• Drucken

Autor Thema: Heiliger Boden  (Gelesen 114878 mal)

Beschreibung: Kapitel 1

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Harry Webster

  • Beiträge: 822
    • Profil anzeigen
Heiliger Boden
« Antwort #240 am: 02.11.2014, 20:56:57 »
Harry hatte dem kurzen Gespräch der beiden nur mit halbem Ohr gelauscht, so abgelenkt war er von den filmreifen Verführungsszenen, die sich in seinem Kopf abspielten und in denen, aus nicht ganz verständlichem Grund, Leder eine große Bedeutung spielte. Und Handschellen. Und Eis.

Handschellen? Ach hör mir bloß damit auf. Das ist gar nicht witzig!

Und so bekam Harry nur den einen Satz mit, den die Kriegerin in seine Richtung gesprochen hatte.

"Ein Getränk spendieren, ja glaubt Ihr's, das wollt ich sowieso, werte Dame!" sagte Harry, doch Aria Sturmfels hatte sich bereits wieder Henry zugewandt. "In Ordnung, ich hol dann einfach mal 'ne Runde Bier. Rillfarsell, wollt Ihr noch was?"

Er stand auf, schlug seinen Mantel zu, nahm noch die Bestellung des Feenwesens auf, und floh zur Bar.
« Letzte Änderung: 02.11.2014, 21:16:20 von Harry Webster »
My name is Harry Aleister Mulholland Webster. Conjure by it at your own risk.

Paranoid? Probably. But just because you're paranoid doesn't mean that there isn't an invisible demon about to eat your face.

Sternenblut

  • Moderator
  • Beiträge: 7375
    • Profil anzeigen
    • Aradan - Stadt der Toten
Heiliger Boden
« Antwort #241 am: 02.11.2014, 21:02:49 »
Dem flüchtenden Harry schenkte Aria nur einen kurzen Blick, dann sah sie wieder zu Henry. Sie schüttelte den Kopf. "Glaub mir, Henry, mit Asmodeus oder irgendeinem der anderen dunklen Götter will ich noch weniger zu tun haben als mit der Kretze. Nur ist dies ein glaubensfreies Land, und der Tempel des Asmodeus nicht weit von hier. Und dort vorn", sie nickte leicht in Richtung eines der anderen Tische, "sitzen sogar einige seiner Anhänger. Kranke Köpfe, wenn ihr mich fragt. Aber nicht gegen das Gesetz."

Ungefragt nahm sie an dem Tisch Platz, dort, wo zuvor Jurij gesessen hatte. "Ich persönlich diene gar keiner Gottheit, sondern einem göttlichen Prinzip. Es nennt sich Arish Tre - die Dreiheit aus Gerechtigkeit, Gnade und Nächstenliebe." Sie sah Henry neugierig an. "Aber du scheinst auch religiös zu sein. Welchem Gott hängst du an?"
« Letzte Änderung: 02.11.2014, 21:28:43 von Sternenblut »
"Ein Blick in die Welt beweist, dass Horror nichts anderes ist als Realismus." - Alfred Hitchcock

Sternenblut

  • Moderator
  • Beiträge: 7375
    • Profil anzeigen
    • Aradan - Stadt der Toten
Heiliger Boden
« Antwort #242 am: 02.11.2014, 21:37:29 »
Die Priesterin führte Jurij zu einem kleinen, nicht verschlossenen Tor, und führte ihn hindurch auf das Gelände. "Ja, dort führen wir die Untersuchung durch. Und in der Tat ist es mir lieber, das erst einmal alleine zu machen. Vertraut mir, ich bin nicht ganz unbedarft in solchen Dingen. Und ich werde Schutzvorkehrungen treffen."

Sie führte Jurij zu dem Pavillon, einem kleinen steinernen Gebäude von rund drei Metern Durchmesser, komplett in weiß gestrichen und auf etwa einem Meter Höhe mit verschiedenen Malereien - vermutlich religiösen Darstellungen - verziert. Ithera öffnete die Tür, und bat Jurij in einen Raum, in dem nicht viel mehr stand als ein Bett, zwei Stühle um einen kleinen Teetisch, und ein Regal mit Büchern, zwei kleinen Skulpturen, einigen Fläschchen und Schatullen.

