Nobel

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Casus Belli
« Antwort #187 am: 11.12.2011, 19:50:28 »
Ohne das Gesicht zu verziehen trank Alfred weiter, immer im Schritt mit den beiden Soldaten. Der Brand schmeckte schrecklich. Nicht nur war er nicht Alfreds erste Wahl, was Spritiuosen anging, der Schwede dachte auch daran, dass es einige Zeit hergewesen sein muss, als er das letzte Mal einen über den Durst getrunken hatte. Dennoch hielt der Schwede das Tempo der beiden Soldaten, auch wenn er langsam aber sicher schon merkte, wie seine Finger unruhiger und seine Zunge schwerer wurden.[1]

"Glauben Sie mir, meine Herren," sprach Alfred daher bedachter als sonst, "ich habe durchaus Grund zum Groll und Ärger. Aber diesen an Ihnen auszulassen, damit schneidet sich ein Trottel nur selbst ins Bein. Schließlich tun auch Sie nur gewissenhaft Ihre Arbeit und mein Ärger gilt nicht Ihnen."

Wie im Zuge einer Anerkennung schenkte Alfred den drei Männern bei diesen Worten nach, obwohl er unweigerlich über Rix' Worte nachdenken musste. Alfred konnte nicht leugnen, dass ihm nicht unwohl war; obwohl der Corporal und der Obergefreite zunächst einen durchaus rabiateren Eindruck vermittelt hatten, wirkten beide nun wesentlich geselliger. Aber war das, was Alfred hier versuchte, nicht auch eine gewisse Art der Bestechung? Schließlich hatte der gefangene Schwede durchaus seine Motive, die Gesellschaft der beiden Soldaten aufzusuchen. Bedächtig kratzte Alfred sich am Kinn und schob diese Gewissensfrage zur Seite. Seinen Entschluss mit den beiden Männern zu trinken hatte er schließlich schon getroffen.
 1. Zähigkeitswurf geschafft
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Casus Belli
« Antwort #188 am: 11.12.2011, 21:02:11 »
6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 15:51 Uhr - Frau Borggrefes Haus, Unter Arrest

Man sagte, dass Zeit in erträglicher Gesellschaft zwangsläufig schneller vergehen musste, denn Zeit in erzwungener Einsamkeit und vielleicht mochte Alfred Nobel dies ebenso sehen, obgleich sich das Zusammensitzen mit den beiden Soldaten eher als ruhige Angelegenheit entpuppte. Sie wurden im Gegensatz zu vielen Menschen nicht aufgedrehter oder zwanghaft lustiger mit jedem Schluck Alkohol, sondern nur etwas geselliger. Der Corporal Röschmann zeigte sich als Mann, der auch ganze Minuten der Stille genießen konnte, ohne es als langweilig oder drückend zu empfinden. Stille war für ihn keine Strafe, sondern Inhalt. Rix hatte mit dieser Einstellung bei der ersten Flasche Kornbrand noch seine Probleme und regte immer wieder belanglose Gespräche an, aber mit steigendem Pegel wurde auch sein Schweigen mehr ein Zeichen von Selbstzufriedenheit. Alfred erkannte schnell, dass er in dieses genügsame Schweigen einstimmen musste, wenn er irgendwie an den Corporal rankommen wollte, der nichts von gesprächiger Geschäftigkeit hielt. Und wenn er sprach, bevorzugte er die Antwort auf relativ klare Fragen, sodass seine Antworten immer kurz und knapp ausfielen. Es war schwer zu sagen, ob seine stammelnde Sprache dafür sorgte, dass er gerne kurz antwortete, oder ob seine sprachliche Nüchternheit sich irgendwann auf seine Sprache niedergeschlagen hatte. Sodass sich der Obergefreite Rix eher der Ansprechpartner für viele Fragen war, die Alfred im Laufe der gemeinsamen drei Stunden anschneiden konnte.

