Hintergrund (Anzeigen)Wenn man bedenkt, was aus Robin geworden ist, würde man vermuten, dass sie eine harte Kindheit hatte, schlimme Dinge erlebt hat... aber tatsächlich ist das Gegenteil der Fall.
Robin ist die Tochter eines einfachen Schuhmachers und einer Schneiderin, ist - soweit in Mechanika möglich - behütet aufgewachsen und hat eigentlich nie etwas wirklich Schlimmes erlebt. Sie hat nicht einmal negative Erfahrungen in der Schulzeit gemacht, denn ihre Mutter hat sie zuhause unterrichtet (auch wenn manch einer vielleicht sagen würde, dass es für die Bildung ihres Geistes besser gewesen wäre, zu einer normalen Schule zu gehen).
Aber schon seit der Kindheit zeichneten Robin zwei Dinge aus: Sie hatte schon immer eine unglaubliche Energie, und - vielleicht damit zusammenhängend - sie war schnell zornig. Ihr Vater arbeitete meist den Tag über in seinem Laden, und ihre Mutter wusste mit ihren Wutanfällen nicht ganz umzugehen.
Im Laufe der Jahre wurde es etwas besser, Robin wurde reifer und kontrollierter. Doch unterschwellig blieb der Zorn vorhanden. Es waren aber keine Kleinigkeiten mehr, die sie wütend machten, wie noch als Kind. Robins Zorn galt den Ungerechtigkeiten Mechanikas, schlimmen Verbrechern und Leuten, die aus der Stadt einen schlechteren Ort zum Leben machten.
Robin war der Meinung, dass das wichtigste im Leben war, glücklich zu sein und das eigene Leben leben zu dürfen. Aber die Bedingungen dafür waren in Mechanika denkbar schlecht. Mit vierzehn hatte sie ihre erste Prügelei, mit siebzehn brach sie das erste Mal einem Jungen die Nase, der der Ansicht war, dass ihr "Nein" nichts zu sagen hatte.
Mit achtzehn Jahren war sie an einem Punkt, dass sie sich Gedanken über ihre berufliche Zukunft machen musste. Das Problem war: Sie hatte keine Ahnung, was sie machen wollte. Weder die Schuhmacherei noch die Schneiderei interessierten sie, weiter Bücher wälzen wollte sie auch nicht, sie hatte keine Lust, sich irgendeinem fiesen Arbeitgeber unterzuordnen, aber von wirtschaftlichen Dingen verstand sie auch nicht allzu viel...
Während sie so darüber nachdachte, schlenderte sie durch die Straßen der Stadt. Auf einmal hörte sie das verzweifelte Weinen einer Frau, begleitet von zwei Männerstimmen. Vorsichtig lugte sie um die Ecke. Auf dem Boden kauerte eine Frau in einfachen, dreckigen Kleidern, ihre Arme flehentlich nach oben gestreckt. Vor ihr stand ein Mann in schwarzer Kleidung, die vor Jahren sicher einmal schick gewesen war, mit einem schwarzen Zylinder auf dem Kopf.
"Mary, sieh es doch einmal so. Du kannst dem Kleinen doch keine gute Zukunft bieten. Die Madame, die sich so sehnlich ein Kind wünscht, wird ihm alles bieten, was er braucht. Er wächst als Kind gut betuchter Eltern auf. Willst du das nicht für dein Baby?"
Erst jetzt nahm sie das leise Weinen wahr. Eine Kindsentführung - sie konnte nicht glauben, was sie da hörte!
Neben dem Entführer stand ein zweiter Mann, bullig und grob - sein Leibwächter, wie Robin vermutete. Und im nächsten Moment handelte sie schon, noch bevor sie wusste, was sie da eigentlich tat.
Die Männer hatten den Fehler gemacht, nicht auf ihre Umgebung zu achten. Robins Dolch fuhr von hinten in den Nacken des Leibwächters, das Blut spritzte auf die Straße, und der Kerl fiel schlaff zu Boden. Erschrocken drehte sich der Kindesentführer zu ihr um. In einer einzelnen, schnellen Bewegung glitt der Dolch durch seine Kehle. Noch bevor er zu Boden gestürzt war, hatte sie ihm das Kind aus dem Arm genommen.
Sie gab den Jungen ihrer Mutter zurück und sagte ihr, dass sie schnell weglaufen sollte.
Dann sah sie nach unten, zu den beiden Leichen. Sie hätte erschrocken sein sollen, entsetzt sogar. Sie hatte gerade zwei Menschenleben beendet. Aber sie empfand gar nichts. Diese Kerle hatten es schlicht nicht anders verdient.
Ihr Blick fiel auf den Leibwächter. Er hatte eine Waffe bei sich getragen - eine Armbrust. Ohne weiter darüber nachzudenken, nahm sie sie an sich. Dann fiel ihr Blick auf einen weiteren Gegenstand. Der Zylinder des Kindesentführers lag vor ihr auf dem Boden.
