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Autor Thema: Kapitel I: Wen die Muse küsst  (Gelesen 17035 mal)

Beschreibung: Ein Semesterstart mit neuen Perspektiven

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Ayleen Chepi Anitsiskwa

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Kapitel I: Wen die Muse küsst
« Antwort #165 am: 25.03.2017, 09:09:28 »
Die junge Indianerfrau lässt Zufriedenheit auf ihrer Miene durchblitzen, als sie eine Bestätigung ihrer Theorie bekommt und sich damit wieder mehr auf offensichtlich vertrautem Terrain bewegt. Rickys Einwurf lässt sie zu ihm blicken. Eigentlich ärgert sie die Unterbrechung, doch sie lässt sich nichts anmerken, auch, da sie einsieht, dass Tiffanys Schicksal nicht unwichtig ist.
"Danke für Ihre Hilfe.", beginnt sich Ayleen wieder zu beteiligen, "Ich nehme an, Sie werden nicht mit uns kommen können, aber bitte geben Sie uns das aus ihrer Sicht notwendige Wissen, uns dort sicher zu bewegen und orientieren. Gibt es Führer dort, die sie uns vermitteln können?" Sie zieht sofort ihre Parallelen zu dem, was ihre Großmutter ihr beigebracht hat und was sie durch diese erfahren (oder erlebt?) hat. Von ihr hatte sie auch ein paar Dinge für die Traumreisen bekommen, diese aber gegen ihren Rat nicht erweitert. Das wenige versteckte sie meist in ihren Taschen, um Hänseleien vorzubeugen.

Changeling

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Kapitel I: Wen die Muse küsst
« Antwort #166 am: 25.03.2017, 19:28:26 »
Als Ricky und Ayleen gesprochen haben, hellt sich Phelps' Miene weiter auf. "Wunderbar – nichts anderes hatte ich von euch erwartet!" meint der alte Mann, und erneut durchziehen wie von Zauberhand unzählige kleine Fältchen sein Gesicht, die wie Lachfalten wirken. "Was deine Frage angeht, junger Mann", wendet er sich dann an Ricky "so ist das wichtigste, das euch an Hilfsmittel zur Verfügung stehen wird, genau hier." Womit er seine runzlig wirkende Hand auf sein Herz legt. Und für einen kurzen Moment, als das Licht der trüben Lampe über ihren Köpfen leicht flackert – wie bei einem vorübergehenden Spannungsabfall – scheinen seine Züge noch runzliger als gerade eben, fast wie die Borke eines alten Baumes, sein Kinn lang und spitz, die Ohren ebenso, mit haarartigen Pinseln an den Spitzen. Im nächsten Moment ist der Spuk wieder vorbei, und der Kinobesitzer spricht weiter: "Die Anderwelt ist nicht wie diese hier. Sie wird von jenen mit geformt, die in ihr leben. Schaut her!"

Mit diesen Worten zieht er ein kleines Taschenmesser aus den weiten Taschen seiner verbeulten Hose. "Dies ist eine alte, nicht sehr scharfe Klinge... oh, und ich glaube, sie ist sogar ein wenig rostig" murmelt er, während er das Messer mit sichtlicher Mühe auseinanderklappt. "Doch das ist sie nur hier! Dort..." Er lächelt wieder. "...mag sie ein edles Schwert sein, eine Waffe, wie ein Ritter sie führt, wenn er einen Drachen erschlägt, um eine Jungfrau aus dessen Fängen zu befreien. Ihr glaubt mir nicht, wie?" Mit einem Kichern schaut er die Schüler einen nach dem anderen an. Laura Ann, die sich im Verlaufe des Gesprächs nach und nach wieder etwas gefangen zu haben scheint, blickt nun recht ungläubig auf das winzige Messerchen in der Faust des Alten, das wirklich alles andere als beeindruckend oder gar gefährlich aussieht.

