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Autor Thema: Heiliger Boden  (Gelesen 114849 mal)

Beschreibung: Kapitel 1

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Sternenblut

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Heiliger Boden
« Antwort #465 am: 14.02.2015, 22:16:59 »
Aria antwortete Henry, während Harry schrieb. "Soweit ich mich erinnere, ja. Aber in sehr unterschiedlichen Berufen. Schon mein Urgroßvater hat bei der Erziehung viel Wert darauf gelegt, dass Kinder ihren eigenen Weg finden." Sie lächelte, schien an etwas oder jemanden zu denken. Dann sah sie wieder zu Henry. "Einen älteren Bruder und eine jüngere Schwester. Mein Bruder ist Söldner, er ist im Moment irgendwo in Garuash unterwegs. Meine Schwester ist noch in der Schule, sie will Malerin werden."

Auf Harrys Worte reagierte sie mit einem Kopfschütteln. "Wir kennen uns kaum, ich erwarte nicht, dass ihr mir alle eure Geheimnisse preisgebt. Wenn ihr etwas zu besprechen habt, was mich nichts angeht, dann ist das schon in Ordnung."
« Letzte Änderung: 15.02.2015, 11:24:18 von Sternenblut »
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Sternenblut

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Heiliger Boden
« Antwort #466 am: 17.02.2015, 15:20:11 »
Nur kurz unterhielt sich die kleine Gruppe noch über Belanglosigkeiten, dann entschloss man sich, zur Akademie aufzubrechen. Aria, die die Stadt am besten kannte, führte die Gefährten durch die bereits erwachten Straßen der Hauptstadt.

"Seht mal!" deutete sie nach oben. Dort, am Himmel über Terendol, zeichneten sich ein halbes Dutzend ungewöhnlicher Figuren ab: Hölzerne Konstrukte, Schiffen ähnlich, aber schmaler und länger. Über der Holzkonstruktion befand sich ein gut doppelt so großes, weißes Objekt, das an eine aufgeblähte Muschel erinnerte, und das mit Seilen oder Drähten mit dem unteren Schiff verbunden war. Obwohl diese fliegenden Objekte nicht ganz den Bildern entsprachen, die Harry und Jurij kannten, war ihnen klar, womit sie es zu tun hatten: Luftschiffe.

Sie flogen so hoch, dass man auf den Schiffen zwar noch Personen erkennen konnte, aber nur noch als sich bewegende Schemen. Die beiden kleinsten der Luftschiffe mussten etwa dreißig oder vierzig Meter lang sein, drei mittlere Schiffe waren geschätzte hundertundfünfzig Meter lang. Das größte jedoch schwebte wie ein göttlicher Koloss über den anderen: Fünfhundert Meter oder mehr maß der Riese, und warf einen gewaltigen Schatten über die Stadt Terendol.

"Seltsam", setzte die junge Priesterin an. "Die Luftmarine macht zwar regelmäßig Übungen, aber doch nicht hier."

Doch so faszinierend der Anblick der von Menschenhand (nun ja, und vermutlich von Halblings- und Orkhand) geschaffenen Flugmaschinen auch war, nach wenigen Momenten rissen sich die Gefährten wieder los und setzten den Weg in die Akademie fort.

Nach einiger Zeit hatten sie das Tempeldörfle hinter sich gelassen, durchquerten das Gassendörfle (bekannt für die vielen kleinen Gassen mit Geschäften für allerlei Schönes und Kurioses, sowie die hervorragenden Konditoreien, von denen manche sich rühmten, früher den König beliefert zu haben), und kamen schließlich ins Philosophendörfle, in dem auch die Akademie lag. Dieser Stadtteil, immer noch Teil des Palastviertels wie das Tempeldörfle, zeichnete sich vor allem durch hohe Türme und große, wuchtige Bibliotheken und andere Bildungseinrichtungen aus, die sehr deutlich versuchten, sich mit Erhabenheit und Tradition zu schmücken.