In dem Moment kam ihr eine Idee...
Seit eineinhalb Jahren arbeitete sie nun für die Downtown Gentlemen. Sie war bei ihren Eltern ausgezogen, um auf eigenen Beinen zu stehen. Ihr Zimmer in der Gaststätte mit dem klangvollen Namen "Zum nassen Hund" war nicht riesig, aber es reichte vollkommen aus. Sie zahlte inzwischen nicht mehr tage-, sondern monatsweise, und Terry, der Wirt, war für sie schon fast so etwas wie ein Freund geworden.
Ihr Vorgesetzter, Vaston, stellte ihr inzwischen nicht mehr viele Fragen. Die erste Zeit war ganz anders, denn Robin neigte dazu, die kleinen Gauner, die einfach nur irgendwie durchs Leben kommen wollten, nicht zu erwischen; immer wieder aber erwischte sie dafür einen der "dicken Fische". Das führte zu heftigen Diskussionen zwischen Vaston und Robin, und die junge Frau hätte mehrfach beinahe wieder ihren Job verloren. Irgendwann wurde Vaston aber klar, dass er in Robin ein effizientes Werkzeug hatte. Sie hatte gute Kontakte in die Unterwelt, wurde, obwohl sie als Constable bekannt war, geschätzt, und kam an Informationen heran, die manch anderem verweigert wurden. Ihre Erfolge waren groß genug, damit er Robins Eigenarten durchgehen ließ.
Robin hingegen war glücklich. Sie hatte ihre Berufung gefunden.
Allerdings war es für sie nicht genug, Verbrecher auf die "übliche" Art zu jagen. Sie lernte, sich unbemerkt durch die Stadt zu bewegen, bei Nacht und über die Dächer der Stadt hinweg. Und sie lernte, immer besser mit ihrer Armbrust umzugehen. Eine Fähigkeit, die immer häufiger dazu führte, dass Dreckskerle (und -weiber), an die sie ansonsten nicht herankam, plötzlich mit einem Bolzen im Herzen (oder an anderen tödlichen Stellen) endeten.
Womit sie nicht gerechnet hatte, war, dass ihr Handeln irgendwann zu Gerüchten führte.
Inzwischen war Robin wirklich gut geworden. Zwei Jahre war sie jetzt dabei. Die Armbrust, ihre "Beute" von ihrem ersten "Fall", war noch immer ihre Lieblingswaffe, und zudem für sie zu einem Symbol geworden. Überhaupt hielt sie eine Menge von Symbolen. Dadurch, dass die Leute in ihrer Umgebung sahen, dass sie sich nicht mit "Kleinkram" abgab, sondern tatsächlich die "großen Fische" jagte, gab sie vielen Bürgern das Gefühl zurück, dass die Stadt tatsächlich für die Bewohner da war. Dass es jemanden gab, der nicht nur für das Gesetz, sondern für Gerechtigkeit kämpfte.
Aber das war nicht alles. Die Gerüchte eines "dunklen Rächers", die hier und da die Runde machten, sah sie als Chance, den Leuten noch mehr Hoffnung zu geben. Und so kaufte sie sich eine gefährlich aussehende Maske, malte sie schwarz an, und ging fortan als "dunkler Rächer" auf die nächtliche Jagd.
Sicherlich war sie noch weit davon entfernt, eine Legende zu sein - aber die ersten Bürger sprachen darüber, und der Grundstein war gelegt.
Zu ihrem Glück behaupteten die Gerüchte, der "Rächer" wäre ein hünenhafter Mann, der über die Dächer der Stadt schweben konnte. Etwas ärgerten sie diese Verfälschungen, aber sie verwischten auch ihre Spuren. Und Robin war pragmatisch genug, dies für ihre Zwecke zu nutzen...
Es war eine erfolgreiche Woche gewesen. Sie hatten Jargus, den 'Schakal', wie man ihn nannte, hinter Gitter gebracht. Er war der Anführer einer üblen Gang, der „Downtown Dogs“, die in Downtown ihr Geld mit Schutzgelderpressung verdient hatten. Aber das Beste war, dass sie neben Jargus auch gleich seine drei wichtigsten Gefolgsleute eingesackt hatten – und damit seine wichtigsten potenziellen Nachfolger. Mit etwas Glück war der Schlag für die Gang so vernichtend, dass sie auseinanderbrechen würde.
Natürlich war der Erfolg nicht ihr alleine zuzuschreiben – Vaston hatte vier Gentlemen zu einem Team zusammengebracht, um gegen die Dogs vorzugehen. Sherla, Wilfred, Klinge und sie selbst hatten die Schlinge um Jargus' Hals in einer vierwöchigen Aktion immer enger gezogen, bis er nicht mehr entkommen konnte. Mit Sherla und Wilfred hatte Robin vorher kaum mehr als einige Grußworte auf dem Revier gewechselt, aber mit der Klinge hatte sie bestimmt schon ein Dutzend Mal zusammengearbeitet.
