Vater: Giovanni Battista Martelli, Padrone der Martelli Truppe (varisische Zigeuner- und Gauklertruppe). Tot.
Mutter: Enat MacBhradain, Tochter eines Gewürzhändlers in Restov. Flüchtig.
Geschwister: zwei Brüder und eine Schwester: Giacomo (11), Luciano (9), Gemma (8); Nachname Martelli. Dazu Halbbruder Leif (7). Alle vor knapp 7 Jahren das letzte Mal gesehen. Mit etwas Glück sind sie noch beim Gauklertrupp, der jetzt aber anders heißen wird.
Verwandte mütterlicherseits: Owain MacBhradain (Großvater), Lorne (Onkel), wohnhaft in Restov.
Verwandte väterlicherseits: hat Finlay nie zu Gesicht bekommen. Sein Vater hat zwei ältere Brüder und einen jüngeren, mehr weiß Finlay nicht. Nicht einmal, ob die drei noch leben. Schwester gab es keine.
Liebe seines Lebens: Rhianna Gryffyth, Tochter eines Handwerkermeisters aus Neu-Stetven, inzwischen verheiratet und wohnhaft in Silberheim. (Silverhall)
I Die Eltern (Anzeigen)
Die Mutter
Enat MacBhradain wuchs im Hause ihres Vaters Owain MacBhradain auf. Als sie 10 Jahre alt war, starb die Mutter wenige Monate nach der Geburt des kleinen Bruders (Lorne), sodass Enat sehr jung die Verantwortung für Haushalt und Brüderchen übernehmen musste. Überhaupt bestand in Rostland das Leben aus harter Arbeit, gerne auch "ehrliche" Arbeit genannt, was soviel hieß, dass jegliches Vergnügen als nicht ehrbar galt. Den Männern wurde lediglich das Feierabend-Ale in der Taverne gegönnt; den Frauen nicht einmal das.
Enat war 15, als sie sich dem feurig-charismatischen Giovanni Martelli, Anführer des gleichnamigen varisischen Gauklertrupps, hingab. Er zog weiter, sie war schwanger. Als der Junge (im dritten Monat des neuen Jahres) geboren wurde, nannte sie ihn Finlay.
"Das passt gut zu unserem Nachnamen. Bhradain, das ist Alt-Taldane für Lachs, weißt du? Und klingt Finlay nicht wunderbar nach etwas, das im Wasser schwimmt? Meine Eltern haben da ja gar nicht mitgedacht. Haben mich 'Enat' genannt, das heißt 'Feuer'. Das passt doch gar nicht, Feuer und Lachs! Außer, man möchte gegrillten Lachs essen. Aber ach, ich sollte darüber keine Scherze machen. Es ist zu viel Feuer in mir! Ob es der Name schuld ist oder etwas anderes: das Feuer hat mich schon meine Ehrbarkeit gekostet und das Feuer gibt mir diese Unruhe ins Herz. Fort, fort von hier will ich! Bin nicht zufrieden in meinem kühlen Teich und bin doch hier gefangen. Dir soll es da einmal besser ergehen, deshalb nenne ich dich Finlay: damit du in deinem Teich, dem man doch nicht entkommen kann, zufrieden sein mögest."
An diesen Worten der jungen Mutter erkennt man zwei Dinge: erstens, ihren Charakter (leidenschaftlich, rastlos, im tiefsten Herzen rebellisch) und zweitens, dass sie keine Ahnung von Lachsen hat. Nicht im Teich schwimmen diese Tiere umher, sondern im großen, weiten Meer, außer wenn sie zum Laichen die Flüsse hochschwimmen (und niemals wieder hinab, denn sie verenden kurz darauf. Man könnte das, auch wenn es die Metapher ein wenig überspannt, so sehen: kurz, nachdem sie sich in Fleischeslust vereint haben, sterben sie, und der Fluss wird ihr Grab.) Der Lachs, jedenfalls, ist ein Wanderer unter den Fischen, also war es vielleicht der Nachname, nicht ihr Vorname, der Enat die Reiselust und die getriebene Leidenschaft eingab; der Name "Finlay" schützte ihren Sohn zumindest nicht davor.
Doch der Vergleich mit dem Teich hinkte noch aus anderem Grund: obwohl Enat ihn sich als unentrinnbares Gefängnis und den Rest ihres Lebens als kalt und düster vorstellte, sollte sie der Enge und Freudlosigkeit ihres Elternhauses schon bald entkommen. Denn noch im selben Sommer kehrte Martellis Gauklertrupp nach Restov zurück, und als er diesmal wieder aus der Stadt verschwand, verschwand auch Enat MacBhradain.
Natürlich hatte sie anfangs in vielerlei Hinsicht Schwierigkeiten, sich an das neue Leben zu gewöhnen, andererseits blühte sie regelrecht auf. Sie wurde von der gesamten Truppe mit überschwänglicher Herzlichkeit aufgenommen, die der eher einsam aufgewachsenen Händlerstochter wie Wasser in der Wüste vorkam. Und die Freiheit! Nicht mehr ständig auf die "Ehrbarkeit" achten zu müssen, darauf, was wohl die Nachbarn sagen: Ketten fielen von ihr ab! Und es stellte sich heraus, dass sie ein großes Geschick mit den Tieren, besonders Pferden, hatte, und einiges gymnastisches Talent, sodass sie bald eine eigene akrobatische Pferdenummer bekam.
Um den Sohn kümmerte sie sich eher wenig. Nachdem sie sich sieben Jahre lang um ihr Brüderchen hatte kümmern müssen, hatte sie erst einmal genug von kleinen Kindern, brauchte sie erst einmal Zeit für sich. Und bei den Martelli gab es ja immer genügend Leute, die sich gerne um den Jungen kümmerten.
Deshalb ist Finlays ältestes Geschwisterchen auch fünfzehn Jahre jünger als er: erst, als die Mutter sich nicht mehr beweglich genug für die anstrengende Pferdenummer fühlte (und auch nicht mehr attraktiv genug, obwohl sie es durchaus noch war), hörte sie auf, mit diversen Kräutern (die sie bei den Zigeunerfrauen erst kennengelernt hatte) ihren Leib kinderlos zu halten bzw. zu machen, und so bekam sie in kurzer Folge zwei kleine Söhne und ein Töchterchen.
Der Vater
Über die Jugendzeit seines Vaters weiß Finlay eigentlich kaum etwas. Einmal erwähnte dieser dem Sohn gegenüber, dass der eigene Vater ein harter Mann war, der mit seinen Söhnen (sie waren zu viert, keine Schwester) unerbittlich streng war—"Dies nur zur Erklärung", sagte Giovanni zum achtjährigen Finlay, "warum ich gar nicht streng mit dir sein mag. Du bist mein ganzer Stolz, meine größte Freude!"
Auch Finlay liebte seinen Vater sehr, mehr als die Mutter, die sich nur selten Zeit für ihn nahm. Der Vater dagegen nahm sich regelmäßig Zeit für den Sohn, spielte mit ihm und trainierte ihn, erst spielerisch, doch bald sehr gezielt, aber stets achtete er darauf, die Wünsche seines Sohnes einzubeziehen und dessen Talente zu fördern. (Anders als die eigenen Eltern es bei ihm gehalten hatten.)