Vor einem solchen Gebäude blieb Aria schließlich stehen: Ein Gebäude, das man auch für das Schloss eines Adeligen hätte halten können, vierzig Meter in der Breite, vier Stockwerke hoch. Über den Eingangstoren prangte in goldenen Lettern der Leitspruch: "Freies Wissen für ein freies Volk"

Zahlreiche Fenster ließen Licht in das Innere des Gebäudes, und neben jedem Fenster befand sich, wie Aria erklärte, die Statue eines oder einer Gelehrten, die von einem der früheren Könige ausgezeichnet worden waren. Wie Wächter über das Wissen eines ganzes Landes standen sie dort, auf den kleinen Sockeln an der Außenmauer angebracht, und hielten Bücher, Schriftrollen oder irgendwelche Instrumente, stets mit erhabenem Blick. Doch über alledem, auf dem Dach der Akademie und genau über dem Eingangstor, ragte eine ganz andere Gestalt empor: Klauenbewehrt, mit gewaltigen Flügen, die sich gerade ausbreiteten, mit wachsamem Blick über die Stadt - eine Drachenstatue, sechs Meter hoch von den Klauen bis zum erhobenen, reißzahnbewehrten Kopf.

"Das stellt Maezrithleinicon dar, einen echten silbernen Drachen, der vor achthundert Jahren König Robban dazu brachte, die Akademie ins Leben zu rufen. Das sagen zumindest die Geschichtsbücher, und auch mein Urgroßvater hat darauf bestanden, dass die Geschichte wahr sei. Er meinte immer, der alte Drache würde noch immer leben, und irgendwo aus der Ferne über Terendol wachen."

In dem Moment kam ein Junge vorbei, gute zehn Jahre alt, in einfacher brauner Lederkleidung mit einer ebenfalls braunen Mütze auf dem Kopf, und einem Stapel Papiere in der Hand. "Meine Dame, meine Herren! Habt ihr es schon gehört? Prinz Naphan von Tarzis hat die Macht ergriffen! Lest alles dazu im Blatt des Tages! Nur eine Kupfermünze für euch!"
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Sternenblut

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Heiliger Boden
« Antwort #467 am: 17.02.2015, 19:34:21 »
Ein silberner Drache. Harry dachte nach, woran er sich erinnerte. Tatsächlich hatte er die Silbernen recht genau studiert - nur in der Theorie natürlich. Lesters Compendium of the Silver Ages, das wohl umfassendste, trockenste und langweiligste Buch über Silberdrachen und deren Entwicklungsstufen kam ihm als Erstes in den Sinn.

Lester beschrieb die Silbernen wie die Ritter aus den alten Filmen, ehrenhaft, mit einem klaren Kodex. Und er erwähnte, dass er sie den "gewöhnlichen" Rassen, also den Menschen, gern als Lehrer und Mentoren dienten. Und da war noch etwas...

Nein, er konnte es noch nicht greifen. Also, was bedeutete der Name? Es war Drakonisch, aber trotzdem war sich Harry nicht sicher. Hieß es Maez-rith-leinicon? Grob übersetzt: Meister des alten Wissens? Oder Maezri-th'lei-nicon - was so viel hieß wie: Beherrscher der Kreaturen der Finsternis. Selbst Letzteres musste nicht negativ sein, denn in der Denkweise der Drachen beherrschte man auch jene, die sich vor einem fürchteten.

Furcht. Da erinnerte er sich.


"Was habt ihr angerichtet?"

Der Drache lag auf dem Boden, eine mächtige Lanze durch seine schuppige Brust gebohrt.

"Wir haben die Saat erschaffen", verkündete Harry mit einer weiblichen Stimme. "Aus diesem Boden wird die neue Welt entstehen."

Der Silberne lag im Sterben, so viel war klar. Sein Blick richtete sich auf die Wüste.

Dann, plötzlich, sammelte er seine letzten Kräfte, schwang seine Flügel und erhob sich in die Lüfte. "Wir werden euch aufhalten!"

Harry lachte. "Wer, du und deine kleine Truppe aus Magiern? Flieg nur, Drache, es ist bereits vollbracht."
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Harry Webster

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Heiliger Boden
« Antwort #468 am: 17.02.2015, 21:16:51 »
Die Luftschiffe betrachtete Harry etwas länger als seine Gefährten. Eine seltsame Sehnsucht erfasste ihn, die er beim Anblick der vielen Helikopter daheim nie verspürt hatte: Fliegen müsste man können! Laut sagte er: "Hindenburg, Lakehurst, 1937: Boom, crash, brutzel. Man kann nur hoffen, sie benutzen hier Helium, nicht Wasserstoff." Oder Magie.

