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Autor Thema: Kapitel I: Wen die Muse küsst  (Gelesen 17138 mal)

Beschreibung: Ein Semesterstart mit neuen Perspektiven

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Changeling

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Kapitel I: Wen die Muse küsst
« Antwort #75 am: 29.07.2016, 14:58:59 »
Ayleen geht die Notenblätter nochmals durch, und dabei fällt ihr auf, dass die Notizen am Rand zwar auf den ersten Blick gleichmäßig in einem antiquiert wirkenden, gestochen scharfen Schriftbild abgefasst sind – aber einige davon sehen bei genauerem Hinsehen nur so ähnlich aus[1]. Es wurde ebenfalls schwarze Tinte verwendet, und jemand hat sich anscheinend große Mühe gegeben, die Schrift des offenkundig früheren Verfassers der meisten Notizen nachzuahmen. Doch an manchen Stellen sind nachträglich Ergänzungen angefügt worden. Sie ist sich in vielen Fällen nicht sicher – der zweite Schreiber war recht geschickt.

An einer Stelle allerdings ist ihm oder ihr anscheinend ein Flüchtigkeitsfehler unterlaufen: Das kleine f steht hier eindeutig spiegelverkehrt. Und sie hat schon einmal gesehen, dass in einem Text einzelne Buchstaben spiegelverkehrt waren – und zwar auf einem der kunstvoll von Hand entworfenen Werbeplakate, die sich gelegentlich vor dem verstaubten Kino in Gatsburg finden, wenn ein Schwarzweißfilm läuft. Diese alten Schinken sind, zumindest von den Schülern des Internats, selten gut besucht, zumal es doch schon seit langem die viel schöneren Farbfilme zu sehen gibt.
 1. 2 Erfolge – 10, 9, 9 und 1 (zieht einen Erfolg ab)

Ayleen Chepi Anitsiskwa

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Kapitel I: Wen die Muse küsst
« Antwort #76 am: 03.08.2016, 18:05:29 »
Der verkniffene Ausdruck der Rothäutigen bleibt eine Weile bestehen, während sie die Notenblätter noch einmal inspiziert. Mehr als einmal hält sie sie so deutlich gegeneinander, dass man sehen kann, wie sie die Randnotizen vergleicht. Zunächst scheint sie aber zu keinem Schluss zu kommen, bis sich schließlich ihre Miene aufhält. "Erwischt!", denkt sie triumphierend. So legt sie die Blätter wieder ab und macht noch ein paar Notizen auf ihre Papiere. Dann lehnt sie sich zurück und entspannt sichtlich, während sie abwartet, ob andere mit ihren Entdeckungen beginnen.

Schließlich hält sie es nicht mehr aus, greift nach ihrer Zusammenfassung und beginnt: "Der Komponist - Herr Hall, wie wir vermuten - hat sich grundsätzlich an Klassikern aus der alten Welt bedient, und zwar primär aus dem 18. und 19.Jahrhundert. Hier und hier sieht man es gut." Sie zieht die entsprechenden Noten hervor und zeigt auf die Stellen. "Allerdings war er nicht konsequent. Mehr als einmal hat er mit den Konventionen gebrochen - siehe hier." Wieder wandert ihr Finger über das Blatt. "Dei Wahl der Instrumente ist ebenfalls unzeitgenössisch, es fehlen jede Art von Blechbläser und Harfe und Flöte bestimmen das Thema - oder besser die Themen." Sie lächelt und stapelt die Noten erneut. "Alles in allem ist eine Zuordnung der Entstehungszeit nur dürftig belegbar - Immerhin erinnern einige Passagen an volkstümlich keltische Musik!"
Nun lässt sie eine künstlerische Pause und wartet die Wirkung ihrer Analyse ab, bevor sie noch ergänzt: "Nebenbei bemerkt: Die Randnotizen stammen von mindestens zwei Personen, selbst wenn sie sich Mühe gegeben haben, dies zu verbergen. Hier ist einem aber ein Fehler unterlaufen - Der Buchstabe ist spiegelverkehrt." Sie tippt auf die besagte Stelle. "Und das erinnert an einen 'Künstler' gleich hier um die Ecke - denjenigen, der für die handgezeichneten Werbeplakate für alte Monochronfilme beim Kino verantwortlich ist. Ich denke, dem Geschäft werde ich einen Besuch abstatten."

