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Autor Thema: 2. Zug - Bauernopfer  (Gelesen 26086 mal)

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Idunivor

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2. Zug - Bauernopfer
« am: 22.03.2015, 10:07:48 »
Niemand konnte sie sehen und doch spielten sie ihr Spiel. Neue Figuren standen auf dem Brett, alte waren verschwunden. Der Maskierte greift eine nach der anderen, bringt sie in Position. Manche offen und direkt zum Angriff, andere verborgen. Sein Gegner scheint passiv, er reagiert nur auf die Züge, ergreift nicht die Initiative.
Doch dem ist nicht so. Auch er bringt Figuren ins Spiel, droht ohne, dass es sein Gegner erkennt.
Herausfordernd blicken die hinter der Maske verborgenen Augen in das von Schatten umhüllte Gesicht des Gegners, als er nach der Figur im Zentrum greift und sie nach vorn setzt.
Gäbe es Zuschauer in diesem kleinen Saal, hätten sie wohl jetzt den Atem angehalten. Welche Strategie verfolgt der Maskierte? Selbst Laien können erkennen, dass dieser Zug ein Fehler ist. Die Figur ist umkreist von Feinden, es gibt für sie keinen Ausweg. Sie muss fallen. Aber was gewinnt der Maskierte mit diesem Zug? Auch sein Gegner scheint dies zu bedenken. Er zögert einen Moment, aber er kann offenbar nicht widerstehen, sondern greift nach einer seiner bisher unbenutzen Figuren. Auf der Maske seines Widersachers steht jetzt ein Lächeln und eine einsame Träne rollt sie hinab.
The only ones who should kill are those prepared to be killed.

Idunivor

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2. Zug - Bauernopfer
« Antwort #1 am: 22.03.2015, 10:35:51 »
Wie Nebulo angekündigt hatte, gingen Wochen ins Land, in denen er nichts von den ehemaligen Häftlingen verlangte. Er gab ihnen Zeit sicht in Selgaunt einzuleben und das taten sie. Um nicht allzu sehr aufzufallen, nahmen sie sogar arbeiten an. Calator verdingte sich als Türsteher in einer der Schachstuben am Hafen, wohl nicht zuletzt, weil es dort recht rau zuging und es immer mal wieder eine Schlägerei gab, in der er Gelegenheit erhielt ein paar Knochen zu brechen. Lina und Heka begannen zusammen für einen der Adligen in den Rabengärten zu arbeiten, als Dienerinnen in seinem Haushalt. Und zusätzlich kümmerten sie sich auch um Rochus Anwesen so gut sie konnten.
Dem alten Mann schien es gut zu tun, dass sein Freund Nestor wieder bei ihm war. Denn es stellte sich heraus, dass er gar nicht ganz so verarmt war, wie es den Anschein hatte, sondern nur äußerst vergesslich, sodass er keine Ordnung mehr in seine Bücher zu bringen vermochte. Durch Nestors Hilfe, der zwar wirklich bettelarm war, da man all seine Besitztümer konfisziert hatte, ließen sich einige wenige Mittel wiederfinden und gewinnbringend investieren, sodass wenigstens für den Unterhalt der Bewohner des Hauses gesorgt war.
Das alles ändert sich fünf Tage vor dem Mondfest. Malark erhielt die Nachricht und leitete sie an seine Gefährten weiter, die die Äblaufe im Widerstand inzwischen erlernt hatten. Deshalb wissen sie auch, dass es nicht ungewöhnlich ist, dass sie Nebulo hierfür nicht direkt treffen. Stattdessen bedient er sich eines Mittelsmannes in der Roten Dame. Die Partie und die Worte des Gegenspielers zeigen schnell, dass es gleich drei Aufträge gibt für die jüngste Zelle des Widerstandes von Selgaunt. Heka und Lina sollen scheinbar etwas in der Stadt erledigen, aber da sie nicht in der "Dame" sind, erfährt niemand Details. Nestor und Calator würden zu einem Anwesen nördlich von Selgaunt aufbrechen, um dort etwas zu beseitigen. Auch hier sind die Anweisungen vage, aber Malark versichert die neuen Widerständler, dass dies nicht ungewöhnlich ist. So arbeitet Nebulo nun einmal. Der Hauptteil von ihnen würde ebenfalls Selgaunt verlassen. Von dem Mittelsmann bekommen sie nur wenig, um den Rest würden sie sich selbst kümmern müssen: "Ferritribaks von Yhaunn, in drei Tagen an Pugnus' Faust. Schaltet ihn aus." Mit diesem Auftrag lässt der Mittelsmann die Zelle zurück in der Roten Dame, jetzt ist es an ihnen dem Widerstand ihren Wert zu beweisen.
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Zerrabeu