Harry war schon bald froh, dass Aria sie begleitete, wie er ihr auch mehrmals sagte. So gestaltete der Gang durch die labyrinthartigen Gassen der Stadt doch wesentlich entspannter, als wenn sie sich hätten durchfragen müssen, und lehrreich noch dazu, durch die vielen Erläuterungen und Anekdoten, die Aria zu berichten wusste. Er versuchte, sich den Weg zu merken, gab aber nach kurzer Zeit auf. "Waren die Stadtplaner hier alle betrunken? Man hätte doch wenigstens ein paar der Straßen geradlinig und im rechten Winkel zueinander bauen können!" Er wandte sich an Aria: "Gibt es hier irgendwo für nicht allzu viel Geld einen Stadtplan zu kaufen?"

Als man endlich bei der Akademie ankam, blieb Harry mitten auf dem Weg zum Eingangstor stehen, ungeachtet irgendwelcher Leute, die gezwungen wurden, einen Bogen um ihn zu machen, und reckte den Hals, um die Drachenstatue auf dem Dach zu betrachten.

"Aus der Ferne?" vergewisserte er sich bei Aria. "Bist du dir sicher, dass er nicht vielmehr in Menschengestalt unter den Lehrmeistern wandelt? Das machen Silberdrachen nämlich am liebsten." Mit Silberdrachen kannte er sich aus. Über sie hatte er in Sima Qians Bibliothek ganz furchtbar viel gelesen; nicht, weil sie ihn besonders interessierten, sondern weil es da einige Bücher in Englisch und natürlich in Drakonisch gegeben hatte, während die über goldene Drachen fast ausnahmslos in Chinesisch waren und die über rote in Italienisch.

Er deutete zur Statue hinauf. "Vielleicht ist das da oben ja auch der gute Maez-rith-leinicon in höchsteigener Person. Du schaust mich ungläubig an, Aria, aber in Jurijs Heimatstadt gab es einen, allerdings goldenen, Drachen, der in einer Bibliothek als Statue posierte und uns so wochenlang getäuscht hat. Frag Henry, wenn du mir nicht glaubst: seine Augen können nicht lügen."

Und während Aria die letzte Behauptung Harrys ausgiebig überprüfte[1], kam dieser zu einer Erkenntnis. Der Name, das klingt wie ganz normales Drakonisch, also so, wie ich es kenne. Natürlich lässt ein einziges Indiz einen derartigen Schluss noch nicht zu, aber wenn die Drachen hier tatsächlich das gleiche Drakonisch sprächen... könnte es dann sein, dass meine Drachen-Vorfahren vor Jahrtausenden einmal von hier ausgewandert sind? Oder von irgendeinem anderen Ort, einer alten Drachenheimat, und sie haben sich auf der Erde und Kurun gleichermaßen verteilt? Vielleicht kann ich hier etwas über den Ursprung meiner Spezies erfahren!

Aufgeregt—und dabei so selbstvergessen, dass er sich nicht einmal reagierte, als er angerempelt und beschimpft wurde—grübelte Harry weiter über Silberdrachen nach, sowohl im allgemeinen wie auch über "Maezrithleinicon" im speziellen nach. Zwar hatte er Arias falsche Aussprache vorhin automatisch korrigiert, aber leider war die Möglichkeit, die er dabei gewählt hatte, nicht die einzige. Maez-rith-leinicon, was "Meister des alten Wissens" bedeutete, schien ihm nur die naheliegenste Aussprachevariante zu sein. Maezri-th'lei-nicon, also Beherrscher der Kreaturen der Finsternis, ergab doch keinen Sinn, oder? Nicht für einen Silberdrachen, das war doch einer der guten, oder war das hier auf der Welt anders?

Die guten? Nein, sie waren die Gegner... ein Hindernis... Halt, das waren nicht seine Gedanken... Nein, bitte nicht schon wieder...

Doch schon hatte Harry erneut eine Vision, was von außen wie ein Anfall, eine Trance wirken musste, jedenfalls stand er nun völlig erstarrt da, während seine weit aufgerissenen Augen fassungslos ein Geschehen verfolgten, das keiner der Gefährten sah. (Den Zeitungsjungen dagegen, der direkt vor ihm herlief und eine Zeitung verlockend vor ihm herschwenkte, schien er nicht zu sehen.)

Dann war der Spuk wieder vorbei. Harry schluckte.

"Um, Henry? Jurij?" sagte er. "If this fellow is still alive, I think he is here. If they haven't managed to kill him, he's here fighting our 'guests'."