Bis zum Ende der zweiten Flasche hatte sich ein Großteil des Gespräches durch Schweigen ausgezeichnet. Die knöchernden Beine des Corporals lagen übereinander, Rix sprach vor allem das Kieler Alltagsleben an und seinen Ärger darüber, dass es kaum noch eine gepflegte Gastwirtschaft für dienende Männer Holsteins gäbe, sondern nur noch Hafenspelunken, Fabrikkneipen und dann gäbe es noch die lärmenden Studenten, die von den Idealen der Freiheitsbewegung schwärmten, obwohl sie sich von '48 bis '51[1] noch in die Windel gemacht hätten. Er sprach darüber, wie sehr man sich als ehrlicher Waffenmann und Soldat darüber ärgern konnte, dass man selbst für jede hoheitliche Entscheidung mutig den Tod gegenüber trat, während die Studenten davon philosophierten und sich doch nur mit ihren Zahnstochern die zu teure Kleidung zerritzten. Schnell hatte sich herausgestellt, dass Rix kein Freund der gebildeten Oberschicht war und es doch eher mit den Arbeitern hielt und eigentlich aus den Leder verarbeitenden Berufen stammte. Röschmann hielt sich dabei zurück und gab wenig über sich Preis, erst recht nichts über seine Familie. Und doch kam Alfred über dieses Thema an die Frage der Novemberverfassung und wie die beiden Holsteiner dazu standen.
"Eine Schweinerei. Es ist eine absolute Schweinerei. Wir sind doch keine verdammten Dänen.", polterte der Obergefreite und rieb sich aufgeregt über die kahlgeschorene Kopfhaut. "Ich sag, dass die nicht ganz dicht sind. Die wollen uns einfach so übernehmen und wollen, dass wir ihnen in ihre dänischen Ärsche kriechen." Rix war ein Freund direkter Worte, er war ein schnell überhitzter Mann. Alfred konnte sehen, dass Rix schnell die Fäuste in Disputen schwang. Er redete sich schnell in Rage und wollte am liebsten lieber jetzt als morgen einem Dänen die Augen aus dem Schädel drücken. "Es wird Krieg geben.", schloss er alsbald. "Ich denke, dass die Dänen mit der Verfassung nur prüfen, ob die Garantiemächte von London ein Interesse an uns haben.", sagte er mit inzwischen deutlich schwererer Zunge. "Ich mein, ich kenn mich mit dem Vertragsfirlefanz nicht aus, aber mein Vater erzählte immer davon, dass man uns garantieren würde, dass wir nicht dänisch werden müssen. Wir würden zwar nicht ganz werden, aber auch keine Dänen. Ich wollte gern ganz werden. Habe in Süd- und in Nordschleswig Familie, bis zur Königsau[2] habe ich Freunde, die keine Dänen mehr sein wollen. Ich hoffe, dass die Preußen und der deutsche Bund diesmal bessere Partner sind und die Dänen ordentlich in die Schranken weisen. Und dann haben wir endlich eine echte Doppeleiche! Dafür würde ich sogar an der Front kämpfen. Ja, in einem Stellungsgraben oder ich würde sogar einer Kanone auf einem Hügel entgegenstürmen, für solch ein Ziel."
Corporal Röschmann räusperte sich nur und sagte eher kurz zu diesem Thema. "Wenn das Gerede davon, welcher Flagge man anzugehören hat, immer so viele Menschenleben kostet, dann will ich dafür nicht kämpfen. Kümmert sich ja doch keiner um die Worte von Weitling[3], oder Owen[4] oder meinetwegen Marx[5]. Hier fragt doch keiner nach den Menschen, sondern nur nach Flaggen, Fahnen, Prunk und Hymnen. Ich halte das für erbärmlich. Egal, ob da eine Doppeleiche oder ein Schimpansenarsch aus Carl Hagenbeck’s Handels-Menagerie[6] drauf ist." Kurz erwägte Rix einen Konter, doch Röschmann blickte schon wieder in das wilde Schneetreiben und es folgten einige Minute des Schweigens.

