Als Sanjan Siola die Weidenrinde reicht, und ihr sagt, er werde später noch einmal nach Pishu sehen, lächelt sie und nimmt die Medizin entgegen. "Gut - ich werde seine Verbände kontrollieren und notfalls wechseln, wie du gesagt hast. Bis dann."
Jaresh nickt derweil Tarqetik bei dessen Worten zu. "Um ehrlich zu sein - mein Name ist heute wohl öfter im Dorf gefallen, als mir selbst lieb war, aber dieses Thema werden wir gleich besprechen. Und was Pishu angeht - ihr hattet ja auch nach seinem zustand gefragt, Manik - er hat sich wohl etwas übernommen, aber er hat sein Herz am rechten Fleck." Dann schaut der Mann noch einmal Manik, Ragnar und den zurückeilenden Sanjan an und fügt hinzu: "Kommt!"
Er steigt auf und die kleine Gruppe bestehend aus dem Gutsherren, den vier Abenteurern, und Jemma macht einen kurzen Ritt zu dem Gutshaus der Dorguln. Es ist ein wunderschönes, hölzernes Anwesen, mit schrägem Dach, zwei vollen Stockwerken, einem dritten als Dachgeschoss und einer weiten Veranda vor der Haupttür. Unweit steht ein Stall für die Pferde, die Gruppe kann ihre Reittiere dort anbinden. Ein Junge von vielleicht dreizehn Jahren döst im Schatten mit einem Hut im Gesicht an die Wand des Stalls gelehnt, doch als die Männer sich nähern, wacht er auf und macht sich daran, ihnen die Zügel abzunehmen und die Tiere hineinzuführen. "Tränke die Pferde und gib Ihnen Futter, Velon", weist ihn Jaresh an, als er ihm die Zügel seiner Stute übergibt.
Dann legt die Gruppe den kurzen Weg zum Anwesen zurück und betritt das Haus. Drinnen ist es angenehm kühl - erst jetzt merken die Männer, dass die Nachmittagssonne die Luft doch stark aufgewärmt hatte und dass es sehr angenehm sein kann, in solcher Zeit im Schatten Schutz zu suchen. Zwei Hausmädchen begrüßen die Neuankömmlinge. Beide lächeln Jaresh an - anscheinend ist er wirklich ein gnädiger Gutsherr, der seine Arbeiter gut behandelt.
Der Eingangsbereich ist eine große Halle, die sich über die ersten zwei Stockwerke nach oben erstreckt. An der Wand entlang geht eine Treppe nach oben, die dann als Balustrade die Halle umrundet. Türen führen von der Balustrade in die Räume im Obergeschoss und eine weitere Treppe an ihrem Ende auf den Dachboden. In der Mitte der großen Halle steht ein an Gewicht und Bedeutung schwerer Eichentisch mit dazu passenden Stühlen. Anscheinend wird hier allabendlich das Mahl eingenommen und auch Gäste bewirtet. Kerzenleuchter an den Wänden, sowie ein metallener Kronleuchter an der Decke tauchen den Raum in angenehmes Licht. An der Wand hängen Rehköpfe und auch zwei Ölgemälde.
Während den Recken durch den Kopf geht, ob sie sich an den Tisch setzen sollten, führt sie Jaresh durch eine Seitentür weiter in einen ebenfalls geräumigen Nebenraum im Erdgeschoss. Der Geruch von Tinte und Pergament steigt den Männern in die Nase. An den Wänden stehen lückenlos gefugt Bücherschränke, voll mit Schriftrollen und Lederbändern. An einer Wand steht ein Schreibtisch aus Holz mit Stuhl und einer brennenden Öllampe darauf. Außerdem gibt es einen niedrigen Beistelltisch, um den herum mehrere Stühle als Sitzgruppe angeordnet sind. Auch hier tauchen Kerzen alles in ein warmes Licht.