Sie lächelte Jurij aufmunternd an. "Willkommen in meinem Zuhause. Setzt euch bitte an den Tisch, dann beginne ich mit den Vorbereitungen."
"Ein Blick in die Welt beweist, dass Horror nichts anderes ist als Realismus." - Alfred Hitchcock

Henry

  • Beiträge: 139
    • Profil anzeigen
Heiliger Boden
« Antwort #243 am: 02.11.2014, 22:28:05 »
Henry nickte. "Ich habe bisher in keinem Land gelebt, in welchem man offen einen bösen Kultus ausüben dürfte. Hier ist das anders. Das muss wohl damit zu tun haben, dass dieser Demokrat hier herrscht. Ist das der Preis der Freiheit? Wahrscheinlich. Ich verstehe davon nichts.", sagte er und schüttelte den Kopf. Er nahm einen Schluck Bier, aus Verlegenheit, denn er mied es unter normalen Umständen, von seinem Glauben zu sprechen. Die Menschen dieser Welt schienen zwar niemanden für seinen Glauben zu verfolgen, aber es schien Henry auch so, dass niemand den Glauben wirklich ernst nahm. Glauben schien eine Frage der Ästhetik oder der Ethik zu sein, aber nichts, was jemanden unbedingt anging.

"Ich bin nicht nur religiös.", antwortete Henry schließlich leise. "Ich habe mein Leben ganz und gar meinem Gott gewidmet. Durch ihn lebe ich, leide ich und werde wieder auferstehen. Alles empfange ich aus seiner Hand. Es ist ein Gott, der keinen Namen hat und den man hier nicht kennt. Wenn Du willst, erzähle ich Dir ein andermal von ihm."

Henry blickte auf und sah Harry mit einigen Bieren näher kommen. "Nun, aber zunächst, wollte ich Dich noch etwas anderes fragen. Als Du hier hereinkamst, dachte ich, Du seist eine Ritterin, oder so etwas. Woher kommst Du und wer ist Dein Dienstherr?", fragte er wieder in normaler Lautstärke und nahm seinem Freund einige Biere ab und verteilte sie. Aria war die erste, der er eines hinstellte.
« Letzte Änderung: 02.11.2014, 22:30:18 von Henry »
"Be just, and fear not: Let all the ends thou aim'st at be thy country's, Thy God's, and truth's." - Shakespeare: King Henry VIII., Act 3, Scene 2

Sternenblut

  • Moderator
  • Beiträge: 7375
    • Profil anzeigen
    • Aradan - Stadt der Toten
Heiliger Boden
« Antwort #244 am: 02.11.2014, 22:40:59 »
Als Henry von seinem Glauben erzählte, erschien ein Lächeln in Arias Gesicht, und ihre Augen glänzten. "Gern. Ich würde gerne mehr von deinem Gott und deinem Glauben erfahren." Sie sah zu Harry, als dieser die Getränke brachte[1], dann wieder zu Henry. "Ihr müsst wahrlich von weit her kommen, wenn euch die Glaubensfreiheit unbekannt ist. Das ist nicht nur in Maelicci normal, sondern in den meisten Ländern, zumindest soweit mein Wissen reicht."

Auf Henrys Frage schüttelte sie den Kopf. "Ich komme aus Terendol. Hier geboren und aufgewachsen. Mein Dienstherr? Ich diene Arish Tre - dies ist mein Leben, mein Herz und meine Seele. Kein weltlich Herr und Gesetz kann sich darüber stellen. Ich bin die Hohe Klerikerin des einzigen Schreins von Arish Tre in dieser Stadt. Leider ist mein Glaube wenig verbreitet. Die Wunder der bekannten Götter sind... sagen wir, offensichtlicher. Und die meisten Leute richten ihren sogenannten Glauben nach recht pragmatischen Prinzipien aus."