Es war zu Beginn der dritten Flasche, dass alle soweit angetrunken war, dass Alfred auch die empfindlicheren Themen anschneiden konnte. Dennoch musste er vorsichtig damit sein und sich immer wieder auf das Schweigen und das Starren in den Schnee einstellen. Hin und wieder wurde auch ein Scheit Holz in den Ofen nachgelegt und wärmte die Wohnung gegen den unerbittlichen Winter. Die Soldaten genossen, dass sie bei diesem Wetter nicht die Reste der Solros bergen mussten oder gar Wachdienst an der Förde zu verrichten hatten. Rix machte das mit Worten deutlich, Röschmann mit einer Aura der Selbstzufriedenheit. Ein Drittel der Flasche war in die fast schon gelähmten Kehlen der Männer geflossen, die inzwischen nicht mehr mit geradem Rücken saßen, die Hemden aufgeknöpft hatten und sich in bequemere Sitzpositionen begeben hatten. Es war der richtige Zeitpunkt, um zumindest oberflächlich etwas über den Angriff auf die Solros zu erfahren. "Gibt da nur Gerüchte, Alfred." Rix kümmerte sich nicht mehr um Etikette und sprach Alfred einfach mit dem Vornamen an. Er war mit jedem Korn mehr fließend dazu übergegangen. "Manche meinen, dass sie die dänische Trauerflagge gesehen hätten, andere meinen, dass das eine Piratenflagge war. Mir erscheint das merkwürdig, wenn Piraten in der Ostsee solchen Klischees verfallen würde. Ich glaub, das waren Dänen. Sie versuchen hier sowieso Zwietracht zu sähen, das ist wie mit der Novemberverfassung. Sie versuchen uns aufzuhetzen und uns blindlings in den Angriff zu zwingen." Wieder fasste sich Rix an die Glatze, das tat er immer, wenn er aufgeregt war. "Sie provozieren uns, damit ein Korps Wahnsinniger den Angriff wagt, weil wenn einer von uns angreift..." Der Corporal übernahm den Gedanken. "...schützt uns kein Völkerrecht und kein Londoner Protokoll mehr und die anderen Staaten würden zuschauen, wie die dänische Übermacht das Land der Doppeleiche mit ihren Ressourcen zerquetscht. Und dann huldigen wir Christian[7] statt Friedrich[8]." Rix nickte bekräftigend und fügte an. "Und jetzt kommt's. Jene, die eigentlich die Intelligentesten von uns sein sollten - die dummen Studenten - planen angeblich einen Anschlag auf dänische Repräsentanten. Irgend'nen Student wurde gestern wohl in einem Handgemenge schwer verwundet, vielleicht sogar angeschossen oder erschossen. Manche Studenten wollen wohl Revanche. Ein dänischer Botschafter ist angeblich in Königshagen[9], nicht weit von hier, und die Studenten wollen ihn umbringen, um den deutschen Bund zum Handeln zu zwingen. Merken die denn nicht, dass wir dann ordentlich einen auf die Mütze bekommen würden?"
Röschmann blickte bereits wieder zum Fenster heraus, als sich das Schweigen andeutete, fügte er abschließend an. "Die Studenten haben sowieso meist keinen Hintern in der Hose. Überall hört man Positives von Studenten, aus Jena, aus Marburg, aus Halle, aber aus Kiel? Selbst wenn sie davon reden, werden sie - Gott sei es gedankt - nichts tun."

Die dritte Flasche näherte sich dem Ende und es wurde klar, dass dies die letzte Flasche sein würde. Alle waren reichlich betrunken, um noch eine Flasche zu öffnen. Die beiden Soldaten wirkten übermüdet und so stellte Alfred zum Abschluss die persönliche Frage nach seinem Ruf. Erstmals übernahm Röschmann das erste Wort in diesem Gespräch, während Rix sich halb schlafend am Tisch festhielt und auf sein halbvolles Kornglas starrte. Es würde ihm schwer fallen, noch ein oder zwei Kurze zu trinken. Röschmann war auch betrunken, wirkte jedoch nicht so, als hätte der Kornbrand ihn nachhaltig in die Knie gezwungen. "Machen dir keine Sorgen, Alfred." Auch er hatte im Suff zum Duzen gefunden, ohne darüber nachzudenken. "Bist 'nen guter Kerl. Gute Kerle gibts hier nicht so viele. Und so viele kennen dich nicht, sie werden nicht über dich urteilen. Deine Gefangennahme wird kaum jemanden jucken, und noch weniger werden es überhaupt wissen, dass du hier bist. Und wenn jemand vom Schiff hört, wird sich in diesem Klima schnell durchsetzen, dass die Dänen es versenkt haben, Alfred. Dann, Alfred, werden sie dich eher auf Betten händen, statt über dich zu schlecht zu urteilen. Macht dir keine Sorgen, Alfred!" Daraufhin tranken alle ihren Korn aus und Alfred und Richard Röschmann teilten sich den letzten Rest auf ihre Gläser auf und stürzten auch das herunter.