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2. Zug - Bauernopfer
« Antwort #2 am: 23.03.2015, 23:20:48 »
Auch Zerrabeu hatte angefangen wieder zu arbeiten. Als einfacher Schneidergehilfe übernahm er bei einem örtlichen Schneider kleinere Aufträge. Doch war er nicht bei der Sache. Häufig mußte er seine eigenen Stiche wieder auftrennen und seine eigenen Nähte korrigieren. Um so mehr hatte er sich gefreut in Rochus ' Anwesen eine kleine Bibliothek zu finden. Und so kam es, dass ihn die Gefährten nur selten zu Gesicht bekamen. Tagsüber war er meist unterwegs, und seine wenige Freizeit verbrachte er in der Bibliothek. Häufig tauchte er morgends in verknitterteter Robe und mit Ringen unter den Augen aus selbiger wieder auf.

Bei der Ankündigung ihres nächsten Auftrages wurde er bleich. Sicher dieser Ferritribaks von Yhaunn war kein guter Mensch, doch würde er nicht alleine reisen. Es würde mehr Tote geben. Nun vielleicht auch nicht. Er hatte die letzten Tage einen Dislokationszauber gemeistert. Vielleicht könnte dies helfen die Verteidigung zu umgehen, und sich den König direkt aus der Mitte seiner Verteidigung zu schnappen. Ja vielleicht würde das gehen. Wenn sie die Überaschung auf ihrer Seite hätten. Er blickt zu seinen Mitverschwörern. Was würden sie zu einer derartigen Idee sagen?

Threan

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2. Zug - Bauernopfer
« Antwort #3 am: 26.03.2015, 18:03:13 »
Die ersten Tage der neu gewonnen Freiheit hatte der Söldner genutzt um einsame Spaziergänge durch Straßen, Gassen, Gärten und entlang der Kaimauern zu unternehmen. Diese Zeit der Rückgezogenheit hatte ihre Wirkung nicht verfehlt und hatte dem verbissenen Mann etwas Ruhe geschenkt. Die Abende waren schreibend vergangen, ebenso zurück gezogen wie die Tagesausflüge. Erst nach gut zehn Nächten, hatte Threan eine Aufgabe für sich gefunden. Rochus Bibliothek bot dem jungen Mann nicht was er suchte und so begab sich der Krieger auf die Suche nach weiteren Büchern ohne zu ahnen wie schwer diese Suche werden würde. Durch den Bann der auf den Tempeln lag und das neue Misstrauen, das gegenüber nicht Schattenmagiern herrschte, war es schwierig geworden an fundierte Werke zu gelangen. Und so stürzte der Sturmmantel in ein Abenteuer, dass ihn zu spät nächtlicher Stunde einmal sogar bis in die Hallen des ehemaligen Oghmatempels führte, der mittlerweile versiegelt und in eine Art Winterschlaf des Vergessens gefallen war. Im Laufe dieser Ereignisse brachte der Söldner einige Bücher in Rochus Besitz die selten genug waren um wirklich kostbar zu sein.

Erst als Threan damit fertig war, stellte er fest, dass die hiesigen Fechtclubs nur für Adelige und extrem wohlhabende Ehrenmänner offen waren. Eine Anstellung als Fechtlehrer strikt ablehnend, folgte der Sembit erneut seinen Instinkten und landete schließlich bei Yanis, einem ehemaligen Offizier, der sich nach einem bewegten Leben der Liebe wegen in der Hafenstadt Selegaunt ein Anwesen gekauft hatte um dort seinen erfochtenen Reichtum zu genießen. Der Cormyrer war trotz seines Ruhestandes alles andere als gemächlich geworden und die freundschaftlichen Kämpfe die oft bis in den späten Nachmittag hinein reichten, forderten Threan und halfen ihm zu seiner alten Form - vor Grennokah - zurück zu finden.