Sie griff nach ihrem Krug, den Henry ihr hingestellt hatte. Doch anstatt sofort daraus zu trinken, hielt sie ihn in die Mitte des Tisches, und sah von Henry zu Harry und Rillfarsell.
 1. Bitte Standard-Preis für Bier abstreichen
"Ein Blick in die Welt beweist, dass Horror nichts anderes ist als Realismus." - Alfred Hitchcock

Jurij Klee

  • Beiträge: 1305
    • Profil anzeigen
Heiliger Boden
« Antwort #245 am: 02.11.2014, 22:46:00 »
„Ich danke euch.“ antwortete Jurij ruhig und folgte ihren Worten. Er setzte sich auf einen der Stühle, jedoch nicht ohne auch hier die Atmosphäre in sich auf zu nehmen. Dieser Tempel gefiel dem jungen Mann außerordentlich. Irgendwie erinnerte ihn die Anlage an seine Heimatstadt. An eine der Parkanlagen mit kleinen Gebäuden und Sitzgelegenheit. Gut, es standen hier weniger Bäume aber denn noch. Auch diese friedvolle Ruhe weckte Erinnerungen. „Ihr habt ein sehr schönes Heim.“ begann er einfach zu reden, während sie die Vorbereitungen traf. „In meiner Heimat gibt es viele verschiedene Arten von Gärten, so wie hier auch, und es gibt auch Gärten die mit religiösen Anlagen verbunden sind. In so einer Anlage habe ich einst als Jugendlicher einige Monate verbracht. Es war ein einfaches Leben mit harten Zeitplan. Vor dem ersten Sonnenstrahl aufstehen, meditieren, das Kloster reinigen und im Garten helfen.“ fast schon wehmütig hörte er sich an. „Tag ein Tag aus immer das Selbst und alles war wie in einem großen Ritus um sich selbst zu finden.“ Langsam senkte er den Blick, welcher bis jetzt die Bewegungen der Priesterin verfolgt hatte. Seine Hände waren feucht und würden sie nicht in sich verschränkt sein, würden sie zittern. Auch wenn er ruhig sprach, raste sein Geist vor Aufregung. Innerlich suchte er eine andere Lösung. Eine der Logik rein ohne Magie oder übersinnliche Wesen. Dabei schwirrte ihm das Bild von Rillfasell vor den Augen herum. Hier in dieser Welt gab es offensichtlich etwas was es auf der Erde nicht gab. Magie und all ihre Wesen. Warum akzeptierte er es nicht. Er hatte heute schon öfter gesagt sie seien jetzt hier aber für sich selber hatte er es noch nicht akzeptiert. „Doch nun sitze ich hier bei euch, in diesem Land und habe Angst davor, dass ihr etwas findet während ein anderer Teil die Wahrheit sehen will. Die Wahrheit, welche mir verschlossen bleibt.“ Jurij blickte wieder zur Priesterin. „Bitte entschuldigt meine Plapperei. In bin nun ruhig.“ Verlegen lächelte er und senkte wieder den Blick. Bald würde es losgehen und egal ob er daran glaubte oder nicht, sie tat es. Sie vertraute ihrer Kraft und das akzeptierte Jurij ohne zu hinterfragen.
« Letzte Änderung: 02.11.2014, 22:46:12 von Jurij Klee »
Wenn du etwas machst, mache es mit jeder Faser deiner Selbst. -Status-

Sternenblut

  • Moderator
  • Beiträge: 7375
    • Profil anzeigen
    • Aradan - Stadt der Toten
Heiliger Boden
« Antwort #246 am: 02.11.2014, 23:08:04 »
Die Priesterin hörte Jurij in aller Ruhe zu. Sie schloss die Tür, nahm dann zuerst eine, dann eine andere Schatulle aus dem Schrank, und kreiste das gesamte Zimmer mit zwei verschiedenen Pulvern ein. Aus einer weiteren Schatulle holte sie zwei fast zwanzig Zentimeter lange, tiefgrüne schmale Blätter hervor, und legte sie vor Jurij auf den Tisch. Dazu murmelte sie etwas in einer Sprache, die Jurij nicht kannte.

"Sprecht ruhig", erklärte sie, "ich höre gern zu. Und vielleicht erfahre ich dabei Dinge, die mir in dieser Angelegenheit nützlich sind."

Schließlich nahm sie ein Fläschchen aus dem Regal, benetzte damit immer wieder ihre Finger, und verteilte das Wasser - oder was auch immer es war - tröpfchenweise im Raum. Auch Jurij trafen einige dieser Tropfen.

"Allerdings habe ich persönlich die Erfahrung gemacht, dass die Suche nach dem Selbst nur der erste Schritt sein kann. Das Selbst loszulassen, das ist es, worauf es ankommt."