Zu Aria aber sagte er: "Wenn du dich mit der Akademie so gut auskennst, vielleicht kannst du mir sagen, wie man hier zu Abkömmlingen aus anderen, ähm, Geschlechtern steht, sagen wir roten Drachen?"
 1. die mit den Augen, nicht der Statue
« Letzte Änderung: 17.02.2015, 22:14:28 von Harry Webster »
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Sternenblut

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Heiliger Boden
« Antwort #469 am: 17.02.2015, 22:34:24 »
Als Harry nach Stadtplänen fragte, sah ihn Aria überrascht an. "Ein Plan von Terendol? Das ist eine spannende Idee." Sie lachte. "Es gibt sicherlich Karten, aber die Stadt ist in Bewegung, und es ist eine Stadt der Künstler. Die meisten Karten, die man kaufen kann, sind wohl eher Gemälde als nützliche Wegweiser. Der Trick wäre wohl, einen studierten Geographen aufzusuchen."

Vor der Akademie zuckte Aria nur mit den Schultern. "Manche Drachenarten sind nicht unbedingt für gute Laune bekannt. Aber in Maelicci gilt, das nur konkretes Verhalten bestraft wird. Und abgesehen vom Gesetz halten es auch die meisten Leute so."

Dann sah sie nach oben. "Ich würde gerne mal einen echten Drachen sehen. Ein Goldener lebt in Asemna, aber das ist zu weit für mich."
« Letzte Änderung: 17.02.2015, 23:01:35 von Sternenblut »
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Harry Webster

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Heiliger Boden
« Antwort #470 am: 19.02.2015, 14:25:28 »
"Hm, ja, so ein goldener Drache ist schon recht eindrucksvoll", untertrieb Harry, "leider aber ein Erzfeind von uns Roten. Da wo ich herkomme, wird man nämlich hauptsächlich nach seiner Geburt, Familie und seiner Haut- oder Schuppenfarbe beurteilt. Hab ich schon einmal gesagt, dass mir dein Land und deine Stadt immer sympathischer werden? Jedenfalls durfte ich bei der Begegnung mit Sima bereits froh sein, dass der alte Drache mich nicht zum Frühstück verspeist hat, wovon er allein Henry zuliebe absah. Wenn du also doch jemals nach Asemma reist, frag ihn, ob er dich begleitet, das erhöht die Überlebenschancen ungemein."

Obwohl Harry sich Mühe gab, mit Aria in leichtem Tonfall zu scherzen, konnte er die Erschütterung über das, was er gerade gesehen hatte, nicht verbergen. Seine Bewegungen fahrig und zerstreut, der Blick noch immer starr. Was, so mächtig ist Lasciel, dass sie eigenhändig einen silbernen Drachen erledigt hat? Er fasste sich an die Brust, ungefähr da, wo die Lanze den Drachen getroffen hatte und verzog das Gesicht vor mitgefühltem Schmerz. 'Wir haben die Saat erschaffen.' Das klingt gar nicht gut... Der letzte Satz dagegen machte Harry ein klein wenig Mut. Die Magier hier—oder zumindest ein paar von ihnen—wissen Bescheid. Sie wissen, was hier los ist und überlegen schon seit längerem, was man dagegen tun könnte.

"Lasst uns hineingehen", sagte er und marschierte auch gleich los, stieß aber nach drei Schritten heftig mit jemandem zusammen, der aufjaulend zu Boden ging. Einige Zeitungen fielen dem Jungen aus dem Arm und in den Straßenstaub.

"Oh, Entschuldigung. Hab' dich nicht gesehen. Warte, lass dir helfen. Die dreckigen, die kauf ich dir natürlich ab. Was kostet eine? Da hast du drei Kupfer, nein, vier[1], einen für dich, für den Schreck. Hast du dir auch nicht weh getan?"
 1. abgezogen
« Letzte Änderung: 19.02.2015, 15:39:46 von Harry Webster »
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Sternenblut

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Heiliger Boden
« Antwort #471 am: 20.02.2015, 12:06:12 »
Der Junge gab leise einige Flüche von sich, die jemand seines Alters eigentlich noch gar nicht kennen sollte. Als sich Harry aber entschuldigte und ihm gleich einige "Zeitungen" - es war tatsächlich nur ein einzelnes Blatt Papier - abkaufte, erschien wieder ein Lächeln in seinem Gesicht. "Vielen Dank der Herr, und einen schönen Tag noch!"

