Während Cesare sein Gebet sprach, trat Aeb an die junge Frau am Boden heran und besah sich die Handfeuerwaffe, die sie immer noch mit den erkaltenden Fingern umklammert hielt, genauer. Es schien heute kein Tag für Glücksfälle zu sein. Bereits am Lauf erkannte er, dass die Patronen dieser Pistole nicht für seine Waffe zu gebrauchen sein würden.
[1]. Ein schneller Blick ins Magazin, in dem ein einsames Geschoss der Leere von 11 freien Slots trotzte, bestätigte seine Ahnung.
Da wandte sich Aeb um, und stellte seine Frage an den Apokalyptiker, der eben auf den Kopf ihres toten Führers eindrosch. Seine einfache Frage, Cesares Antwort und das Totengebet danach lösten eine unwirklich wirkende, spirituelle Diskussion aus. Aber vielleicht war gerade das passend für Menschen, die eben noch dem Tod ins Auge blicken mussten. Sigmar jedenfalls drehte sich mit einem skeptischen Blick in Richtung Cesare und Mose um, als sie das Gespräch aufnahmen.
Derweil konnte Kemwer einen ruhigen, tiefen Atemzug nehmen. Die Welle hatte sich beruhigt. So sehr er sich auch konzentrierte, er spürte keine Träger der Fäulnis mehr in unmittelbarer Nähe.
Als Leon die immer noch auf dem Boden liegende Hellvetikerin ansprach und dabei Dans Hinweis bzgl. derer Wunden überging, funkelte ihn diese wütend an. Sowohl ihr Gesicht - das Visier war hochgeklappt - als auch der schwere Harnisch waren rot bestrichen; besudelt von Blut. Doch größtenteils schien es das Blut der toten Lepera zu sein.
Schwerfällig richtete sich die Soldatin auf den Ellenbogen auf und fixierte den Spitalier abermals. Sie hatte eine ungewöhnlich dunkle Hautfarbe - anscheinend war sie ein Mischling des Löwen und der Krähe; ungewöhnlich für einen Hellvetiker. Die grünen Augen bildeten einen auffälligen Kontrast dazu. Sie zwang sich in die Sitzposition und wischte das Blut, so gut es ging, vom Gesicht. Jetzt erkannte Leon am Hals einen kleineren, nicht allzu tiefen Schnitt, aus dem Rotes quoll. Außerdem schien das Messer der Lepera sie links unterhalb der Rippen, zwischen zwei Harnischlagen erwischt zu haben. Dort quoll ebenfalls Blut hervor.
"
Bei uns Soldaten sagt man erstmal 'Danke', wenn jemand auf unseren Hilferuf[2] hin herbeieilt und uns den Arsch rettet." Mit diesen Worten zwang sich die Hellvetikerin auf die Beine. Sie schwankte leicht, als sie aufstand. Offensichtlich machte ihr den Blutverlust zu schaffen - oder der Schock des Kampfes. Doch sie blieb auf den Beinen und machte rasch einige Schritte zu ihrem Kameraden, der regungslos im Schnee lag. Das Weiß um ihn herum hatte sich rot gefärbt. Das Visier war unten, doch zahlreiche Wunden am ganzen Körper - Messerstiche, Axthiebe, Bisse und Kratzer ließen keinen Zweifel daran, dass dieser Soldat heute im Dienst gestorben war.
"
Scheiße!" rief die Hellvetikerin. "
Scheiße, Dario - nein!" Sie schlug leicht auf die besudelte Brust des Mannes, während sie ihn anrief, doch natürlich rührte sich der junge Mann nicht mehr. Schließlich beschirmte sie ihre Augen mit der Hand und blieb in der Hocke einige Augenblicke sitzen. Ein Schluchzer war zu hören. Oder war es ein Seufzer gewesen?
Sie ließ die Hand sinken. Eine Träne kullerte ihre Wange herab, grub einen Korridor durch Ruß und Dreck, das sich auf der Wange gelegt hatte. Sie blickte wieder auf zu Leon. „
Kümmer‘ dich selbst um die toten Leperos, Gummimann. Ich sorge erstmal für meinen Kameraden, der euch das Leben gerettet hat“, fauchte sie ihn an. Sie griff sich an den Gürtel und holte einen kleinen, unscheinbar wirkenden Kasten hervor. Während sie ihn öffnete, schaute sie zu Dan: “
Dan, hilf mir bitte, Dario zu begraben.“
Als der Schrotter näher trat
[3], sah er, wie Altena einen kleinen Schraubenzieher mit einem sechsseitigen Kopf hervorgeholt hatte und Darios Harnisch aufschraubte. „
Ich muss ihm den Harnisch ausziehen, seine Einzelteile verstreuen und die Schrauben behalten, damit er nicht in falsche Hände gerät. Vorschrift, wenn eine Bergung des Leichnams nicht möglich ist. Danach werde ich ihn verbrennen. Nicht mit den Leperos auf einem Haufen. Allein – als Soldaten. Hilfst du mir?“
Mehler beobachtete die Szenerie stumm. Er sah noch einmal zu Leon hinüber und murmelte leise, so dass nur der Spitalier es hören konnte: „Lass gut sein.“ Dann wandte er sich ohne abzuwarten ab und stampfte in Richtung der anderen, wo Cesare eben damit beschäftigt war, die Leichen der Leperos zusammenzutragen. Der Richter schaute den Purgher an, nickte leicht und tippte an seinen Schlapphut. Anscheinend eine Geste der Anerkennung. Dann griff er den nächsten leblosen Träger der Saat an den Beinen und zog ihn ebenfalls zum Massengrab.