Sie stellte die Flasche zurück in das Regal, und kam mit einer weiteren, gefüllt mit einer bläulichen Flüssigkeit zurück. Sie stellte die Flasche direkt vor Jurij auf den Tisch, ließ den Korken jedoch noch stecken.

"Diese entfernten Bekannten, von denen ihr gesprochen habt, haben die auch etwas mit alledem hier zu tun?"
"Ein Blick in die Welt beweist, dass Horror nichts anderes ist als Realismus." - Alfred Hitchcock

Harry Webster

  • Beiträge: 822
    • Profil anzeigen
Heiliger Boden
« Antwort #247 am: 03.11.2014, 00:59:28 »
Harry stieß einen neidischen Seufzer aus. "Wie machst du das nur, Henry? In jeder Stadt marschierst du einfach bloß rein und lernst sofort neue Freunde kennen, während ich überall dumm auffalle. Ist's die Kleidung, sag's mir ehrlich! Hatte Auntie Trish recht? 'Jetzt zieh dich ordentlich an!' hat sie mir stets gepredigt. 'So schlampig, wie du rumläufst, ist's kein Wunder, dass ein jeder dich zurück in die Gosse tritt, aus der du kommst. So wie man sich kleidet, so wird man halt behandelt!' Obwohl, ich glaub ja, es sind die Augen. Wenn ich auch so schöne braune Augen hätte wie du und so seelenvoll schauen könnt..."

Er hob ebenfalls seinen Krug und hielt ihn in die Mitte.[1] "Harry Webster mein Name. Freut mich, Euch kennenzulernen. Bitte entschuldigt mein Benehmen. Die letzten drei Monate waren nervenaufreibend, die letzten drei Wochen aber haben mich schier den Verstand gekostet. Wenn davon doch noch etwas übrig ist, verdanke ich es allein diesem rothaarigen Herrn hier. Auf Dein Wohl, Bruderherz! Und Eures, werte Aria!"
 1. 16cp für vier Bier abgestrichen.
« Letzte Änderung: 03.11.2014, 01:06:51 von Harry Webster »
My name is Harry Aleister Mulholland Webster. Conjure by it at your own risk.

Paranoid? Probably. But just because you're paranoid doesn't mean that there isn't an invisible demon about to eat your face.

Sternenblut

  • Moderator
  • Beiträge: 7375
    • Profil anzeigen
    • Aradan - Stadt der Toten
Heiliger Boden
« Antwort #248 am: 03.11.2014, 07:48:54 »
Aria lächelte nun auch Harry zu. "Sprechen wir nicht mehr drüber. Außer vielleicht, wenn ich dich mal damit aufziehen will." Dann stieß sie ebenfalls an. "Auf zufällige Freundschaften", ergänzte sie Harrys Trinkspruch.
"Ein Blick in die Welt beweist, dass Horror nichts anderes ist als Realismus." - Alfred Hitchcock