Als Harry das Nachrichtenblatt ansah, dachte er zunächst, es wäre komplett handschriftlich verfasst. Doch ein Blatt glich dem anderen, bis ins letzte Detail. Die Überschrift titelte:

Kommt jetzt der Krieg?

Unter einem längeren Text war das gezeichnete Bild eines jungen Mannes mit dunklen Locken und kurzem Ziegenbart zu sehen, untertitelt mit: In einem Akt gnadenloser Gewalt hat Prinz Naphan die Macht ergriffen.
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Rillfarsell

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Heiliger Boden
« Antwort #472 am: 20.02.2015, 14:52:44 »
Rillfarsell betrachtete sich die Fasade interessiert.
Als Harry etws davon sagte, daß die Drachenstatue vielleicht doch ein echter sein konnte, flog das Feenwesen empor und besah sie sich genauer. Es setzte sich auf die Schnauze und wedelte ein bisschen mit dem Armen.
"Hallo! Jemand zu Hause?"
Als keine Reaktion kam, flog es wieder nach unten.
"Ich hoffe, ihr haltet mich nicht für respektlos, werte Aria. Aber ich konnte nicht widerstehen.
Wißt ihr etwas über die Leute, die hier abgebildet wurden?"

Auch Rillfarsell machte sich langsam auf den Weg zum Eingang.

Jurij Klee

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Heiliger Boden
« Antwort #473 am: 21.02.2015, 00:59:27 »
Der Gruppe war Jurij still gefolgt. Als Harry sich über die gewundenen Gassen beschwerte, lachte er auf. „Ahahah. Ja wenn man nur Schachbrettmuster wie in Amerika oder im modernen Asien gewohnt ist. Tatsächlich zeugen diese Gassen von einer aus gekügelten Abwehrstrategie. Denn im Angriffsfall kann man sich leichter verstecken und keine Geraden Schüsse auf lange Distanzen sind möglich. Auch ist ein Kries besser von einer Palisade oder einer Mauer, wie hier zu umgeben als ein Rechteck.“ aber da ging es auch schon weiter.

Bei der Bibliothekblieb angekommen, schaute er sich wie die anderen um. Das Gebäude und die Staturen waren beeindruckend. Irgendwie war es schon interessant. Denn mit ähnlichen Augen müssten die alten Meister herumgereist sein um neues zu erfahren. Nur waren sie nie in einer ganz anderen Welt. Den Geschichten über Drachen lauschte er interessierest. Warum nicht, wo es Magie und Fabelwesen gab, gab es wohl auch Drachen, Engel und wer weiß was noch. Kurz stutzte er jedoch, als Harry von einem goldenen Drachen in Berlin berichtete? Warum log er die Frau an? Doch bevor er dem nachgehen konnte, war auch schon der kleine Zeitungsjunge da und kaum später lag er auch schon im Dreck.

Es war interessant, dass ihre Gäste alte Feinde hatten, die sogar noch leben könnten. Vielleicht hatte Harry mit seiner Vermutung wirklich recht aber erst einmal widmete sich Jurij der Zeitung, die Harry so großzügig abgekauft hatte. Vielleicht bedeutete es Frieden und die Menschen dieses Landes würden wieder zur Ruhe kommen. Oder es bedeutet, dass sie in die heiße Phase des Bürgerkrieges im Nachbarland eingingen. Wie dem auch sei, es waren Nachrichten. Doch nachdem er den Text gelesen hatte stellte sich Ernüchterung ein. Es war eine berechtigte Frage und die Luftschiffe am Himmel zeigten, dass die ganz oben es ernst nahmen. Zum Glück lag die Hauptstadt ja weit genug von der Grenze weg.
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Sternenblut

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Heiliger Boden
« Antwort #474 am: 21.02.2015, 10:50:59 »
Aria lachte bei Rillfarsells Aktion auf. "Es gibt sicherlich ein paar Leute in der Bibliothek, die sich fürchterlich aufregen würden, wenn sie das gesehen hätten. Aber es gibt kein Gesetz, dass sowas verbietet, und meiner Ansicht nach ist da auch nichts Schlimmes dran. Allerdings bezweifle ich, dass die Statue mehr ist als eine Statue."

Während die Gefährten den Text lasen, trat ein kurzer Moment der Stille ein. Die Nachrichten verhießen wenig Gutes:


Kommt jetzt der Krieg?