Als die Zeit für Nebulos erneuten Ruf gekommen war, folgte der Sturmmantel seinen Gefährten, wesentlich ruhiger als beim ersten Mal in die Rote Dame. Die Züge des Mittelmannes genau beobachtend, tat sich der Sembit nicht weiter schwer ihre Bedeutung zu deuten. Und so nickte er schlicht als gesagt war, was zu sagen gewesen war.

Er - Threan - war bereit sofort los zu ziehen und den Kampf zu denjenigen zu tragen für die er gekommen war.

Malark Tallstag

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2. Zug - Bauernopfer
« Antwort #4 am: 26.03.2015, 21:41:04 »
Malark lebte mit anderen Widerständlern zusammen und war ein genügsamer Mensch geworden. Er hatte aus früheren Zeiten genug Geld angesammelt. Das konnte der ehemalige Einbrecher gut gebrauchen, weil er nicht in alte Laster zurückfallen wollte. Verbündete der Umbravar, die ausgeschaltet werden mussten, warfen manchmal gar kein schlechtes Geld ab. So würde sich der psionische Schurke sicherlich einige Zeit über Wasser halten können.

Ab und an schaut Malark einmal bei Rochus Anwesen vorbei und erkundigt sich wie es den anderen Widerständlern denn so geht. Und dann war es endlich so weit und er kam vorbei, um für das Treffen mit dem Mittelsmann zu sorgen.

Malark will die neue Schachsprache etwas mit seinen neuen Mitstreitern in der Praxis üben und sagt zu ihnen: "Ich will Euch mal ein paar Schachzüge zeigen, die ich schon erlebt habe, passt gut auf."

Über die Schachfiguren wird folgende Botschaft übermittelt: "Ferritribaks von Yhaunn ist ein dreckiger Sklavenhändler, der sich mit Umbravar arrangiert hat. Es wäre nicht schade um ihn, wenn er drauf geht. Was wisst Ihr über Pugnus' Faust? Wisst Ihr wo es liegt?"

Dann wieder in normaler Sprache sagt Malark: "Will jemand anders mal ein paar Züge machen? Nur durch die Praxis lernt man. Das auswendig Lernen von Zügen ist ein wesentlicher Bestandteil des Schachs."

Jeder Widerständler wusste genau, worum es ging. Aber Malark wollte die Verschleierung ihrer Tätigkeit mit den anderen einüben.

Zerrabeu

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2. Zug - Bauernopfer
« Antwort #5 am: 27.03.2015, 22:40:11 »
Ohne zu Zögern greift Zerrabeu zu den Schachfiguren. "Die Züge die ihr da gerede gezeigt habt, sind ja ganz nett, aber meint ihr nicht so wäre die Situation besser zu läsen gewesen?" Seine Finger fliegen über das Brett und verschieben die Figuren: "Felsen Pugnus Faust, zwei Tage Richtung Yhaun, Küstenstrasse nach Belnoreth, Aussehen gleicht Faust."
"Oder was haltet ihr von dieser Lösung des Problems?" Erneut zucken seine Finger über das Brett: "Zeitig abreisen. Hinterhalt. Gelände wissen und nutzen. Gefangen nehmen?"

Malark Tallstag

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2. Zug - Bauernopfer
« Antwort #6 am: 02.04.2015, 19:48:26 »
"Nett. Aber ich zeige Euch mal noch etwas anderes. Ich habe es von einem anderen Schachspieler einmal abgeschaut, um ehrlich zu sein." Malark passt sich dabei der einfacheren Sprachwahl von Zerrabeu an durch seine Züge.

"Verkauf eines Sklaven vorspiegeln? In eine Falle locken? Passende Gegend auskundschaften? Meinungen hierzu?"