Komisch kam es Finlay ja schon vor, dass er die Familie des Vaters niemals zu sehen bekam, und er fragte schließlich: "Warum besuchen wir deine Familie nie? Wo doch sogar Opa Owain sich mit dir abgefunden hat und sich freut, wenn Mutter und ich ihn besuchen gehen... warum will deine Familie nichts mit mir zu tun haben?" Darauf antwortete der Vater nur: "Ich will nicht, dass du etwas mit ihnen zu tun hast." Und ein sichtbares Schaudern überkam ihn.
Mit dieser Antwort benügte der Junge sich erst einmal wieder ein paar Jahre, bis ihm eines Tages ein Gerücht zu Ohren kam und ihn beim Vater nachhaken ließ: "Deine Familie, gehören sie zu den Sczarni?"
Da erzählte sein Vater ihm dann die Geschichte, in knappen Worten: Ja, er sei von Geburt her ein Sczarni, auch von der Erziehung, gefragt worden sei er in beiden Fällen nicht. Und ja, er hätte ein paar Jahre lang mitgemacht, wie verlangt, bei allen möglichen Gaunereien. Er hatte sich gerade damit abgefunden, empfand sogar hin und wieder Stolz, wenn er seine Sache gutgemacht hatte und man ihm auf die Schulter klopfte, doch dann lief ein großer Coup gründlich schief. Giovanni war gerade einmal sechzehn.
Zu dritt brachen sie in das Haus eines reichen Kaufmanns ein, und Giovanni stand Schmiere. Von Anfang an schien ihm das Abenteuer unter einem schlechten Stern zu stehen. Schon in der Planungsphase, beim Auskundschaften, und in der Tatnacht dann auf dem Weg dorthin, ging alles mögliche schief—Kleinigkeiten nur, wie zerbrochenes Werkzeug, oder jemand stolperte und verknackste sich den Fuß, sodass ein anderer für ihn einspringen musste—doch es genügte, um Giovanni ein ganz schlechtes Gefühl zu geben.
Seine böse Vorahnung wurde dann aber in einer Weise übertroffen, die er sich in seinen schrecklichsten Alpträumen nicht hätte vorstellen können. Bewohner des Hauses, die an dem Abend eigentlich woanders hätten sein sollen, waren doch zuhause, die Einbrecher wurden erwischt, wehrten sich, es gab zwei Todesfälle: einen der ihren, einen unter den Hausbewohnern, die Stadtwache erwischte sie beim Fluchtversuch—außer Giovanni. Der hielt sich wohl versteckt und floh, sobald es ging. Die anderen beiden baumelten eine Woche später am Strick.
Das war etwas, das die Sczarni normalerweise tunlichst vermieden: sowohl Mord und Totschlag als auch die gerechte Strafe dafür. Und nach dieser Sache verließ Giovanni die Courage, vor allem aber die Einsicht: warum sollten sie so leben? Könnten sie nicht einfach, wenn schon nicht durch "ehrliche" Arbeit, dann doch wenigstens auf legale Weise ihr Brot verdienen? Wie es die anderen fahrenden Variser auch taten? Doch der Vater wischte die Bedenken des Sohnes beiseite, ohne auch nur zuzuhören. Alles sollte weitergehen wie bisher. Noch einmal ein solches Pech würde man schon nicht haben. Doch egal wie sehr Giovanni sich bemühte, er verlor bei der geringsten Gefahr sofort die Nerven. Schließlich muss selbst der Vater einsehen, dass der zweitjüngste seiner vier Söhne einfach nichts taugte, und ließ ihn ziehen. (Er legte ihm sogar nahe, den Trupp zu verlassen, da man niemanden durchfüttern könne, der nicht sein Teil beisteuerte.)
Eine Zeit lang zog Giovanni also allein und krank vor Einsamkeit durch die Gegend. Wo auch immer er Anschluss suchte, wurde er als Bettler, Vagabund oder schlimmeres bezeichnet und davongejagt. Immer unglücklicher und verzweifelter wurde der junge Mann, nicht nur wegen der unerträglichen Einsamkeit, sondern auch, weil die Not ihn doch wieder zu kleinen Gaunereien zwang, damit er überhaupt durchkam. Da hätte er ja gleich bei den seinen bleiben können! (Aber was sollte er tun, wenn niemand ihm ehrliche Arbeit geben wollte?) Doch eines Tages hatte er Glück und traf auf eine fahrende varisische Gauklertruppe, die Ridolfi.
Für Carla Ridolfi war es Liebe auf den ersten Blick. Für Giovanni: eine einmalige Gelegenheit. Carla war leidlich hübsch, hatte ein freundliches, umsorgendes Wesen, und war außerdem die Tochter des Padrone. Aber Giovanni hätte sich auch mit jeder anderen Frau des Trupps zusammengetan, wenn es nur bedeutete, dass er wieder irgendwo dazugehörte! Giovanni war ein Mensch, der Leute um sich brauchte. Viele Leute.
Es wurde also geheiratet, d.h. wie man es bei den Zigeunern halt so hielt: es gab ein großes Fest, Alkoholika in rauhen Mengen, die beiden Hauptpersonen versprachen sich allerlei und alle, die es hörten, waren Zeugen, aber legal und verbindlich im Sinne des jeweiligen Landes, in dem sie unterwegs waren, oder im Sinne irgendeiner Kirche war daran nichts. Ehe bei den varisischen Zigeunern war eine Sache, die nur die Familie etwas anging.
Und so lebte das Paar für viele Jahre glücklich zusammen. Als Papa Ridolfi starb, wurde Giovanni der Padrone und sein Trupp hieß nun Martelli. Alles hätte wunderbar sein können, wenn nur die Sache mit den Kindern geklappt hätte.
Es gab drei Gründe, neben den herkömmlichen, weshalb Giovanni sich so sehr Kinder wünschte:
1. Man will immer das, was man nicht bekommt, und will es umso heftiger, je nachdrücklicher es sich einem entzieht.
2. Er würde so gern all das, was der Vater an ihm nicht recht getan hat, an den eigenen Kindern gutmachen.
3. Er vermisste seine alte Familie sehr: nicht die Strenge des Vaters, nicht die verbrecherische Art des Broterwerbs, sondern die Familienbande. Hier bei den Ridolfi, später Martelli, war er doch mehr "der Mann von unserer Carla" als wirklich das schlagende Herz des Ganzen. Obwohl sein Recht auf den Titel des Padrone nie angezweifelt wurde, fehlte etwas. Wenn er erst eine eigene Familie hätte—wenn sich sein Blut mit Carlas vereint hatte—würde der Trupp endlich "sein Trupp" werden, seine große Familie.
Drei Fehlgeburten später gelang es Carla endlich, ein Kind bis zur Geburt auszutragen, doch leider starb sie dabei, und das Kind nur eine Woche später.
Zu diesem Zeitpunkt hatte Giovanni längst begonnen, sich in den Städten, in denen sein Trupp Vorstellungen gab, unter der Damenwelt ein wenig umzuschauen. Die Affäre mit Enat lag, als Carla starb, bereits neun Monate zurück. Tatsächlich wurde Finlay gerade einmal acht Tage später geboren, kurz nachdem sein kleiner Halbbruder gestorben war.
Als Giovanni und sein Trupp ein paar Monate später also wieder nach Restov kamen und er Enat erneut aufsuchte und sie mit einem gesunden Jungen vorfand, erklärte er ihr seine unsterbliche Liebe und ewige Treue und nahm sie mit.