"Also hören Sie mal" meint sie schon wieder gewohnt schnippisch und reckt ein wenig das Kinn, während sie die Hände in die Hüften stemmt, "wir wollen Tiffy ja gern helfen, aber finden Sie nicht, dass wir uns beeilen sollten, noch dazu mit diesen unheimlichen grauen... Typen auf unseren Fersen? Wir haben einfach zu wenig Zeit für Kindermär-" In diesem Moment fuchtelt Phelps nach einem kurzen "So, junges Fräulein, meinst du..?" mit dem Messer vor ihr in der Luft herum, und sie prallt mit einem erschrockenen Aufschrei zurück. "Da... da... das gibt's doch gar nicht..!!" stottert die Schülerin käseweiß im Gesicht und tut einige zittrige Schritte, um sich hinter Ricky zu verstecken.[1] Phelps kichert wieder, klappt das Messer zusammen und steckt es in seine Tasche zurück. "Ihr dürft euch nicht auf das verlassen, was ihr aus dieser Welt kennt. Dort ist vieles anders" zwinkert er ihnen zu und deutet dann auf den Projektor. "Doch in einem hast du recht, mein Kind: Wir haben nicht allzu viel Zeit. Daher werde ich euch jetzt das Tor zeigen!"
 1. Bitte beide einen Wurf auf Perception + Alertness oder wahlweise auf Perception + Empathy, gegen 7, um zu schauen, was eure Charaktere davon mitbekommen

Ayleen Chepi Anitsiskwa

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« Antwort #167 am: 28.03.2017, 07:29:06 »
Ayleen scheint das Konzept der inneren Kraft, der Umdeutung kleiner Dinge in Vergleichbares und die Anderswelt im Allgemeinen nicht zu verwirren. Ihre veränderte Wahrnehmung lässt sie allerdings schon die Stirn runzeln und sich fragen, wann und wo die Verbindung ans drüben zustande gekommen ist. Außerdem fällt ihr auf, das ihre letzten Fragen nur teilweise beantwortet worden sind. Noch ist sie bereit, darauf zu warten, aber bevor sie eine andere Welt betreten würde sie auf eine Antwort bestehen. Lauras Zurückschrecken ist ihr erklärbar, auch wenn sie offensichtlich nicht das Gleiche wahrnehmen konnte. Geduldig schließt sie sich dem Alten an, jedoch ohne bestätigende Reaktion.

Ricky

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Kapitel I: Wen die Muse küsst
« Antwort #168 am: 05.04.2017, 23:53:55 »
Ricky wischt sich kurz über die Augen, als es ihm für einen Sekundenbruchteil so vorkommt, daß der alte Mann tatsächlich ein Langschwert for Laura Anns Nase herumschwenkt.
"Hey, vorsicht!", entfährt es ihm unwillkürlich. Und als das Mädchen hinter ihm in Deckung geht, stellt er sich demonstrativ schützend in Pose vor sie.
Als Phelps dann das Messer wegsteckt, beruhigt sich der Junge wieder ein bisschen. Auch weil der Kinobesitzer
jetzt selbst zur Eile drängt.
Seine Neugier wurde langsam größer als sein Unbehagen.
 

Changeling

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Kapitel I: Wen die Muse küsst
« Antwort #169 am: 06.04.2017, 13:46:01 »
Anscheinend amüsiert kichert Phelps in sich hinein. Dann wendet er sich dem Projektor zu und hantiert an dem alten Gerät herum. Mit viel Gemurmel, Stirnrunzeln und Nachdenken kramt er eine Weile in den Filmspulen herum, die in hohen Türmen aufgestapelt einen wesentlichen Teil des kleinen Raumes ausfüllen – seiner eben noch verkündeten Eile zum Trotz spannt er dabei die ungeduldigen Schüler ziemlich auf die Folter. Laura Ann jedenfalls schaut immer wieder zwischen ihm, Ayleen und Ricky hin und her. Schließlich scheint der alte Mann aber gefunden zu haben, was er suchte.