Hesper

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2. Zug - Bauernopfer
« Antwort #7 am: 04.04.2015, 01:19:19 »

Noch Tage nach ihrem ersten - und, da war sich Hesper sicher, schicksalhaften - Zusammentreffen mit dem, der sich "Nebulo" nannte, dachte der Selûne-Priester intensiv über den Abend in der Roten Dame nach. Besonders einige einzelne Szenen gingen ihm immer wieder durch den Kopf. Da war zum einen Nebulos Versicherung, daß Calator das bekommen würde, was ihm zusteht - diese bezog sich zwar auch auf alle anderen neuen Widerständler, aber für Hesper klang es in Calators Fall sinister, auch wenn dies mehr mit seiner eigenen Antipathie gegenüber dem Zwerg zu tun habe mochte. Dann war da natürlich die Anschuldigung Zerrabeus als Mörder, welche dieser selbst sogar zustimmend und schuldbewußt wiederholt hatte! Noch hatte der Kleriker den jungen Mann noch nicht darauf angesprochen - tatsächlich hatte er ihm kaum Gelegenheit dazu gegeben -, aber er wollte dies lieber früher als später tun, und dazu würde viel Zeit vonnöten sein. Schließlich ließ ihn die Erklärung ihres neuen Verbündeten Malark nicht los, daß sich dieser am Großmeister Sembias persönlich rächen wollte. Eigentlich hatte ihn der seltsame Mann anfangs wenig interessiert, doch das gemeinsame Verlangen, Thamalon Uskevren II. zur Verantwortung zu ziehen, ließ ihn spontan Sympathie, vielleicht sogar ansonsten unverdientes Vertrauen für den "Späher" empfinden, den er sich vornahm, in der nächsten Zeit näher kennenzulernen.

Threan

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2. Zug - Bauernopfer
« Antwort #8 am: 04.04.2015, 12:19:21 »
Sich seiner Grenzen wieder bewusst werdend, hofft Threan, dass es den anderen gelingen würde noch einige Informationen zu sammeln ehe die kleine Gruppe aufbrechen würde. Auch wenn er nahezu augenblicklich tätig werden könnte wäre er nicht undankbar zu wissen mit welchem Schutz Ferritribaks reist. Die Vorschläge seiner Gefährten gefallen dem Söldner gut und auch wenn er sich und Fiona gut als Sklavenfänger vorstellen könnte, sagt ihm der Plan mit dem Hinterhalt für den Moment mehr zu.

"Guter Zug! Den kannte ich so noch nicht." lobt der Sturmmantel Malark und nickt zustimmend dabei. "Kennt ihr den schon?" fragt er während er die Figuren am Schachbrett neu ordnet und Aufstellung beziehen lässt: "Wenn möglich früher vor Ort - Hinterhalt - dann befragen. Wenn nicht - in Falle locken. Ausschalten = auch nach befragen möglich - aber Endziel. Zustimmung?"

Hesper

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2. Zug - Bauernopfer
« Antwort #9 am: 04.04.2015, 13:55:16 »

In den folgenden Zehntagen hielt sich Hesper mehr in Rochus' Stadtvilla auf als außerhalb. Dort half er nach Kräften, Ordnung in den Haushalt und vor allem die Bibliothek zu bringen, wo er Ausschau nach Büchern hielt, die sich mit allem beschäftigen, was in Murins Buch thematisiert wurde. Die Arbeit in der Bibliothek hatte zudem den Vorteil, daß er mit dem ansonsten scheuen Zerrabeu zusammenkam. Zwar hatte er es bisher noch nicht gewagt, ihn auf seine offenbar schwer auf ihm lastende Tat anzusprechen, doch er versuchte, durch gemeinsame Zeit und Freundlichkeit Vertrauen aufzubauen. Verurteilen lag dem Kleriker nicht, und vorverurteilen schon gar nicht - er wollte zuerst Zerrabeus Geschichte hören, bevor er sich ein Bild machte.
Wann immer Malark ins Haus kam, verwickelte Hesper ihn in Gespräche, um den Widerständler besser kennenzulernen - auch bei diesem wollte er nicht mit der Tür ins Haus fallen, sondern ein Gespür für den Mann entwickeln, bevor er ihn nach dem Grund seines Zorns gegenüber dem Großmeister fragte.