Verehrte Leser! Es gibt neue Nachrichten aus Tarzis - und sie sind äußerst beunruhigend! Machet euch gefasst auf Geschichten über Verrat, Niedertracht, Gewalt und drohendes Unheil - Geschichten, die jedoch keiner alten Legende entspringen, sondern den wahren Ereignissen in unserem Nachbarland entsprechen!

Unsere treuen Leser wissen, dass wir einen Beobachter in der unmittelbaren Umgebung des Palastes haben, einen Magiekundigen, der uns durch seine arkanen Kräfte in Sekunden Botschaften übermitteln kann, für die ein Bote Tage brauchen würde. Und so wissen wir, dass am gestrigen Abend Prinz Naphan, der Neffe des verstorbenen Königs Gelaroth, die Macht im Land ergriffen hat.

Doch nicht das Volk hat entschieden, wie es in unserer geliebten Heimat der Fall wäre, noch eine rechtmäßige Einigung auf einen würdigen Nachfolger, sondern Intrigen, Verrat, und - ja, verehrte Leser! - sogar Entführung und Mord! Jenen Lesern, die solche Berichte erschrecken, empfehlen wir daher, ab hier nicht weiter zu lesen. Alle anderen mögen sich gefasst machen auf eine Geschichte, die manch einer als Akt eines Wahnsinnigen bezeichnen würde - in jedem Fall aber als Akt gnadenloser Machtgier!

Wie allgemein bekannt, herrschte in den großen Häusern von Tarzis Zank um die Nachfolge von König Gelaroth. Jedes Haus wollte die Herrschaft an sich reißen, und selbst innerhalb der Häuser gab es Zwist, wer der rechtmäßige Nachfolger sein möge. Auf bislang ungeklärte Art gelang es nun Prinz Naphan, drei der acht anderen Häuser hinter sich zu vereinen. Als er sich am gestrigen Abend offiziell zum König krönen ließ, in Anwesenheit der Repräsentanten der drei anderen Häuser, fand ein Mordanschlag auf das Haus Jarisdal statt - ein Anschlag, bei dem all jene Personen, die die Krone für sich beanspruchten, ums Leben kamen.

Dieser feige Anschlag ist wohl als Warnung an die anderen Häuser zu verstehen, sich nicht gegen den neuen König Naphan aufzulehnen - eine Warnung, die angekommen ist, denn bislang hat sich kein Haus gegen die Machtergreifung ausgesprochen.

Lediglich der Große Bund der Völker hat sich gegen König Naphan aufgestellt. Fürstmonarch Tla'vir von Ukethe erklärte auf Nachfrage: "Prinz Naphan hat mit Mitteln, die wir nicht hinnehmen können, die Macht an sich gerissen. Akzeptieren wir seine Herrschaft, stellen wir die Werte des Bundes in Frage."

Ein Krieg ist also wohl zu erwarten. Doch König Naphan, wie man ihn nun wohl nennen muss, hat natürlich auch damit gerechnet - und durch eine weitere Missetat ein sofortiges Handeln des Bundes verhindert. Er ließ alle Diplomaten im Lande Tarzis sowie deren Familien verhaften, und hält sie nun in Geiselhaft. Ein Angriff des Bundes auf Tarzis würde mit der sofortigen Hinrichtung aller Diplomaten bestraft, wie er offiziell verkünden ließ.

Welches Schicksal erwartet nun unser eigenes geliebtes Land? Werden wir die Nachbarn eines von einem Tyrannen beherrschten Königreiches? Oder werden wir in den schlimmsten Krieg seit vielen, vielen Jahren verwickelt, in dem wir als direkte Nachbarn wohl zu den Hauptakteuren gehören werden?

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« Letzte Änderung: 21.02.2015, 10:51:29 von Sternenblut »
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Jurij Klee

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Heiliger Boden
« Antwort #475 am: 22.02.2015, 21:31:02 »
Als Jurij alles gelesen hatte, grummelte er laut in seiner Muttersprache auf. Einige der Wörter waren Anglizismen welche somit von seinen Begleitern verstanden werden konnten und eindeutig zu den unreineren Errungenschaften einer Sprache gehörten. „Ha, was lehrt uns die Geschichte? Diese Vermutungen sind keine Hirngespinste. Kein Land verhandelt ernsthaft mit Geiselnehmern und die die es tun werden auch einem Krieg nicht im Wege stehen. Die Anderen, welche sich von den Geiseln einschüchtern lassen, werden auch keinen Finger rühren falls es zum Krieg kommt. Das Ganze ist ein Test für die Länder. Der junge König will sehen welche Länder ihm gefährlich werden können und welche zurückschrecken. Die Regierungen des Bundes sollten ihn sofort in die Schranken weisen aber es würde mich überraschen wenn sie es tun.“ Deutlich war im Redeschwall von Jurij Wut und Frustration zu hören. Ihm gefiel wohl der Gedanke an Krieg kein bisschen und die jetzigeSittuation tat ihr übriges.
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Harry Webster