Das Gehen von Rix und Röschmann fand fast ohne Worte statt, aber der fragile Röschmann entwickelte eine formidable Kraft, als er Rixens Arm über seine Schulter warf und ihn rüberzutragen begann. "Wir müssen los. Rixens Kopp is zu voll." Auch Röschmann war fast über den Durst und auch Alfred spürte, wie betrunken er war. Er würde einen schnellen Schlaf, aber einen harten Morgen haben, zumindest ohne sein helfendes Mittelchen. Röschmann brachte stammelnd zu Ausdruck, dass er sich für den Nachmittag zu bedanken habe und es nett fand. Auch Rix murmelte ein alkoholschwangeres Danke und dann schleppten die beiden sich zurück in ihre Wohnung, während Alfred sich langsam wunderte, wie die Anzahl der Fenster in der Wohnung sich innerhalb der letzten fast zweihundert Minuten verdoppeln konnte...
 1. Schleswig-Holsteinischer Krieg (1848–1851)
 2. Kongeå
 3. Wilhelm Weitling
 4. Robert Owen
 5. Karl Marx
 6. Tierpark Hagenbeck
 7. Gemeint ist natürlich Christian IX. von Dänemark
 8. Gemeint ist Friedrich VIII. von Schleswig-Holstein
 9. Dänischenhagen
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Carl von Lütjenburg

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Casus Belli
« Antwort #189 am: 13.12.2011, 21:17:39 »
Carl trug seinen toten Bundesbruder mit Conrad in den versteckten Raum hinab und legte ihn in einer Ecke behutsam ab. Dann entledigte er sich seines Helmes und seiner blutbesudelten Uniformjacke. Darunter trug er feingewirktes Kettengewebe, dem er wohl nun verdankte dass er Karl hatte tragen können und nicht selbst getragen werden musste.
Er fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar und sah sich forschend in dem kleinen Gewölbe um, wobei er hörbar ausatmete. Erst als sich alle eingefunden hatten und allmählich Ruhe in dem Raum einkehrte erhob er das Wort. In seiner Stimme schwang selbstverständlich eine gute Portion Erschöpfung mit, allerdings hatte sie nicht an der gewohnten Kraft verloren.

"Euer Durchlaucht ich bin kein Diplomat und es wird auch keiner mehr aus mir werden, deshalb und in Anbetracht der aktuellen Umstände gehe ich davon aus, dass das Protokoll nun weitestgehend vernachlässigt werden kann. Wir drei, also Conrad Karl und ich haben in der letzten Nacht unser Leben aufs Spiel gesetzt um Schiffbrüchige aus der Förde zu retten. Ohne einen Gedanken an Lohn und Ruhm. Nach Eurer Einladung kamen wir hierher und haben Euer und freilich auch unser eigenes Leben nach bestem Können versucht zu schützen. Nun sind wir nur noch zwei. Karl ist nun tot und ich weiß noch genau, dass er lieber in Kiel geblieben wäre, aber aus Loyalität mit uns kam."
Carl sah den Herzog mit eindringlichem Blick an fuhr nach einem kurzen Moment fort "Wir wünschen weiterhin keinen Reichtum und keine Ehrungen. Aber wir fordern -  und bei allem Respekt ich bestehe auf diesem Wort - dass Ihr uns den reinsten Wein einschenkt. Was geht hier vor sich und warum befinden wir uns mittendrin? Ist das alles deutsches Blut wert?"

Donald Munro

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Casus Belli
« Antwort #190 am: 15.12.2011, 01:39:53 »
Donald hörte auf, auf die Kampfkraft seines Eidolons zurückzugreifen, behielt die Verschmelzung jedoch bei, um die Verteidigung aufrecht zu erhalten. Mit ein paar alten Worten heilte er die Verletzungen seines Gefährten. Dann fragte er in die Runde: "Ich kenne mich ein wenig mit den Heilkünsten aus. Bedarf es meiner Fähigkeiten?"Die Mitwirkung der Schotten gab ihm jedoch zu denken. An den Herzog gewandt sagte er:  "Ja, es ist wirklich an der Zeit, ein paar Dinge zu erklären. Wer trachtet Euch nach dem Leben? Vielleicht kann ich etwas herausbekommen, wenn ich meinen Landsmann ein wenig befrage."
« Letzte Änderung: 15.12.2011, 14:42:40 von Menthir »

Menthir

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Casus Belli
« Antwort #191 am: 15.12.2011, 22:37:08 »
6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 11:18 Uhr - Gut Emkendorf

Der Braunschweiger merkte, dass er an dieser Stelle nicht weiter beachtet wurde. Ohne weitere Umschweife wartete er darauf, dass alle dem Herzog in die Tiefe folgten. Dieser bewegte sich fast mechanisch, schwer getroffen von den Ereignissen und gab den Weg vor. Der Weg in die Tiefe war nicht weit und alsbald stieß man an eine dunkle, wahrscheinlich brünnierte, massive Eisentür, die an der einen oder anderen Stelle Zeichen von Rost zeigte. Sie war dennoch sehr stabil und der Herzog hatte seine liebe Mühe, die massive Tür zu öffnen, weil sie durch Feuchtigkeit etwas verzogen im Rahmen war. Im dritten Anlauf öffnete er die Tür und bat seine Retter in das Refugium.