Ricky

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Kapitel I: Wen die Muse küsst
« Antwort #77 am: 17.08.2016, 06:01:19 »
Ricky pfiff erneut anerkennt, als Ayleen ihre Expertise vorträgt.
"Wow, das hast du alles rausgelesen? Für mich sieht das Alles gleich aus.
Wenn du den Imitator aufsuchen möchtest, solltest du nicht allein sein. Wer weiß, wie der darauf reagiert. Wenn du also nichts dagegen hast, komme ich mit."
Aber Ricky ist auch nicht untätig gewesen, während Ayleen die Papiere untersucht hat. Naja, jedenfalls nicht geistig. Deshalb hat auch er einen Vorschlag parat, den er jetzt äußert.
"Ich hab ein wenig überlegt. Was haltet ihr davon, wenn wir unsere Proben des Stückes einzeln auf Platte aufnehmen? Dann können wir später einzelne Teile zusammen abspielen, um ihre Wirkung zu erkunden.
Und, falls wir wirklich wollen, können wir so auch Stück für Stück das ganze Konzert aufnehmen."
Das erste Mal seit er auf die anderen getroffen ist, wirkt sein Lächeln ein wenig unsicher.

Changeling

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Kapitel I: Wen die Muse küsst
« Antwort #78 am: 17.08.2016, 13:38:39 »
Tatsächlich ist Ricky nicht nur nicht schlau aus den Notenblättern geworden – er hat sogar schon ein wenig Kopfschmerzen vom Anstarren der altmodisch wirkenden Schrift[1]. Auch Laura Ann wirkt ermüdet und pustet sich gelangweilt eine Locke aus der Stirn, während sie ein Staubkörnchen von ihren Nylons schnippt. "Na gut..." meint sie gedehnt. "Bei diesem Typen könnte man ja mal vorbeischauen – aber aus dem anderen Kram soll schlau werden, wer will. Das klingt mir alles ganz schön altertümlich: Kelten und Klassiker und so." Es ist allgemein bekannt, dass ihr Herz deutlich mehr für moderne Musik schlägt – und für das Tanzen zu dieser Musik, das natürlich am ehrenwerten Konservatorium ein absolutes Tabu darstellt.

Tiffany dagegen wirkt nachdenklich. Ihr ist noch immer eine gewisse Nervosität anzusehen, als sie leise einwirft: "Aber wie können denn Notizen von Mr. Phelps auf die Notenblätter gekommen sein?" Als sie die fragenden Blicke der anderen sieht, fügt sie nach kurzem Zögern hinzu: "Phelps, das ist der Mann, der das Kino im Ort betreibt. Ich weiß das nur, weil ich, mh... weil ich ab und zu im Kino war." Worauf Laura Ann kichert. "Ja – in ollen Kamellen! Tanzfilme und so was mit uralten Schauspielern und altmodischen Kleidern. Von der Musik ganz zu schweigen! Tiffy, du lebst wirklich noch im letzten Jahrhundert" grinst sie.

Auf den Vorschlag Rickys mit den Platten wechseln beide Mädchen einen Blick. Hier wiederum sieht Tiffany sehr zögerlich aus, während sich Laura Ann mit einem unternehmenden Lächeln den Nasenflügel reibt. "Das klingt nicht schlecht" meint sie mit einem Lächeln in seine Richtung und schlägt die Beine wieder übereinander. "Nur mit Platten wird's schwer. Ich kenne niemanden in Gatsburg, der einen Cutter hat, um welche zu schneiden. Aber wie wär's mit Tonband? Ich hab' ein Revere[2] auf unserer Bude!"
 1. Kein Erfolg auf Intelligence + Science, Botch bei Intelligence + Music
 2. Die Revere Camera Company war in den Fünfzigern ein führender Hersteller von Kameras, startete aber zu dieser Zeit auch die Produktion von Tonbandgeräten

Ricky

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Kapitel I: Wen die Muse küsst
« Antwort #79 am: 21.08.2016, 06:05:11 »
"Hey, Klasse!", lobt Ricky, als Laura Ann den Vorschlag mit dem Tonbandgerät macht.
Kurz überlegt er, ob nicht auch die Schule noch irgendwelche Aufzeichnungsanlagen besitzt, die sie nutzen können.
Aber dann ist er auch schon wieder bei Tiffany und lächelt sie aufmunternd an.
"Kennst du den Mann denn besser, wenn du schon öfters da warst? Das könnte auf jeden Fall helfen." Wieder versucht er, Tiffany ein wenig vor Laura Anns Spott zu schützen und ihr das Gefühle zu geben, daß sie durch ihre Aussagen hilfreich für ihr vorhaben sein kann.