Außerhalb des Hauses versuchte er hauptsächlich, durch Schreibarbeiten ein wenig Gold zu verdienen. Dadurch wollte er sich zum einen ein Bild der allgemeinen Lage und des Lebens der Bevölkerung in Selgaunt unter den Umbravar machen und zum anderen die nötigen Mittel beschaffen, um teuren Weihrauch und Wein erwerben, denn damit konnte er ein mächtiges neues Ritual der Weissagung wirken, von dem er sich viel versprach. Selûne hatte ihn nämlich nach der geglückten Flucht aus Grennokah reich beschenkt und seinem Geist Zugang zu mächtiger Magie gewährt.

Hesper

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2. Zug - Bauernopfer
« Antwort #10 am: 04.04.2015, 14:25:42 »

Nachdem er sich eines Tages genügend Milch, Wein und Weihrauch besorgt hatte, bereitete Hesper am Abend einen ungenutzten Raum des Hauses für das Ritual der Weissagung vor, in dem er die Möbel an die Wand schob und andere Einrichtungsgegenstände entweder in ein anderes Zimmer schaffte oder anderweitig verstaute. Er breitete ein weißes Tuch über eine leere Truhe und stellte zwei Kannen mit Wein und Milch, mehrere Kerzen und ein metallenes Schüsselchen mit dem Weihrauch auf den improvisierten Altar.
Der Kleriker bat die anderen Bewohner, ihn in der folgenden Zeit nicht zu stören, schloß die Tür zum Raum, zündete die Kerzen an und begann, vor dem Altar sitzend zu beten und zu meditieren.

Schließlich, die Kerzen waren schon fast zur Hälfte heruntergebrannt, hatte sich Hesper entschieden, welche zwei Fragen er stellen würde - die zweite davon, das erlaubte er sich, eher privater Natur. Er sprach ein kurzes Gebet, zündete den Weihrauch an und begann, die für den Zauber notwendigen Gesten zu vollführen und die passenden mystischen Worte zu sprechen, während er immer wieder aus den beiden Kannen kleine Mengen Milch und Wein auf das Altartuch goß.

Nach einiger Zeit ließ ihn der seit seiner Kindheit vertraute Geruch des Weihrauchs und der repetitive Rhythmus der Gesten und Worte den Ort, an dem er war, vergessen. Der Priester schloß die Augen und stellte sich einen nachtblauen Himmel vor, der von Selûne in ihrer ganzen Pracht erhellt wurde. Er gleitete sanft durch den Himmel, zu Selûne hin, auf deren Oberfläche er, wie so oft und nicht nur in seiner Vorstellung, ein Gesicht zu sehen glaubte. Diesem zugewandt stellte er seine Frage: "Wo in Selgaunt kann ich die mächtigste Deiner Dienerinnen hier finden?" Eine klare, ihm aufs innigste vertraute Stimme voller Wärme antwortete ihm prompt, und die Lippen des Gesichts-im-Mond bewegten sich dazu: "Vor Deinen Augen und Deinem Blick doch verborgen." Er fühlte, wie sein Gegenüber ihn wortlos ermunterte, seine zweite Frage zu stellen: "Wo in Selgaunt kann ich jemanden finden, der mir etwas über Evendurs Schicksal verraten kann?" Die Antwort - "Hinter hohen Mauern, gehüllt in Schatten" - ließ ihn voller Dankbarkeit sein Haupt verneigen und langsam die Augen öffnen.

Schweißgebadet setzte er sich wieder auf den Boden, blickte verträumt auf das nun von den Flüssigkeiten getränkte und gefärbte Tuch und sann über die - wie nicht anders zu erwarten - kryptischen Antworten nach.

Die zweite Antwort überraschte Hesper letztlich nicht, auch wenn sie ihn entmutigte. Entweder es handelte sich bei den hohen Mauern um eine Feste, in der jemand eingesperrt war, oder um einen Palast, in der ein Feind residierte. Welches Gebäude in Selgaunt hatte die höchsten Mauern? Malark würde so etwas wissen.