Den Rettern offenbarte sich ein ungewöhnlicher Raum, der eine sehr geringe Deckenhöhe von weniger als sechs Fuß hatte, sodass die Größeren geduckt gehen mussten. Es roch nach Gewölbe. Die Wände, die einstmals weiß gestrichen waren, hatte einen Großteil ihrer Farbe abplatzen lassen. An anderen Stellen war die Farbe fleckig, Schimmel war durch die gemauerten Steine gedrungen. An den Wänden hingen von der Feuchtigkeit aufgequollene Holzrahmen, in denen keine Bilder mehr hängen. Das magische Refugium der Reventlous, von dem man sich viele Geschichte erzählte? Mit Mühe und Not passten überhaupt alle in den Raum, in dem angerostete Eisenstühle standen, die noch nicht so lange dort gewesen sein mussten. In einer Ecke lagen Holzsplitter und geborstene Holzteile, welche einstmals Stühle gewesen waren. Auf einem einzelnen Regal, welches noch in Takt war, standen eingekochte Speisen, wahrscheinlich Swattsuer[1]. Es war an der Westwand angebracht, an der Ostwand war ein kleines Rohr, aus dem frische Luft in den Raum gepustet wurde. Kalte Luft, wie deutlich spürbar war. Ein sicherer Ort war dies nicht, man würde schnell verfrieren, wenn man hier zu lange blieb. Unter dem Eisenrohr, war ein kupferner Wasserhahn, der einstmals getropfte. Doch nun hatte sich an ihm ein Stalaktit gebildet, der fast einen Meter nach unten reichte und fast den Fußboden berührte. Der Braunschweiger schloss die Tür nachdem auch der gefangengenommene Schotte mit in den kleinen Raum gepresst wurde. Alleine die körperliche Nähe der Menschen in diesem Raum würde vielleicht so etwas wie Wärme aufkommen lassen, ansonsten war dieser Raum furchtbar trostlos, feuchtkalt und beklemmend.

Der Herzog setzte sich auf einen der ungequemen Stühle. Etwas Rost bröckelte ab. Sein Odem gefror beim Ausatmen und bildete einen feinen, gefrierenden Nebel. Es war wirklich bitter kalt in dem Raum. Er wartete, dass Donald und Carl ihren Fragen gestellt hatten. Ganz eben war noch zu hören, wie der Braunschweiger die Dielen wieder einsetzte.
"Ich bin auch kein Diplomat, Herr von Lütjenburg. Ich bin ein Schleswig-Holsteiner.", begann der Herzog stockend mit Blick auf dem gestorbenen Karl. "Ich habe Ihnen vor diesem....dieser...Katastrophe bereits angeboten, weitestgehend auf solche protokollarischen Zwänge zu verzichten. Dies ist nicht der Ort dafür, und dass Sie mir zweifelsohne das Leben gerettet haben, wird an diesem Entschluss auch sicher nichts verändern. Ich respektiere das Opfer Ihres Freundes." Der Herzog wirkte wahrhaft betrübt, während er auf den steif werdenden Karl schaute. "Es ist das Geringste, was ich tun kann und werten Sie es bitte nicht als Bestechung und als das Kaufen Ihrer Gunst.", er blickte dabei alle Anwesenden an. "Aber das Mindeste, was ich tun kann, ist für seine Beerdigung aufzukommen und seinen Hinterbliebenen eine Rente zuzugestehen." Er holte tief Luft und atmete stoßweise aus, beobachtete die kondensierten Wolken vor seinem Gesicht und blickte abermals auf die blauen Lippen Karls.
"Sie sprechen so, als wären sie dazu gezwungen worden, in mein Haus zu kommen. Das ist mitnichten der Fall. Lediglich der Herr Nobel hätte fest erscheinen müssen. Wahrscheinlich haben Sie ihm am ehesten das Leben gerettet. Es tut mir Leid, dass Gerd so ein schwieriger Charakter ist. Er ist zu sehr im Geiste bei den Befreiungskriegen. Aber er ist ein aufmerksamer Beobachter und ein guter Wächter. Er weicht nicht von der Seite, die er zu beschützen gedenkt. Wenn seine Worte Sie in den Glauben versetzt haben, dass Ihr Besuch eine Pflicht ist, dann bitte ich dafür um Entschuldigung. Es ist eine Pflicht, ohne Frage, eine Pflicht dem herrlichen und unteilbaren Schleswig-Holstein gegenüber, aber keine Pflicht meiner Person gegenüber."
Er räusperte sich und gewann im Laufe seiner Worte wieder etwas Sicherheit, er stand auf und verschränkte die Arme hinter dem Rücken. Er wandelte sich vom aufgelösten Mann langsam das erste Mal in einen Herzog, was die Präsenz anging.
"Sie haben an der Schiffsrettung teilgenommen und ich habe gehört, dass der Kieler Bürgermeister Sie ehren wollte. Ich beglückwünsche Sie zu dieser Tat, Sie alle haben vielen Männern das Leben gerettet, wie Sie heute auch mir das Leben gerettet haben und wahrscheinlich den Herren Nobel. Emil Nobel, den meine ich damit auch. Gerd hat mich darüber informiert, wie Sie auf den Haftbefehl bezüglich der beiden Herren Nobel reagiert haben und ich kann es Ihnen nicht übel nehmen. Schon gar nicht, da ich persönlich glaube, dass der Angriff Alfred Nobel galt."
Der Herzog nutzte die Pause, um jedem Besucher in die Augen zu schauen.
"Sie haben von den empfindlichen Papieren gehört, nehme ich an? Der gestohlene Vertrag. Ich habe das Gefühl, dass dieser Vertrag noch im Besitz der Nobels ist oder in irgendeinem Versteck, welche der Herr Pedersen dafür gefunden hat. Wie dem auch sei, Sie sind durch Zufall oder Geschick mit allen betreffenden Personen verbunden. Deswegen wollte ich Sie zu einer Diskussion laden und wie Sie sehen und gespürt haben, ist sehr zu meinem, wie dem Ihrigen, Bedauern, eine Katastrophe daraus geworden. Ich hoffe nur, dass der Kieler Oberstwachtmeister die Herren Nobel gut beschützt. Er hat zumindest entsprechende Instruktionen. Hoffen wir's..."