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Heiliger Boden
« Antwort #476 am: 23.02.2015, 00:09:08 »
"Die Regierungen?" Harry sah Jurij ungläubig an. "Die Regierungen sollen diesen Naphan in die Schranken weisen? Ha! Die Regierungen werden gemütlich daheim sitzen bleiben, während die armen Soldaten aus dem Volk im Feld bluten und sterben! Und für was sollen diese ihr Leben riskieren? Die eigene Freiheit? Oder wenigstens die Freiheit des Volkes in, wie heißt das Land, Tarzis? Nein, bloß weil der Regierung hier nicht passt, wer dort auf dem Thron sitzt. Was kümmert es bitteschön das Volk, hier oder dort, welcher Tyrann auf dem Thron sitzt? Ist da der eine wirklich schlimmer als der andere? Was wissen wir denn über dieses Haus Jarisdal außer, dass es ebenfalls nach der Macht gierte und sich dabei nicht einmal untereinander auf einen Prätendenten einigen konnte. Edelt es sie, dass man sie ermordet hat? Macht es sie automatisch zu besseren Menschen? Wer weiß, vielleicht kam Naphan ihnen ja nur zuvor mit seinem Plan und sie hatten etwas ähnliches mit ihm vor!

Das ist doch hier alles billigstes Propaganda-Gerede, welches die Leute aufbringen soll in einer Sache, die ihnen eigentlich herzlich egal ist. Man will sie aufhetzen, in Stimmung bringen, damit sie später nicht murren, wenn man von ihnen eine Entbehrung nach der anderen verlangt, eine Freiheit nach der anderen nimmt: Kriegssteuern, Kriegsdienst, Kriegsrecht...

Feige soll der Anschlag gewesen sein? Mir scheint er mutig. Wahnsinnig soll Naphan sein? Ich finde eigentlich, er klingt sehr besonnen. Der ganze Streich klingt sorgfältig geplant und präzise ausgeführt, unter weitestgehender Vermeidung von Kollateralschaden. Nur eine Familie hat er ausgeschaltet, dabei nur die Personen, die einen Anspruch auf die Krone erhoben, und wenn ich den Artikel richtig verstehe, hat Naphan die Diplomaten erst in Reaktion auf die drohende Ansage dieses Fürstmonarchen hin als Geiseln genommen.

Wenn das alles ist, was dieser Mann getan hat, um König zu werden, nein, das rechtfertigt den Titel "Tyrann" noch längst nicht. Vielleicht wäre er gar einer der kompetenteren Regenten, oder zumindest nicht inkompetenter als der Rest. Am Ende sind doch alle Könige Tyrannen! Warum soll der einfache Soldat bluten, nur um einen Tyrannen vom Thron zu holen, damit ein anderer Tyrann sich darauf setzen kann? Die einzig wahre Staatsform ist die Demokratie! Freiheit für das Volk, das ist der einzige Grund, der einen Krieg rechtfertigt. NO TAXATION WITHOUT REPRESENTATION! GIVE ME LIBERTY OR GIVE ME DEATH!"
Harry ließ die Arme, die er bei seinem plötzlichen Ausruf mit geballten Fäusten erhoben und zur Seite gestreckt hatte, wieder fallen. "Na ja, man muss dabei gewesen sein, sagte Großvater immer."

Erst jetzt, da die Flammen seiner Rede niedergebrannt waren, kam ihm ein Gedanke.

"Although, if I were paranoid, I'd suspect Naphan has a 'guest' whispering ideas in his mind. Sein Coup klingt schon sehr gewagt und sehr vom Glück gesegnet. Und dieser Gast... hm, dem gefällt die Idee bestimmt, dass er hier einen schönen großen Weltkrieg angezettelt hat. And all the monarchs and politicians of this great league of nations are but pawns on a chessboard."

