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Autor Thema: Casus Belli  (Gelesen 82769 mal)

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Menthir

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Casus Belli
« Antwort #255 am: 01.04.2012, 22:36:31 »
7. Dezember 1863 - Am Morgen des Krieges? - 10:38 Uhr - Christian-Albrechts-Universität - Alter Hörsaal

Himly lächelte und nickte Alfred zu, als er den aus Himlys Sicht sehr passenden, kartesischen Ansatz zur Hinterfragung wählte. Sogar der nervöse Mineraloge Gustav Karsten warf Alfred Nobel einen Blick zu, der jedoch kaum zu deuten war[1]. Ein unverständliches Brummen entwich dem Physikprofessor, ehe er sich wieder den Worten Samuel Weißdorns widmete.

Es stand außer Frage, dass Samuel die Großteile des Hörsaals für sich gewonnen hatte. Auch viele, die zunächst zweifelten, ließen sich von dem neuen Doktor subtil Honig um den Bart schmieren und aus dem empörten Gemurmel, welches sowieso fast immer in der frenetischen Begeisterung der jungen Studenten untergingen, welche die Auflockerung des Kollegs zunächst gefiel und die augenscheinlich auch der Gedanke reizte, dass Wahrnehmung empathisch und emotional-naturwissenschaftlich zu fassen war, wurde immer mehr neutrales und hie und da auch zustimmendes Gemurmel.
"Ein Henri Martin[2]! Hervorragend, Herr Karsten. Genau jenes, was Sie brauchen, um zu entzünden. Sie haben Ihre Zeit im zoologischen Garten in Berlin also mit der Beobachtung des Wesens der Menschen und der Tiere gleichermaßen verbracht. Ich bin beeindruckt. Sie benötigen einen Dompteur, et voilà, und schon gehen Ihnen sogar die fidelen, preußischen Geheimpolizisten auf den Leim. Jeder guter Dompteur braucht einen noch besseren Direktor in seinem Rücken. Die Universität als politischer Zirkus. Sie sehen mich verblüfft, werter Kollege."
Carl Himly schlug in seiner freundlichen Art Karsten wieder auf die Schulter, der nur die Nase rümpfte und sich räusperte.
Alfred erkannte sofort, dass dies mit der Geheimpolizei wirklich alarmierend auf den Physikprofessor wirken musste, denn er blickte in die hinteren Reihen, musterte vor allem ein paar junge Männer in der Nähe des Einganges auffallend lange. Als hätte er ihre Gesichte noch nie oder zu oft gesehen.

Aber Himly war kaum zu hören, da die Studenten sich kurz austauschten, als Samuel schwieg. Sie waren zweifelsohne begeistert. Irgendwas wollte der Chemiker noch hinzufügen, denn er drehte sich zu Alfred, doch das aufkommende Schweigen der lernwilligen Masse ließ ihn verstummen. Der Saal konzentrierte sich wieder auf Dr. Samuel Weißdorn.

Doch ein Student hob die Hand, in die Stille hinein. Ein blondhaariger, feister Bursche in einem etwas zu engen Anzug und einem Zwicker[3]. Seine dicken Wangen waren gerötet und mit Äderchen durchzogen. Seine näselde Stimme erfüllte den Hörsaal nur schwerlich. "Doktor Weißdorn." Er zog den Namen unangenehm lang. "Bedeutet das, dass das Sein bestimmt ist durch das Werden im Hirne? Dass das Werden ein Prozess des Bekannten, Bewussten ist und so das Unbekannte zu einem direkt Seienden wird, weil es durch das Gewesene ergänzt sei?" Ein genervtes Räuspern ging durch die Reihen, gerade bei den Studenten.  Aber auch ein Gustav Ferdinand Thaulow[4], der unter den Besuchern saß, und nur wenige Plätze vor Alfred saß, rieb sich die Augen und hielt sich die Hand an die Stirn, nachdenklich. Und wenn ein Hegelianer[5] bei der Wortwahl nachdenklich wurde, musste das für einen Philosophiedozenten etwas bedeuten. "Oder anders ausgedrückt: Ist unsere Totalität des Seienden, die wir Welt nennen, ein Konvolut von interpretierten Sinneseindrücken und der Querschnitt aus diesen Eindrücken nennen wir sensorische und objektive Wahrheit?", beendet der junge Student seine Ausführung, wonach nicht wenige die Luft scharf einsogen. War es eine ernsthafte Frage oder wollte der Student den Dozenten verleiten, prüfen? Thaulow rieb sich weiter die Schläfen.
 1. 
Motiv erkennen SG 20 (Anzeigen)
 2. Henri Martin
 3. Zwicker
 4. Gustav Ferdinand Thaulow
 5. Verfechter der Philosophie Hegels
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Conrad Rosenstock

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Casus Belli
« Antwort #256 am: 05.04.2012, 20:03:50 »
Der Geschichtsstudent verstand die Andeutung von van Widdendorp nicht, was wohl an seiner momentanen Aufregung lag. Er musste die Nobel-Brüder umgehend davon in Kenntnis setzen, dass einige Attentäter es auf sie abgesehen haben könnten. Möglicherweise hatten sie schon einen ziemlichen Vorsprung gehabt. Hoffentlich war den Nobelbrüdern in der Zwischenzeit noch nichts passiert. Sowohl die Einfachheit, als auch die Unordnung war für Conrad nichts schlimmes. Es war viel wichtiger, dass seinem Anliegen Gehört geschafft werden würde und die Chancen dafür standen nicht schlecht. Doch dann kam Oberwachtmeister van Widdendorp auf seinen Vater Ernst zu sprechen. Conrad hatte sich geweigert in die Fußstapfen seines Vaters zu treten und später einmal die Waffenfabrik zu übernehmen. Conrad sah sich eher als ein Student, der eines Tages ein Doktor und dann hoffentlich irgendwann auch Professor werden würde. Er sah die Universität als sein Zuhause an. Dass Conrad daheim nicht von seinem Vater herausgeschmießen wurde, lag daran, dass seine Mutter Martha mit ihrem sanftmütigen Wesen ein paar Kniffe kannte, um dafür zu sorgen, dass Conrad Zuhause blieben konnte. Seit diesem Zeitpunkt allerdings herrschte ein unterkühltes Verhältnis von seinem Vater Ernst zu Conrad. Sein Vater interessiert sich auch überhaupt nicht für Conrads Studium, für ihn war nur sein Geschäft wichtig und er war nicht so politik- und geschichtsinteressiert wie Conrad es war. Trotz allem war Ernst aber nun mal Conrads Vater und irgendwie fühlte sich Conrad immer noch an ihn gebunden. Es wäre seltsam, wenn es in Zeiten wie diesen anders gewesen wäre.

Conrad überlegte intensiv, was er zum OWM sagen würde und entschloss sich dann ihm die Wahrheit über das Verhältnis zu seinem Vater zu erzählen: "Ich will ganz offen zu ihnen sein Oberwachtmeister van Widdendorp: Das Verhältnis zu meinem Vater ist nicht das beste, auch wenn das nicht so sehr von unserer Familie nach außen getragen wird. Ich entschied mich dafür, mich voll und ganz dem Geschichtsstudium zu widmen und nicht in die Waffenfabrik meines Vater miteinzusteigen. Wenn ich das nächste mal meinen Vater sehe, kann ich ihm trotzdem ihre Bitte vortragen. Sie stammt ja ursprünglich nicht von mir. Aber mich würde es nicht wundern, wenn mein Vater sagen würde: 'Vaterland ist Vaterland und Geschäft ist Geschäft.' Aber ich will den Teufel mal nicht an die Wand malen. Nun will ich jedoch zu dem Grund meines Besuchs kommen:

Friedrich VIII. wurde auf dem Gut Emkendorf von Attentätern attackiert. Karl Schreiber verlor bei dem Angriff sein Leben. Wenn er nicht gewesen wäre, hätte die tödliche Kugel vermutlich Herzog Friedrich getroffen. Karl Schreiber soll ein würdevolles Begräbnis mit allen Ehren bekommen. Seine Familie sollte von seinem Tod umgehend in Kenntnis gesetzt werden. Carl von Lütjenburg, Schwester Hermene vom Altenstift, Donald Munro- ein Schotte- und ich schafften es mit vereinten Kräften, dass Herzog Friedrich nichts geschah. Auch der Braunschweiger war dabei und kann von diesem Kampf berichten. Sie werden sich jetzt sicherlich fragen, was ich nun hier in Kiel mache und weswegen ich Sie sprechen will. Herzog Friedrich meinte, dass der Angriff der Attentäter eigentlich den Nobel Brüdern galt. Ich muss sie unbedingt vor diesen Attentätern in Kenntnis setzen und warnen. Herzog Friedrich braucht ein bestimmtes Dokument, das wahrscheinlich die Nobel-Brüder haben. Wenn ich Herzog Friedrich davon berichten kann, dass die Nobel-Brüder dabei halfen das für ihn wichtige Dokument zu besorgen, dann würde er ihnen Amnestie gewähren. Können Sie mir sagen, wo sich derzeit die Nobel-Brüder aufhalten, Oberwachtmeister van Widdendorp? Ich würde mich dann umgehend zu ihnen aufmachen."
   


Samuel Weissdorn

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Casus Belli
« Antwort #257 am: 07.04.2012, 20:14:22 »
Samuel hörte dem Studenten aufmerksam zu, und ignorierte die teils genervten Reaktionen der anderen Studenten. „Schlüsseln wir Ihre Frage genauer auf, um sie zu beantworten. Sie sprechen von sensorischer und objektiver Wahrheit in einem Atemzug. Müssen wir dies nicht trennen? Bis vor wenigen Minuten war es für die meisten von Ihnen sensorische Wahrheit, dass ich ein Buch in der Hand hielt. Was aber war die objektive Wahrheit? Dass es nur ein Blatt Papier war? Das wäre die offensichtliche Antwort. Doch was, wenn ich selbst einem ähnlichen Budenzauber erlegen wäre? Oder gehen wir einen Schritt weiter: Ein hypothetischer Beobachter, der im afrikanischen Busch aufgewachsen ist und nie ein Blatt Papier gesehen hat: Was wäre seine Wahrheit gewesen? Was die Wahrheit eines Blinden?“

 Er hob die linke Hand und zeigte drei erhobene Finger. „Wir erkennen drei Fragestellungen. Welche Sinneswahrnehmungen haben wir? Dies ist die von Ihnen angesprochene Sensorik.“ Mit der anderen Hand drückte er den ersten Finger nach unten. „Zweitens: Vor welchem persönlichem und kulturellem Hintergrund interpretieren wir die Sinneswahrnehmungen? In diesem Zusammenhang bewegen wir uns sehr schnell im Feld der modernen Hermeneutik[1] eines Friedrich Schleiermachers[2].“ Der zweite Finger ging nach unten. „Und drittens stellt sich die grundsätzliche Frage nach der Objektivität. Schon das wohl bekannteste erkenntnistheoretische Beispiel, Platons Höhlengleichnis[3], zeigt deutlich die Grenzen der Objektivität. Platons Höhle ist in diesem Zusammenhang das Zusammenspiel der individuellen subjektiven Sinneswahrnehmungen und ihrer Verarbeitung im Hirne. Platons Gefangene haben die Schatten an der Wand wahrhaftig gesehen, und doch reichte ihr Wissen nicht für eine der Wahrheit entsprechende Interpretation. Aber auch der Befreite, der die Höhle verlässt, war im ersten Moment von der Sonne geblendet – seine Sinne haben ihm nicht gleich im ersten Moment die Wahrheit gezeigt.“