Der Herzog blickte gedankenverloren auf den Wasserhahn, als man leise in der Umgebung einen Schuss hörte. Der Schotte zuckte zusammen, regte sich sonst nicht weiter. Der Herzog selbst zuckte auch zusammen und setzte seine Erklärungen fort. "Ich habe diese Verträge verloren. Sie garantieren mir vor den Londoner Schutzmächten die Freiheit und Einigkeit, welche der Doppeleiche zusteht. Jetzt versuchen Dänen und/oder Preußen diese Verträge zu zerstören. Das ist zudem ein diplomatisches Desaster. Der bescheuerte Bismarck[2] beharrt auf das Londoner Protokoll, um Dänemark zur Ruhe zu zwingen, doch mit mir redet kein Preuße. Und solange das Londoner Protokoll offiziell eingehalten wird, redet auch kein Brite und kein Franzmann mit mir. Das ist furchtbar, glauben Sie mir das. Wie dem auch sei, es dauerte zu lange, die ganze Breite des Konfliktes zu erörtern, aber Sie werden sicher einiges über die Novemberverfassung gehört haben. Dieser Vertrag könnte die Novemberbestimmungen außer Kraft setzen, verstehen Sie? Sie könnten die Freiheit und Einigung Nordelbiens erreichen und gleichzeitig Friedensbewahrer sein. Beim heiligen Vater, es gibt sogar Gerüchte, dass die Preußen mobilisieren und Bismarck Roons[3] Militärreformen testen will, und dass Dänemark bereit ist für unsere Lande das Bajonett zu schwingen." Er verlor mit jedem Wort wieder seine Präsenz und verbitterte über die Tatsache, dass er die Verträge nicht mehr hatte. "Und wenn die Nobels oder Pedersen jetzt sterben oder verschwinden, wer will diesen Krieg noch verhindern? Deswegen glaube ich, dass der Angriff gar nicht mir galt. Verstehen Sie? Es ging gar nicht um mich, sondern um den Herrn Nobel, die Herren Nobel und der Herr Pedersen..."
Erschöpft, zermatert und bedrückt setzte sich der Herzog wieder hin. Er beantwortete nicht, ob Munro seinen Landsmann befragen sollte. Aber die folgende Stille ließ zumindest die Option offen. Der Schotte schwieg beklommen.
 1. Schwarzsauer
 2. Otto von Bismarck
 3. Albrecht von Roon
« Letzte Änderung: 15.12.2011, 23:43:27 von Menthir »
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Conrad Rosenstock

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Casus Belli
« Antwort #192 am: 22.12.2011, 21:19:09 »
Conrad fühlt sich in dem engen Raum mit einem Toten und wie es eingerichtet ist ziemlich unwohl. Aber ein echter Mann darf sich davon wohl nicht beeinträchtigen lassen, deswegen verbirgt Conrad sein Unwohlbefinden so gut es geht. Überraschend wichtige Dinge werden dann an einem Ort wie diesen besprochen.