Er räusperte sich, als er merkte, dass er von einigen Leuten—und nicht nur aus der Runde seiner Gefährten—angestarrt wurde. "OK, hm, ja, vielleicht klärt mich mal jemand auf, was denn dieser Völkerbund ist und warum man sich dort so sehr für die Thronfolge in Tarzis interessiert?"

Harrys hoffnungsvoller Blick glitt zwischen Jurij und Aria hin und her.
« Letzte Änderung: 23.02.2015, 00:21:51 von Harry Webster »
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Heiliger Boden
« Antwort #477 am: 23.02.2015, 10:32:29 »
Harrys flammende Rede zog die Aufmerksamkeit verschiedener Passanten auf sich - und nicht nur das: Gute Zwanzig Meter weiter standen zwei Männer der Gerichtswache bei einem Obsthändler, die die kleine Gruppe nun argwöhnisch beobachteten. Noch allerdings kamen sie nicht näher.

Aria sah Harry einige Momente mit offenem Mund an. Schließlich fing sie sich wieder, warf dabei aber Henry hilfesuchende Blicke zu. "Du hast da... interessante Ansichten, Harry. Aber so überzeugt ich von der Demokratie bin: Sie hat auch ihre Schwächen. Und denke dran, dass es immerhin ein König war, der diese Staatsform überhaupt erfunden hat. Wenn du ihn öffentlich als Tyrannen bezeichnest, machst du dir nicht gerade Freunde in Maelicci."

Sie sah hinüber zu den beiden Wachen, und lächelte ihnen entschuldigend zu. Dann sah sie wieder zu Harry. "Und der Bund der Völker... ganz ehrlich, den mußt du doch kennen? Egal, wie weit weg deine Heimat ist, der Bund umfasst alle Länder dieser Welt. Der Bund garantiert seit zweihundert Jahren den Frieden in der Welt. Du willst nicht ernsthaft behaupten, du hättest noch nie davon gehört?"
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Harry Webster

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Heiliger Boden
« Antwort #478 am: 23.02.2015, 11:01:13 »
"Meine Schulbildung war, ähm, eklektisch", sagte Harry und wurde tatsächlich ein wenig rot dabei. "Außerdem halte ich es wie Sherlock Holmes, der berühmteste Detektiv aller Zeiten, der nicht einmal wusste, dass die Welt eine Kugel ist und sich um die Sonne dreht: derlei Wissen, verkündete er hochnäsig, nütze ihm überhaupt nichts bei der Aufklärung seiner Fälle und er wolle es nun, da er es unabsichtlich erfahren habe, schnell wieder vergessen, um Platz zu schaffen für solches, das ihm bei seiner Arbeit hilft."

Er warf noch einen kurzen Rundumblick über sein Publikum, ärgerte sich über seinen Ausbruch, aber nicht so sehr, dass er sich einen letzten Unkenruf verkneifen konnte: "Schön, macht Krieg. Man kann nur hoffen, dass dies nicht euer Sarajevo ist. Siebzehn Millionen Tote in vier Jahren Krieg, nur weil ein Thronfolger ermordet wurde. Lasst uns hineingehen."
« Letzte Änderung: 23.02.2015, 13:24:54 von Harry Webster »
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Jurij Klee

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Heiliger Boden
« Antwort #479 am: 24.02.2015, 00:01:13 »
Ein Schnaufen war von Jurij auf Harrys rede zu hören. Seine verschränkten Arme zeigten offensichtlich, dass er nicht seiner Meinung war. „Harry, auch ich hoffe dies nicht für dieses Land. Denn es gibt noch andere Wege als immer zum Messer oder zum little Boy zu greifen, der ja in einem Wimpernschlag eine ganze Stadt ausgelöscht hatte. Es gibt Sanktionen. Sie stehen jedem Land offen und wenn sie weise eingesetzt werden, können sie einen Krieg verhindern. Denn jedes Land ist irgendwie auch von seinen Nachbarländern abhängig.“ Langsam wanderte sein Blick von Harry zu Aria. „Wenn wir schon hier sind, können wir auch gleich einmal ein paar Bildungslücken schließen.“ Kurz lächelte er die Frau an, denn er meinte damit nicht nur die von Harry. „Ja, wir sollten hinein gehen, bevor einer noch eine Fackel holt oder Harry zu einer längeren  Diskussion herausfordert.“
« Letzte Änderung: 24.02.2015, 00:02:37 von Jurij Klee »
Wenn du etwas machst, mache es mit jeder Faser deiner Selbst. -Status-

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