Jurij Klee

  • Beiträge: 1305
    • Profil anzeigen
Heiliger Boden
« Antwort #249 am: 03.11.2014, 11:24:28 »
Für einen Augenblick schloss Jurij seine Augen. Die Antwort war ein deutliches ja aber in wie weit würde sie ihm glauben, wenn er die ganze Geschichte erzählen würde. Bis jetzt hatte er sie nur einem weiter als nötig geöffnet und von seiner Vergangenheit erzählt, aber sie hatte das Recht einiges mehr zu erfahren. Schließlich nützte es bei einer Krankheit auch nicht, nur die Symptome zu behandeln ohne zu wissen wie der Körper erkrankte.
„Ja haben sie.“ antwortete er also. Die darauf folgende Pause zeigte eindeutig, dass es ihm schwer viel darüber zu sprechen, dass er die richtigen Worte suchte. „In meiner Heimat, vor ich glaube mehr als zwei Jahren, habe ich die beiden zum ersten Mal getroffen. Es waren vielleicht zwei Stunden aber danach war mein Leben ganz anders. Sie erzählten mir von etwas, was in meiner Heimat nicht normal ist.“ Jurij schloss die Augen. Er wagte nicht aufzublicken, besonders nicht bei dem Punkt der nun kam. „Etwas was mir am Ende unseres Treffens auch passierte. Ich bekam extreme Kopfschmerzen und Muskelkrämpfe. Als ich wieder zu mir kam, war ich nicht mehr in meiner Heimat. Ich war so weit entfernt, dass ich nicht so einfach wieder zurück laufen, fahren, reiten oder fliegen könnte. Beamen, translokiert oder teleportiert würde ich dazu sagen. Dieser Zustand ist dann noch ein paar Mal eingetroffen und ich wachte immer wieder an anderen Orten auf. Nur einmal war ich recht nahe an meiner Heimat. Die ganze Zeit habe ich ihnen die Schuld dafür gegeben aber nun, nun da ich sie hier wieder getroffen habe, zweifle ich. Denn sie sagen sie seien auch Opfer dieses Phänomens und wüssten nur, dass sie nun angekommen waren.“ er biss sich leicht in die Unterlippe. „Wobei nur ist untertrieben. Sie haben eine Vermutung, nur will ich diese nicht wahr haben. Auch wenn mehr und mehr darauf hinweist. Boldon, der absolut nichts mit dieser Sache zu tun hat, hatte etwas ähnliches gesagt.“ In einer Pause wischte sich Jurij über die Augen. Ein seltsames Gefühl umfing ihn. „Und darum bin ich hier. Darum habe ich euch gebeten. Zu schauen was mit mir los ist. Ob ich normal bin, verrückt, verzaubert oder besessen. Boldon kann sich alles vorstellen und meine Bekannten glauben eher an die letzten beiden Sachen.“
Vorsichtig blickte Jurij auf. Irgendwie erwartete er, dass die Priesterin ihn nun auslachte. Die Sache mit der anderen Welt hatte er ja umschifft aber schon allein der Gedanke an Teleportation war ja verrückt genug.
Wenn du etwas machst, mache es mit jeder Faser deiner Selbst. -Status-

Sternenblut

  • Moderator
  • Beiträge: 7375
    • Profil anzeigen
    • Aradan - Stadt der Toten
Heiliger Boden
« Antwort #250 am: 03.11.2014, 11:50:53 »
Ithera hatte sich inzwischen auf den anderen Stuhl gesetzt, und hörte Jurij aufmerksam zu. Keinesfalls lachte sie; vielmehr schien sie seine Worte sehr ernst zu nehmen. "Ich habe den Eindruck, dass euch Magie fremd und vielleicht sogar suspekt ist. Sie ist in eurer Heimat nicht sehr verbreitet, oder?"

Ohne auf eine Antwort zu warten, sprach sie weiter. "Teleportation, Besessenheit, Verzauberungen... all dies sind für jemanden, der sich mit Magie auskennt, naheliegende Dinge. Einige erfordern mehr Macht, andere sind schon Adepten in geringem Maße möglich. Wer die entsprechende Macht besitzt, kann sogar Tore zwischen den Welten öffnen. Und damit meine ich nicht nur Welten wie diese, sondern Dimensionsportale, die bis in die Fernen Reiche gehen, die Anderswelt, jene Dimensionen, in welche die Seelen nach dem Tode reisen." Die Priesterin ließ ihre Worte einen Moment wirken, bevor sie weitersprach, gab Jurij die Möglichkeit, zu verarbeiten, was sie gerade gesagt hatte. "In diesen Reichen aber leben nicht nur die Seelen vormals Sterblicher, sondern vielfältige Wesenheiten. Am bekanntesten sind wohl jene, die man Engel und Dämonen nennt. Wer eine Brücke zwischen den Dimensionen schlagen kann, der kann einen solchen Dämon oder Engel in diese Welt bringen - in Geistgestalt, oder sogar körperlich. Doch nicht nur Sterbliche beherrschen solche Kräfte. Auch Dämonen selbst, besonders die mächtigeren unter ihnen, können solche Dinge bewirken. Deshalb ist es durchaus möglich, dass ein Dämon seine Heimstatt verlassen hat, um in eurer Heimat in euch zu fahren."

Sie legte ihre Hände auf Jurijs, und sah ihm dabei fest in die Augen. "Wir werden feststellen, ob dem so ist. Aber in einem Punkt kann ich euch beruhigen. Wenn eine Wesenheit in euch gefahren ist, dann ist ihre Macht begrenzt. Ansonsten würdet ihr keine klaren Momente erleben, dann wäre euer Geist gänzlich eingesperrt in eurem Körper, der nichts als eine Marionette für die Wesenheit wäre."