Es geht Conrad durch den Kopf wie Carl wohl denken würde. Er war ein echter Preuße, so viel war klar. Doch bisher hat Carl noch nicht das Wort ergriffen, so tut es dann eben Conrad.

"Der Braunschweiger und sie scheinen wirklich gut informiert zu sein, das muss man ihnen beiden lassen. Vielleicht klinge ich nun für einen Geschichtsstudent etwas verträumt Herzog Friedrich, aber mein größter Traum wäre ein wirklich unabhängiges und geeintes Schleswig-Holstein. Bei den notwendigen Mitteln hierfür wäre ich- nun sagen wir einfach- recht 'flexibel'. Ich bin mir allerdings nicht ganz sicher, ob mein Kommilitone Carl genauso denkt. Er ist mit ganzem Herzen ein Preuße. Man kann denken, was man will, aber die Loyalität zu seinem Heimatland ist sicherlich nichts Verwerfliches.

Auch wenn Marius nicht meine Sympathie hat, mache ich mir um ihn, genauso wie um die Herrn Nobel, Sorgen. Sie sollten vor der bevorstehenden Gefahr gewarnt werden. Wer weiß, wer alles noch in diese Angelegenheit verstrickt ist. Dass die Attentäter entkommen konnten, ist eine Schande, aber es war wohl leider bei dem vorherigen Kampfverlauf nicht zu ändern. Zum Glück sind noch nicht mehr Leute gestorben bei der Auseinandersetzung.

Ich möchte an dieser Stelle nochmals betonen, dass die Herrn Nobel wohl nur durch einen dummen Zufall in diese Angelegenheit verstrickt sind. Verbrecher sind sie meiner Meinung nach keine und wenn es nach mir ginge, könnte man alle Vorwürfe gegen sie fallen lassen. Aber es würde mir sehr am Herzen deren Leben zu retten, auch das von Marius Pedersen.

Meinen Sie, dass Sie derzeit trotzdem noch in Gefahr schweben Herzog Friedrich, obwohl es die Attentäter ja eigentlich auf die Nobels abgesehen haben? Wir sollten Sie nur dann verlassen, wenn wirklich alles in Ordnung ist. Ich hoffe, dass Sie es nicht als Unhöflichkeit empfinden werden, wenn wir nicht länger als notwendig bleiben würden. Doch noch haben sich nicht alle zu dieser Angelegenheit geäußert, doch zumindest so viel Zeit sollte uns schon noch bleiben."
« Letzte Änderung: 26.12.2011, 23:04:32 von Conrad Rosenstock »

Menthir

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Casus Belli
« Antwort #193 am: 02.01.2012, 15:05:40 »
6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 11:21 Uhr - Gut Emkendorf

Der Herzog kratzte sich den Bart und massierte sich die Schläfen, als Conrad mit ihm sprach. Verwundert blickte er zwischen den sonstigen Gästen hin und her. Loteten sie die Grenzen und Tiefen des Herzogs aus? Eröffneten sie nur zögerlich das Feld, um sich in keine Falle locken zu lassen? Misstrauten sie dem Herzog grundsätzlich?

"Der Braunschweiger ist deswegen sehr gut informiert, weil ich ihn dafür in meine Dienste genommen habe.", sagte Friedrich fast gepresst und atmete tief ein. "Natürlich drängt sich dennoch immer wieder die Situation auf, dass Spekulationen notwendig werden. Deswegen kann ich Ihnen nicht mit absoluter Treffsicherheit sagen, ob die Nobels oder Pedersen diesen Vertrag haben. Es scheint mir doch naheliegend, weil Angriffe auf die betreffenden Personen stattgefunden haben. Emil Nobel wurde auf der Solros beinahe getötet, Marius Pedersen liegt schwer verwundet, wahrscheinlich sterbend, in einem Altenstift. Was erwarten Sie da? Deutlicher kann der Feind seine Absichten kaum deutlich machen. Allerdings..."
Der Herzog blickte mit müden Blick auf den toten Karl vor seinen Füßen und dann zu dem gefangenen Schotten, allerdings auch zu Donald Munro. "...dachte ich, dass das Söldnerwesen in diesen Tagen keine großen Rolle mehr spielen würde. Aber ich habe mich katastrophal geirrt. Die Attentäter haben Englisch gesprochen. Der Braunschweiger meinte, dass der sterbende Pedersen von dem Schützen angegriffen wurden war. Dieser erinnerte sich nur an einen Hünen mit einem magischen Stab und einem Gewehr mit weißem Kolben. Jener soll jedoch Französisch gesprochen haben. Es werden Männer eingesetzt, die kaum einer Flagge zugeordnet werden können, das macht es schwer, einen Täterkreis festzulegen, sodass Dänemark auch eine Spekulation bleiben muss. Vorerst."