Anstatt auch den dritten Finger nach unten zu bewegen, öffnete Samuel nun seine Hand. „Was ist also die Totalität des Seins?“, fragte er. „Können wir dies naturwissenschaftlich überhaupt endgültig beantworten? Wie können wir mit Sicherheit sagen, dass wir uns nicht immer noch in einer Höhle befinden? Naturwissenschaft bemüht sich um ein in sich konsistentes Bild, um das Auflösen von Widersprüchen, doch können wir im Jetzt nicht Voraussehen, welche Höhlenausgänge zukünftige Generationen noch finden werden.“

Er ließ die Hand sinken, und nickte Herrn Thaulow zu. „Die Frage nach der objektiven Wahrheit möchte ich daher den Kollegen aus dem Fachgebiet der Philosophie, aber wohl auch der Mathematik, überlassen. Doch jeder Einzelne von Ihnen möge sich ebenfalls dazu Gedanken machen. Um aber Ihre Frage nicht ganz unbeantwortet zu lassen: Die subjektive Wahrheit, das subjektive Sein, ist in der Tat ein Konvolut interpretierter Sinneseindrücke. Das Bemühen der Naturwissenschaften ist, die Distanz zwischen subjektiver und objektiver Wahrheit so gering wie möglich werden zu lassen. Selbst wenn dies jemals zur Gänze gelänge, wüssten wir es nicht, da wir niemals um das wissen, was uns noch verborgen ist.“
 1. Hermeneutik
 2. Friedrich Schleichermacher, im Zusammenhang mit Hermeneutik
 3. Höhlengleichnis

Menthir

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Casus Belli
« Antwort #258 am: 10.04.2012, 22:41:01 »
7. Dezember 1863 - Am Morgen des Krieges? - 07:42 Uhr - Kieler Hafen - Büro des Oberstwachtmeisters

Der OWM nickte verständnisvoll, als der junge Student von seinen Problemen sprach und strich sich über sein massives Doppelkinn, nachdenklich und ernsthaft betroffen. Hier und da nickte er, zweimal räusperte er sich auch beinahe empört bezüglich des Vaters. "Ich danke Ihnen für ihre Offenheit, Herr Rosenstock. Und es will mir beinahe nicht gelingen, Worte zu finden, weiß ich doch, wie oberflächlich Sie wirken müssen, da ich ein augenscheinliches Interesse an verlässlichen Waffenlieferungen für die...sagen wir noch...Freischärler[1] habe. Aber glauben Sie mir, dass ich Ihnen nur raten kann, Ihren Vater an die Bedeutung des Wortes Vaterland zu erinnern. Und erlauben Sie mir, wenn ich uns alle in dieser schwierigen Situation daran erinnere, dass wir in Zeiten der bewaffneten Krise, die sich nun mehr andeutet, wenn ich so in den brennenden Hafen blicke, alle zusammenrücken müssen. Wir müssen über unseren Händel[2] hinwegsehen und uns brüderlich verteidigen statt auf Altlasten oder dem Geschäftssinn zu beharren. Ich weiß, dass brauche ich Ihnen nicht erzählen, Herr Rosenstock. An Ihren Worten erkenne ich, dass Sie dies schon längst verinnerlicht haben. Anders kann man sich Ihren Willen, die Nobelbrüder zu beschützen schwerlich erklären." Er klopfte dreimal anerkennend auf die Holzplatte seines Schreibtisches und setzte sich etwas bequemer hin, um daraufhin sofort aufzustehen und die Hände hinter dem Rücken ineinanderzulegen. Sein Bauch wippte etwas unter dem strammen Anzug, als er schwer ausatmete. Er blickte aus seinem Fenster. Conrad konnte von seiner Position auch den Hafen sehen, konnte sich ausmalen, wie das Lichtermeer der beschossenen Solros auf den Oberstwachtmeister gewirkt haben musste. Jetzt präsentierte sich der Hafen geschäftigt, aber doch ruhig verglichen mit dieser verhängnisvollen Nacht. Es war ein früher Morgen, selbst die meisten Soldaten waren noch nicht zum Drill angetreten, sodass nicht die Stimmen der Ausbilder über das Hafenareal hallten, ihre Pfiffe blieben stumm. Conrad wusste aus Erfahrung, dass sich das noch innerhalb der nächsten halben Stunde ändern würde. Im Hintergrund lief ein kleines Schiff gerade aus, es hatte eine russische Flagge gehisst, doch der Name "Suudelma" ließ darauf schließen, dass es aus den finnischen Gebieten des Zarenreiches stammte. Ein Motor war nicht nur hörbar, sondern mit seinem tiefschwarzen Rauch als Kontrast zum Schnee gut sichtbar. Es verließ Kiel in gemächlichem Tempo.

"Um ehrlich zu sein", begann der ältere Offiziere, als er sich wieder Conrad zudrehte, "haben wir ähnliche Informationen. Just in diesen Momenten wird Alfred Nobel aus seinem Hausarrest zusammen mit seinem Bruder an einen sicheren Ort verbracht. Ich habe mich noch nicht darüber informieren lassen, um die Verlegung nicht zu gefährden. Dienstwege vermeiden und dergleichen, aber sein Sie gewiss, dass ich Ihnen mehr sagen kann, sobald die Route und dergleichen gesichert sind."
Er setzte sich wieder hin. "Dementsprechend schlage ich vor, dass wir gemeinsam Frühstücken und darauf warten, dass ich erfahre, wo Sie die Nobels finden. In der Zwischenzeit erzählen Sie mir bitte alles, was Sie über das Attentat erinnern, natürlich verbunden mit meinem Dank, dass Sie den Herzog bewahren konnten!"

Conrad blieb aufgrund dessen wohl nichts anderes über, als das reichhaltige Frühstück, welches wenige Augenblicke später in die Amtsstube gebracht wurde, zumindest zu testen. Gekochte Eier, Schwarzbrot und Katenschinken, dazu gab es wohl riechenden Kaffee. Der OWM bat Conrad an, zu viel zu essen, wie sein Hunger ihm diktierte und begann dann zu Essen und über Gott und die Welt zu sprechen.
 1. Freischar
 2. Händel
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Menthir

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Casus Belli
« Antwort #259 am: 10.04.2012, 23:11:22 »
7. Dezember 1863 - Am Morgen des Krieges? - 10:42 Uhr - Christian-Albrechts-Universität - Alter Hörsaal

Endlich sah Conrad Alfred Nobel, verborgen zwischen groß aufgeschossenen Studenten, neben einer ganzen Reihe von Dozenten in der verborgenen Mitte des Hörsaals sitzen. Es war eine Herausforderung gewesen der Vorlesung zu folgen und gleichzeitig die Nobels zu entdecken. Er war zur Vorlesung gehetzt, sobald ihn der OWN darüber informiert hatte, das Alfred Nobel im Hörsaal sei. Der OWM hatte davon von Anfang an gewusst, nur hatte er Conrad erst kurz vor Vorlesungsbeginn davon informiert. Conrad war losgehetzt, nachdem der Oberstwachtmeister sich gestenreich dafür entschuldigt hatte, dass er dies aus Sicherheitsgründen tun musste. Was das heißen mochte, lernte der junge Student auf dem Weg. Er sah ein paar Soldaten, die einen gefallenen Kameraden wegtrugen, der nach Augenzeugenberichten vom Dach gestürzt war und dabei gestorben war. Andere meinte, dass sie einen Schuss gehört hatten und er tödlich getroffen von seinem Wachposten fiel. Man ließ Conrad nicht nah genug ran, um sich selbst ein Bild zu machen, und er war sowieso spät dran. Er kam ein paar Minuten zu spät, aber zum Glück war der Dozent noch nicht da gewesen, doch der Saal war so vollgestopft gewesen, dass man kaum jemand dort ausmachen konnte, den man nur ein oder zweimal gesehen hatte. Fast eine halbe Stunde kostete es Conrad, um Alfred in der Menge zu entdecken. Er musste stets die Beifallsbekundungen der Dozenten und Studenten abwarten, ehe er sich ungestört umschauen konnte. Die Vorlesung schien anzukommen.

Himly lachte wieder herzlich, während Gustav Karsten langsam immer ungehaltener wurde. Alfred wusste inzwischen, dass es eher an Samuel Weißdorn lag, obgleich sein Kolleg sehr gut war und dementsprechend aufgenommen wurde. Wahrscheinlich trafen ihn Himlys heiteren Worte weiter ins Mark, da sie doch eine gewisse Wahrheit kündeten. "Sehen Sie das, werter Kollege?", setzte Carl Himly wieder an und kicherte, dass ihm die Brille von der Nase zu rutschen drohte. "Er blickt sich um, erkennt die Gesichter und dann, wie ein guter Krämer, versucht er ihnen zu erzählen, dass er alles nur in ihrem Sinne gedacht hätte. Sehr spannend." Karsten mahlte mit den Zähnen und blickte diesmal nicht zu Himly und Nobel, stattdessen blickte er kurz zu Thaulow, ob der auch Himlys Gedanken teilte oder der Ausstrahlungskraft Samuels ebenfalls verfallen war. Thaulow lächelte zufrieden bei Doktor Weißdorns Erklärung, was Karsten mit weiterem Zähnemahlen quittierte. Den neunmalklugen Studenten hatte Samuel auf alle Fälle überwältigt, ihm war sein penetrante Auslegung des Wortes Chuzpe[1] vergangen und müde blickte er drein, er gab auf. Wahrscheinlich hatte er die Frage von langer Hand vorbereitet, vielleicht den ganzen ersten Teil der Vorlesung damit verbracht, sich diese Frage zu ersinnen und nun fiel ihm kein Konter ein.
Karsten drehte sich jetzt wieder zu Himly. "In Ordnung. Wir nehmen ihn.", sagte er schließlich kurz angebunden und drehte sich wieder zur Vorlesung. Diese Entscheidung getroffen zu haben, nahm ihm etwas seiner ungewöhnlichen Nervosität, auch wenn sie noch immer greifbar war. Himly quittierte es mit einem zufriedenen Lächeln.
 1. Chuzpe
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Samuel Weissdorn

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Casus Belli
« Antwort #260 am: 11.04.2012, 00:13:00 »
Nachdem der Student keine weiteren Fragen an Samuel stellte, begann dieser wieder, sich dem eigentlichen Thema seiner Vorlesung zu widmen. Hatte er seine Vorlesung bisher recht allgemein gehalten, drang er nun jedoch schnell in die tieferen Gefilde der Psychophysik vor. Er umriss die Erkenntnisse eines Hermann von Helmholtz[1], der die Fortpflanzungsgeschwindigkeit von Nervenerregungen gemessen hatte. Dies verknüpfte er mit der von da Vinci beschriebenen Schallgeschwindigkeit und ließ beides in mathematischen Formeln münden, mit denen die Zeitspanne vom Entstehen eines akustischen Reizes bis zur Verarbeitung im Gehirn berechnet werden konnte. Schritt er an einigen Punkten sehr schnell voran, nahm er sich an anderen Zeit, auch kleinste Kleinigkeiten zu erläutern.