Jaresh deutet auf die Stühle und sagt: "Setzt euch, bitte." Als alle sich hingesetzt haben, kommen die Hausmädchen vorbei und bringen zwei Krüge und insgesamt sechs Becher, die sie auf den Beistelltisch stellen. Jaresh deutet auf die Krüge: "In dem einen ist frisch gepresster Apfelsaft - aus dorwidischen Feldern. In dem anderen svimohzischer Wein. Bitte, bedient euch." Während er die Worte spricht, gießt er Jemma den Wein ein, die den Becher mit einem dankenden Nicken entgegen nimmt. Dann gießt sich der Gutsherr selbst einen Becher des Safts ein.
Er nimmt einen Schluck und beginnt dann zu sprechen: "Meine Herren, ihr habt heute Morgen die Szene auf dem Marktplatz gesehen. Das ist leider nur die Spitze des Eisbergs beziehungsweise sein neuester Auftritt. Wie schon erwähnt wurde, gab es schon mehrere Übergriffe auf dorwidische Güter und Karawanen in der Nähe. Hiram Festani, der Bürgermeister, und die meisten Bewohner der Stadt sind überzeugt davon, dass die Angreifer Kargi vom Stamme der Ukhtark sind. Ich war mir bis heute sicher, dass dem nicht so ist.
Doch heute wurde einer aus ihrer Sippe präsentiert und alle offenkundigen Beweise sprechen nun gegen die Kargi. Und im Rat von Dorwida gibt es niemanden, der ein Interesse daran hätte, sie freizusprechen. Unser Friedensvertrag spricht den Ukhtark ihren Anteil an fruchtbarem Land zu. Mittlerweile wachsen aber die dorwidischen Güter und natürlich wären die meisten Grundbesitzer froh, wenn dieses Land wieder an uns fallen und bebaut werden könnte. Manche von ihnen freuen sich wahrscheinlich darüber, dass die Kargi uns angegriffen haben. Meine Einwände, hier das Gespräch zu suchen, werden nicht fruchten."
Der alte Mann macht eine Pause und fährt sich mit der Hand über den grauen Bart. Seine Augen sind ein wenig nach Innen gerichtet, als würde er sich an etwas erinnern wollen.
"Wisst ihr - ich habe selbst vor siebzehn Jahren den Friedensvertrag mit Gul Hulad, dem Fürsten der Ukhtark ausgehandelt. Ich kenne diesen Mann. Und ich kenne seine Sippe. Ein altes Kargi-Sprichwort besagt: 'Ich würde lieber Ehre verdienen und sie nicht erhalten, als Ehre zu erhalten, die ich nicht verdiene.'"
Jemma nimmt einen Schluck aus dem Becher und schmunzelt. "Sieh an - die Grünhäute haben doch eine poetische Ader."
"Den Kargi bedeutet die Ehre mehr, als ihr Leben", fährt Jaresh fort. "Und das gilt besonders für die Ukhtark. Sie würden den Vertrag niemals im Stillen brechen. Aber wenn wir nicht etwas unternehmen, wird das keine Rolle spielen. In wenigen Tagen, wollen die Soldaten - verstärkt um euch und andere Söldner - gegen die Ukhtark ziehen und dann wird das Blutvergießen beginnen. Das will ich verhindern. Ich will keine Toten - weder bei uns in Dorwida, noch bei den Ukhtark. Und ich will herausfinden, wer wirklich hinter den Überfällen steckt."
Der alte Mann beugt sich vor und führt die Handflächen zusammen. Er legt diese aneinander und deutet nacheinander auf die vier Männer vor ihm. "Ich möchte euch bitten, in meinem Namen zu den Ukhtark zu reiten und mit Gul Hulad zu sprechen. Stellt ihn zu Rede; erzählt ihm von den Überfällen und davon, dass man in Dorwida davon ausgeht, dass die Ukhtark dafür verantwortlich sind. Und macht euch ein eigenes Bild, ob das der Fall ist. Das wäre mein Auftrag."
An dieser Stelle macht Jaresh eine Pause und schaut die Männer vor sich eindringlich an, in Erwartung einer Antwort.