Nachdem Will Angelo den Trank aufgezwungen hatte, schlief dieser kurz darauf ein. Zuerst atmete er heftig; dann wurde er ruhiger und schien in einen tiefen, erholsamen Schlaf zu sinken.
Als Arjen die Ruinenstadt betrachtet hatte, waren seine Gedanken zu verstreut, um wirklich zu sehen, was vor ihm lag. Will betrachtete die Stadt etwas genauer - wenn auch seine Aufmerksamkeit nicht gänzlich den Resten der Schillernden Stadt galt. Von hier oben aus wirkte die Verwüstung fast noch schlimmer, als wenn man durch die Straßen lief. Will sah nicht nur die verwüsteten Häuser um sich herum; er konnte sehen, wie sich die Zerstörung über die Weite der Stadt erstreckte. Und überall lagen sie, wie Murmeln, die ein unachtsames Götterkind verloren hatte: Die toten Körper der Menschen, Elfen und anderer Völker, die einst hier gelebt hatten. Ebenso wie die toten Körper jener Wanderer, die schließlich durch das Feuer umgekommen waren.
Schwarz vor Ruß und ausgebrannt, in sich zusammengestürzt, leblos: Aradan sah aus, als hätte eine Armee roter Drachen die Stadt dem Erdboden gleich gemacht. Die Vernichtung war absolut. Eine halbe Million Einwohner, Reisende nicht mitgerechnet, waren gestorben. Kaum mehr als eine Handvoll schienen überlebt zu haben. Zumindest soweit sein Blickfeld es zuließ, konnte Will nichts erkennen, was wie ein Rückzugsort der letzten Streiter aussah, eine Festung, in der sich die letzten paar tausend Überlebenden zurückgezogen hatten. Vermutlich, weil es so etwas nicht gab.
Sicher, es gab das eine oder andere Gebäude, in dem vielleicht noch jemand überlebt haben mochte; irgendwo in der Ferne konnte Will das berüchtigte Sanatorium von Aradan erkennen, in einer anderen Richtung die legendäre Festung des Schwertmeisters Ashan (ein Mann, dessen Leben man ohne viel umzuschreiben in gleich ein Dutzend Theaterstücke hätte verarbeiten können). Doch ob dort irgendwo tatsächlich noch jemand lebte, konnte Will nicht sagen.
Er ahnte, in welcher Richtung das Waisenhaus liegen musste, doch wo genau, ließ sich von hier schwer sagen. Es war auf jeden Fall eine weitere Reise, irgendwo zwischen zwei und vier Stunden, wenn man die neuen Gegebenheiten in der Stadt mit rechnete. Denn immer wieder musste man umkehren, neue Wege finden, weil irgendwo eine Straße versperrt war oder einem eine Horde entgegen kam.
Schließlich gab er es auf: Welches Mauseloch sich Lissie und die Kinder auch gesucht hatten - er konnte nur hoffen, dass sie eines gefunden hatten -, von hier aus würde er sie nicht finden.
Luca schüttelte mit dem Kopf. "Es lässt sich schwer erklären. Die Götter sind noch da, Magie funktioniert noch immer, ohne jede Veränderung. Aber..." Er kaute einige Sekunden auf seiner Unterlippe, und schien dabei nach den richtigen Worten zu suchen. "In der Welt, in der wir noch vor wenigen Tagen gelebt haben, waren die Kreaturen, die die Stadt verwüstet haben, etwas Widernatürliches, etwas, was das Gleichgewicht gestört hat. Etwas, das nicht sein sollte. Wir selbst mögen es immer noch so empfinden, weil wir aus dieser Welt kommen. Doch in der neuen Ordnung... sie sind ein Teil der Welt, sie gehören hier her. Das ist, was ich gespürt habe. Was das über diese Welt sagt..."
Er ließ seinen Satz unvollendet. Sein Blick wanderte wieder zu seinen beiden Mädchen. Ani lag inzwischen im Bett, ihren Kopf auf dem Schoss ihrer ältern Schwester, die Augen kurz davor, ganz zuzufallen.