Die Priesterin ließ Jurijs Hände langsam los, und deutete auf die Blätter, die vor ihm lagen. "Kaut auf der Spitze der Blätter. Zuerst von einem, dann von dem anderen. Schluckt den Saft herunter, obwohl er sehr bitter ist. Ihr müsst den Geschmack aushalten, auch wenn es euch vielleicht würgt. Kaut auf jedem Blatt etwa eine halbe Minute, danach wartet noch eine weitere Minute, dann nehmt ihr den Korken aus der Flasche und trinkt das Getränk in einem Zug." Sie verzog ihr Gesicht zu einem mitleidigen Lächeln. "Leider schmeckt es auch nicht besser. Statt eines bitteren Geschmacks erwartet euch ein leicht fauliger. Das ist nicht sehr angenehm, aber es ist nur der Geschmack eines Pilzes, der euch in keiner Weise schadet. Sekunden später werdet ihr in einen meditativen Zustand geraten - ihr bleibt bei Bewusstsein, aber wenn dort etwas in euch ist, dann wird es hervorkommen und sich mir zeigen. Allerdings ist es gut möglich, dass ihr euch im Nachhinein trotzdem an Nichts erinnert. Das muss nicht so sein, kann aber passieren."
« Letzte Änderung: 03.11.2014, 11:54:33 von Sternenblut »
"Ein Blick in die Welt beweist, dass Horror nichts anderes ist als Realismus." - Alfred Hitchcock

Jurij Klee

  • Beiträge: 1305
    • Profil anzeigen
Heiliger Boden
« Antwort #251 am: 03.11.2014, 15:46:08 »
Wäre Jurij zuhause, dann würde er jetzt lachen. Sie verrückt nennen. Er glaubte kaum schon so viel Respekt jemanden entgegen bringen zu können wie sie ihm gerade. Doch riss er sich zusammen. Schließlich war er nicht zuhause. Noch dazu hatte er diese angesprochene Macht am eigenen Leib miterlebt. Die Idee, dass etwas von hier in seine Welt eingedrungen war gefiel ihm auch nicht wirklich. Es hatte eine gewisse Logik, die er nicht einfach wiederlegen konnte. Wenn Magie, egal was damit genauer gemeint wurde, dazu in der Lage war, wäre es eine Erklärung und noch dazu ein Weg wieder zurück. Das nachdem er in Geschichtsbüchern gesucht hatte.

„Ihr habt recht mit der Magie in meiner Heimat. Darum fällt es mir wohl auch so schwer Magie zu verstehen. Aber ihr habt mir gerade einen Weg nach Hause offenbart. Wenn die Magie dazu in der Lage ist, warum nicht.“ Sein Blick haftete an den Blättern die er essen sollte. „Ich hoffe aber, dass sich alle mit der Besessenheit irren. Werden die Kräuter meinen Körper lähmen oder setzt ihr gerade auf mein waches Bewusstsein?“ Als Jurij die Frage gestellt hatte, nahm er das erste Blatt in die Hand und blickte zu ihr. Seine Angst hatte sie nicht genommen aber ihm dafür etwas Verständnis geschenkt.
Wenn du etwas machst, mache es mit jeder Faser deiner Selbst. -Status-

Sternenblut

  • Moderator
  • Beiträge: 7375
    • Profil anzeigen
    • Aradan - Stadt der Toten
Heiliger Boden
« Antwort #252 am: 04.11.2014, 08:08:36 »
Die Priesterin lächelte. "Ihr seid klug. Sowohl als auch. Die Blätter lähmen euren Körper vom Kopf abwärts, bis auf die lebenswichtigen Funktionen. Ihr könnt atmen, sprechen, euch umschauen - aber sonst nichts. Und sollte da etwas in euch sein... kann es ebenfalls nichts anderes tun. Zudem werdet ihr, wie gesagt, nicht völlig das Bewusstsein verlieren. Der Zustand, in den ihr gelangt, ist ein Wachzustand, der aber die tief verborgenen Dinge in euch hervorholt. Und genau an diesem verborgenen Ort versteckt sich, was auch immer in euch ist - falls dort etwas ist."