Ayleen Chepi Anitsiskwa

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Kapitel I: Wen die Muse küsst
« Antwort #80 am: 22.08.2016, 06:14:56 »
Ayleens Lächeln wirkt noch stolzer, als sie für ihre Analyse gelobt wird. Innerlich gesellen sich jedoch gerollte Augen hinzu durch die Erkenntnis, dass zumindest zwei ihrer Mitschüler nur ansatzweise folgen können beziehungsweise wollen. "Und immer heißt es, wir wären kulturlose und lernunwillige Wilde."

Das Angebot der Begleitung ist ihr zunächst wenig angenehm, als Tiffany aber äußert, sie kenne den Zeichner schon und sich dort aus, gefällt ihr Rickys Vorschlag wesentlich mehr. Ohne weiter auf den Spott einzugehen äußert sie sich höflich: "Wenn ihr mitkämt, hätte ich nichts dagegen. Falls wir eine weniger besuchte Vorstellung besuchen, wäre es einfacher, mit dem Herren ins Gespräch zu kommen."

Zum Thema Aufnahem und Zusammenstellen aller Stimmen hat sie ambivalente Gefühle: Zum einen ist sie neugierig auf das Gesamtkonzept und ob es möglich, so quasi ein ganzes Orchester zu simulieren, zum anderen machen ihr die Zusatzeffekte und die heftigen Reaktionen der Umgebung auf die bisherigen Versuche, das Stück zu vertonen, Sorge. So bleibt sie zunächst still und nickt nur zögerlich.
Die Idee hat für sie jedoch einen großen Charm: Man könnte alleine wesentlich umfangreichere Werke auf die Beine stellen. Sie nimmt sich vor, ihre Familie nach so einem Aufnahmegerät zu fragen.

Changeling

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Kapitel I: Wen die Muse küsst
« Antwort #81 am: 22.08.2016, 12:12:24 »
Dankbar lächelt Tiffany in Rickys Richtung. Das Mädchen wirkt allerdings mehr als zögerlich, sobald er sie nach dem Kinobetreiber befragt. "Nein, nein..!" versichert sie hastig. "Ich habe nie mit ihm gesprochen. Nur gesehen habe ich ihn. So ein kleiner, ganz dürrer Mann. Er ist irgendwie komisch... wirkt immer mürrisch, finde ich. Mir macht er fast ein bisschen Angst..." Dann schaut sie eine Weile vor sich hin, bevor sie ganz leise hinzufügt: "Eddy treibt sich ab und zu dort herum. Ich glaube, er interessiert sich für den technischen Kram im Kino oder so."

Laura Ann pfeift durch die Zähne. "Da schau an..! Mr. Sportskanone hat eine technische Ader – und dann ausgerechnet für den verstaubten Krempel im Unicorn" meint sie grinsend. Dann schaut sie in die Runde. "Also, ich würde sagen, ich kümmere mich mal um Tonbänder und so weiter, und ihr könnt euch diesen Kinotypen anschauen, okay?" Worauf Tiffany schüchtern einwirft: "Ehrlich gesagt würde ich lieber auch hier bleiben..." Ihre Freundin scheint von Tiffanys Scheu alles andere als erstaunt. Sie zuckt nur die Schultern. "Na, ich schätze, ihr beiden kriegt das auch alleine hin, oder?" fragt sie an Ricky und Ayleen gewandt.