Leider klappte es auch hier die nächsten fünfzehn Jahre nicht mit weiteren Kindern. So gerne hätte er eine große Familie gehabt! (Das mit den Kräutern behielten die Frauen für sich. Kranke pflegen, das war keine Männeraufgabe, deshalb war auch Kräuterwissen nur was für Frauen. Und die varisischen Frauen, welche die Freiheit genauso sehr liebten wie ihre Männer, aber immer etwas stärker dafür kämpfen mussten, griffen eben manchmal zu solch unlauteren Mitteln.) Doch der eine Junge, den er hatte, bereitete Giovanni große Freude. Und später, als seine Frau Enat—deren er zu dem Zeitpunkt schon ein wenig überdrüssig geworden war—sich von den Auftritten zurückzog, klappte es auch plötzlich mit den Kindern!
Endlich hatte Giovanni alles, was er sich je erträumt hatte.
II Eine Jugend unter Gauklern (Anzeigen)
Die erste Erinnerung
Mit vier Jahren fiel Finlay beim Spielen von einer Brücke in einen kleinen Fluss. Er konnte nicht schwimmen und außerdem war es tiefster Winter. Gesehen hatte es niemand außer dem Spielkameraden, der nichts besseres zu tun wusste, als laut loszuheulen, was aber immerhin den alten Fraser, einen Stadtstreicher, der sich unter der Brücke sein Schlupfloch eingerichtet hatte, auf das Unglück aufmerksam machte. Der alte Mann—dem niemand einen solchen Heldenmut zugetraut hätte, er selbst am wenigsten—sprang ohne Zögern in die eisigen Fluten und es gelang ihm tatsächlich, den Jungen rechtzeitig herauszufischen.
Doch das kleine Feuerchen unter der Brücke reichte nicht aus, sie zu wärmen, und die ersten vier oder fünf Türen, an denen der alte Fraser klopfte, wurden ihnen vor der Nase zugeschlagen. (Er war nicht nur als Stadtstreicher, Bettler und Trunkenbold verschrieen, sondern auch als Betrüger und Tagedieb.) Als er endlich Einlass für ihn und die beiden Kinder fand, hatten er und Finlay sich schon eine Lungenentzündung eingefangen. Der alte Mann, geschwächt von erlittenem Mangel und auch vom vielen Saufen, überlebte den Winter nicht, obwohl die Martelli sich um ihn kümmerten. Finlay aber kam durch, auch wenn es für den Vater eine schlimme Zitterpartie wurde.
Seither ist Finlays Konstitution geschwächt. Von allen Kindern wurde er nicht nur immer am schnellsten krank, seine Krankheiten nahmen auch zumeist einen schwereren Verlauf. Aber niemand konnte je an der Tapferkeit des Jungen zweifeln, wie zäh und verbissen und nahezu klaglos er sich durchkämpfte!
Ein stiller Junge
Finlay war schon immer etwas stiller als die Menschen, unter denen er aufwuchs. Oft beobachtete er lieber, als dass er sich beteiligte. Die Erwachsenen verblüffte er regelmäßig mit seinen klugen Bemerkungen und fast schon weisen Gedanken, die aus dem Mund eines Jungen seines Alters wirklich zu putzig klangen. Bald aber wurden ihnen (außer dem Vater) die Bemerkungen—und damit der Junge—ein wenig unheimlich: sie waren einfach zu treffend! Man fühlte sich durchschaut. Wie konnte es sein, dass so ein kleiner Junge einen so leicht durchschaute? Weiß er überhaupt, was er da redet? Jemand in seinem Alter sollte von so etwas doch noch nichts verstehen. Plappert er jemanden nach?
Doch je älter Finlay wurde, desto deutlicher wurde es: er plapperte niemanden nach. Er durchschaute die Leute wirklich, manchmal besser, als sie sich selbst. Sie begannen, sich unter seinem stillen Blick unwohl zu fühlen.
Und auch die Gleichaltrigen, die bis dahin seine Worte einfach nicht verstanden und daher auch nicht weiter beachtet oder als schlimm erachtet hatten, spürten es allmählich, dass er anders redete als sie, anders dachte, die Welt mit anderen Augen sah. Doch bevor er deswegen ausgegrenzt werden konnte, erkannte Finlay, was los war, und lernte, sich zu verstellen, d.h. im wesentlich einfach seine Gedanken und treffenden Beobachtungen für sich zu behalten. Mit dreizehn ging er mühelos als normaler Junge seines Alters durch, wenn auch hin und wieder etwas still.
Jongleur, Seiltänzer, Feuerschlucker
Wie alle beim Martelli Gauklertrupp, trainierte Finlay von Jugend an viel, oft unter Anleitung des Vaters. Dabei stellte der kleine Finlay sich in fast allen Dingen, die man mit ihm ausprobierte, gleich gut an und ließ sich auch für fast alles begeistern, sodass es dem Vater sehr schwer fiel auszuloten, wo die besonderen Talente des Jungen lagen, in welche Richtung seine eigenen Wünsche ihn wohl trieben.
Eines zeigte sich jedoch bald: Finlay war furchtlos. Ohne zu zögern sprang er durch brennende Reifen, kletterte an den obersten Platz der menschlichen Pyramide, jonglierte mit Messern und brennenden Fackeln, lief über das immer höher gespannte Seil. Nur vor einem hatte er panische Angst: Wasser. Es war wirklich schon lächerlich: ein fast erwachsener Mann, der sich keinen Schritt weit auf die Brücke traute, der die Augen zumachte, wenn die Wagen eine überquerten, der von jeder Flussböschung ein Dutzend Schritt Abstand hielt aus Angst, dort hinabzupurzeln und im Wasser zu landen. Schwimmen lernte er auf diese Art natürlich nie.
Erste Erfolge
Die ersten zwanzig Jahre seines Lebens waren, man kann es nicht anders sagen, glücklich. Er war Teil einer großen Familie, die durch dick und dünn zusammenhielt, hatte einen Vater, der ihn über alles liebte, eine schöne, talentierte Mutter, auf die er stolz war, und eine treue Schar gleichaltriger Freunde. Die Arbeit machte ihm Spaß, auch wenn sie manchmal hart war. Und wenn ihm der Trubel einmal zuviel wurde, konnte er sich jederzeit—außer kurz vor einer Vorstellung natürlich—davonschleichen und ein stilles Eckchen suchen, entweder um sich zur Abwechslung einmal selbst denken zu hören oder aber um die neuen Tricks und Kunststücke, die er sich überlegt hatte, unbeobachtet zu erproben.
Mit vierzehn bekam er seine erste eigene Nummer, mit achtzehn war er mit seiner Darbietung bereits eine von mehreren Hauptattraktionen. (Zu dem Zeitpunkt war seine Mutter schon seit drei Jahren aus dem aktiven Geschäft draußen und gönnte dem Sohn daher seinen Erfolg, sah diesen quasi als Fortsetzung und Bestätigung des eigenen.) Zudem war das zweite Brüderchen gerade geboren worden: ja, mit 18 war das Leben gut und die Welt ein wunderbares Abenteuer.
III Feuer und Wasser (Anzeigen)
Enats Abschied von den Gauklern
Mit 18 lernte Finlay dann—man gastierte zu der Zeit in Neu Stetven—ein Mädchen kennen, Rhianna Gryffyth, und zunächst wurde die Welt noch wunderbarer und das Leben noch abenteuerlicher. In den nächsten beiden Jahren besuchte er sie, so oft es nur ging, stahl sich nachts auf einem Pferd davon wann immer man in Nachbarorten gastierte, die nicht weiter als einen fünfstündigen Ritt hin und zurück entfernt lagen—selbst, wenn eine halbe Stunde mit der Geliebten ihn die gesamte Nachtruhe kostete.
