Hmm, ich halte das Abdriften der Charaktere in "bösere" Gefilde ja leider nach wie vor für unausweichlich. Der Prozess ist eben vom System und den Regeln selbst gewünscht. Die ganze Corruption/Infamy Sache ist ja im Prinzip nur die regeltechnische Beschreibung des Pfades in die Finsternis.
"Böse" Taten werden mit Infamy belohnt. Rituale und all die Dinge, die das Leben als Heretiker ausmachen, setzen Menschenopfer voraus. etc..
Natürlich spielt die Motivation der Charaktere auch immer eine große Rolle, aber auch da bewegen wir uns bei den "gemäßigten" Charakteren ja noch immer zumindest in der schon sehr dunklen Grauzone von "Rechtfertigt mein Ziel meine Taten? Was bin ich gewillt zu tun, um mein Ziel zu erreichen?"
Ich sehe persönlich einfach das Problem, dass sich der Prozess des "böser werdens" nicht wirklich aufhalten lässt, wenn man dem System und dem Hintergrund treu bleiben will. Natürlich muss beim Abstieg (oder Aufstieg!) in die Finsternis ja nicht jeder persönlicher Ehrenkodex über Bord geworfen werden, aber irgendwann landet man mit Sicherheit mindestens bei, um mal DnD Terminologie zu benutzen, "rechtschaffen bösen" Charakteren.
Ein gutes Beispiel für diesen Prozess ist eigentlich Lamira. Als die Runde begonnen hat war sie ja noch "Ketzerin wider Willen" und wirkte in der Begleitung von Chaos Space Marines und Mutanten eigentlich ziemlich fehl am Platz. Die erste dämpnische Kreatur wurde mit zittrigen Händen und einem Laserstrahl begrüßt und in ihrem Kopf hatte sie immer die Furcht davor selbst zu mutieren.
Einige Zeit später sieht die Sache schon wieder etwas anders aus. Schwer verwundet und auf der Flucht von einer Mission die das Leben alle ihrer Begleiter gekostet hat, schließt sie einen Pakt mit den dunklen Göttern, damit sie ihren Kampf gegen die Inquisition weiterführen kann, auf die sie mittlerweile einen unnatürlichen Hass entwickelt hat. Die Existenz dieser Götter und die Tatsache, dass sie in das Leben der Sterblichen eingreifen können, ist kein Geheimnis mehr für sie.
Wieder einige Zeit später. Erste Mutationen zeigen sich an Lamiras Körper, aber seltsamerweise stört sie der Gedanke gar nicht mehr und sie fühlt sich so stark wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Ihre Sichtweise auf die Welt hat sich seit ihrer Flucht erheblich verändert und das nächste Ziel ist endlich eine Großoffensive gegen das verhasste Imperium.
All die Kernpunkte dieser Charaktergeschichte und die großen Veränderungen wurden eigentlich immer durch das System und seine Regeln unterstützt. Auf der einen Seite ist das meiner Meinung nach ein großes Lob für das System, da es das Erzählen von solchen Geschichten ermöglicht und unterstützt und damit eigentlich genau das tut womit es Werbung macht, aber auf der anderen Seite sehe ich eben die Schwierigkeiten, wenn man versucht "böses" Spiel nach Möglichkeit zu vermeiden während man sich auf einem Pfad zum Dämonenaufstieg befindet. Noch würde es Lamira vermeiden Unschuldige zu töten, falls es ihr irgendwie möglich ist. Aber was ist wenn eines Tages scheinbar "Unschuldige" plötzlich das Wirken der Inquisition zu unterstützen scheinen und sei es nur dadurch, dass sie sich vielleicht weigern Partei für ihre Seite zu ergreifen oder aus Furcht handeln. Plötzlich würde sie diese "Unschuldigen" mit ganz anderen Augen sehen und bei ihrer nächsten Begegnung keine Rücksicht mehr auf sie nehmen. oder vielleicht würde sie sogar sofort denken, dass hier insgeheim der verhasste Feind unterstützt wird.
Versteht ihr was ich sagen möchte? Ich glaube es ist eine Konsequenz des Systems, dass die Charaktere im Laufe der Zeit radikaler in ihren Ansichten und ihrem Handeln werden und, um direkt deine Bedenken aufzugreifen Luther, irgendwann wird man als "normaler" Mensch nur noch schwer Sympathie für sämtliche Handlungen der Charaktere aufbringen können. Ich meine aus Lamiras Sicht und Wahn ist ein Rachefeldzug gegen das Imperium und die Inquisition ja absolut gerechtfertigt, aber als normaler Mensch mit Kantschen Moralvorstellungen ist eine solche Haltung ja nur noch bis zu einem gewissen Punkt verständlich und irgendwann würde man sicher sagen: Ist es nicht vielleicht genug gewesen?
Mit Charakteren wie den Dark Eldar hat man da natürlich noch viel größere Schwierigkeiten, denn sie sind ja vom Hintergrund so geschrieben, dass sie ziemlich eindeutig und ganz einfach böse sind. Punkt. Dort gibt es ja viel weniger Spielraum für Nuancen oder eine langsame Radikalisierung des Charakters.
Man sollte über all diese Dinge aber auch nicht vergessen, dass Forenrollenspiel sehr langsam voranschreitet und wir vielleicht noch Jahre vor uns haben, bevor wir aus diesem Grund die Runde vielleicht abbrechen müssen.
Zumindest im Moment scheint der kritische Punkt ja noch nicht erreicht zu sein und so wie es aussieht ist der Konsens, dass alle noch immer sehr viel Spaß am Spiel haben und sich dieser vielleicht sogar noch steigert, wenn man ein paar kleine Verbesserungen vornimmt.