Nach einer kurzen Diskussion entschloss sich die Gruppe, den fremden Aguas-Priester mit aufzunehmen. Sie hatten immerhin auch Katarina dabei, wie viel schlimmer mochte dieser Udeon schon sein? Immerhin war er ein gebrechlicher alter Mann, der einen Krückstock brauchte.
Mentaru führte sie zu dem Tunneleingang, der im Vorratsraum hinter der Theke versteckt war, und so gelangten sie wieder in die Tunnel. Und wieder führte der alte Mann sie. Er schien jede Biegung, fast sogar jeden Stein in diesen Gängen auswendig zu kennen.
Udeon erzählte auf dem Weg ein wenig von sich. Auch wenn man es gerade von einem Aguas-Priester nicht erwarten mochte, brach er damit die Spannung innerhalb der Gruppe.
"Hattet ihr auch so viel Glück auf eurem Weg? Ohne Glück hätte ich nicht überlebt. Ich habe ja noch geschlafen, als das alles los ging. Eine junge Priesterin hat mich geweckt. Eine ganze Horde von den wandelnden Toten stand vor unseren Toren, und als sie dann in den Tempel gelangt ist, ist das Mädchen glatt durchgedreht. Sah mich an, als wär ich einer von denen, und ist panisch geflüchtet, nur einen Moment später als der junge Adept, der sie begleitet hat."
Er zuckte mit den Schultern. "Es geht wohl jeder anders mit sowas um. Aguas hat mich gelehrt, dass Angst eine Illusion ist, die man überwinden kann. Mit seiner Macht konnte ich den Tempel unverletzt verlassen. Ich habe die letzten Stunden vor allem versucht, herauszufinden, was eigentlich passiert ist, aber nun bin ich doch müde und brauche einen Platz zum Schlafen."
Sein faltiges Gesicht wurde ernst. "Aber es ist schon seltsam. Es gab keine einzelne Quelle, von der all das ausgegangen wäre. Es gab keine Spuren klassischer Zauberei, ob nun aus göttlicher oder arkaner Quelle. Das Ganze hat eher etwas... wie soll ich sagen... von einem Naturereignis. Aber vielleicht hat auch nur jemand seine Spuren besonders gut verwischt. Sollten Sterbliche dazu in der Lage sein, so etwas hervorzurufen, haben sie sicher auch die Macht, magische Spuren zu verwischen."
Udeon erzählte noch weiter, sprach davon, wie er versucht hatte, die "Toten", wie er sie nannte, mit einfachen Zaubern zu beherrschen - und gescheitert war. Er hatte die Kreaturen schließlich dazu gebracht, sich von ihm abzuwenden oder ihn zu ignorieren, aber die üblichen, einfachen Zauber, die gegen Untote wirkten, hatten versagt. Das war vermutlich auch der Grund dafür, dass seine Tempelbrüder und -schwestern getötet worden waren: Sie hatten sich auf ihre Magie verlassen und waren von den hungrigen Toten überrumpelt worden.
Schließlich kam die Gruppe an einem großen Gatter an. Mentaru betätigte einen Mechanismus an der Seite, und das Gatter ging mit einem Klack auf. "Wir sind fast da", erklärte der alte Mann, "in gut hundert Metern geht es nach oben, und dann kommen wir in einem Lagerraum im Sanatorium heraus."
Und so war es dann auch. In dem Raum fanden sich Vorräte - die meisten aus der Gruppe bedienten sich gleich an Obst, Brot und Wasser, bevor die Gruppe den Raum verließ.
Auf dem Gang begegnete ihnen ein Mann, der offensichtlich zum Wachpersonal des Sanatoriums gehörte. Er war sehr überrascht über das plötzliche Auftauchen der Gruppe. Als Mentaru ihm den Zugang zum Tunnel zeigte, wurden seine Augen noch größer, und er bestand darauf, den Tunnel gleich abzudichten - er schob einen schweren Schrank darauf, damit keine Gefahr bestünde, dass Untote über den Tunnel in die Festung kommen würden.
Der Mann, der sich als Timbar vorstellte, erklärte, dass es noch eine weitere Gruppe Überlebender ins Sanatorium geschafft hatte. Die Leute schliefen inzwischen alle, und er wollte sie nicht weiter stören. Er war aber bereit, auch die neue Gruppe in den Aufenthaltsräume zu führen. Auf dem Weg dorthin erklärte er, dass auch das Sanatorium angegriffen worden war. Nur er und einer der Heiler hatten überlebt - und natürlich die Insassen, um die sie sich nun kümmern mussten.
Doch Schnüffler hatte kaum die Aufmerksamkeit für die Erzählungen Timbars. Der Raum, in den Timbar die Gruppe geführt hatte, war so prachtvoll ausgestattet, wie er es nur in prachtvollsten Herrenhäusern gesehen hatte, in die er eingestiegen war. Es roch nach Blumen, es gab reichlich zu essen, und ein ganzes Heer an weichen Kissen war auf dem Boden ausgelegt worden - es lud geradezu dazu ein, es sich hier bequem zu machen. Damit nicht genug, bot Timbar den Neuankömmlingen sogar an, die daneben gelegenen Waschräume zu benutzen. Nur um eines bat er sie: Leise zu sein, damit sie die Schlafenden nicht weckten...
Es dauerte nicht lange, dann lag auch Schnüffler auf den Kissen ausgebreitet, und die Erschöpfung einer ganzen Nacht zwang ihn in den Schlaf. Es war geschafft, die Nacht war überstanden...