Ayleen Chepi Anitsiskwa

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Kapitel I: Wen die Muse küsst
« Antwort #82 am: 23.08.2016, 17:58:44 »
"Schade, aber wie du willst.", reagiert Ayleen auf Tiffanys Absage. Zu Laura nickt sie nur bereits geistesabwesend. Mit einem Jungen abends alleine zu so einem Kino zu gehen, die Vorstellung behagte ihr nicht. Sie wollte den Lästermäulern keine Angriffsfläche bieten. Also disponiert sie um und entschließt sich, sich fahren zu lassen. Ihr Chauffeur und Leibwächter hielt sich sowieso nicht weit weg auf und erledigte Botengänge, da konnte er ihr auch das Kinoprogramm besorgen, sie abends hinbringen und nachts zurück. So wendet sie sich an Ricky: "Bis morgen habe ich das Programm, dann können wir einen passenden Abend und Film aussuchen. Kommst du auf eigenem Weg hin und zurück?"

Ricky

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Kapitel I: Wen die Muse küsst
« Antwort #83 am: 05.09.2016, 05:52:15 »
Kurz sieht Ricky Ayleen merkwürdig an, als sie das mit dem eigenen Weg erwähnt.
"Ja, ich denke, wir kriegen das auch zu zweit hin.", antwortet er dann leicht zögerlich in Laura Anns Richtung.
Um sich dann an Ayleen zu wenden.
"Und ja, ich würde auch allein hin und zurückkommen." Er läßt es sich dabei nicht nehmen, ihr von den anderen abgewandt verschwörerisch zuzuzwinkern. "Aber vielleicht können wir ja auch einen Kino-Ausflug organisieren. Vielleicht sogar eine Führung mit Herrn...Phelps machen.
Ich wette, wenn wir es geschickt anstellen, könnten wir die Film-AG dazu bringen, es als Werbeveranstaltung für sich in die Hand zu nehmen." Bei seinem Vorschlag lächelt er jetzt auch die anderen verschwörerisch an.
 

Changeling

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Kapitel I: Wen die Muse küsst
« Antwort #84 am: 05.09.2016, 13:16:32 »
Die beiden Schülerinnen hören Ayleens und Rickys Wortwechsel zu, Tiffany sichtlich verlegen, Laura Ann dagegen offenbar nur mit halbem Ohr und mit ihren Gedanken bereits anderswo. Ricky hat das dumpfe Gefühl, dass sich Ayleens Ausweichen nicht direkt auf ihn bezieht[1], kann aber nicht ergründen, ob sie ihn aus der naheliegenden Überlegung heraus abweist, dass man gemeinsame unbeaufsichtigte Ausflüge männlicher und weiblicher Schüler am Konservatorium nicht gern sieht, oder aus anderen Gründen. Laura Ann springt schließlich auf und meint: "Na gut, dann lasst uns die Sache angehen – Ich will endlich wissen, was es mit dieser ganzen Sache auf sich hat!" Energisch und unternehmungslustig winkt sie Tiffany. "Wenn du dich nicht ins Kino traust, dann kommst du mit mir, Tiffy" bestimmt sie fröhlich und macht Anstalten, den Raum zu verlassen, woraufhin das Mädchen sich ebenfalls erhebt und den beiden anderen Schülern ein schüchternes Lächeln zum Abschied schenkt.
 1. 3 Erfolge gegen 2 von Ayleen

Ayleen Chepi Anitsiskwa

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Kapitel I: Wen die Muse küsst
« Antwort #85 am: 05.09.2016, 18:27:42 »
"Das klingt lustig, wenn du das hinbekommst? Fragt sich nur, ob Herr Phelphs so gut umgehen kann mit vielen Gästen.", lächelt sie zu Rickys Vorschlag mit der Kino-AG. An sich kann sie es nicht gut leiden, in der Menge unterwegs zu sein, andererseits könnte dem Kinobesitzer das gute Geschäft gefallen und ihre Sorge um den Ruf ist ebenfalls vermindert.

So verabschiedet sie sich von den Mädchen für später, da sie eh' auf einem Zimmer leben, und trifft mit Ricky die nötigen Absprachen, wer was wann organisiert und wie man sich wieder trifft. Sollte das mit der AG klappen, würden die natürlich den Film aussuchen und damit den Termin festlegen. Andernfalls müssten sie sich auf etwas unverfängliches einigen.