Fast schien es, als wäre der gesamte Beginn der Vorlesung nur dazu da gewesen, den gedanklichen Boden zu bereiten, damit die Zuhörer mit Offenheit und Neugier den wissenschaftlichen Erkenntnissen lauschten, kleine Beweise und Erläuterungen der Tatsache, dass die menschliche Wahrnehmung tatsächlich ein Resultat purer Naturgesetze war. Gleichzeitig forderte Samuel die Studenten immer wieder auf, die von ihm vorgebrachten Lehren kritisch zu hinterfragen - nicht ohne jedes Mal eine perfekt ausformulierte Antwort parat zu haben.

Hatte er durch die Ausflüge in die Psychoakustik[2] den Nährboden bereitet, damit die Zuhörer Wahrnehmung als essentiell mathematisch und naturwissenschaftlich begreifen konnten, spannte Samuel schließlich wieder den Bogen zu den Arbeiten Gustav Theodor Fechners[3], und beschrieb die Prinzipien der ästhetischen Schwelle, der ästhetischen Hilfe, und des ästhetischen Assoziationsprinzips. Immer deutlicher formte sich das Bild des Menschen, der den Gesetzen der Physik außerhalb und innerhalb seines Körpers unterworfen ist, und dessen Erfahrungen und Assoziationen nicht mehr waren als Variablen in komplexen mathematischen Formeln.

"Bei all dem, meine Herren, vergessen Sie nicht, dass wir uns in einem wissenschaftlichen Feld bewegen, das noch in den Kinderschuhen steckt. Manches von dem, was ich Ihnen jetzt für wahr verkaufe, mag in einigen Jahren falsifiziert werden; anderes wird seine Wahrheit nur durch Erweiterung behalten. Hinterfragen Sie also stets kritisch! Es ist der wissenschaftliche Austausch, der uns alle hier eint. Vielleicht werden Sie" - er deutete auf einen der Studenten - "im Laufe Ihrer Karriere Entdeckungen machen, die all das, was wir heute besprechen, wie Grundschulwissen erscheinen lässt. Vielleicht aber auch Sie, oder Sie, oder Sie." Sein Finger wanderte von einem Studenten zum nächsten.

Er lächelte. "Behalten Sie dies im Bewusstsein: Jeder einzelne Geist in diesem unserem wissenschaftlichen Betrieb ist von größtem Werte; selbst wenn Sie größte Differenzen haben, sollten Sie den Austausch suchen oder die andere Meinung doch zumindest respektieren."[4]

Schließlich kehrte er, zum ersten Mal seit Beginn der Vorlesung, hinter sein Rednerpult zurück. "In der nächsten Vorlesung werden wir - pünktlich - mit einer kurzen Wiederholung beginnen, und uns dann abschließend den durch Fechner beschriebenen Grundlagen der Psychophysik widmen. Dies wird die Basis aller weiteren Vorlesungen sein - und seien Sie gewarnt, danach wird es deutlich anspruchsvoller werden."

Noch einmal sah er sich im Saal um. "Haben Sie noch Fragen?"

Er wartete noch einen Moment, doch keiner der Studenten hob seine Hand. "Nun, in dem Fall - ich bedanke mich für Ihre Zeit und Aufmerksamkeit. Vielen Dank und bis zum nächsten Mal!"
 1. Hermann von Helmholtz
 2. Psychoakustik
 3. Vorschule der Ästhetik
 4. Diplomatie: 27 - mit dem Ziel, die ggf. auch politisch verfeindeten Mitglieder der Universität wieder näher zusammen zu bringen

Conrad Rosenstock

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Casus Belli
« Antwort #261 am: 12.04.2012, 18:02:20 »
Bevor sich Conrad höflich vom OWM verabschiedete und zur Vorlesung hastete, sagte er noch zu ihm: "Wenn Sie einen ihrer Männer entbehren können, sagen Sie meiner Mutter Bescheid, dass es mir gut geht und dass ich bloß wichtige Sachen zu tun habe. Es könnte also etwas dauern bis ich wieder nach Hause komme. Um was es genau geht, werde ich sagen, wenn ich wieder zu Hause bin. Und noch einmal danke für das Fürhstück Oberwachtmeister van Widdendorp."

Conrad rannte als ob der Teufel hinter ihm her wäre. Nur für einen kurzen Moment hatte seine Neugier bei dem gefallenen Soldaten gesiegt und Conrad hielt dies für ein schlechtes Omen. Ganze nahe konnte Conrad nicht an den Soldaten heran und dafür war auch keine Zeit. Conrad rannte einfach wieder weiter.

Zu Conrads Glück war der Dozent, der die Vorlesung halten sollte, im Hörsaal noch nicht eingetroffen. Conrad musste mit seiner vollen Ausrüstung in den Hörsaal gehen und würde sicherlich auffallen wie ein bunter Hund. Aber er konnte wenig dagegen tun. Er wollte seine ganze Ausrüstung nicht beim OWM liegen lassen und wer wusste schon, ob er sie nicht bald mal wieder in Kampfhandlungen brauchen würde, auch wenn Conrad das nicht hoffte.

Manchen Teilen der Vorlesung konnte Conrad folgen, bei manchen Teilen der Vorlesung war dies nicht so leicht. Conrad war weder Naturwissenschaftler, noch Philosophie-Student. Aber er machte sich so seine Gedanken. "Das Naturwissenschaft jetzt schon mit Taschenspielertricks gemacht wird, war mir neu. Aber dieser Dozent weiß zu unterhalten, das muss man ihm lassen. Auch wenn er dann seine Vorlesung wieder 'seriös' gehalten hat, soweit ich es beurteilen kann."

Conrad ließ trotzdem wegen der ganzen Vorlesung Alfred Nobel nie vollkommen aus den Augen. Als die Vorlesung aus war, kämpfte sich Conrad durch die Massen durch. Er würde Alfred Nobel immer im Blick behalten und sobald er aufstand, um nach draußen zu gehen würde er nach Alfred Nobel rufen und ihm zuwinken. Conrad war sich nämlich nicht ganz, welchen Ausgang Alfred nehmen würde. Er konnte auch den Dozentausgang nicht ganz ausschließen, da er mit einigen Professoren im Hörsaal saß. Wenn Alfred ersichtlich in Gespräche verstrickt war, würde Conrad mit dem Zurufen noch solange warten wie es ihm möglich war. Aber verpassen wollen, würde er ihn auf keinen Fall wollen. Falls Alfred den Ruf nicht hörte, würde Conrad ihm einfach nachgehen. Seine momentane Position war nicht so schlecht, dass er ihm nicht folgen konnte.
« Letzte Änderung: 12.04.2012, 18:13:36 von Conrad Rosenstock »

Alfred Nobel

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Casus Belli
« Antwort #262 am: 13.04.2012, 00:48:51 »
Es war erst als der Dozent Weissdorn sich seines darstellerischen Pathos' entledigte, welcher der Menge im Hörsaal mit offenbarer Ausnahme von Professor Karsten Eindruck zu schien, als Alfred hellhörig wurde und seine Skepsis tatsächlichem Interesse wich. Die Experimente, die der Vortragende vorstellte, zeigten dem zweifelnden Chemiker deutlicher zu vermitteln, dass die sogenannte Psychophysik vielleicht doch mit messbaren und beobachtbaren Größen hantierte, anstatt nur einen schmalen Grat zwischen wahrnehmungsbehafteter Subjektivität und arbiträrer Willkür zu bilden. Alfred hielt sich in Gedanken lediglich noch immer an dem Versuch auf, die gewonnenen Erkenntnis auf Teufel komm raus mit einem Formalismus zu versehen. Dass sich Konzepte wie Wahrnehmungen und Reize durch das Werkzeug der Mathematik beschreiben lassen sollte, hielt der Schwede noch immer für unglaubwürdig und für einen angestrengten Versuch, den Theorien verzweifelt einen bekannten wissenschaftlichen Stempel aufzudrücken. Doch wozu, fragte Alfred sich, als er zu dem abschließenden Beifall der Zuhörerschaft beipflichtete, wenn die Gedanken über Wahrnehmung, Empfindung und Reize eine vernünftige Anzahl an Fragen aufwiesen, wäre denn eine verklemmte Verknüpfung mit der Physik denn überhaupt von Nöten.

Alfred hatte nur wenig seiner Zeit in Vorlesungssälen verbracht, er war es nicht gewohnt, eine so lange Zeit einem einzigen Redner zuhören zu müssen. So war der Schwede immer unruhiger in seinem Platz gesessen, je weiter die Vorlesung fortgeschritten war. Doch auch diese Ungeduld wurde von Weissdorns Art zu Sprechen getilgt, ohne dass es dem Schweden gar auffiel. Erschrocken zog Alfred die Augenbrauen hoch, als der Beifall im Saal noch immer tobte und die ersten Stimmen laut wurden, die prüfenden Diskussionen zu beginnen. Sehr darüber überrascht, wie sehr ihn die Vorlesung doch mitgerissen hatte, zog er seine Uhr auf die Tasche und warf einen Blick darauf. Stirnrunzelnd wunderte sich der Schwede, wie schnell die Zeit vergangen war.

"Ich bin geradezu fasziniert," sprach Alfred schließlich die Professoren Himly und Karsten an, während er seine Habseligkeiten zusammensuchte und bedeutete, aufzustehen. "Es gab durchaus einiges zu lernen. Zweifelsohne natürlich auch ein fragwürdiges Thema - ", formulierte Alfred vorsichtig, und sah dabei lächelnd Karstens Reaktion nach, "aber ein hervorragender Dozent, wenn ich meine nicht universitär geprägte Meinung äußern darf."

Schließlich stand Alfred von seinem Platz auf, und bedeutete Emil, das selbe zu tun. Als er über die Köpfe der noch sitzenden und diskutierenden Studenten hinwegsehen konnte, fiel ihm der uniformierte junge Mann auf, der nicht die Augen von ihm ließ. Zwei Mal musste Alfred hinsehen, bis er Conrad an der Tür stehend erkannte. Mit heller Miene winkte er dem Studenten zu, er solle zu ihnen kommen, und wandte sich dann Himly zu.

"Professor Himly, ich fürchte, ich muss mir die Unhöflichkeit erlauben und darauf drängen, dass wir unser Treffen der anderen Sache widmen. Haben Sie vielen Dank für die Einladung zur Vorlesung, Professor Karsten - wenn Sie nichts drängt, sind Sie vielleicht auch daran interessiert uns zu begleiten." Fragend sah Alfred Himly an, wie er über die Einladung Karstens reagieren würde.
"Vielleicht wollen wir an einen Ort, wo wir ungestört sprechen können. Ich hoffe, Sie haben Ihre Kollegen erreichen können. Ist es Ihnen gelungen, einen Notar zu bestellen?"
But I have learned to study Nature’s book
And comprehend its pages, and extract
From their deep love a solace for my grief.