Auch die erste Antwort, stellte er fest, hatte er, wenn auch in diesem Fall unbewußt, erwartet, doch hier befeuerte das nur seine Neugierde. Wilde Spekulationen schossen durch seinen Kopf - war es etwa jemand, den er kannte oder zumindest schon getroffen hatte, vielleicht, auch wenn es schwer vorstellbar war, Nebulo? Da kam ein gänzlich anderer Gedanke in seinen Sinn - war es gar ...? Er schüttelte den Kopf - nichts, was sie bisher gemeinsam erlebt hatten, deutete darauf hin. Aber Hesper würde sie von nun an besonders im Auge behalten.
« Letzte Änderung: 04.04.2015, 18:38:52 von Hesper »

Hesper

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2. Zug - Bauernopfer
« Antwort #11 am: 05.04.2015, 20:39:03 »

Naturgemäß gefiel es Hesper erst einmal überhaupt nicht, daß er daran beteiligt sein sollte, einen Menschen einfach so, als Auftrag, zu töten, und er begann sofort, in seinem Geist nach einer Alternative zu suchen - ausschalten mußte vielleicht nicht auf töten hinauslaufen.

Entsprechend erleichtert, wenn auch nicht vollständig von seinen Zweifeln befreit, ist er, als Malark Ferritribaks in seinem ersten "Zug" als Sklavenhändler im Bunde mit den Umbravar beschreibt. Aufmerksam verfolgt er die Züge des Widerständlers und die seiner Grennokah-Genossen, bevor er sich selbst in dieser komplexen Kommunikationsform übt. "Vorher Ort ausspähen wichtig. Bin auch für Gefangennahme."

Idunivor

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2. Zug - Bauernopfer
« Antwort #12 am: 06.04.2015, 12:38:54 »
Nachdem sie einen engültigen Plan gefasst haben, machen die fünf Rebellen sich auf den Weg. Sie holen ihre Ausrüstung von Rochus und leihen sich Pferde, die sie schnell genug zu Pugnus' Faust tragen sollten. Vor dem Aufbruch zieht Hesper sich noch einmal zurück um seiner Göttin eine Frage zu stellen: "Werden wir bei Pugunus' Faust in eine Falle laufen?" Wie auch schon zuvor ist die Antwort seiner Göttin wenig präzise, sondern ein kryptischer Reim: "Die Faust geht nieder auf ihr Ziel, als neuer Zug in langem Spiel."
Von den Worten lassen sich die Rebellen nicht aufhalten, sondern sie treiben ihre Pferde hinaus aus dem Nordtor und direkt über die Brücke, die sich weit über den Arkhen spannt, der gemächlich wie eh und je gen Meer strömt, sich nicht darum scherend, welch dramatische Ereignisse dem Land bevorstehen, das er durchfließt.

Das Wetter wird mehr und mehr ungemütlich in diesen Tagen. Nachtal warf bereits seine Schatten voraus und während Selgaunt sich auf das Mondfest vorbereitete, stemmten die fünf Reiter sich auf der Küstenstraße gegen die Winde, die von der See des Sternenregens aufzogen und schwere Tropfen mit sich brachten. Kaum jemand ist dieser Tage von Selgaunt auf dem Weg nach Norden. Alles zieht in die große Stadt an der Arkhenmündung um den Feierlichkeiten dort beizuwohnen. Dies mag auch das Ziel von Ferritribaks sein.
Dank des raschen Aufbruchs erreichen die Gefährten Pugnus Faust am Vorabend des Tages, den Nebulo ihnen genannt hatte. Der Fels ist leicht als das zu erkennen, denn er ragt hoch gen Himmel, ganz so als würde ein gewaltiger Erdgott, seine Faust drohend in Richtung des Meeres ausstrecken. Steil fällt die Küste an diesem Felsen ab zu einem sehr schmalen Strand, der von den Wassern der See des Sternenregens umspült werden. Gerade wollen die fünf sich daran machen ein Lager aufzuschlagen, als sie eine ihnen längst bekannte Stimme in ihren Köpfen vernehmen: "Nehmt den Pferden das Sattelzeug und eure Habseligkeiten ab und treibt sie fort. Neben der Faust ist ein schmaler Pfad. Geht ihn hinab und verbergt euch im Schatten des Felsens. Eilt euch." Anschließend schweigt die Stimme wieder. Keiner der fünf Rebellen kann irgendeinen Grund für diesen Befehl entdecken. Die Faust ragt zwar bedrohlich gen Himmel und ein leichter Regen fällt, aber außer den fünf und ihren Pferden scheint kein Lebewesen sich hier zu rühren.
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Fiona