Changeling

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Kapitel I: Wen die Muse küsst
« Antwort #86 am: 10.09.2016, 14:50:19 »
So trennen sich die Schüler schließlich und gehen ihren Vorhaben nach. Mit ein wenig Mühe gelingt es Ayleen und Ricky am nächsten Tag, die rund ein Dutzend Mitglieder der Stumm- und Tonfilm-AG für ihren Plan zu begeistern. Das Programm des Kinos in Gatsburg ist rasch besorgt, und wiederum einen Tag später hat man sich auf ein Double Feature mit "The Gold Rush" und "A Woman of Paris" geeinigt, zwei Klassikern Charlie Chaplins, der vor wenigen Jahren wegen der Querelen um seine Wiedereinreise in die Vereinigten Staaten seinen Wohnsitz in die Schweiz verlegt hat, sich aber immer noch großer Beliebtheit beim Publikum erfreut.

Mit einem Loblied auf "A Woman of Paris"[1], beim Publikum weitaus weniger erfolgreich als "The Gold Rush", aber kulturell gewiss wertvoller, wird von den Sprechern der AG die notwendige Genehmigung des Rektors erreicht.

~ Szenenwechsel ~

Daraufhin machen sich die Schülerinnen und Schüler, natürlich alle in ihren Uniformen, auf den Weg ins Kino, um die Abendvorstellung ab 19:00 zu besuchen. Als sie mit dem Bus im Ort ankommen und sich zu Fuß auf den Weg zum Kino machen, treibt ein unangenehmer Wind nasses Laub vor sich her. Alle ziehen ihre Köpfe ein, um hinter Mantelkragen und Schals Schutz zu suchen, die Mädchen halten ihre flatternden Röcke fest, und die Gruppe beeilt sich, das alte Gebäude des Unicorn Cinema[2] zu erreichen.

Ayleen, die von dem Fahrer bis kurz vor das Kino gebracht wurde, kann im Wagen warten, bis ihre Mitschüler als geschlossener Pulk auftauchen. Als sie aussteigt, spürt aber auch sie den kalten Luftzug um die Beine, die ihr zur Schuluniform passender Mantel gerade mal bis zum Knie bedeckt. Die Straßen glitzern feucht im Licht der wenigen Laternen – es hat erst vor ein paar Minuten aufgehört zu nieseln. Der dunkle Eingang des Kinos, der den Geruch nach trockenem Holz und staubigem Samt auszudünsten scheint, wirkt da regelrecht einladend...
 1. Wer hier neugierig – oder ganz Streber – weiter nachgeforscht hat, wird feststellen, dass die Vorführung dieses Films ein Unikum ist. Aus irgendeinem Grund taucht er in keinem anderen Kinoprogramm auf, auch nicht dort, wo ähnliche Klassiker vorgeführt werden
 2. Zum Kino findet sich nun wie gewohnt ein Eintrag in der Ortsbeschreibung, zu seinem Besitzer unter Dramatis Personae

Ayleen Chepi Anitsiskwa

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« Antwort #87 am: 14.09.2016, 16:49:43 »
Den ganzen Kinobesuch im Rahmen einer AG-Aktivität abwickeln zu können, gefällt Ayleen sehr. In diesem Punkt ist sie froh über Rickys Vorschlag und seinen Einsatz. Ihre Vorbereitung beschränkt sich entsprechend darauf, einige Notenkopien einzustecken und die Filme recherchiert zu haben. Eigentlich wollte sie noch mehr über Kino und Besitzer erfahren, stellt aber wieder einmal fest, dass hier Reden mit anderen Menschen nötig wäre und lässt es dann lieber sein.

So parkt dann schließlich eine gebrauchte, aber gut in Schuss gehaltene schwarze Hudson Hornet dem Lichtspielhaus gegenüber. Der Fahrer, ein gelangweilter Mittvierziger, macht keine Anstalten, ein Gespräch zu führen, beobachtet die Umgebung und kaut auf einem Zigarillostummel herum. Ayleen auf der Rückbank hat ihre Nase in Schulaufgaben versenkt. Mit dem Auftreten vom Rest der Schülergruppe packt das Mädchen ihre Sachen und verlässt das Gefährt in einem kurzen Anorak und mit einer Umhängetasche. Sie und der sitzen gebliebene Fahrer nicken sich kurz zu, dann macht sie sich auf den Weg, die Straße zu überqueren. Hinter ihr entzündet der Fahrer seine nächste Zigarette. Ayleen weiß, wenn er keine Kneipe mit Blick auf das Kino findet, wird er hier im Auto auf sie warten und dieses genauso wie eine Kneipe mit Rauch füllen. Eine Windböe lenkt sie von den Gedanken ab. Auch wenn ihr das nass-kalte Klima nicht so viel ausmacht, angenehm findet sie es nicht. Sie schlingt die Arme enger um sich und eilt ins Gebäude, bevor ihr die Kälte die Beine hochkriecht. Dort angekommen grüßt sie höflich lächelnd die anderen und sieht sich nach dem Besitzer, Ricky und einem guten Platz nahe dem Klavier um.