Es war nicht nur das Küssen und das erst schüchterne, dann immer forschere Liebesspiel, das ihm an Rhianna gefiel. (Eigentlich gefiel ihm ja alles an ihr, aber wenn er noch eine Sache besonders erwähnen müsste, dann die folgende.) Mit ihr konnte er offen über alles reden, musste nichts zurückhalten, und sie verstand ihn. Eines Nachts, sie kannten sich schon gut ein Jahr, erzählte er ihr sogar, warum er sich so sehr vor Wasser fürchtete. Flüsse besonders, Seen waren nicht ganz so schlimm. Das fließende Wasser sprach zu ihm, es rief ihm zu, er solle nur herkommen und sich wieder mit seinen kühlen Fluten vereinigen, denn er sei ihm nie ganz entkommen, damals, als er im Alter von vier Jahren in dem eisigen Flüsschen fast ertrunken war. 'Du gehörst mir', flüsterte das Wasser ihm zu. 'Wir gehören zusammen. Ich bin deine Braut, du mein Bräutigam. Eines Tages werden wir wieder vereint. Bis dahin aber werde weder ich, noch sollst du, Ruhe finden.'
"Und deshalb geh ich nicht gern in die Nähe des Wassers. Bitte lach nicht." Doch Rhianna dachte gar nicht daran, zu lachen. Sie nahm ihn in den Arm und hielt ihn so fest, als wolle sie sagen: Kein Fluss soll dich mir entreißen, ich halt dich, ich lass es nicht zu!
Das waren die guten Stunden: wenn Rhianna bei ihm war. Wenn sie nicht bei ihm war, verzehrte er sich nach ihr.
Dann weckte ihn eines nachts—man war in den nördlichen Flussreichen unterwegs—der Geruch von Feuer. Entsetzt fuhr er hoch und sah auch gleich, dass einer der Wagen ziemlich weit hinten brannte. (Finlay schlief im Sommer gern auf dem Dach des elterlichen Wagens, besonders, seit es drinnen immer voller wurde.) Den wild durcheinander laufenden Menschen nach zu schließen, war sein Vater noch nicht dort, um für Ordnung zu sorgen.
Finlay sprang also vom Dach und eilte in den Wagen, um den Vater zu wecken, doch im Wagen schliefen nur die (inzwischen) drei Geschwister. Als er wieder ins Freie stürmte, stieß er fast mit der Mutter zusammen. Sie drückte ihm ein Bündel in den Arm.
"Kümmer dich um ihn, er kann ja nichts dafür." Sie warf einen gehetzten Blick in alle Richtungen, dann einen sehnsüchtigen an Finlay vorbei ins Innere des Wagens. "Kümmer dich um sie alle!" Dann lief sie zu ihren Pferden, machte eines los, schwang sich hinauf—ohne Sattel, ohne irgendwas—und ritt davon.
Finlay starrte ihr einen Moment nach, dann brachte er das Baby hinein, legte es zu Klein-Gemma ins Bettchen, und lief nach hinten zum brennenden Wagen.
Dort wurde schon einiges getan, um die Flammen zu löschen, aber noch sehr unkoordiniert, weil der Padrone fehlte. Finlays Anweisungen—die zu seiner Überraschung ohne Zögern befolgt wurden—brachten aber schnell Ordnung in das Chaos, und bald waren gefährdete Wagen beiseite geschoben worden und die Flammen des brennenden gelöscht.
Der zerstörte Wagen gehörte einer jungen Frau aus den Flussreichen, die zusammen mit ihrem neugeborenen Sohn erst vor einer Woche zu den Martelli gestoßen war. Als man das Gefährt endlich betreten konnte, fand man darin zwei Leichen: einen Mann und eine Frau. Sie waren allerdings weder am Rauch erstickt noch durch die Flammen umgekommen: sie wurden im Schlaf erdolcht.
Bei dem Mann musste es sich, da sonst keiner fehlte, um Giovanni Martelli handeln.
Der erste Schock
Finlay, gerade einmal zwanzig, übernahm also als Padrone die Verantwortung für die Truppe, und als älterer Bruder die für seine drei Geschwister und den Säugling, den die Mutter ihm in den Arm gedrückt hatte. (Der Junge hieß Leif, wie er von den Frauen der Nachbarwagen der Verstorbenen erfuhr.)
Die Ereignisse der schrecklichen Nacht reimte er sich nach und nach so zusammen:
Dass der Vater hin und wieder in den größeren Städten eine kurze Affäre hatte, war dem Sohn nicht entgangen. Es war das einzige, was er am Vater je missbilligt hatte: nicht von wegen der Moral—die Mutter schien Bescheid zu wissen und sich, außer der ein oder anderen bissigen Bemerkung, nicht arg darum zu scheren—doch der Sohn fand, man solle das Schicksal nicht herausfordern, indem man zu gierig war. Die Sczarni waren zu gierig: wollten sowohl die Freiheit, wie sie einem nur die Straße gab, als auch das große Geld. Und der Vater war zu gierig, wenn er auch jetzt noch, wo mit Finlays drei kleinen Geschwistern sein größter Wunsch in Erfüllung ging, statt dankbar zu sein und sich mit der Fülle des Erreichten zufrieden zu geben, wenn er also immer noch links und rechts die Äpfel aus anderer Leute Gärten stahl.
Dass die neue Mitreisende aber die Geliebte des Vaters war, dass er sie offenbar wegen des Kindes—seines Sohnes! Finlays Halbbruder!—zu seiner Truppe geholt hatte, genau wie einst Enat MacBhradain: das war Finlay entgangen. Wie konnte es mir nur entgehen? So blind bin ich doch sonst nicht! Ach, aber ich musste die ganze Zeit nur an Rhianna denken und hab kaum darauf geachtet, was um mich herum vor sich ging.
Seiner Mutter war es nicht entgangen.
Rhiannas Versprechen
So hatte Finlay also über Nacht beide Eltern verloren und sah sich plötzlich—allein und einsam, trotz der vielen Menschen um ihn herum—an der Spitze der Martelli Gauklertruppe. (Er brachte es nicht übers Herz, den Namen in MacBhradain zu ändern.)
Er musste nicht lange nachdenken, um zu erkennen, was er jetzt am dringendsten brauchte (eine ordentliche Truppe benötigte zwei Leute an der Spitze, anders war das gar nicht zu schaffen), wie er all dem Unglück doch noch ein wenig Glück abringen könnte: seine Rhianna musste her.
Nun gab es natürlich einen guten Grund, warum er sich in den vergangenen zwei Jahren stets heimlich mit ihr getroffen hatte: ihr Vater war ein ehrbarer Handwerksmeister—Hoflieferant des Königs gar—der eine Verbindung seiner einzigen Tochter (warum hatten solche Menschen immer nur eine einzige Tochter?) mit einem dahergelaufenen Gaukler, noch dazu zur Hälfte Variser, niemals dulden würde.
Damit stand für Finlay fest (eigentlich von Anfang an): Er würde seine Rhianna zu sich holen, wie der Vater einst seine Enat zu sich geholt hatte. Dass dies 20 Jahre später ein derart feurig-blutiges Ende genommen hatte, konnte Finlay nicht von seinem Entschluss abbringen. Zwanzig Jahre lang waren die beiden glücklich gewesen und Enat liebte ihren Giovanni bis zum Schluss, und wenn der Vater nur nicht... dann... und Finlay selbst würde ja niemals... ach, das eine hatte nichts mit dem anderen zu tun. Er würde seine Rhianna herholen und mit ihr auf immer glücklich sein und damit basta!