 - A Riddle, 1851

Menthir

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Casus Belli
« Antwort #263 am: 13.04.2012, 02:43:53 »
7. Dezember 1863 - Am Morgen des Krieges? - 12:03 Uhr - Christian-Albrechts-Universität - Alter Hörsaal

Neunzig Minuten konnten wahrlich kurz sein, wenn man von einer Vorlesung fasziniert war und ebenso kurz konnte sie sein, wenn man sich selbst auf das zu sprechende Wort und das Auditorium konzentrieren musste. Ihre Regungen studierte und sich ihren unbewusst und bewusst geäußerten Wünschen anpasste, so es das eigene Konzept und das eigene Thema hergab und zweifelsohne hatte Samuel Weißdorn an diesem Morgen auch die Gescheitetesten unter den Kieler Gelehrten zumindest verblüfft, wenn nicht gar eine ganze Reihe von ihnen überzeugt. Aufgeregt schnatternd löste sich die Menge der Zuhörenden auf, bis nur noch eine kleine Traube von Studenten und zwei Dozenten übrigblieb, welche Doktor Weißdorn nicht nur zu dieser herausragenden Einführungsvorlesung gratulierten, sondern ihn auch mit allerhand kleinen Detailfragen oder nichtigen Nachfragen zum Datum des nächsten Kollegs belästigten. Samuel konnte auch diese zur Zufriedenheit beantworten, die wiederholten Fragen nach dem Sinn der Verzögerung, der emotionalen Aufladung des Gehaltes. Hier ein Lob für die objektivierte Beweisführung darüber, dass selbst hehreste Wissenschaftsversuch doch noch immer den Grenzen des Subjektiven ausgesetzt sei, kurzweilige Ausschnittdiskussionen darüber und immer wieder die Bekräftigungen des Gesagten aus der Vorlesung. Beinahe zehn Minuten hielt der Belagerungszustand an, gleichwohl gewährte Gustav Karsten diesen Zustand, dieses Bad in den Begeisterten, während dieser sich selbst beflissentlich zurückhielt.

Diese Zurückhaltung gab dem immer noch leicht nervösen Karsten die Chance Alfred zuzunicken und das Wort erheben zu wollen, doch abermals kam ihm Carl Himly zuvor. Er rückte die Brille auf der Nase zurecht. "Keine Ursache, Herr Nobel. Natürlich dürfen Sie Ihre - Gott sei es gedankt - nicht so universitär-geprägte Meinung äußern und natürlich dürfen Sie den Herrn Karsten einladen." Carl klopfte Gustav auf die Schulter, der sich ein freundliches Lächeln abquälte. Der Versuch war ehrlich, das erkannte Alfred, doch dieser Mann hatte einfach kein Gesicht für die Freundlichkeit, sondern eher für die beflissentliche Ernsthaftigkeit. Gustav Karsten, der Mineraloge, legte die Hände hinter dem Rücken zusammen und hielt sich im Wissen, dass Himlys Redeschwall nicht so bald enden würde, zurück, auch Conrad und Samuel aus den Augenwinkeln beobachtend. Doch Himlys Lächeln erlosch und seine Lippen wurden zu einem schmalen Strich, seine Stimme so leise, dass nur Karsten, die beiden Nobels und der inzwischen nahende Conrad Rosenstock es hören konnten. "Herr Nobel. Um ehrlich zu sein, ist dies der sicherste Ort, den wir für den Moment haben. Wenn nach Ihnen gesucht würde..." er blickte zu Conrad, ließ ihn aber herannahen, da Alfred ihn höchstselbst, trotz dessen Rüstmontur, rangewunken hatte, "nützte man diesen Moment, in dem die Menge aus den Hörsälen strömt, um sie ausfindig zu machen. Man wird Sie für den Moment verloren glauben und erst später auf die einfachste Lösung kommen. So ist es doch immer, nicht wahr, Herr Nobel? Wir Menschen tendieren danach, immer den Schwersten aller Wege zuerst abzusuchen statt das Augenscheinliche zu beobachten. Ehe Ihnen einfällt, dass Sie noch hier sein könnten, werden wir Sie in Sicherheit gebracht haben. Doch das muss noch zwanzig Minuten warten."
Carl Himly glaubte den Wink verstanden zu haben, und ließ Conrad sehr nahe kommen, stellte sich und den Herrn Gustav Karsten vor. Doch noch mehr Männer waren im Saal geblieben, während die Traube um Samuel Weißdorn sich auflöste und der Doktor nach seiner Vorlesung endlich einen Schluck des inzwischen handwarmen Wassers trinken konnte.

Holsteinische Soldaten, Fiete Riensche und der Kamerad Schlosser, schlossen die Türen hinter sich und stellten sich als Wachposten davor auf. Ein Eindringen würde zeitig bemerkt werden. Wer auch immer dieses Treffen geplant hatte, er hatte junge, sehr kräftige Soldaten für diese Aufgabe ausgesucht. Sich auch darauf verlassend, dass die Präsenz einer Wache viel ihrer wachmännischen Fähigkeit ausmachte. Im Raum umringte alsbald ein ganzer Schlag gestandener Männer das Pult, im Sinne einer kollegialen Kooptation[1] wurde jedoch Samuel nicht am Pult gelassen, sondern in diesen Kreis aufgenommen. Conrad konnte sich gar nicht wehren, als sich auch eingliedern zu lassen. Und so standen sie dort: Alfred Nobel, Emil Nobel, Conrad Rosenstock, Carl Himly, Gustav Karsten, Gustav Ferdinand Thaulow, und sogar der herrisch wirkende Berliner Dozent und Alumi der Kieler Universität, der verehrte Theodor Mommsen[2] war anwesend. Zudem war Albert Hänel[3] dort, der als Rechtsprofessor und Mitglied der Schleswig-Holsteinischen Liberalen Partei bekannt war, außer standen Wilhelm Seelig, Professor für Nationalökonomie, Finanzwissenschaft und Statistik  und zu guter Letzt Johann Carl Otto Ribbeck[4], der bekannte Philologe, dabei. Es war ein unwahrscheinlicher Kreis, der dort zusammengekommen war. Zu einem ungewöhnlichen Zeitpunkt, unter ungewöhnlichen Vorzeichen. Und in diesem Sinne begrüßte Carl Himly auch alle anwesenden. "Die Krone der Doppeleiche[5] ist mächtig, dass ihre vielen Zweige in so viele Bereiche unseres Lebens dringt und sie uns doch bewusst macht, dass wir alle ihrem Stamme angehören. Ich brauche nicht zu erzählen, welche Last auf uns liegt. Der geschätzte Kollege Mommsen berichtete uns eindrucksvoll davon, dass während wir hier stehen und wichtige Entscheidungen treffen werden, der Bund die Bundesexekution[6] gegen Christian IX. berät und mit höchster Wahrscheinlichkeit beschließen wird. Meine Kollegen, wir sind am Morgen eines Krieges, der die Grundfesten der Doppeleiche erschüttern kann! Von Norden nähert sich ein unbarmherziger Holzfäller, während von Südosten ein Brandroder in den Norden ziehen will. Doch wir bleiben dabei! «unde dat se bliven ewich tosamende ungedelt!»" - "Up ewich ungedelt!", antworteten die anderen ranghohen Herren dieses vielleicht schon konspirativen Kreisen, und Himly, der diese Art von Ansprache, diese Art von Pathos vielleicht sogar mochte, hätte sicherlich gerne weitergesprochen, doch nun war es an Gustav Karsten in seine Ansprache zu platzen.

"Wir sind nicht hier, um studentische Parolen aus der Teutonia[7] zu blöken. Das ist etwas für die Straße. Wir sind unserer Sache in diesem Haus gewiss, auch wenn ich Ihren Eifer bewundere, Kollege Himly." Himly lächelte nickend, während Karsten nur ein neutrales Nicken von sich gab. Für den Gesichtsausdruck Karstens war das jedoch schon freundlich. Eine näselnde Stimme schob sich dazwischen, sie gehört dem knapp fünfzigjährigen, zerbrechlich wirkenden Mann mit kleiner Brille und sehr strengem Blick. Mommsen sagte: "Ich habe einiges von Ihnen gehört, Kollege Himly. Ich denke, Sie sollten gleich zu den Punkten kommen, gerade unter dem...Ausblick des Geschehenen und des zu Erwartenden. Ich habe gehört, dass es Schüsse in der Innenstadt gegeben haben soll und das in Dänischenhagen bereits kleinere Schlägereien zwischen deutschgesinnten und dänischgesinnten Studenten gegeben haben soll! Während die sich verunstalten mit liederlicher Gewalt, sollten wir uns also nicht dessen versichern, was wir sowieso wissen. Da gebe ich dem Herrn Karsten aber recht!"
Wilhelm Seelig lachte, es war ein donnerdes, kehliges Lachen, welches man diesem menschlichen Rechenschieber, als den man ihn gerne bezeichnete, gar nicht zutrauen mochte. Wer ihn kannte, wusste jedoch um seine Geselligkeit. Dennoch kehrte schnell Ruhe ein, zumal Mommsen es mit einem Fingerschnippen forderte. Himly setzte wieder an, er blickte gleich zu Alfred Nobel.
"Ich weiß, Herr Nobel. Was ich jetzt fordere ist nicht leicht für Sie. Aber ich würde Sie darum bitten, Ihre Geschichte, Ihre Erlebnisse nochmal kurz für alle darzulegen. Nur die wichtigsten Punkte,tun Sie es für sich und Ihren Bruder." Himly bemühte sich um ein freundliches Lächeln, er wusste, dass diese Versammlung überfallartig war. Alfred konnte sehen, wie Ribbeck ein paar gekrakelte Unterlagen hervorkramte. Ob dies die Erpresserbriefe waren, die er übersetzt hatte? Hänel hingegen nickte Alfred zu und sprach auch aufmunternd auf ihn ein, nachdem er sich nochmal vorgestellt hatte. "Seien Sie unbesorgt, ich werde mich höchstselbst um ihre Causa kümmern! Ich stehe in regen Kontakt mit schwedischen Anwälten, die Sie und mich in dieser Sache unterstützen werden." Himly fügte schnell erklärend an. "Die schwedische Botschaft hat verkündet, dass der schwedische König im Falle einer Bundesexekution Dänemark symbolisch den Rücken stärken wird...Es tut mir Leid, Herr Nobel." Ein tiefes Seufzen ging durch die Männer, die dort versammelt waren. "Überlegen Sie bitte einen Augenblick, und teilen sie unser Wissen mit uns. Krieg steht vor der Tür, Herr Nobel. Himly hat gesagt, Sie hätten einen...Schlüssel zur Lösung." Es war Thaulow, der Philosophieprofessor, dessen Stimme ernsthaft besorgt klang. Und während Alfred überlegte, konnte er sehen, wie Emil kreidebleich wurde. Dass diese vielen Männer, die durchaus als Vorzeigemänner der intellektuellen Elite Schlewigs und Holsteins gelten konnten, so drängend und bittend, fast bettelnd waren, verdeutlichte ihm, in was für Schwierigkeiten er nicht nur sich und Alfred gebracht hatte. Er griff instinktiv nach Alfreds Ärmel. Alfred spürte, wie sein Bruder zitterte.