Ricky

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« Antwort #88 am: 25.09.2016, 00:50:17 »
 Da Ricky das Ganze mit angeleiert hat, fährt er natürlich auch mit den AG-Leuten im Schulbus zum Unicorn-Theater. Unterwegs unterhält er sich angeregt über Dieses und Jenes mit den anderen Schülern. Gerade die Filme mit James Dean haben es ihm angetan und so schwärmt er davon, ist aber auch interessiert, was die anderen dazu zu sagen haben.
An die bevorstehende Aufgabe, mit Mr Phelps in Kontakt zu treten, denkt er erst mal noch nicht. Er ist sich sicher, daß sich schon irgendwas ergeben wird. Auch auf die Musikstücke zu den Stummfilmen ist er gespannt, denn es gefiel ihm immer neue Stücke kennen zu lernen.
Wie alle drängelt auch er sich im Pulk mit ins Kino, um der Nässe und dem Wind zu entkommen. Als Ayleen zu ihnen stößt, wundert er sich ein wenig über ihr Bestreben, unbedingt alleine kommen und gehen zu wollen. So machte sie sich doch erst recht zur Außenseiterin. Sieht sie das nicht selbst?
Drinnen angekommen atmet Ricky kurz durch und nimmt den Geruch in sich auf. Irgendwie packt ihn auf einmal ein wenig die Aufregung.
Im Saal überlegt er, ob er sich zu Ayleen setzen soll. Schließlich macht er es. Da sich anscheinend sonst keiner neben sie setzen möchte, versucht er zumindest ihr ein wenig die Außenseiterrolle zu nehmen. Außerdem mußten sie sowieso noch eine Strategie planen.

Changeling

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Kapitel I: Wen die Muse küsst
« Antwort #89 am: 25.09.2016, 12:37:18 »
Im Inneren des Kinos riecht es muffig, doch es ist wärmer als draußen. Das alte, durchaus solide konstruierte Backsteingebäude hält Regen und Kälte ab – tatsächlich erscheint es nach dem Pfeifen des Windes außerhalb fast wie eine Insel der Stille. Teppiche dämpfen die Schritte der Eintretenden, und die gesamte altmodische, teils schon etwas stockfleckige Einrichtung, die trüben Lampen und das knarrende Holz scheinen den Hauch der Vergangenheit zu verströmen, als sei die Zeit am Unicorn Cinema vorüber gegangen.

Die Schüler werden im Foyer an der Kasse von einer jungen Frau erwartet, die die meisten vom Sehen her kennen: Sie arbeitet als Bedienung in dem kleinen Café der örtlichen Tankstelle und ist selbst kaum älter als die jungen Leute. Mit einem Nicken reicht sie jedem ein verwaschen aussehendes Ticket, nachdem sie die 75 Cent für den Kinobesuch entgegengenommen hat.

Im Vorführraum reihen sich altmodisch wirkende Sitzreihen mit breiten, bequemen Sitzen aneinander, die mit dunkelrotem Samt überzogen sind. Die Bodenbretter knarren unter den Schritten, die Absätze der Mädchen verursachen ein deutliches Pochen und Klappern. Der große Vorhang vor der Leinwand ist noch geschlossen, links vorn sind im Halblicht der schwachen Beleuchtung die Umrisse eines Klaviers zu erkennen. Eine schmale Gestalt hockt davor und mustert mit gelassenem Blick die Besucher, die den großen Raum noch nicht einmal zur Hälfte füllen. Abgesehen von den Internatsschülern haben sich nur eine Handvoll von Zuschauern eingefunden, und knappe fünf Minuten vor Beginn der Vorstellung sieht es bei dem scheußlichen Wetter draußen auch nicht danach aus, als würden es noch sehr viel mehr werden.

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