Finlay lenkte also seinen Zug, so schnell er konnte, in Richtung Neu Stetven, um seiner Angebeteten den Plan anzutragen. Diese hatte auch prompt schlechte Neuigkeiten für ihm. "Denk dir nur, ich soll den Sohn eines Freundes meines Vaters heiraten, dabei kenne ich ihn kaum! Als Bub, das weiß ich noch, hat er mich immer an den Zöpfen gezogen, richtig bös fest, und mich hinterher 'Heulsuse' geschimpft oder 'Petze', wenn ich zur Mutter gerannt bin." Finlay stammelte erschrocken: "Halt, nein, du kannst ihn nicht heiraten, du gehörst doch zu mir! Komm mit mir, ich bin doch jetzt der Padrone!" Und er beschrieb ihr das Gauklerleben in den schillerndsten Farben, bis ihre Augen glänzten und die Wangen glühten und sie rief: "Aber natürlich, Liebster! Natürlich will ich mit dir kommen!"
Doch als er sie gleich in derselben Nacht noch mitnehmen wollte, da konnte sie sich so schnell nicht von allem losreißen, da schob sie allerlei Dinge vor, die sie zuerst noch erledigen wollte: was sie alles packen müsse! Ihr bestes Paar Schuhe lag beim Schuster zur Neubesohlung, das könne sie am Morgen abholen, und ein neues Kleid vom Schneider! Und von der besten Freundin—nur der allerbesten!—wolle sie sich auch verabschieden. In der folgenden Nacht könne man sich dann treffen, beim Schäferbrunnen auf dem alten Viehmarkt, da sei es bestimmt still und einsam nächtens, da gab es kein Gasthaus und keine Taverne in der Nähe.
Zögernd stimmte Finlay zu. Ihm wäre jetzt und hier lieber gewesen, dass ihnen nur ja nichts dazwischen kam, doch Rhianna ließ sich nicht umstimmen. "Also gut, dann morgen Nacht. Pass nur auf, dass dir niemand drauf kommt, ja? Und sei da!" Rhianna versprach es, und er verabschiedete sich mit einem langen Kuss.
In der folgenden Nacht wartete er umsonst. Als er sich, nachdem er mehrere Stunden auf Rhianna gewartet hatte, ihrem Elternhaus näherte, lag dieses verlassen dort. Er brach ein: niemand daheim als eine alte Magd, die sich seltsamerweise gar nicht sehr erschrak, plötzlich im Nachthemd einem Einbrecher gegenüber zu stehen. "Die Herrschaft ist fort", erklärte sie Finlay. "Wohin, das weiß ich nicht. Aber die Hochzeit ist in zwei Wochen. Und dann wird das Paar die Stadt verlassen."
Zwei Wochen lang suchte Finlay Rhianna vergeblich. Dann kehrte Rhiannas Vater in sein Haus zurück. Abermals drang Finlay dort ein, wollte den Mann zur Rede stellen, doch dieser hatte Wachen angeheuert, die Finlay packten und windelweich prügelten. "Und sei froh, dass sie nicht noch mehr mit dir angestellt haben dafür, dass du mir mein Kind entjungfert hast", knurrte der alte Gryffyth. "Und jetzt hinaus mit dir und lass dich nie wieder blicken, sonst vergess ich mein Versprechen der Tochter gegenüber und du singst wieder im Knabenchor!"
Der Fluss ruft
Während der nächsten Wochen versuchte Finlay sich vorzumachen, das Leben ginge weiter, er könne einfach so weitermachen wie bisher. Er musste doch durchhalten, wegen der Geschwister, nicht wahr?
Man zog weiter, in die Richtung, wohin man zu dieser Jahreszeit sich eben normalerweise wandte. Finlay verbrachte die meiste Zeit in seinem Wagen (außer, er musste ihn lenken). Wegen seiner Auftritte konnte er erst einmal vorschieben, dass er noch zu verletzt sei, dass selbst für eine einfache Taschenspielernummer sein Gesicht noch in zu vielen Farben schillerte. Doch sein Körper, anders als seine Seele, erholte sich rasch und auch sein Gesicht war bald wieder hübsch genug und es gab keine Ausrede mehr, das Publikum murrte schon!
Und so trat Finlay eines späten Nachmittags vor das kleine Halbrund der Zuschauertribüne, wo alles für seine Seiltanz-, Jongleur- und Akrobatiknummer vorbereitet war, und konnte sich nicht rühren. Er konnte aber auch nichts sagen, nicht einmal denken. Stille Tränen rannen über sein Gesicht. Zum Schluss drehte er sich wortlos um und verschwand in seinen Wagen. Er wusste, was er zu tun hatte, wusste es eigentlich schon seit Wochen.
Er schrieb also einen kurzen Abschiedsbrief und schob ihn unter der Tür des Bärendompteurs Rinaldo durch. Rinaldo hatte in den vergangenen Tagen immer wieder so sachte wie möglich ins Ruder gegriffen, wenn Finlay seine Pflichten als Padrone versäumte. In dem Brief stand: "Es tut mir leid, ich bin ein schlechter Padrone. Der Fluss ruft nach mir. Seit 16 Jahren sehnt er sich nach mir: er soll mich endlich haben. Übernimm du. ~Finlay~"
Dann küsste Finlay seine vier Geschwister, die einträchtig beisammen lagen in süßem, unschuldigen Schlaf, zum Abschied auf die Stirn und stahl sich davon. Ohne Rast und ohne Zögern marschierte er die halbe Nacht zum nächsten großen Fluss—die Stimme, lauter und zuversichtlicher als je zuvor, rief ihn schon von weitem—und stürzte sich hinein.
IV Das Leben danach (Anzeigen)
Bruder Oldroyd
Als er wieder zu sich kam, lag er in einem Bett, weicher, als er sein Lebtag geschlafen hatte, und wurde, kaum dass er sich aufrichtete, von einem älteren Herrn in einfacher graublauer Kutte zurück in die Kissen gedrückt. "Ich bin Bruder Oldroyd", sagte er Mann. "Wenn du mich lässt, kann ich dir helfen."
Finlay blinzelte mehrmals, dann schnaubte er verächtlich. Offenbar war er nicht tot, sondern 'gerettet' worden. "Lass mich, mir kann niemand helfen!" rief er. "Erspar mir deine leeren Worte und noch mehr die gutgemeinten Belehrungen. Was ich tu, ist meine Sache, das geht niemanden was an."
"Du bist noch sehr jung", sagte Bruder Oldroyd milde.
"Zu jung zum Sterben, willst du mir einreden? Und ich sage: lass mich!"
Als er sich diesmal erheben wollte, hielt Bruder Oldroyd ihn nicht zurück. Finlay war schon an der Zimmertür, da rief der alte Mann ihm nach: "Die Stimme des Flusses, ich höre sie auch. Gib mir eine Stunde, um dir von ihr zu erzählen."
Misstrauisch, aber auch wider Willen neugierig, wandte Finlay sich um. "Und du wirst auch nicht versuchen mir auszureden, ein zweites Mal zu springen?"
"Nein", sagte Oldroyd. "Das ist deine Sache."
Und Finlay blieb die Stunde und danach sogar noch eine, während Bruder Oldroyd ihm von Naderi, der Verlorenen Jungfer erzählte, Patronin aller Liebenden, die im Leben nicht zusammenfanden, denen sie aber half, dass wenigstens der Tod sie einte. Der Priester redete und redete: von seiner Göttin, ihrer Lehre, seiner Arbeit, und Finlay lauschte selbstvergessen. Die Worte des Priesters klangen vernünftiger als alles, was er in den vergangenen vier Wochen an Trost und Zuspruch zu hören bekommen hatte!