Karsten blickte zu Samuel Weißdorn und Conrad Rosenstock. "Ihre Anwesenheit mag ihnen unbegründet vorkommen. Aber ich schätze, Sie haben einen guten Grund, in diesem Kreis zu stehen. Der Oberstwachtmeister hat mich bereits informiert.", Karsten blickte zu Conrad. Conrad bemerkte, dass der OWM eine Nachricht weggeben haben musste, als er das Frühstück wegbrachte und die Nachricht empfang, wo Alfred war. "Sie müssen Herr Rosenstock sein, nicht wahr? Sie sind zurück vom selbstproklamierenden Herzog, für den Sie sogar eine Ehrung beim Bürgermeister für ihre zweifelslos, ehrenhafte Tat auf der Förde vorletzte Nacht ausgeschlagen haben. Wir haben von...Komplikationen gehört. Hätten Sie die Güte, ihr Wissen zu teilen?" Sein Blick wanderte zu Samuel Weißdorn. "Entschuldigen Sie, Herr Weißdorn, wenn Sie auf die Kritik für Ihre Vorstellung noch warten müssen. Seien Sie jedoch beruhigt." Er reichte Samuel die Hand. "Sie sind ordentlich als Dozent aufgenommen." Gustav Karsten rang sich wieder dieses Lächeln ab, was ihm schwer fiel. "Aber das ist kein guter Ort, um über Ihre Habilitationsabsichten zu sprechen. Ich habe für Sie etwas besonderes vor. Deswegen bitte ich Sie darum, nehmen Sie alles auf, was Sie hier hören! Sie werden es gegebenenfalls brauchen." Karsten wollte noch etwas hintersetzen, doch dann schnippste der herrische Mommsen wieder. Die Männer blickten gebannt und gespannt auf Alfred und Emil.
 1. Kooptation
 2. Theodor Mommsen
 3. Albert Hänel
 4. Otto Ribbeck
 5. Doppeleiche
 6. Zur Erinnerung: Bundesexekution
 7. Gemeint ist natürlich Conrads Burschenschaft
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Alfred Nobel

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Casus Belli
« Antwort #264 am: 13.04.2012, 16:42:50 »
Mit einer bedachte Muße atmete Alfred also tief ein, während er sich wieder seines Mantels, Gehstabes und der Reisetasche entledigte und seine wenigen Besitztümer auf die nächste Sitzbank legte. Der Hörsaal wirkte plötzlich gespenstisch, wie die altehrwürdigen Gelehrten sich in diesem versammelten und gespannt die Geschichte zweier Schweden hören wollten, um die Politik von morgen zu bestimmen. Mit angestrengter Miene ordnete Alfred seine Gedanken und gönnte sich einen Moment der Stille. Erst als er die Unruhe seines Bruders spürte, blickte er Emil an und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln, ehe Alfred seine Haltung straffte und die Hände hinter seinem Rücken verschränkte.

"Meine Herren, mein Name lautet Alfred Bernhard Nobel," begann der Schwede und schaute in die Runde. Obwohl es offensichtlich war, dass die Anwesenden wussten, wer vor Ihnen sprechen wollte, verzichtete der Chemiker nicht darauf, sich vorzustellen. "Dies ist mein Bruder Emil Oskar. Ich bin Eigentümer eines Geländes auf dem Krümmel bei Geesthacht[1] und im Begriff, mit Investoren aus Hamburg ein Unternehmen zur Produktion von Nitroglycerin aufzubauen. Vor zwei Tagen, in der Nacht auf den sechsten Dezember, ging die schwedische Brigg 'Solros' vor dem Hafen Kiels zu Grunde. Dieses Schiff segelte in meinem Auftrag und sollte mir Chemikalien und Laborgeräte aus Stockholm liefern. In dieser Nacht starben 124 Menschen auf See, als ein massives Panzerschiff den schwedischen Frachter versenkte. Mein Bruder Emil befand sich auf dieser Brigg und ist einer der wenigen Überlebenden jener Nacht, sprach Alfred bedeutungsschwer und mit ernstem Ausdruck, ehe er mit einer offenen Geste auf Conrad deutete, "was nicht ohne die Hilfe von Herrn Rosenstock und seinen Kameraden hätte geschehen können. Emil identifizierte den Angreifer als ein Panzerschiff unter einem schwarzen Dannebrog[2], die 'Rolf Krake'[3]"

Kurz wechselte Alfred einen Blick mit seinem Bruder und nickte langsam und bedächtig. Ihm fiel auf, dass Emil noch keine Gelegenheit hatte, seinen Rettern zu danken. Für einen Moment wunderte sich Alfred seit langem, wo der Leutnant von Lüttjenburg und der Student Schreiber sich aufhielten, ehe er seine Hände wieder verschränkte und weitersprach. Der Unternehmer ließ sich nicht außer Ruhe bringen, auch wenn er wusste, dass seine persönliche Geschichte Ungeduld in den Reihen der Zuhörer säen könnte.

"In selbiger Nacht musste ich erfahren, dass der selbsternannte Herzog Friedrich von Schleswig und Holstein einen Haftbefehl auf mich und meinen Bruder ausgestellt hatte. Die Anklage lautete, sofern ich mich erinnere: Kauf, Anstiftung zum Diebstahl und Schmuggel gestohlener Dokumente. Ich versichere Ihnen meine und meines Bruders Unschuld in Anbetracht dieser Anklage." Mit hochgezogenen Augenbrauen schaute Alfred bei diesen Worten vor allem den Juristen Hänel an. "Seit diesem Zeitpunkt befinden Emil und ich uns in Haft und Hausarrest, bis wir unsere Unschuld beweisen können."

Alfred nickte, als er an diesem Punkt seiner Geschichte angekommen war. Nachdenklich schaute er auf den Boden und schwieg wieder für einen kurzen Moment, ehe er seine Labortasche heranzog und die Scharniere am rauen Leder aufschnappen ließ. Mit einem Handgriff zog er sein Laborbuch aus dem dafür vorgesehenen Fach und es zunächst nur unter seinem Arm.

"Ich beteuerte bereits unsere Unschuld in der Sache: Kauf, Anstiftung und Schmuggel. Jedoch," sprach Alfred und deutete auf seine Unterlagen, "befinden sich besagte Dokumente in meinem Besitz. Der Diebstahl der Dokumente ist auf eine Frau Erica Lavalle zurück zu führen, eine Trickbetrügerin und Agentin im eigenen Auftrag. Selbige erpresste Emil dazu, das Papier von St. Petersburg nach Kiel zu befördern, und drohte ihm mit dem Leben unserer Familie. Hier angekommen sollte das Dokument an General Christian de Meza[4] der dänischen Armee geliefert werden, um die Forderungen zu erfüllen. Entweder erwartet de Meza die Papiere noch immer, oder glaubt sie und Emil in der Solros-Explosion verloren. Womit wir bei der Sache wären, Herr Himly," schloss Alfred mit einem Blick auf den Professor, "doch ich fürchte ist es viel weniger ein Schlüssel zur Lösung als viel eher ein gefährlicher Hebel." Der Chemiker nahm das Laborbuch unter seinem Arm hervor und schlug die letzte Seite auf, wo der Vertrag zwischen losen Blättern über chemische Rezepte und technischen Zeichungen versteckt war.

"Das Dokument besagt folgendes:

Urkunde des Verzichts

In freundschaftlichen Einvernehmen, mit Blick auf die Zukunft Daenemarks und Europas, in Erinnerung an die freundschaftlichen und feindschaftlichen Verwerfungen der Vergangenheit, aber unter Betonung des gemeinsamen Blutes, erklaeren sich beide Parteien, Christian IX. Kronprinz von Daenemark, der Wenden und der Gothen, Herzog von Schleswig, Holstein, Stormarn, Dithmarschen, Lauenburg und Oldenburg und Friedrich VIII von Schleswig-Holstein, unter groesster Respektsbekundung, unter dem strengen Blick des amtierenden Koenigs Friedrich VII. Karl Christian von Daenemark, der Wenden und der Gothen , Herzog von Schleswig, Holstein, Stormarn, Dithmarschen, Lauenburg und Oldenburg, dass Christian IX. Abstand von seinen Erbansprüchen an die Herzogtuemer Schleswig und Holstein, wie vormals im Londoner Protokoll vom 8. Mai 1852 vereinbart, nimmt und sie in Betonung hoechster Wertschaetzung Friedrich VIII. von Schleswig-Holstein ueberlaesst.

Moegen Daenemark und seine dazugehoerigen Laender ewige Freundschaft schliessen, moege Gott Daenemark und Schleswig-Holstein bewahren.
'

Der Vetrag wurde unterzeichnet am 9. November 1863 von Christian von Daenemark, Friedrich August von Schleswig Holstein, Friedrich von Dänemark und Karl Georg Ludwig Guido, Graf von Usedom - Gesandter von Preußen.
"

Als Alfred endete war seine Stimme mittlerweile fast schon heiser vom Sprechen. Mit einer abschätzenden Art sah der Schwede noch ein mal über den Vertrag, als würde er ihn das erste Mal in Händen halten. Erst langsam hob er den Blick mit seiner üblichen Art, die Augenbrauen hoch zu ziehen, wenn er neugierig sein Gegenüber anblickte. Alfred hatte noch einiges zu sagen, doch die Bedeutungsschwere des Dokumentes war ihm bewusst. Aufmerksam sah er in die Runde.

 1. Tatsächlich gründete Alfred Nobel die Fabrik in Geesthacht erst am 20. Juni 1865. Für den Verlauf unseres Spieles hat Menthir jedoch erlaubt, dieses Ereignis vorzuziehen.
 2. Dannebrog
 3. Rolf Krake
 4. Christian de Meza
But I have learned to study Nature’s book
And comprehend its pages, and extract
From their deep love a solace for my grief.

 - A Riddle, 1851

Conrad Rosenstock

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Casus Belli
« Antwort #265 am: 13.04.2012, 21:11:14 »
Erst ist Conrad etwas schüchtern, denn er hatte nicht gerechnet mit so vielen Professoren zu tun zu bekommen. Es war aber durchaus eine besondere Ehre Mommsen hier anzutreffen und mit ihm auf Augenhöhe sprechen zu dürfen, denn so sah es momentan aus. Als Geschichtsstudent wusste Conrad schon einiges über Professor Mommsen. Conrad rang sich letztendlich dazu durch folgendes zu sagen, wenn Herr Nobel vorher schon so ehrlich war:

"Ja, das ist richtig Herr Professor Karsten, ich bin Conrad Rosenstock. Und ich muss mich bei der Professorenschaft hier vor Ort erst einmal entschuldigen, dass ich hier so bewaffnet in den Saal hereinging, als ob wir schon längst im Krieg wären. Ich sehe es aber als meine Aufgabe an Herrn Nobel so gut es geht zu beschützen und ich wollte meine Ausrüstung trotz Vorlesung nicht einfach ablegen. Es ist mir zudem eine Ehre mit ihnen mein Wissen teilen zu dürfen. Die Meinung von klugen Köpfen zu den derzeitigen Problemen kann nie schaden. Der Herr Oberwachtmeister könnte Sie schon entsprechend gut informiert haben, Herr Professor Karsten, aber ich will trotzdem noch einmal mit eigenen Worten vortragen, was Sache ist. Gestern habe ich mich zu Herzog Friedrich VIII begeben. Es ging ihm darum wieder an das Dokument zu kommen, das Herr Nobel besitzt. Er ist ein besserer Mann als der Braunschweiger. Wenn er so ein Mann wie der Braunschweiger gewesen wäre, hätte ich so einen Mann ungern an der Macht gesehen. Aber Herzog Friedrich schien mir ein sympathischer Mensch zu sein. Plötzlich als wir im Gespräch vertieft waren, griffen Herzog Friedrich und alle Anwesenden einige Attentäter an. Karl Schreiber starb bei dem Angriff, als er eine Kugel abfing, die wohl für Herzog Friedrich eigentlich bestimmt war. Er wird demnächst eine würdevoll Beerdigung bekommen. Carl von Lütjenburg, ein Mitstudent, Donald Munro, ein Schotte, Schwester Hermene vom Altenstift und ich schafften es letztlich, dass die Attentäter keinen anderen mehr, vor allem nicht den Herzog ermorden konnten. Herzog Friedrich meinte dann, nachdem die Attentäter zurückgeschlagen wurden, dass dieser Angriff eigentlich den Nobel Brüdern gegolten haben könnte. Ich werde ihnen noch im folgenden die Attentäter so gut es geht beschreiben wie es mir möglich ist." Conrad beschreibt daraufhin die französisch sprechende Attentäterin, die zwei schottischen Attentäter. Den Scharfschützen kann er am schlechtesten beschreiben. So gut konnte er ihn leider nicht erkennen. "Einen Schotten konnten wir gefangennehmen, die Attentäterin konnte wahrscheinlich lebend fliehen, obwohl sie ziemlich blutete, der eine Schotte starb im Kampf, aber der Scharfschütze konnte wohl ziemlich sicher entkommen. Auch war es wohl so, dass die Männer von Herzog Friedrich draußen gegen noch ein paar andere Attentäter kämpften, die auch vertrieben werden konnten. Nach dem Angriff konnte ich mich noch etwas mit Herzog Friedrich unterhalten. Wenn die Nobel Brüder dabei helfen würden ihm sein wichtiges Dokument zu besorgen, würde er beiden Amnestie gewähren. Sie bräuchten sich dann nicht extra einem Prozess zu stellen. Ich bin hier vor allem wieder nach Kiel zurückgekehrt, um die beiden Nobel Brüder zu beschützen. Nur sekundär bin ich wegen dem Dokument in ihrem Besitz hier."

Dann schaut Conrad bloß noch direkt zu den beiden Nobelbrüdern und sagt folgende Worte an die beiden: "Sie befinden sich beide vermutlich in großer Gefahr. Zudem stecken Sie in einer schwierigen Situation. Von ihren Entscheidungen hängt das Leben ihrer Eltern ab. Eigentlich hätte ich diese Diskussion lieber nur mit ihnen und ihrem Bruder geführt, aber es wird schon auch hier in diesem Kreis gehen. Eigentlich ist das Dokument für Herzog Friedrich bestimmt. In dänischem Besitz könnte das Dokument womöglich keine Macht entfalten und vielleicht sogar irgendwie 'spurlose verschwinden', wenn Sie verstehen, was ich meine."

Conrad machte eine kurze Sprechpause und schaut dann konzentriert zu Boden. Er schien zu überlegen, bis er dann nach der kurzen Pause wieder zu den Nobel Brüdern sagte: "Hilft Ihnen vielleicht irgendeine Form von Magie Herr Nobel, um ihre Eltern zu warnen, damit diese sich vor möglichen Attentätern schützen können? Ich könnte mal nachdenken, ob es so eine Möglichkeit hier in Kiel gibt, falls Ihnen das irgendwie hilft."  
« Letzte Änderung: 14.04.2012, 10:07:23 von Conrad Rosenstock »

Menthir

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Casus Belli
« Antwort #266 am: 14.04.2012, 16:59:55 »
7. Dezember 1863 - Am Morgen des Krieges? - 05:11 Uhr - Gut Emkendorf

Der Herzog hatte Carl einen Platz gewiesen, vor dem aufgestellten Schreibtisch, der weitestgehend leergeräumt war, bis auf einen Stapel Korrespondenzen, stand ein Tablett mit Brötchen, etwas Aufschnitt und dampfender Milch. Wahrscheinlich wappnete sich der Herzog mit klassischen Hausmittelchen gegen die Kälte, welche auch in diesem Teil des Hauses zu spüren war. Der brennende Kamin änderte kaum etwas an der Tatsache, dass es frisch war im provisorischen Büro des Herzogs. Er trug gesäuberte Kleidung und zurückgelehnt in seinem Stuhl und aß bereits eine Brötchenhälfte mit irgendeiner Art Salami. Er nickte Carl immer wieder zu, während dieser sprach. Während er mit der rechten Hand das Brötchen führte, schrieb die linke Hand, eine Schreibfeder haltend, die Ideen von Carl auf einem Schmierzettel mit. Es wunderte den preußisches Offizier nicht mehr, dass sich solche Papiermengen bei diesem Mann ansammelten.

"Ich sehe, Sie haben einige Gedanken bemüht. Sehr vorbildlich, Herr von Lütjenburg. Sehr vorbildlich. Lassen Sie uns darüber sprechen.", eröffnete er das Gespräch abermals von seiner Seite aus. Er aß das Brötchen auf und bedeutete mit einer Handgeste, dass Carl nehmen solle. Gekochter Hinterschinken, Bratenaufschnitt, teure italienische Salami, der Herzog ernährte sich morgens scheinbar nur von Fleisch und etwas Backwerk mit warmer Milch. "Ihre erste Theorie deckt sich ziemlich mit meiner, deswegen werde ich dies an das Ende meiner Ausführung stellen. Ihre zweite Theorie schließe ich partout aus, aber partout. Selbst wenn es dänisch-nationale Stimmungen gibt und jene auch dort in den Kabinetten verankert ist, wie bei den verdammten Eiderdänen[1]! Sie würden das nicht wagen, weil Sie sich selbst in die Bredouille bringen würden.
Ihre dritte Theorie könnte jedoch sein, aber ich wüsste von niemanden, der...genügend Interesse und Macht gleichermaßen hätte, um sich in diesen Konflikt einzumischen..."
, er blickte auf und machte entschuldigende Geste. "Bis auf Preußen vielleicht. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich will das den Preußen nicht vorwerfen, aber ein Krieg käme ihnen bei der momentanen, innenpolitischen Lage gerade recht." Der Herzog nahm die zweite, belegte Hälfte hervor, auf der Bratenaufschnitt lag, mit einem betrachtlichen Fettrand. "Aber die Preußen würde wahrscheinlich keine so internationalen Söldner mehr anwenden, außer, um sich Zeit zu verschaffen. Die Preußen brauchen aber keine Zeit, sie würden diplomatischen Druck ausüben, aber keinen martialischen Druck. Was ich sagen will: Ich glaube, dass jemand ein eigenes Interesse an der Sache hat, ja, es bei diesem Interesse jedoch nicht um politisches Interesse geht, sondern um Geld und vielleicht eine andere Art von Einfluss, auf jeden Fall keine nationale Macht. Dies hat zu Spannungen geführt. Die Dänen, die durchaus ein Interesse an meinem Tod haben könnten, haben Söldner beauftragt, um keinen direkten Hinweis auf sich zu liefern. Dabei haben sie eigentlich nicht vorgehabt, mich zu töten, sondern sie wollten nur den Vertrag auslöschen, um mich politisch wieder unter Druck zu setzen. Dieser Vertrag ist aber jetzt nicht hier und sie haben keinen Zugriff drauf, also haben sie versucht, mich auszuschalten, um weiter etwas zu haben, um mit den Dänen verhandeln zu können. Das meint: Die Söldner haben in ihrer Aufgabe versagt und versuchen jetzt die Dänen unter Zugzwang zu setzen, um die Verhandlungen nicht platzen zu lassen. Dank Ihnen, Carl, sind die Söldner gescheitert." Der Herzog nickte zufrieden bei der Zusammenstellung seiner Zusammenfassung und setzte nach, er hob den Zeigefinger, um die Bedeutung seiner Worte hervorzuheben. "Und die Dänen müssen beteiligt sein, denn wer würde von dem Geheimvertrag wissen, wenn nicht die unterzeichnenden Parteien! Oder halten sie Botschafer Guido von Usedom für sowas fähig?"
Interessiert musterte er Carl und schnitt sich ein neues Brötchen auf.
 1. Eiderdänen
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Menthir

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Casus Belli
« Antwort #267 am: 16.04.2012, 14:49:12 »
7. Dezember 1863 - Am Morgen des Krieges? - 12:07 Uhr - Christian-Albrechts-Universität - Alter Hörsaal

Stille. Was Alfreds und Conrads Worten folgte, war nichts anderes als eine greifbare, bedrückende Stille. All jene, die sonst die Krone ihre Fachbereiche darstellten, die nichts anderes gewohnt waren, als Epitome der Gelehrsamkeit zu sein und jenes in möglichst beeindruckenden Worten zu verpacken. Jene Wesen aus Bildung und Rhetorik, sie waren sprachlos, fast geistlos, wenn man nur dem Ausdruck ihrer Mienen glaubte. Diese Professoren, also jene, die sich öffentlich als Lehrer der Geschichte, der Philosophie, der Staatslehre gar ausgaben, standen dort, staunend wie kleine Kinder, die erstmalig nach einem harten und schwülen Gewitter den Regenbogen sahen, oder in der Sprache der Theologie: Die Gottes Bund mit den Menschen in der Person Noahs sah. Der Regenbogen als Zeichen, dass der Mensch nie wieder in einer Sintflut dieses Ausmaßes ertrinken würde[1]. Dieser Vertrag war - und dies war einem jedem Mann in diesem Saal, der sich mit der Schleswig-Holstein-Frage auseinandersetzte, anzusehen – war im wahrsten Sinne des Wortes ein Manifest der Hoffnung, gleichwohl die Feststellung Lord Palmerstons[2] wohl immer seine wahre Blüte tragen würde: «Only three people have ever really understood the Schleswig-Holstein business—the Prince Consort, who is dead—a German professor, who has gone mad—and I, who have forgotten all about it.»
Wer wusste schon, wer dieser deutsche Professor sein mochte und ob er unter den Anwesenden war, aber es war zumindest Theoder Mommsen, der als erstes über den Zustand der Schockstarre hinwegkam, mit der Ausnahme Himlys, der durchaus ein freundliches und zufriedenes Lächeln zu zeigen begann als er sich vom ersten Schock erholt hatte.
„Meine werten Herren! Da trifft mich doch der Schlag! Ja, ich alter Nordfriese sage durchaus, dass mich da der Schlag trifft! Welch wunderliches Werk durch das Schicksal in Ihre Hände geraten ist, Herr Nobel.“, er glotzte den Vertrag etwas verdattert an und versuchte ihn vorsichtig zu berühren, als würde er an dessen Existenz zweifeln, ohne ihn vorher berührt zu haben. „Ja, Herr Nobel. Sie mögen Ihre Situation als schwerlich betrachten, aber die Vorsehung, so es sie gibt, oder Hegels Weltgeist[3] oder das, was wir auch manchmal Gott nennen, es hat Großes mit Ihnen vor. Dieses Schicksal ist schon sonderbar. Da liegt vielleicht das Schicksal eines ganzen Reiches auf den Schultern von ein paar Männern.“, sagte er fast lachend und blickte auf Conrad an, der von der Rettung des Herzogs berichtet hatte. „Ja, da sind es doch ein paar Menschen, die nun wirklich nicht der kühnste Rochau[4] und der schnippischte Bismarck mit ihrer Liebe für Realpolitik[5] hätten erkennen können, die solch einen Wandel im Laufe der von uns so großartig antizipierten Geschichte bewirken können.“ Er hob den Zeigefinger und legte ihn tippend an die Stirn. „Wenn sie denn nur wollen!“