Sie sah zu dem Blatt in Jurijs Hand, dann zu ihm. "Keine Angst. Für euch mag so etwas schwer vorstellbar sein, aber ich mache das tatsächlich nicht zum ersten Mal." Sie lächelte wieder, diesmal beruhigend. "Während ihr kaut, erzählt mir von euren 'entfernten Bekannten'. Je mehr ich über die Hintergründe weiß, desto besser kann ich reagieren."
"Ein Blick in die Welt beweist, dass Horror nichts anderes ist als Realismus." - Alfred Hitchcock

Jurij Klee

  • Beiträge: 1305
    • Profil anzeigen
Heiliger Boden
« Antwort #253 am: 04.11.2014, 12:46:59 »
Leicht lächelte Jurij auf. Ithera schien es wirklich nicht zum ersten Mal gemacht zu haben. Wie sie ihm aufgetragen hatte, begann er auf der ersten Blattspitze zu kauen. Es schmeckte wirklich bitter. So sehr, dass er sich konzentrieren musste, das Blatt nicht einfach aus zu spucken. So hatte er in den ersten Momenten keine Gelegenheit etwas zu erzählen. Sein Geist verglich derweil auch noch den Geschmack mit Dingen die ihm bekannt vorkamen. Er fand auch einiges in seinem Gedächtnis was bitter war aber nicht so bitter wie dieses Blatt.
Schnell war die Zeit um, welche er auf dem ersten Blatt kauen sollte, und das zweite war nicht wirklich besser. Doch ging es schon einfacher und er fand Augenblicke zum Sprechen. „Widerliches Zeug. Der eine sieht aus wie ein Ritter. Mit Rüstung und Sonnenschild.“ Immer wieder unterbrach er in seine Worte um weiter an der Blattspitze zu kauen. „Der zweite trägt einen alten Mantel und weiten Hut. Von der Kleidung war er mir weitaus mehr vertraut als der erste.“ Schnell war aber auch die Zeit um und sie einen längeren Moment hatten. „Beide sprechen die Sprache eines Nachtbarlandes meiner Heimat, wobei der Ritter einen schwierigen alten Dialekt spricht. Auch sie scheinen aus ihrer Heimat gerissen worden zu sein und haben seltsame Dinge erlebt. Der eine, Harry, hat Unmengen an Liebesbriefen bekommen, von Frauen an welche er sich nicht erinnern konnte. Als er merkte das etwas Nachts nicht stimmte, hat er sich des Nachts ans Bett gefesselt. Mit einem Ergebnis was er nicht erwartet hatte. Denn er fand sich von da an am Tage ans Bett gefesselt und konnte sich nicht mehr befreien. Andeutungen von ihm wurden dann vom Anderen, Henry, definiert. Scheinbar schreckt das was Nachts ihre Körper kontrolliert nicht einmal vor Gewalt und auch Mord zurück.“ Er senkte den Blick. „Etwas was zu dem Passt was mein Hintergrund ist.“ Dann nahm er die Flasche in die Hand. Rasch öffnete er sie und roch daran. Er weitete die Augen und drückte seinen Daumen auf die Öffnung. Es roch auch nicht wirklich angenehm. Irgendwie wie Wasser welches einmal durch eine Kläranlage gejagt werden sollte. „Ich hoffe ich schmecke das nicht noch Wochen. Aber noch eines zu guter Letzt. Eine drittes Wesen, eine Fee, hat sich den beiden angeschlossen und berichtet von ähnlichen Dingen. Bei ihr kann ich sagen, sie stammt weder aus meiner Heimat und sie ist die erste Fee welche ich jemals außerhalb von Kinderbüchern gesehen habe.“ Dann holte Jurij tief Luft und trank das Zeug in einem Zug aus. Er hatte kaum Zeit die Flasche wieder richtig auf den Tisch zu stellen, als ihm ein Würgereflex umfing. Unter tränenden Augen und mit beiden Händen vor dem Mund, versuchte er sich daran zu hindern den hochgewürgten Teil des Gesöffs nicht wieder auszuspucken. Der Geschmack von Magensaft ließ es nicht gerade besser schmecken. Nach einem zähen Ringen, welches ihm mehr als nur eine angewiderte Gänsehaut über den Körper jagen ließ, schluckte er das Zeug erneut. Schnaufend, mit herausgestreckter Zunge, saß er auf den Hocker. Schon bald müsste sich die Wirkung einstellen.
« Letzte Änderung: 04.11.2014, 12:47:30 von Jurij Klee »
Wenn du etwas machst, mache es mit jeder Faser deiner Selbst. -Status-