Doch dann machte der Bruder den Fehler, etwas verfrüht anzumerken, dass, wenn Finlay je mit seiner Liebsten vereint sein wolle und sei es im Tod, dass seine beste Hoffnung darauf ein Leben im Dienste Naderis sei. "Und wenn die Liebste dann stirbt, wird der Fluss dich wieder rufen", erklärte der Priester, "und Naderi wird euch im Tod vereinen, und vereint sollt ihr sein in Ewigkeit."
"Ha!" rief Finlay und sprang auf. "Du willst es mir ja doch ausreden! Hältst dich für clever, Alter, und bist es auch! Was soll ich warten, wenn er mich jetzt schon ruft. Ich muss los."
Auch Bruder Oldroyd war aufgesprungen, doch folgte er dem davonstürmenden Finlay nicht, rief ihm nur hinterher: "Weil du es nicht aus Liebe tust, wenn du es nicht mit ihr zusammen tust, sondern aus Feigheit! Weil du es nicht verdient hast, sie im Tod wiederzufinden, wenn du nicht auf sie wartest! Glaubst du denn nicht, dass man im Leben erst einmal etwas geben muss, bevor man im Tod Erlösung findet? Hilf mir, anderen dein Schicksal zu ersparen, dann soll auch deines im Tod sich wenden!"
Finlay ließ sich von diesen Worten nicht aufhalten und doch: getroffen hatten sie ihr Ziel. Denn auf dem Weg zum Fluss gingen sie ihm nicht aus dem Kopf, und als er endlich auf der Brücke stand, von der aus er zuvor sich ins Wasser gestürzt hatte, war sein Entschluss ins Wanken geraten.
Vielleicht hat er recht, vielleicht verdien ich Rhianna nicht, wenn ich nicht mit allen Mitteln um sie kämpfe. Was habe ich schon getan? Zwei Wochen lang habe ich sie gesucht und dann gleich aufgegeben, weil ihr Vater mich ein wenig aufmischen ließ und mir ein wenig drohte. Ja, ein Feigling war ich in der Tat. Das soll mir nicht noch einmal passieren. Aber die Hilfe von Oldroyds Göttin brauche ich nicht, um meine Geliebte zu gewinnen. Ich will Rhianna auch nicht bloß im Tod, sondern im Leben schon! Auf, ich will sie suchen, und diesmal hält mich niemand auf!
Zu den Seinen kehrte Finlay gar nicht erst zurück. Einen Abschiedsbrief hatte er ja hinterlassen und überhaupt wären sie ohne ihn besser dran als mit ihm, und ihm wären sie nur ein Klotz am Bein auf seiner Suche nach Rhianna.
Ein Schwur vor den Göttern
In ihrem neuen Zuhause in Silberheim fand er sie ein knappes Jahr später und drang des Abends, der Gatte war beim Feierabendbier in der Taverne, in ihre Kammer ein. Wie oft hatte er sich diesen Augenblick im Geiste ausgemalt! Wie oft war sie ihm freudig erschrocken um den Hals gefallen, hatte ihn geküsst und geherzt und angefleht: Finlay, Liebster, hol' mich hier raus!
Erschrocken schien Rhianna tatsächlich. Erschrocken wich sie nämlich einen Schritt vor ihm zurück und rief: "Finlay, was tust du hier? Willst du mich ins Unglück stürzen?"
Finlay beeilte sich zu erklären, dass er vielmehr das Gegenteil vorhatte, und beteuerte mit Inbrunst: "Befreien will ich dich. Ich lieb dich doch, wir gehören doch zusammen!"
Da wird Rhiannas Blick weicher. "Finlay, ach Finlay, ich hab' dich ja auch noch recht lieb, aber es hilft doch nichts! Vor einem Priester, der Gemeinde und den Göttern als Zeugen hab' ich ihm Treue geschworen, Treue bis zum Tod!"
Darauf sprach Finlay: "Treue bis zum Tod hast auch mir du versprochen, lange vor ihm. Gilt der Schwur nichts, weil nur der Mond, das Gras und die Sterne ihn bezeugt haben?"
"Wir waren jung und dumm!"
"Und sind es noch, aber wir wissen, was wir wollen! Liebste Rhianna, komm mit mir, lass dich aus diesem Käfig befreien. Willst du nicht frei sein?"
Doch als Rhianna sich nicht überreden ließ, als sie neue Ausflüchte vorbrachte und immer wieder den Gatten erwähnte, dem sie, auch wenn sie ihn nicht liebte, Treue und Gehorsam bis zum Tod geschworen hatte vor Priester, Gemeinde und den Göttern, da entfuhr es Finlay: "Ach, wenn's weiter nichts ist, dann stößt ihm halt was zu! Dann hättest du deinen Schwur gehalten und wärst frei!"
Rhianna erbleichte. "Finlay, nein, das darfst du nicht! Grundgütige Götter, sag', dass du das nicht tust, dass du ihn mir nicht ermordest, er ist doch der Vater meines Kindes!"
Damit war's heraus, was Rhianna die ganze Zeit schon zu verschweigen versuchte. Erst konnte Finlay es nicht glauben, fragte nach, glaubte es immer noch nicht und fühlte schließlich ihren Bauch, um sicher zu gehen, dass sie ihm nichts vormachte: doch ja, auch wenn man es noch kaum sah, so fühlte man es doch schon deutlich. Ein letzter verzweifelter Versuch: "Ja und? Glaubst du, dem Kind würd' die Freiheit nicht besser gefallen als der enge Käfig? Sorgen tät ich für das Kleine, als wär's meins."
Doch im Grunde wusste er längst, dass er verloren hatte. Nicht einmal der gemeinsame Selbstmord, den er als letztes hatte vorschlagen wollen, stünde jetzt noch zur Wahl. Niemals würde sie zustimmen, wenn sie doch ein Kind erwartete! Wie zur Bestätigung seiner Gedanken wich Rhianna erneut vor ihm zurück, diesmal mit angstvoll aufgerissenen Augen und wie zur Abwehr erhobenen Armen.
"Finlay, tu mir nichts! Finlay, ich fleh' dich an, steck das Messer weg! Du wirst mich doch nicht... und das Kind... du wirst uns beide doch nicht..."
Erst wusste Finlay nicht, wovon sie sprach, dann sah er auf seine Hände: tatsächlich hielt er den Dolch in der Rechten! Hatte er wirklich vor... wollte er sie ernsthaft... ermorden? Und ihr dann folgen? War das der einzige Ausweg? Doch halt, ein Mord, was denkst du denn, Finlay, ein Mord kann dich doch nicht mit ihr vereinen. Zurückweichen wie jetzt wird sie vor dir im Jenseits, vor ihrem Mörder, nicht ihn liebend umfangen!
"Eine Locke", stotterte er. "Eine Locke als Andenken, mehr will ich doch nicht! Rhianna, Liebes, glaubst du wirklich, ich könnte dir ein Leid antun? Niemals! Auch dein Gatte soll vor mir sicher sein. Oft genug hast du mich fortgeschickt, also werde ich gehen und in der Ferne auf dich warten. Du wirst mich in diesem Leben wohl nicht wiedersehen, aber im Jenseits, hörst du? Im Jenseits werde ich auf dich warten. Nur eine Locke zum Abschied, die sollst du mir gönnen."