Jetzt ging aufgeregtes Getuschel durch die Reihen der Professoren, einer unterhielt sich mit dem Nächsten und doch war kaum ein Wort zu verstehen. Sie murmelten in ihre Bärte, blickten zu Conrad, Alfred und Samuel, nickten sich zu. Es war eine Sprache hohen Kontextes, den Außenstehende kaum verstanden, doch klar war, dass sie sich über ein Parlament und die Idee des Liberalismus[6] unterhielten und es Albert Hänel, der seine Stimme erhob, um den Getuschel Einhalt zu gebieten.
„Freunde! Freunde!“ Das Poltern seiner Hand auf dem Pult war so kräftig, dass alle Gespräche abrupt verstummten. „Sie tun mit Ihren ungesagten und doch nun aufkommenden Forderungen den beiden Herren Nobel unrecht. Und zwar gröbstes Unrecht! Herr Mommsen, Sie mögen von der sehr positiven Schicksalshaftigkeit schwärmen, von der Theodor und Justus[7] im Exil noch träumen. Fast alle von uns waren ein Teil des 48er[8] Gedankens, das will ich nicht verhehlen. Doch vergessen Sie nicht, wir alle sollten dies, dass Herr Nobel nicht darum gebeten hat, dass Seine Familie erpresst wird!“ Ribbeck bejahte dies lautstark und blätterte in seinen Unterlagen, aufgrund der Umstände wenig Rücksicht auf Diskretion nehmend. „Das ist wahr! Ich habe Erpressungsunterlagen hier!“ Er hielt seinen Stapel mit Zetteln hoch. „Es ist ein verdammt furchtbares Küchenlatein[9], wenn Sie mir diesen Ausdruck erlauben, aber lasse Sie mich paraphrasieren, was diesen Papieren zu entnehmen ist.
Es befindet sich eine Auflistung mit zuletzt getätigten Geschäften der Nobelgeschäften, mit ihren Immobilien und Aufstellung einer Ahnentafel mit Kommentaren zur Bedeutsamkeit der jeweiligen Beziehungen. Es wird vor allem vorgeschlagen, Emil Nobel zu erpressen und über ihn an Alfred Nobel ranzukommen. Zudem sollen aber weitere Erpressungsvorgänge gegenüber anderen Familienmitgliedern durchgeführt werden. Es tut mir Leid, die Herren Nobel, aber damit sind ihre Brüder und ihr Vater gemeint.“
Ribbeck stoppte kurz, um die Worte wirken zu lassen und Hänels Worte zu unterstreichen, dann fuhr er mit drängender Stimme fort. „Das meiste sind technische Deteils zu Verschlussmechanismen holsteinischer Türen, Funktionspläne über holsteinische Waffen und eine Kartei über die Waffenfabrik Rosenstock.“ Er blickte kurz zu Conrad. „Dort sollten sich einige Söldner mit Waffen eindecken. Die Papiere umfassen unter anderem vier Auftragsschreiben ausgestellt auf die Namen Daniele Nocerino, Erica Lavalle, Sam Grymes und ein Mann, der in den Schreiben nur den französischen Namen für Folterknecht trägt: Le Tortionnaire. Es gibt keine tieferen Einblicke in sie. Ich bin zusammen mit Wilhelm[10] die Aufstellungen der Ausrüstungen durchgegangen und wir haben dadurch erschließen können, woher die Söldner eingeschifft wurden und von wo ihre Auftragsschreiben kamen und woher ihre Versorgung angeschifft wurde.“ Er legte einen Merkzettel auf das Pult und nahm nun die zentrale Position vor dem Schreibpult ein, die anderen Professoren sortierten sich neu. „Wir haben herausgefunden, dass die Söldner mit einem Schiff namens „Endurance“ aus Dover nach Husum kamen und dann über die Landpassage nach Kiel gekommen sind. Dort sind Sie in einer Gaststätte namens „Gerd's Eck“ einquartiert wurden von einem Mann, der John Baker heißt. Er hat dort aber für insgesamt fünf Gäste gebucht. Ein fünfter Mann taucht dort auf einmal auf: Donald Munro.
Ihre Auftragsschreiben kamen aus Wolfenbüttel[11] und sind dreisterweise per Post zugestellt wurden. Ihre Ausrüstung kommt aus zwei Richtungen. Einmal mit der „Eikboom“, einem lübischen[12] Schiff, welches die Waffen aus Kopenhagen nach Kiel brachte. Die Information haben wir, weil Wilhelm Einblick in die Kontorlisten gewinnen konnte und die Waren abgeholt wurden von einem Daniele Nocerino. Das zweite Schiff ist ein russisches Schiff, welches aus dem Großfürstentum Finnland kommen muss, denn es heißt Suudelma. Dieses Schiff könnte ein Problem werden, wenn es Kiel erreicht, denn es heißt, dass es schwere Waffen bringt und diese von diesem John Baker persönlich gebracht werden. John Baker scheint nach den Aufzeichnungen der Anführer der Bande zu sein.“
Er räusperte sich und blickte zu Carl Himly. „Normalerweise würde ich an der Rechtmäßigkeit dieser Papiere zweifeln und schon recht an ihrer Echtheit, aber diese Papiere entstammen dem Besitz von Daniele Nocerino, welcher für die Planung vor Ort zuständig sein soll. Carl Himly hat es gewagt, sich mit ihm einzulassen, um ihm die Papiere abzutrotzen. Unser Dank sollte also Carl gelten.“ Die Professoren klopften auf das Pult und Otto Ribbeck übergab Abzüge der Papiere an Alfred Nobel und eine handvoll Abzüge an Hänel, der auch wieder an Ribbecks Worte anknüpfte. „Das wird sowohl die schwedische Botschaft überzeugen, als auch die holsteinischen Behörden, Herr Nobel. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich sehr schnell für Ihre offizielle Freilassung sorgen kann, alternativ kann der Herr Ohlendorf auch die Arbeit übernehmen. Wie sie möchten.“

Jetzt war es an Thaulow auf das Pult zu klopfen, doch es war sanfter und mit der ganzen Handfläche. „Das ist sehr erfreulich, dass das dann für die Herren Nobel gut ausgehen wird, dennoch möchte ich darum bitten, dass wir unsere Aufmerksamkeit dem Lande widmen und nicht eventuell nur einem Einzelschicksal, zumal wir den Eindruck gewinnen konnten, dass dieses sich im Guten ausgehen mag.“ Thaulow machte eine entschuldigende Geste den Nobels gegenüber. „Aber erlauben Sie mir die Anmerkung, dass ein Krieg eine Sammlung vieler tragischer Einzelschicksale ist und erlauben Sie mir, den Krieg als der Menschheit größte Tragödie zu bezeichnen. Das muss also verhindert werden!“ Jetzt rückte Gustav Karsten an das Pult und Ribbeck macht wieder Platz für den Mineralogen, der eine Hand in der Tasche hatte und mit der anderen beim Sprechen wild gestikulierte. „Mein geschätzter Thaulow hat recht und lassen Sie mich gleich zum Punkt kommen. Obwohl sich der Vertrag in den Händen von Alfred Nobel befindet, ist eine einfache Übergabe an Friedrich VIII. keine Lösung. Dessen sind wir uns alle bewusst. Friedrich, der sich selbst, ohne Zustimmung der alten Stände und ohne das Einberufen eines Parlamentes zum Herzog deklarierte, obwohl seinem Adelsgeschlecht das Herrschaftsrecht vor Jahrhunderten abgenommen wurde, ist ohne Zweifel ein Anhänger eines Absolutismus[13]. Im Ernst, meine Herren, so sehr ich schätze, dass Friedrich dieses Attentat überlebt hat – dafür gebührt Ihnen unser Dank, Herr Rosenstock! - so sehr muss ich erwähnen, dass es kein Zeichen von schleswig-holsteinischen Großmut ist, ausgerechnet auf Gut Emkendorf[14] zu residieren, einer Hochburg der Reventlows[15], die sich durch ihre Treue Dänemarks gegenüber und gegenüber einer dänischen Einheitsidee hervortaten. Diese Schimmelmanns[16] und Reventlows, sie sind dänische Diener! Warum sich also in ein dänisches Herrenhaus begeben? Hat er es als holsteinische Symbolik genommen? Nein! Meine Herren, ich plädiere dafür, dass wir dieses Dokument als Druckmittel für uns nutzen. Und...“ Mommsen vervollständigte den Satz. „...dem ungeteilten Schleswig-Holstein ein regierendes Parlament zu geben. Eine ehrlich Demokratie nach dem Vorbild unserer Bewegung von 1848!“ Die Professoren trommelten wie verrückt auf dem Pult herum, doch es war wieder Theodor Mommsen, der Alfred Nobel anschaute. „Sie können eine wichtige Rolle spielen, sie beide, aber auch Sie, Samuel und Sie, Conrad.“ Er blickte zu den letzten beiden. „Sie könnten einen Krieg verhindern, wenn Sie nur wollen. Grundlage ist der Vertrag, der vor die Garantiemächte muss, bei einem gleichzeitigen Verzicht Friedrichs auf die Herzogswürde beim gleichzeitigen Einsätzen eines sich konstituierenden Parlamentes! Denn der selbsternannte Herzög wäre zu schwach, aber nicht ein einiges Schleswig und Holstein!“ Die Professoren klopften wieder und Hänel schaltete sich noch ein.
„Es wird natürlich nicht ganz so einfach werden. Der Herzog wird das nicht wollen, aber wir können uns seinem Einfluss entziehen. Durch die Papiere der Söldner sind die Herren Nobel nicht auf die herzögliche Amnestie angewiesen! Und vielleicht würde der deutsche Bund uns recht geben, wir müssen die Probleme nur an Preußen vorbeischaffen und uns Österreich zuwenden.“ Himly nickte verstehend. „Ja, die Preußen. Nun ja. Wie dem auch sei. Herr Nobel, ich hoffe Sie sind nicht enttäuscht darüber. Wie Sie sehen, haben die Professoren vollstes Verständnis für Ihre Lage und im Namen aller möchte ich nochmal mein Beileid für jenes aussprechen, was Ihnen in den letzten Tagen alles widerfahren ist. Es muss alles so überfallartig wirken, aber ich gestehe, dass wir Ihnen kaum mehr Zeit lassen können, drückt Dänemark doch wie ein Ungetier auf uns. Daher fragen ich Sie, Alfred, aber auch Sie, Emil, Herr Rosenstock und Herr Weißdorn: Sind sie bereit, Schleswig-Holstein in dieser schweren Zeit beizustehen und den Menschen ein bisschen Selbstbestimmung zu geben? Eine Selbstbestimmung, die dem Volk nicht zusteht. Wir sind Spielball politischer Mächte, die über unser Gedeih und Verderb entscheiden, ohne dass den Menschen auch nur das Wort gegeben wird. Sie werden nicht einmal angehört und so hat es Friedrich mit uns gemacht. Ohne die Partei zu fragen oder auch nur irgend jemanden, hat er sich gleich an allem Volke vorbei an die Garantiemächte gewandt, jeden liberalen Keim erstickend.
Sie sind alles Männer von Bildung! Sagen Sie mir bitte, dass sie helfen oder erklären Sie mir, warum ein sinniger, reeller Mann diesen politischen Mummenschanz mitspielen sollte!“

