6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 00:00 Uhr
Und so kam es, dass die Studenten dem Drängen und der Anweisung Carls von Lütjenburg, oder Lüttenborg wie es im Plattdeutschen hieß, nachkamen. In der Tat hatten die meisten Studenten zumindest warme Kleidung und einen verstärkten Rock mitgenommen, um Wetter und einem Duell trotzen zu können. Alle Studenten hatten zumindest ihre Fechtwaffe dabei, die wohlhabenderen Studenten und jene, welche ebenfalls schon gedient hatten, besaßen auch das ein oder andere Gewehr in Form einer Schusswaffe. Schnell hatten sie sich in Einsatzbereitschaft versetzt, so man denn bei jungen Männern davon sprechen konnte, die größtenteils Maulhelden und kleine, nationale Funzeln voll sehnsüchtigem Pathos waren, aber definitiv keine gestandenen Soldaten oder Vaterlandsverteidiger, in welchem Sinne man dieses Wort auch auffassen mochte. Immerhin reichte die Fechterfahrung und der Befehl Carls, sodass sie sich innerhalb weniger Minuten bereit gemacht hatten. Manche Studenten zierten sich jedoch deutlich, deuteten an, dass sie zu betrunken waren, auch wenn sie eben noch geradeaus gehen konnten und die Sprache noch nicht schwer wurde. Manche hatten tatsächlich keine wetterfeste Kleidung oder eine Waffe dabei, weil an Ehrentage nicht so häufig gefochten wurde. Zudem war das Wetter bescheiden, und die vielen Studenten im Inneren des alten Hauses verhinderten, dass der Innenraum zum Paukboden werden konnte. Elf Studenten folgten Karl, Carl und Conrad hinaus, darunter auch der große, stämmige Paul.
Es war nass und kalt, der Regen prasselte in der Wucht eines vaterländischen Crescendos, wurde also stärker und stärker, als würden ganze Kübel über den Studenten, Alfred Nobel und der Nonne Hermene ausgeschüttet. Der Regen war mit kaltem, harten Hagel durchmischt und donnerte nun auf die Blechdächer der umliegenden Lagerhallen am Hafen und erstickten die Geräusche, welche von der Förde in die Stadt drangen. Nur wer gute Ohren besaß, konnte erahnen, dass das Donnern der Kanonen fortgesetzt wurde. Und tatsächlich, nachdem die Studenten den Weg zur einer der vielen Kaizungen
[1] bewältigt hatten, sahen sie die Lichtblitze der abgefeuerten Kanonen deutlich, die Geräusche schienen dadurch auch wieder deutlicher. Der Wind pustete unerbittlich und kalt, er war eisig und wehte stark aus Ost. Die Winterwinde Russlands würden sicher bald auch Schnee bringen, der Sturm kündigte ihn an. Und zwischen dem eisigen Starkregen mit leichtem Hagel sahen die Burschen und auch immer mehr Schaulustige, die aufgeschreckt oder noch unterwegs waren, dass drei Schiffe sich in einem Gefecht befanden. Durch die Lichtblitze wurde es deutlich. Eine alte und inzwischen brennende Brigg versuchte verzweifelt vor zwei Schiffen zu fliehen. Eines war unverkennbar eine deutlich größere Drei-Mast-Bark
[2] und sie versuchte der langsameren und brennenden Brigg den Weg abzuschneiden. Es faszinierendes Schauspiel, denn das zweite Schiff glänzte bei jedem Feuerschlag silbrig. Ein Panzerschiff, ein nagelneues Panzerschiff
[3] musste es sein. Durch die Dunkelheit war nicht die Beflaggung zu erkennen, aber es zerlegte die Brigg langsam mit einer Breitseite nach der nächsten. Jeder konnte es erkennen, die Brigg würde sich dem Hafen nicht auf einen Kilometer nähern...
Irgendwo in der Nähe hörte man Rufe, sie wurden militärisch gebellt.
"Besetzt den Turm!", war der häufigste Befehl.
"In Reihe angetreten!", der andere. Langsam kämpften sich Freiwillige und Soldaten gleichermaßen aus der Garnison, welche nur zweihundert Meter vom Hafen entfernt war. Es lagen jedoch keine wehrfähigen Schiffe im Hafen. Wenn überhaupt lag am Ostufer, gegenüber des Hafens also, im Trockendock noch ein U-Boot-Entwurf Wilhelm Bauers
[4], obwohl dieses U-Boot wohl auch kaum besser funktionierte als die Brandtaucher. So schienen die Burschen, aber auch die wenigen Soldaten, welche sich jetzt auf den Hafendamm stellten, dazu gezwungen diesem Gefecht zuzuschauen. Keiner würde so wahnsinnig sein und einen Kutter requirieren, um eine riesige Bark und ein Panzerschiff anzugreifen. Wahrscheinlich wurden gerade die Kanonen, welche in den Lagerhallen der Garnison standen, bereit gemacht, falls sich die Schiffe noch nähern sollten. Aber wie wahrscheinlich war es schon, dass zwei Schiffe eine Stadt angriffen? Die Brigg schien ihr Ziel und warum, dass mochte wohl nur der Allmächtige wissen...