Sternenblut

  • Moderator
  • Beiträge: 7375
    • Profil anzeigen
    • Aradan - Stadt der Toten
Heiliger Boden
« Antwort #254 am: 04.11.2014, 14:10:29 »
Die Priesterin hörte Jurij weiterhin aufmerksam zu. Ob ihr mitleidiger Blick sich auf seine Geschichte, oder auf den Verzehr der widerwärtigen Ingredienzen bezog, war schwer zu sagen. Schließlich aber hatte Jurij es hinter sich - auch wenn die Mischung der beiden Geschmäcker noch in seinem Mund verblieb, was erneut einen Würgereiz in ihm hervorrief.

Dann, ganz plötzlich, fühlte sich Jurij entspannt. Zum ersten Mal seit langer Zeit kehrte Ruhe in seinen Geist ein. Sein Blick wurde wie von einem Nebel überlagert, weiß und verschwommen. Irgendwo in seinem Geist begriff er, dass dies nichts weiter als Tränen waren, während sein Blick sich nach oben auf die weiße Decke gerichtet hatte. An dem Gefühl des Nebels aber änderte es nichts.

Er war einfach nur hier, jetzt, in diesem Augenblick. Keine Probleme, keine Sorgen. Seine Gedanken gingen zurück, in die Vergangenheit. Japan. Das Kloster. Berlin. Sein Studium, das so unendlich weit weg schien. Wie sorglos sein Leben zu dieser Zeit doch war. In diesem Augenblick war das Gefühl zum Greifen nahe. Wie ein Schiff auf sanfter See glitt er weiter zurück in seinen Gedanken, die Zeit im Internat, schließlich seine Kindheit. Seine Eltern.

Seine Großmutter. Sie war für ihn da gewesen, ja. Aber wo waren seine Eltern gewesen? Arbeit, Karriere... aber sie hatten sich doch für ihn entschieden! Sie hatten ihn gewollt! Und dann hatten sie keine Zeit für ihn gehabt. Er hatte seine Auswege gefunden. Hatte Ersatz gefunden. Hatte sich gefügt und mit Verständnis reagiert, als er alt genug dazu war. Aber nein, jetzt, in diesem Moment, wollte er kein Verständnis haben!

Sie hatten ihn gewollt, nicht umgekehrt! Sie waren seine Eltern! Sie trugen die Verantwortung für ihn! Sie hätten da sein müssen.

Die Einsamkeit seiner Kindheit, lange vergessen, stieg in ihm auf. Seine Eltern hatten ihm das, was für ihn lebensnotwendig gewesen war, nicht gegeben.

Er hatte trotzdem überlebt, durch Ersatz, durch Flucht. Aber nicht durch das, was ihm eigentlich zugestanden hätte. Nicht durch das, was ihre gottverdammte Pflicht gewesen wäre!!

Wut stieg in ihm auf, Verzweiflung, und Trotz. Er würde sich holen, was ihm zustand. Was er zum Leben brauchte, zum Wachsen, zum Reifen. Die Welt, nein, das ganze götterverdammte Multiversum war es ihm schuldig!

Jurij spürte ein Licht in seinem Inneren, es füllte ihn aus, begann dort, wo das Basalchakra sein sollte, und ging hoch bis zu seinem Herzen. Es strahlte, für ihn, um ihm endlich zu geben, was ihm zustand! Er spürte, wie es seine Arme ausstreckte, zuerst nur wenige, dann immer mehr, Hunderte, um die Welt in Besitz zu nehmen, die Welt, die ihm zustand...

Dann, plötzlich, sah er wieder das Gesicht der Priesterin vor sich. "Das hättest du nicht tun sollen", hörte er seine eigene Stimme sagen.

Dann wurde ihm Schwarz vor Augen.
"Ein Blick in die Welt beweist, dass Horror nichts anderes ist als Realismus." - Alfred Hitchcock

  • Drucken