Carl Himlys Anfrage war sehr ernst gemeint, denn es schwangen glaubhafte Emotionen in seinen Worten mit. Er blickte zwischen Conrad, Samuel und Alfred hin und her, während Emil betreten zu Boden schaute.
 1. „Und wenn es kommt, dass ich Wetterwolken über die Erde führe, so soll man meinen Bogen sehen in den Wolken. Alsdann will ich gedenken an meinen Bund zwischen mir und euch und allem lebendigen Getier unter allem Fleisch, dass hinfort keine Sintflut mehr komme, die alles Fleisch verderbe.“ - Genesis 9, 14-15
 2. Lord Palmerston
 3. Weltgeist
 4. Ludwig August von Rochau
 5. Realpolitik
 6. Liberalismus
 7. Gemeint sind natürlich die Olshausenbrüder
 8. Zur Erinnerung: Märzrevolution
 9. Küchenlatein
 10. Gemeint ist Wilhelm Seelig
 11. 
 12. aus Lübeck
 13. Aufgeklärter Absolutismus
 14. Gut Emkendorf
 15.  Friedrich Karl Reventlow
 16. Heinrich Schimmelmann
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Alfred Nobel

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Casus Belli
« Antwort #268 am: 17.04.2012, 19:41:53 »
Es war eben jene folgenschwere Reaktion der Gelehrten, mit der Alfred Nobel gerechnet hatte. Als die Männer teils reihum, teils durcheinander sprachen, wanderte auch Alfreds Blick zwischen den Professoren umher und beobachtete eingehend. Tatsächlich ließ es sich keiner der Kieler nehmen, zu Wort zu kommen, bis auf den Statistiker Seelig jedoch, der seit der Vorstellung kein Wort von sich gegeben hatte.[1]

Als Himly endete, verfiel Alfred mit nachdenklichem Blick in ein immerwährendes Nicken. Es dauerte einen Moment, bis er das Wort ergriff, auch wenn ihm niemand damit zuvor kam.

"Sie haben ganz gewiss bereits meinen und den Dank meines Bruders, meine Herren," begann der Schwede, und konnte sich nicht entscheiden in welches der erwartungsvollen Gesichter zu blicken. "Und Herr Rosenstock - Der Verlust Ihres Kameraden ist schrecklich. Mein Beileid kommt von Herzen, ich lernte Herrn Schreiber als einen wagemutigen und entschlossenen jungen Mann kennen." In einer dankbaren Geste senkte Alfred kurz den Kopf. Mit einer vorsichtigen Berührung entnahm Alfred den Vertrag aus dem Buch und breitete ihn mit auf den Tisch aus, neben Ribbecks Dokumenten. Fast ebenso sorgfältig klappte er auch seine Laborunterlagen zusammen und legte sie ebenfalls daneben. Als er weitersprach, tippte der zeichnend auf den Buchdeckel.

"Doch Sie haben Recht, werte Herren, es wird noch einiges geschehen um die Angelegenheit Schleswigs und Holsteins. Die Angreiferin, welche Herr Rosenstock erwähnte, beschreibt Frau Lavalle verdächtig nahe. Mit Herrn Nocerino hatte ich bereits das zweifelhafte Vergnügen, zu sprechen - auch wenn ich damals um seine Affiliation nicht wusste. Auch der Name Monro ist mir ein Begriff. Hmm," brummte Alfred mit gerunzelten Augenbrauen. Die Auftragsschreiben der Männer kamen aus Braunschweig - war es zu weit gedacht, den schwarzen Braunschweiger in irgendeine Verbindung mit den Attentätern zu bringen? Unschlüssig schüttelte Alfred den Kopf, noch zu verschwommen waren die Angelegenheiten, als dass er sich einen Reim machen konnte. Sein Blick fiel auf Emil, der in gesenkter Haltung zu Boden sah. In bittender Weise hob Alfred den Zeigefinger und sprach in die Runde. "Sie entschuldigen mich für einen Moment, wenn ich mich mit meinem Bruder berate."

Alfred griff den überraschten Emil sanft am Arm und führte ihn einige Schritte von den Professoren weg. Er seinem Bruder tief aber beruhigend in die Augen, als er sich zu ihm vorbeugte und ihn leise in ihrer Muttersprache fragte: "Was liegt Dir auf dem Herzen? Ist es noch immer die Gram darüber, die Schuld an der Sache zu tragen? Ich bitte Dich, Emil. Es ist Vaters feige Art, sich vor der Welt zu verstecken, so dass nur nichts passieren darf. Du bist ein Risiko eingegangen, korrekt, und es hatte für uns bisher nachteilige Konsequenzen, ja. Aber das muss so nicht bleiben! Hörst Du, wir werden die Sache richten. Und außer Dir selbst macht Dir keiner Vorwürfe, mein Lieber."

Aufmunternd lehnte sich Alfred noch ein wenig weiter zu Emil vor. Mit zusammengesteckten Kopfen standen die Nobelbrüder da, als der ältere dem anderen schließlich die Hand auf die Schulter legte.

"Du hast Herrn Ribbeck gehört, Robert, Ludvig und Vater stecken vermutlich auch in der Sache drin. Zum einen heißt es, dass Du ohnehin nichts an der Erpressung hättest können. Zum zweitan aber auch, dass Vater und unsere Brüder gewarnt sind! Sie können dort, wo sie sich befinden, selbst besser auf sich aufpassen. Wie ich sie kenne, zerbrechen sie sich viel eher den Kopf über uns, als dass aus ihrer eigenen Angelegenheit nicht herauskommen."

Alfreds Worte waren zwar aufmunternd gemeint, doch keineswegs ausschließlich so gedacht. Ihr Vater Immanuel befand sich in Stockholm und wusste sich zweifellos durch alte Freunde in Sicherheit zu begeben. Und Robert und Ludvig waren im Zarenreich unabdinglich Persönlichkeiten geworden, an deren Schutz war noch viel weniger zu zweifeln.

"Diese Männer," beendete Alfred schließlich seine Gedanken, "sind unsere Gelegenheit die Sache unbeschadet zu überstehen. Vielmehr, aus ihrem Einfluss sogar einen Gewinn für uns zu finden. Oder zweifelst Du, Bruder? Etwas bedrückt Dich."
 1. Hunch gegenüber der ganzen Runde
« Letzte Änderung: 18.04.2012, 00:41:47 von Menthir »
But I have learned to study Nature’s book
And comprehend its pages, and extract
From their deep love a solace for my grief.

 - A Riddle, 1851

Carl von Lütjenburg

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Casus Belli
« Antwort #269 am: 18.04.2012, 00:33:43 »
Carl setzte sich zu dem Herzog und lauschte dessen Ausführungen. Dabei tat er sich an dem herzhaften Frühstück gütlich und zwar zu genüge. Die Entbehrungen der schicksalhaften Nacht und die lange Ruhe danach hinterließen einen sehr hungrigen Preußen. Dennoch konzentrierte sich Carl nicht nur auf den Herzog und das Frühstück, sondern hielt auch immer ein Auge auf die Umgebung um sie herum, schließlich war er nicht ohne einen Grund hier geblieben.

"Wie ich schon andeutete" setzte Carl an, als der Herzog geendet hatte "gehe ich mit ihnen vollkommen konform was diese zweite Theorie angeht. Solch einen Fehler würden wohl nur solche begehen, denen eine derartige zur Schaustellung von Ressourcen nicht zuzutrauen wäre."

Carl trank etwas von der heißen Milch und spürte, wie die Lebensgeister wieder in ihn hineinfuhren. "Zugegeben, die erste Theorie, welche besagt, das Dänemark zum Diebstahl der Verträge Söldner angeheuert hat, die nun mehr oder weiniger eigenständig operieren ist sehr plausibel, aber dennoch möchte ich meine dritte Theorie nicht so leichtfertig aufgeben.

Wie Sie sich denken können traue ich das von ihnen beschriebene Verhalten Preußen nicht zu. Was Graf Guido angeht, kann ich nur sagen, dass ich ihn nicht pesönlich kenne, aber die Vorstellung solcher Niedertracht erscheint mir kaum möglich für einen preußischen Adeligen und Diplomaten. Überhaupt, warum sollte seine Majestät sich nach dem Stand der Verhandlungen erkundigen, wenn es nicht Preußens ureigener WIlle wäre, dass diese Zustande kämen.

Ich mag nun also nicht wahrhaben, dass Preußen, meine Heimat, solcher Söldner bedient und so ganz gegen die eigenen Tugenden ins Felde zieht, dennoch sehe ich hier und da einige Indizien, die für einen wissenden Drahtzieher im Hintergrund sprechen.

Sie selbst haben uns ja berichtet, dass ihr Skriptor nur kurz nach dem Erhalt der Verträge schon überfallen wurde. Das heißt für mich, wenn man nun mal den totalen Zufall ausschließt, dass nicht nur die Existenz der Papiere sondern auch ihre Destination im Vorfeld bekannt sein musste. Wussten die Dänen von ihrem Verfahren mit dem Vertrag und wo er sich befand?

Außerdem haben uns die Söldner hier auf Gut Emkendorf angegriffen. Wenn dies geschah, um die Gebrüder Nobel zu erfassen, so frage ich mich, warum man so sicher war, dass diese hier waren. In Kiel konnte sie niemand beim Einsteigen in die Kutsche beobachtet haben, im Gegenteil, man hätte sehen müssen, dass Alfred Nobel durch mich den Oberstwachtmeister übergeben wurde. Daraus schließe ich, dass das Ziel der Söldner entweder nicht die Nobels waren, oder ihre Informationen von jemandem stammten, der von dem Plan wusste, dass die Nobels zu jener Zeit hier auf Gut Emkendorf weilen würden. Ich denke, dass solche Informationen den Dänen wohl kaum zugefallen sein konnten..."


Carl atmete einmal tief durch und machte eine ernste Miene "Zuletzt werde ich ihnen noch etwas gestehen müssen. Bezüglich Marius Pedersen war ich ihnen gegenüber nicht ganz aufrichtig. Es wird mir nicht zur Ehre gereichen, wenn ich sage, dass ich noch nicht wusste, was ich von Ihnen zu erwarten hatte, als ich hier eintraf und das Marius neben allen Meinungsverschiedenheiten auch immer noch ein Bundesbruder ist. Wie gesagt mag das nichts Ehrenhaftes in meinem nur wenig ehrenhaften Verhalten durchscheinen lassen, aber ich hoffe, dass sie mich dadurch zumindest verstehen können."

Carls Worte waren aufrichtig und so wie er den Herzog ansah, war deutlich zu erkennen, dass ihm eben dieses Taktieren mit Worten und Informationen ein Graus sein musste. "Marius sprach noch am Abend des Schiffsunglück auf einer studentischen Feier von einem Attentat, um ihren Erbansprüchen ein Ende zu setzen. Ich tat es damals als das Gewäsch eines Halbstarken ab, der sich zu profilieren suchte. Doch nach den letzten Erkenntnissen und Ereignissen, die nicht zuletzt Marius selbst beinahe das Leben gekostet haben, neige ich dazu meine erste Einschätzung zu überdenken und frage mich, ob Marius nicht mit etwas prahlen wollte, von dem er wusste das es geschehen würde."


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