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2. Zug - Bauernopfer
« Antwort #13 am: 07.04.2015, 15:50:23 »
Fiona hatte sich größtenteils im Anwesen aufgehalten. Etwas Training mit dem Großschwert stand stets auf der Tagesordnung, wollte die Kriegerin doch ihre Tödlichkeit mit der Klinge stets weiter verfeinern. Aber auch einem freundlichen Wettstreit oder Duell war sie nie abgeneigt und auch bereit dazu etwas weniger brachiale Waffen zu führen. Grundsätzlich beherrscht sie den Umgang mit nahezu jeder Art von Waffe und sie hat auch bereits mit einer Vielzahl davon gekämpft. Ihre von Stärke geprägte Herkunft lässt sie aber stets zu den Zweihandwaffen tendieren, für die einfach ein gewisses Maß an Körperkraft erforderlich ist, um sie effektiv einsetzen zu können, was nicht jederman gegeben war.

Mit der Geheimsprache hat die Barbarin anfänglich noch einige Schwierigkeiten, es war schwer genug gewesen, die gewöhnliche Schrift zu erlernen, und jetzt das. Sie hält sich daher in der ersten Zeit sehr zurück, was das eigene Formulieren von Botschaften über die verschiedenen Schachzüge betrifft und beobachtet vielmehr die anderen in dem Versuch, die Züge in Worte umzuwandeln. Das eine oder andere Mal ertappt sie sich auch dabei, wie sie versucht, die Worte leise nachzusprechen, bricht dann aber direkt ab, da dies ja alles andere als der Sinn der Sache war. Glücklicherweise waren andere hier mit ihrer schnellen Auffassungsgabe zur Stelle und konnten so die wichtigen Unterhaltungen führen.

Ein Sklavenhändler war also ihr Ziel? Fiona konnte sich kaum jemanden vorstellen, dem sie mehr Verachtung entgegenbringen konnte. Mit diesem Auftrag hatte sie absolut kein Problem.

An der Faust angekommen erklang wieder Nebulos gedankliche Stimme und sie wussten bereits aus der Vergangenheit, dass er meist mehr sehen und hören konnte als sie selbst. Seine Wahrnehmung befand sich offenbar auf einer anderen Ebene, von der sie selbst nicht allzuviel verstand. Von daher zögert Fiona auch nicht einen Augenblick, um seinen Worten an dieser Stelle Folge zu leisten.

Hesper

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2. Zug - Bauernopfer
« Antwort #14 am: 07.04.2015, 20:35:36 »
Die dritte Weissagung hatte Hesper kein Rätsel aufgegeben - er mochte sich zwar vielleicht irren, aber er war sehr optimistisch, daß sie nicht in eine Falle laufen würden.

Die große Zahl der ihnen auf der Küstenstraße entgegenkommenden Reisenden erinnerte den Kleriker an das bevorstehende Mondfest, was zunächst gemischte Gefühle hervorrief: Einerseits war es der, soweit ihm bekannt war, einzige Feiertag im Kult der verfluchten Shar - ihm würde beinahe übel bei dem Gedanken, daß dieser in Sembia offen als solcher und nicht nur in seiner traditionellen Weise begangen werden würde -, andererseits war es natürlich der Jahrestag - beinahe zwei Dekaden war es her! - seiner Weihung zum "Berührten". Das Mondfest war zwar nämlich kein Feiertag in der Kirche Selûnes, anders als etwa in der ihrer elfischen Schwester Sehanine Mondbogen, aber wurde doch nicht selten als Zeitpunkt für besondere Riten gewählt. Doch Hesper konnte sich nicht so recht darüber freuen, zu sehr überschattete die Vorstellung des öffentlich begangenen Feiertages der Dunklen sein Gemüt.

Die Stimme Nebulos reißt ihn aus seinen trüben Gedanken, welche durch das Wetter verstärkt worden sind. "Los, laßt uns keine Zeit verlieren," stimmt auch er aufgeregt in Fionas Eile ein.
« Letzte Änderung: 08.04.2015, 11:17:12 von Hesper »

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