17. Marpenoth im Jahr des Aufstiegs des Elfenvolkes 1375 TZDas Gefangenenlager Grennokah im Nordwesten von SembiaAuch wenn der Sommer bereits vergangen ist und die Blätter vielfach schon von den Bäumen fallen, brennt an diesem Tag die Sonne heißer als man es erwarten würde. Das staubige Tal am Fuß der Donnergipfel wird dadurch wie schon an vielen Sommertagen zum einem heißen Kessel, in dem die Luft die Männer und Frauen noch weiter niederdrückt, als es ihr Schicksal so oder so tut. Denn das Tal, das den Namen Grennokah trägt, ist mehr als ein einfaches Tal. Es ist ein Gefangenlager, das nur wenige Wochen nach dem Ende des Kampfes um Sembia von den Umbravar persönlich eingerichtet wurde. Und es ist ein ganz besonderer Ort. Denn nicht nur die unzugänglichen Felswände und der reißende Gebirgsstrom halten die Insassen von der Flucht ab, sondern auch das Vermächtnis der Zeit der Sorgen, das diesen Ort gezeichnet hat. Zur Freude der Schattenweber ist Mystras Gewebe hier zerfetzt worden und die Fäden, die es den meisten Magiern und Priestern Faerûns ermöglichen, ihre Magie zu bewirken, durchdringen diesen Ort nicht. Niemand würde mit Magie von hier entkommen und einen anderen Fluchtweg gibt es nicht. Denn zusätzlich zu dem reißenden Strom haben die Umbravar eine Mauer am anderen Ufer errichtet, damit niemand, wenn er die reißenden Wasser wider Erwarten durchschwimmen konnte, ihnen auf der anderen Seite entsteigen kann. Ein Wasserfall verhindert, dass man sich einfach flussabwärts treiben lässt und auch der beste Schwimmer kann sich nicht gegen die Strömung stemmen und flussaufwärts schwimmen.
Grennokah ist das perfekte Gefängnis aber es ist noch mehr als das. Es ist ein Arbeitslager, in dem die Gefangenen gezwungen werden, für ihr Essen nach Erz zu schürfen und Ausgrabungen in merkwürdigen alten Ruinen durchzuführen. Eine Gruppe von Gefangenen, die sich selbst „Aufseher“ nennt, hat die Kontrolle über diese Arbeiten übernommen und sie sind es auch, die die Nahrung an die übrigen Insassen verteilen. Einmal jeden Zehntag erschafft ein Arkanist eine Brücke aus Schatten, die zum anderen Ufer führt, und lässt die Fördernisse des Zehntages von Krinth-Sklaven abholen. Diese Sklaven sind es auch, die die Nahrungsmittel für die Gefangenen bringen. Manchmal schleppen sie auch neue Arbeitskräfte in das Lager.
Dies ist ein solcher Tag und die Krinth haben gleich zwei gefesselte Gestalten über ihre Schultern geworfen: eine junge Frau mit wildem schwarzen Haar und einen jungen Mann, der kaum dem Knabenalter entwachsen scheint. Die Krinth werfen die zwei neben den Körben mit Nahrungsmitteln auf den Boden, durchschneiden ihre Fesseln und schütten ihnen einen Eimer Wasser ins Gesicht, sodass sie wach werden. Keiner der Gefangenen macht den Fehler sich diesem Schauspiel zu nähern, diese Lektion lernt man schnell in Grennokah. Denn die Krinth würden ihre Waffen benutzen und der Arkanist, der auf der anderen Seite der Brücke auf der Mauer steht, würde nicht zögern seine Magie einzusetzen und den närrischen Gefangenen ein schnelles und endgültiges Ende zu bereiten. Die Sklaven der Umbravar ergreifen die schweren Kisten mit Erz und den Korb mit archäologischen Funden, um sie wieder auf die andere Seite der Brücke zu bringen. Das ganze dauert etwa eine halbe Stunde, in der die zwei neuen Insassen langsam zu sich kommen. Dann verschwinden die Krinth, der Arkanist und die Brücke mit ihnen.
Ab diesem Moment übernehmen die Aufseher. Alle Gefangenen – insgesamt etwa 70 – haben sich hier versammelt. Die Aufseher haben mit Waffen in der Hand einen Ring um die Nahrungsmittel gebildet und zwei von ihnen stoßen die Neuankömmlinge in die Menge der wartenden Insassen.
Die Oberaufseherin, eine zwei Meter große Halborkin mit einem beinahe genauso langen Schwert, stellt sich auf eine Kiste, sodass alle sie sehen können:
“Ich erkläre euch die Regeln von Grennokah: Wir sind die Aufseher und ich bin Agonotheta. Ich spreche für die Aufseher. Wir koordinieren die Arbeiten und die Verteilung der Nahrung. Folgt unseren Anweisungen und ihr werdet hier gut leben. Arbeitet hart und ihr erhaltet eure Rationen. Widersprecht uns nicht und ihr dürft eure Besitztümer behalten. Verweigert die Arbeit und ihr hungert. Widersprecht uns und wir nehmen euch alles, was ihr am Leib tragt.“ Die breiten Schultern der Halborkin und ihrer Anhänger machen deutlich, dass es nicht klug wäre sich ihnen zu widersetzen, denn egal, welche Macht und welche Stellung man außerhalb von Grennokah besessen hat, hier zählt nur die Kraft der eigenen Muskeln. Die Halborkin blickt noch einmal in die Runde, während ihre Aufseher die Kisten und Körbe mit Nahrung ergreifen:
“Rationsausgabe ist bei Sonnenuntergang.“Anschließend marschieren die Aufseher geschlossen mit der Nahrung zu ihrem Quartier und bringen das Essen in die Lagerhäuser, die sie von ihrem Quartier aus kontrollieren. Indessen sammelt sich die Menge der übrigen Insassen, um die beiden Neuankömmlinge. Es ist noch etwa eine Stunde bis Sonnenuntergang und es gilt zu erfahren, wer neu zu ihnen gestoßen ist.