Zitternd stand Rhianna da und sagte nichts. Glaubte sie ihm oder hatte sein Blick zuvor die Absicht nur allzu deutlich verraten? Vorsichtig trat Finlay heran, griff erst mit der Linken in ihr langes, goldenes Haar, bevor er langsam den Dolch hob—ihr dabei in die Augen blickend, sie mit dem Blick beschwörend, sich nicht zu fürchten—und schnitt sich eine Locke herunter. Dann beugte er sich vor—Rhianna versteifte sich, doch weder wandte sie sich ab noch verwehrte sie sich ihm in anderer Weise—und küsste sie auf den Mund. Ein flüchtiger Kuss nur, der ohne Erwiderung blieb.
"Leb wohl, Liebes", sagte Finlay und verschwand auf dem gleichen Weg, auf dem er eingedrungen war. Noch in derselben Nacht tat auch er einen Schwur vor den Göttern.
Zwei Monate später klopfte er an Bruder Oldroyds Tür.
Vom Gaukler zum Priester
Die nächsten sechs Jahre blieb Finlay bei Bruder Oldroyd. Das erste Jahr verbrachten sie in Oldroyds Haus, bis dieser merkte, dass Finlay es kaum aushielt, so lange an einem Ort zu verweilen. Also verkaufte Oldroyd das Haus, man besorgte sich einen Wagen und Zugpferde und zog los, kreuz und quer durch Brevoy und die Flussreiche, dann weiter nach Süden über Galt (aber da blieben sie nicht lang) bis hinunter nach Andoran, Oldroyds alter Heimat.
Oldroyd unterwies Finlay in allem, was dieser wissen musste, um Naderi zu dienen, ihre Lehren zu verstehen und in sein Herz aufzunehmen (und eines Tages hoffentlich auch weitergeben zu können), und Finlay machte aus Oldroyd auf seine alten Tage hin noch einen Mann der Straße.
Nach gut zwei Jahren, als Bruder Oldroyd meinte, Finlay sei inzwischen in den notwendigsten Dingen bewandert, durfte er den Bruder bei der Arbeit unterstützen, und noch einmal zwei Jahre später verkündete Oldroyd, Finlay habe alles gelernt, was er ihm beibringen könne, und weihte ihn zum Priester.
Doch an Trennung mochte Finlay noch nicht denken. Er hatte den alten Mann lieb gewonnen wie einen Vater, vom Alter her wohl eher Großvater, und auch Oldroyd meinte es nicht allzu ernst, wenn er hin und wieder mahnte: "Auf, Junge, du musst hinaus in die Welt! Lass mich Alten zurück." Doch Finlay lachte nur und breitete die Arme aus: "Wir sind doch in der Welt!"
Außerdem waren sie zu zweit erfolgreicher als jeder von ihnen allein. In den letzten vier Jahren hatten sie 16 Pärchen vereint, zehn davon im Diesseits. Der letzte gemeinsame Erfolg—in Oregent, Oldroyds Heimatstadt (ein Fall fürs Jenseits)—war ein besonders kniffliger Fall gewesen, und die beiden liebten sich so sehr, dass es einem schier das Herz zerriss und man nur den Kopf schütteln konnte, warum die Herzen, auf die es ankam, so gar nicht davon berührt wurden, und wie die Familien ohne rot zu werden behaupten konnten, ihre Kinder zu lieben und ihnen doch die Liebe nicht gönnten! Jedenfalls waren Oldroyd und Finlay sehr erleichtert, die Sache zu einem guten Ende gebracht zu haben (auch wenn Finlay es eigentlich immer lieber war, man fände eine Lösung fürs Diesseits) und waren für kurze Zeit sorglos und zufrieden, fast heiter unterwegs, weiter in Richtung Süden.
Dann wachte Oldroyd eines Morgens aus unruhigen Träumen auf, fasste Finlay bei den Händen und rief: "Ach Junge, ich muss los! Meine Liebste ist heute Nacht gestorben, der Fluss ruft mich!"
Und so stand Finlay plötzlich wieder allein da, im fremden Andoran, und wusste erst einmal nicht, wie es weitergehen sollte.
V Wie es Finlay nach Falkengrund verschlägt (Anzeigen)Allein unterwegs: Zu zweit war es einsam genug, aber jetzt allein hält Finlay es kaum aus. Er fängt an, mit sich selbst zu reden. Das hilft zwar ein wenig, aber eigentlich will er's sich nicht angewöhnen, denn es heißt ja, dies sei der erste Schritt zum Wahnsinn. Um trotzdem nicht irre zu werden vor lauter Stille, fängt er das Singen an. Bei den Martelli wurde früher viel gesungen (und getanzt!) und er hat die alten Zigeunerweisen noch alle im Kopf. Die meisten sind fröhlich, doch es gibt auch melancholische oder solche, die vordergründig fröhlich erscheinen (oder so beginnen), tatsächlich aber traurig sind (oder so enden.) Zudem entdeckt er, dass auch die fröhlichen Weisen, wenn man sie einfach etwas langsamer singt, melancholisch klingen. Und so hat Finlay in den letzten Wochen also traurige Zigeunerlieder gesungen und ein wenig Trost darin gefunden. Wenn's nur nicht immer so einen Stich ins Herz gäbe, an die alte Familie und das alte, fröhliche Leben zu denken.
Wohin jetzt? In den vergangenen sechs Jahren hat Oldroyd bestimmt, wo's als nächstes hingeht, auch wenn er bisweilen Finlays Meinung einholte. Davor der Vater, und die Martelli hatten auch so ungefähr ihre "Runde" gehabt, wo sie zu welcher Jahreszeit hin sind. Jetzt wäre Finlay plötzlich völlig frei zu sagen, wohin er wollte - und weiß nicht, wohin er will. Und so fährt er ziellos durch die Gegend, doch bald sind Einsamkeit und Planlosigkeit nicht seine einzigen, nicht einmal seine dringendsten Sorgen.
Geldnot: Oldroyd hat Finlay seinen gesamten Besitz überlassen, darunter jedoch nur wenig Bares, und so ist Finlay kurze Zeit später völlig abgebrannt. Als fähiger Akrobat, Jongleur und Taschenspieler hat er eigentlich geglaubt, sich problemlos überall durchschlagen zu können. Aber Andoran ist ein seltsames Land. Es gibt hier unüberschaubar viele, und dazu die seltsamsten, Gesetze und Bestimmungen. Immer wieder wird er, auch im kleinsten Städtchen noch, nach seinem "Stadtzeichen" oder seiner "Sondergenehmigung" gefragt und, wenn er zugeben muss, dass er nicht einmal weiß, was das sei, wegen unerlaubter Bettelei oder Landstreicherei davongejagt, einmal gar aus der Stadt gepeitscht und geprügelt.