Er atmete wieder schwer aus. "Seien wir ehrlich, natürlich schwebe ich weiterhin in Gefahr. Wenn ich sterbe, sind meine Ansprüche auch dahin. Ich habe...nur Töchter, meine Söhne haben immer den frühen Kindstod erlitten. Und Ernst Günther[1] ist erst ein halbes Jahr alt. Meine Töchter sind auch noch jung. Meine Güte, man stelle sich das vor. Meine Frau ist die Nichte der englischen Königin und dennoch lebe ich wie ein aristokratischer Lump[2]. Aber der Braunschweiger ist für meinen Schutz da. Ich denke, ich werde ausharren können. Noch einmal werden sie uns nicht so überraschen können, die rothaarige Frau wird ihre schwere Verwundung erstmal kurieren müssen."

Der Herzog blieb einen Moment nachdenklich sitzen. "Sie können gehen. Sie sind frei zu gehen. Sie haben mein Leben gerettet, deswegen würde ich Sie zu nichts zwingen oder auffordern." Er machte eine öffnende Handbewegung. "Ich möchte Sie jedoch bitten, dass Sie nach dem Schreiben Ausschau halten. Sollte es Ihnen in die Hände geraten oder Sie vom Aufenthaltsort erfahren, würde ich Sie dringlich bitten, mich darüber in Kenntnis zu setzen. Unabhängig davon, ob Sie ein ehrenhafter und freundlicher Schleswig-Holsteiner sind, wie Sie es sind, Herr Rosenstock, oder ob Sie ein überzeugter Preuße sind. Solange keiner von Ihnen ein überzeugter oder verblendeter Däne ist, wird Ihnen Krieg als die Schlechteste aller Optionen scheinen, egal was ein Clausewitz dazu sagt[3]. Ich kann nur an ihre Moral und ihre Vernunft appellieren. Helfen Sie, diesen Krieg zu verhindern. Diese Schrift ist die Freiheit Schleswig-Holstein."
Dann schwieg Friedich wieder, er wirkte sehr ermattet. Er hatte langsam und bedacht gesprochen. Die geistige Müdigkeit unterdrückte er mühsam, aber effektiv. Augenscheinlich hoffte er, die Stimmen der anderen Gäste zu vernehmen.
 1. Ernst Günther von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg
 2. Lump
 3. Gemeint ist natürlich Carl von Clausewitzs am häufigsten zitierter Satz: „Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Carl von Lütjenburg

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Casus Belli
« Antwort #194 am: 02.01.2012, 15:58:11 »
Die Worte des Herzogs vermochten Carl ein wenig zu beruhigen. "Aus dem Munde des Majors erschien mir das Gesuch meines Erscheinens bei Euch als Pflicht, Euer Durchlaucht, und mag mich wohl auch etwas zu sehr verstimmt haben. Ich bitte um Verzeihung wenn ich mich zu sehr vergessen haben sollte." Carl deutete eine Verbeugung an und bemühte sich trotz der beengten Verhältnisse um eine würdevolle Haltung.

Bei der Erwähnung des Vertrages versuchte er sich nichts anmerken zu lassen, hörte aber dennoch offensichtlich sehr interessiert zu[1]. "Wenn es diese Verträge noch geben sollte, dann haben wir doch so eben am eigenen Leib gespürt wie sehr sie Schleswig-Holstein schützen werden. Schutzmächte hin oder her, ich kann mir nicht vorstellen, dass Dänemark sich ewiglich damit abfinden wird. Clausewitz liegt falsch, denn wer den Frieden wünscht bereite den Krieg vor[2].

Im Augenblick haben wir allerdings ein anderes Problem und auch wenn ich gehen kann wohin ich möchte, werde ich nicht den Tod meines Freundes zur Sinnlosigkeit verdammen, indem ich Euch verlasse und den Halsabschneidern da draußen übergebe, mein Herzog."
 1. Bluffen: 6
 2. Vegetius

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