Als Robin abends in ihr Zimmer im „Nassen Hund“ ging, beschäftigte sie allerdings ein ganz anderes Thema. Vor gut zwei Monaten war sie auf eine neue Spur gestoßen, eine Spur, die sie seit dem nicht mehr losgelassen hatte. Dmitri, einer der Gentlemen unter Vastons Führung, war von einem Straßenschläger hinterrücks überfallen und so übel zugerichtet worden, dass er es nicht überlebt hatte. Anschließend hatte er sich selbst gestellt und seine eigene Hinrichtung wortlos hingenommen.
Als Robin in den Aufzeichnungen des Reviers recherchiert hatte, war ihr aufgefallen, dass es solche Fälle schon mehrere Male gegeben hatte. Es war immer das gleiche Muster: Ein Gentleman starb auf brutale Art, und der Mörder lieferte sich gleich selbst ans Messer. In der Folge gab es auch keine umfassenderen Untersuchungen mehr.
Robins Misstrauen aber war geweckt worden. Sieben Gentlemen-Morde, alle ungefähr im gleichen Bezirk, alle in den letzten vier Jahren. Außerdem vier Fälle von toten Gentlemen, deren Ursache nie geklärt werden konnte: Marcius Delana, der von einer Kutsche überfahren worden war, Henson Rudons, der bei einem ungeklärten Hausbrand verstarb, Eldera Harrington, die (im Alter von 32 Jahren!) mitten in der Nacht einen Herzstillstand gehabt hatte, und zuletzt Roderick Griswold, den man tot im Kanal treibend aufgefunden hatte. Auch sie waren im gleichen Bezirk in den letzten vier Jahren gestorben.
Robin war überzeugt: Sie hatten es mit einem Gentlemen-Killer zu tun. Und sie wollte ihn finden. Aber nicht als Robin – sie wusste nicht, wer ihr Gegner war, und wenn er bemerkte, dass sie Nachforschungen anstellte, würde ihr das gleiche Schicksal drohen.
Es war Zeit für den dunklen Rächer...
In jener Nacht hatte es für Robin eine echte Überraschung gegeben. Sie war wieder einmal auf den Dächern unterwegs, auf der Spur eines Kerls namens Mordryn. Sie hatte sich ein wenig umgehört, unverdächtige Fragen in unverdächtigen Gesprächen mit ihren Freunden im „Nassen Hund“ gestellt, und tatsächlich war eine brauchbare Information herausgekommen: Griswold, der zuletzt verstorbene Gentleman, war diesem Mordryn offenbar mächtig auf die Füße getreten. Mordryn handelte mit illegalen Substanzen – nicht nur Drogen, sondern auch Gifte und andere Dinge. Bisher hatte man ihm noch nichts nachweisen können, aber den Gerüchten nach, war Griswold ihm auf der Spur gewesen.
Also saß sie dort, einen halben Meter über dem Fenster seines Wohnzimmers im vierten Stock eines prachtvollen Hauses, und lauschte seinen Gesprächen. Er hatte Besuch von einer Frau, allerdings keine Liebelei, sondern eine Interessentin. Sie wollte ein „blaues Pulver“ von ihm kaufen – was auch immer das sein mochte. Doch während sie so da saß und lauschte, bekam auch sie selbst Besuch.
Durch ihre Maske sah sie – in eine andere Maske. Ihr Gegenüber war klein, kaum einen Meter groß – ein Bold, so viel war wohl klar - "Die Klinge"! Mit dem sie schon viele Einsätze mit in ihrem dasein als Gentlemen durchgezogen hatte. Und er offenbarte ihr, dass er sie schon seit einigen Nächten beobachtet hatte. Was bedeutete, dass er mitbekommen hatte, wie sie vor drei Nächten Marcon Wellish erledigt hatte, einen Menschenhändler, der den Gentlemen seit über einem Jahr immer wieder entkommen war. Und es bedeutete, dass er wusste, dass sie der „dunkle Rächer“ war.
Trotzdem schien ihre Identität noch nicht enthüllt: Weder wusste er, wer sich hinter ihrer Maske verbarg, noch hatte er ein Interesse daran, sie aufzuhalten. Er schien auf einer ähnlichen Mission zu sein wie sie. Sie fasste sich ein Herz, und erzählte ihm von ihrer Theorie des Gentleman-Killers – und ihrer Spur zu Mordryn. Und sie erzählte ihm auch, dass sie ein seltsames Gefühl hatte, dass Mordryn selbst nur ein Mittelsmann war – der einzige Grund, weshalb er noch lebte. Robin hoffte, über ihn an den wahren Gentleman-Killer heranzukommen.
Ihr überraschender Besucher versicherte ihr, dass sie auf der selben Seite standen. Und in den folgenden Nächten begegneten sie sich immer wieder. Die Stadt hatte nun zwei dunkle Rächer, wie es schien.