"Was, bitte schön, ist ein Stadtzeichen?" fragt Finlay beim ersten Mal. -
"Na, ein Bettelzeichen halt." -
"Und was, zum Henker, ist ein Bettelzeichen?" -
"Na, das braucht man, wenn man hier betteln will." Finlay verkneift sich die offensichtliche Frage: eine Genehmigung zum Betteln? Im Ernst? Wie könnt ihr Andoraner behaupten, das einzig freie Land zu sein, wenn man hier nicht einmal ohne offizielle Genehmigung seinen Nächsten um ein Stück Brot oder eine Kupfermünze anbetteln darf? Stattdessen stellt er klar:
"Aber ich will doch gar nicht betteln, ich bin Gaukler, Feuerschlucker, Akrobat!" Doch da sieht die Obrigkeit in Andoran offenbar keinen Unterschied. Mehrmals muss Finlay sich sagen lassen, in weitaus derberen Worten als den folgenden:
"Was macht ein Gaukler, der an Straßenecke ein paar Possen reißt, schon anderes als der Bettler, der dort seine Hand ausstreckt und seine jammervolle Geschichte erzählt? Nichts!" -
"Ja, gibt es hierzulande denn keine Artisten?" fragt Finlay zurück,
"keine Spielleute?" -
"Artisten gibt's auf dem Jahrmarkt, seltsames Volk, muss man im Auge behalten!" bekommt er zur Antwort.
"Und die Gilde der Spielleute hat in jeder größeren Stadt eine Niederlassung. Und jetzt scher dich hinaus!"Nicht einmal zwei Monate nach Bruder Oldroyds Tod steht Finlay, mit Pferd und Wagen, aber noch immer ohne Plan, wieder vor Oregent.
Ärger in Oregent: Von einer großen Stadt wie Oregent hätte er sich ja eigentlich mehr Toleranz erhofft (oder, dass die Stadtwache etwas besseres zu tun hat, als sich um so einen Kleinkram zu kümmern). Stattdessen kommt hier alles schlimmer: die Stadtwache hat nichts besseres zu tun, als ihn zu schnappen, und der Richter verdonnert ihn, statt zu einer Prügelstrafe, zu einer sechsmonatigen "Umerziehung"—in anderen Ländern hieße das wohl Zwangsarbeit, aber der Richter besteht darauf, dass man hierzulande arbeitsscheues Gesindel wie ihn auf diese Weise wieder zu ehrlicher Arbeit erziehen wolle—damit er der Gesellschaft nicht länger zur Last fallen, sondern in deren Schoß zurückkehren möge. Dabei kommt der Mann sich noch milde vor, erklärt Finlay mit väterlicher Stimme die Gesetzeslage (s.u.) sowie die Absicht hinter der von ihm verordneten "Maßnahme" und versichert ihm treuherzig, dass Finlay ihm hinterher sogar dankbar sein werde und einsehen müsse, dass der einzige Weg zu einem erfüllten Leben die ehrliche Arbeit sei.
Bettelordnung von Oregent (Anzeigen)... so ungefähr, wie Finlay die Sache verstanden hat, aber vielleicht hat er ja auch nicht alles richtig verstanden?
- 1. Erlaubt ist das Betteln den arbeitsunfähigen Einheimischen. Sie erhalten besondere Bettelzeichen (auch "Stadtzeichen" genannt), welche sichtbar zu tragen sind.
- 2. Behinderte haben Sonderstatus: „Die nicht Krüppel, lahm oder blind sind, sollen an keinem Werktag … an der Bettelstatt müßig sitzen.“ Alle arbeitsfähigen Bettler dürfen an den Werktagen also nicht betteln.
- 3. Fremde Bettler werden der Stadt verwiesen.
- 4. Betteln ohne Erlaubnis wird bestraft, bei Wiederholungstätern härter als bei Ersttätern, von Haftstrafen (aus denen die Angehörigen oder man selbst sich, ironischerweise, freikaufen kann) bis hin zu Brandmarken und öffentlichem Auspeitschen, oder – besonders fortschrittlich: Arbeitsdienst und "Umerziehung."
- 5. Werden Kinder zur Bettelei eingesetzt ("zum Betteln erzogen"), fallen die Strafen härter aus.
- 6. Betrügerisches Betteln (Vortäuschen von Krankheit, falscher Geistlicher/Pilger, etc.) wird aber noch härter bestraft.
- 7. Ausnahmeregelungen (also, dass sie nicht invalid sein müssen und auch aus fremden Städten sein dürfen) gibt es für bedürftige Schüler, Gesellen und Geistliche auf Wanderschaft, Pilger und Kinder unter 13 Jahren. Diese erhalten Erlaubnisscheine und/oder etwas unauffälligere Bettelzeichen. (Wenn sich aber rausstellt, dass die Kinder bloß von Erwachsenen vorgeschickt werden, dann droht diesen Anstiftern/Ausbeutern eine harte Strafe, s. 5.)
- Es folgt eine Definition von (ebenfalls verbotener) Landstreicherei, die das, was Finlay darstellt, ziemlich genau trifft. Jahrmärkte mit Artisten und anderen Vorstellungen gibt es natürlich, Spielleute (in einer Gilde?), die auf Festen vorspielen, etc., aber ein einzelner, fremder, mit keiner Organisation assoziierter Gaukler, der sich einfach an die Straßenecke stellen will... ha, das kann ja nur ein Gauner sein, ein Bettler, Betrüger, Vagabund!
Egal wie sehr Finlay protestiert, dass die Gaukelei harte, ehrliche Arbeit sei, dazu eine hohe, schwer erlernbare Kunst, sein Tun also kaum als verbotene Bettelei bezeichnet werden könne—
"Es ist doch kein Betteln, wenn Leute mir Geld geben, weil ihnen meine Darbietung gefallen hat, und im übrigen erfüllt die Gaukelei mein Leben sehr!"—egal also, was er sagt, der Richter bleibt dabei: weil er weder ein Stadtzeichen besitzt noch Mitglied einer hiesigen Gilde ist, hat er sich strafbar gemacht und müsse umerzogen werden. Einen Freikauf dürfte er sich ja wohl kaum leisten können, denn der koste zwanzig Gold pro Monat erlassener Haft.
Das hat Finlay auch noch in keinem anderen Land erlebt, das hört er zum ersten Mal hier in Andoran: von fast jeder Strafe (oder zumindest von fast jeder
Haftstrafe) kann man sich freikaufen!
Was Finlay natürlich sofort tut, auch wenn er Wagen und Tiere verkaufen muss, unter Wert noch dazu für schlappe 110 Gold, damit er die 120 Gold Strafe zahlen kann. Und nun steht er erst recht da und weiß nicht, was er tun soll. Nur soviel ist klar: nichts wie raus aus Andoran!
Und so lenkt Finlay seine Schritte nun in gezielter Hast in Richtung Norden, auch wenn er noch immer nicht weiß, wo genau er hinwill. In die Flussreiche? Zurück nach Brevoy? Oder vielleicht möchte er endlich auch einmal nach Varisia: dort ist das Gauklertum bestimmt nicht so verpönt wie hier. Da er also noch nicht weiß, ob er in den äußersten Nordosten oder in den Nordwesten möchte, führt sein Weg erst einmal genau nach Norden.
Nach Falkengrund kommt er zum einen, weil es von Oregent aus gesehen Richtung Norden liegt, zum anderen hat er von dem Jahrmarkt gehört, der hier stattfinden soll, und hofft, sich auf diesem anheuern zu lassen, denn sein Geld reicht ihm nicht bis zur Landesgrenze. Irgendetwas muss er tun, oder er kann gleich irgendwo einbrechen oder Beutel schneiden.
Auf zum Droskarfels: Völlig abgebrannt wie er ist, lässt Finlay sich vom Holzfürst fast ohne Zögern anheuern, wobei er - in seiner Verzweiflung ein wenig großspurig - seine Dienste unter anderem in der Beseitigung von Hindernissen schließtechnischer oder sonstwelcher mechanischer Art anbietet. Und: "Ein bisschen mich um Wunden kümmern kann ich auch." Wie es weiter geht und man schließlich in der Grube landet: s.
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