Triumphierend hält er eine Filmspule hoch. "Heureka! Da bist du ja!" Mit seinen dürren, knotig wirkenden Fingern macht er sich daran, die Spule in den Apparat einzulegen. Allerdings scheint der nicht so recht zu wollen, denn als Phelps probeweise an der Spule zu drehen versucht, klemmt sie. "Du bockiger Mistkasten – doch nicht ausgerechnet jetzt!" ruft der Alte schrill. "Los, funktioniere, rostzerfressene, unnütze Klappermühle! Museumsstück! Minderwertiger Haufen Schrott!" Aufgebracht schlägt er mit der flachen Hand auf das massiv wirkende Gestell des Vorführapparats, bis der ein leises Knirschen von sich gibt – und die Spule sich frei zu drehen beginnt.

Mit einem trotzigen Nicken brummt Phelps "Aha, geht doch..." Dann weist er mit seiner dürren Hand eilig auf das kleine Fensterchen, durch das man vom Vorführraum aus auf die Leinwand unten im Saal blicken kann. "Na los, los doch – schaut nur: das Tor!" fordert er die Internatsschüler auf. Es ist bei der Beleuchtung durch die trübe Funzel an der Decke des Räumchens schwer zu sagen, doch sein schmales, faltiges Gesicht scheint in den letzten zwei bis drei Minuten sehr viel mehr gesunde Farbe bekommen zu haben. Phelps' Augen strahlen regelrecht Vorfreude aus, wie ein Kind unter dem Weihnachtsbaum.

Ricky

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« Antwort #170 am: 13.04.2017, 14:47:32 »
Amüsiert betrachtet Ricky das Rumgewusel des Kinobesitzers.
Gerade der rauhe Umgang mit dem merkwürdig lebendig scheinenden Projektor ist lächerlich. Als würde Anschreien und Draufhauen irgend etwas bewirken.
Der Junge ist deshalb um so überraschter, als es zu klappen scheint und die Maschine anspringt.

Ricky kommt der Aufforderung nach und versucht, durch das kleine Fenster einen Blick in den Vorführraum zu erhaschen.
Nebenbei kommt ihm noch ein Gedanke, den er dann  auch gleich in Worte faßt.
"Was ist eigentlich mit Eddy? Kommt der auch mit?"
Denn bisher ist der besorgte Mitschüler wohl immer noch am unteren Ende der Treppe und wartet.

Ayleen Chepi Anitsiskwa

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Kapitel I: Wen die Muse küsst
« Antwort #171 am: 23.04.2017, 09:32:27 »
Das Betragen des alten Mannes entspricht nicht dem, was Ayleen erwartet, aber sie macht weder ein Kommentar, noch lässt sie sich ihre Irritation anmerken. Geduldig wartet sie und trennt unnötige von notwendigen Handlungen (in ihren Augen) für den Fall, selbst einmal den Vorgang durchführen zu müssen. So nutzt sie seinen Blick und Begeisterung Richtung Leinwand, um die Rolle auf eindeutige Kennzeichen zu prüfen. Erst danach kommt sie ans kleine Fenster hinüber und schaut hinaus auf die Leinwand. Auf dem Weg gerät sie 'versehentlich' in den Lichtstrahl des Projektors, um die Wirkung auf sich und das Bild auszuprobieren.

Changeling

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« Antwort #172 am: 23.04.2017, 13:03:53 »
Der alte Mann scheint sich weder um Rickys amüsiertes Grinsen noch um Ayleens Versuche zu kümmern, in seinen erratischen Handlungen irgendein verborgenes Muster zu erkennen. "Ja, ja, schaut nur hin: Das Tor..!" wiederholt er und deutet mit einem dürren Finger auf das Fensterchen, während hinter ihm der Apparat leise vor sich hin schnurrt. "Euer Freund?" meint Phelps dann noch auf die Frage des Schülers. "Oh, ich vermute doch, der wird sich kaum davon abhalten lassen. Hat wohl ziemlich viel übrig für das Mädchen, auch wenn er's nicht zeigt." Ein trockenes Kichern folgt. Doch der Anblick unten im Vorführraum lässt die beiden Schüler rasch Phelps' Gegenwart vergessen. Zunächst sehen sie auf der Leinwand vor den leeren Sitzreihen in dem abgedunkelten Saal Aufnahmen eines Waldes flimmern:

Schwarzweiß, mit ziemlich vielen flackernden Stellen, die auf Verunreinigungen oder Beschädigungen an der Filmrolle hindeuten. Mächtige Bäume ragen auf, zwischen ihnen Buschwerk und dichtes Unterholz. Kurz verdunkelt Ayleens Schatten die Szene, die die beiden jedoch sofort darauf wieder in ihren Bann zieht. Ein Weg schlängelt sich durch den Wald, und die Kamera folgt ihm, bis die Bäume zu beiden Seiten zurücktreten und den Blick auf eine weite, hügelige Ebene freigeben, auf der sich hüfthoch wachsendes Gras sanft in den Böen eines unhörbaren Windes wiegt. Unendlich weit scheint sich dieses Land zu erstrecken, bis es irgendwo in die am Horizont schon fast verschwimmenden Konturen eines mächtigen Gebirges übergeht.

Dunkle Punkte bewegen sich in der Ferne über die Wogen des Grasmeeres, und es dauert einige Zeit, bis Ayleen und Ricky begreifen, was sie sehen: Pferde – riesige Mengen der Tiere, die in kleineren und größeren Gruppen gemächlich grasen! "Die Singende Ebene..." dringt Phelps' Stimme wie aus weiter Ferne an ihre Ohren. "Wie lange ist es her, dass ich auf ihr gewandert bin..!" Ein Windstoß geht über die Szenerie, zerzaust die Mähnen der Pferde, fährt durch das Gras, durch das eine Welle über die Rücken der nächstgelegenen Hügel geht, die Ayleen und Ricky erreicht, ihre Gesichter streichelt und den Rock des Mädchens flattern lässt...

Ayleen Chepi Anitsiskwa

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Kapitel I: Wen die Muse küsst
« Antwort #173 am: 05.05.2017, 07:12:20 »
Der Hinweis auf Eddys Gefühl für Tiffany provoziert keine Gefühlsregung bei Ayleen. Sie ist für sich selbst unwillig, auf solche Dinge Zeit zu verschwenden und heilfroh, dass es an der Schule unterbunden wird. Ihr Vater mag sie dazu anhalten, sie will ihre Freiheit nicht aufgeben. Sollte das Mädchen auf Eddy eingehen, würde sie sie nicht abhalten, wäre aber enttäuscht. Sie empfand es als positiv, dass das Mädchen bisher Furcht ihm gegenüber gezeigt hat.

Ihr kleines Experiment mit dem Lichtstrahl fördert nur die Erkenntnis zutage, dass es eine Unterbrechung der Wirkung darstellt. Anschließend nimmt sie das Bild gefangen. Noch kann sie ihre Gefühle kontrollieren, aber es fällt ihr schwer, sich dem Bann zu entziehen. Sie betrachtet die Pflanzen und Tiere, lauscht Phelps Worten und beginnt, sich um ihre eigene Achse zu drehen. Sie hält ihre Tasche und den Rock fest und prüft mit einem Blick, ob sich etwas an ihr verändert hat. Zu ihrer Erleichtrung ist nichts festzustellen. Sie wendet sich an den alten Herren: "Welche Regeln sind hier zu beachten? Wo sollen wir die Suche beginnen? Oder gibt es eine vertrauenswürdige Person, die sie uns als Führer benennen können?"

Ricky

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« Antwort #174 am: 16.05.2017, 00:38:44 »
"Sollte er dann nicht auch hier bei uns sein?", gibt Ricky dann zu bedenken, ist aber eigentlich schon von der Vorführung gefangen.
Als sich die Szenerie langsam vor ihm ausbreitet, entfährt ihm nur ein leises "Wow!"
Er streckt seine Hand aus, um die Büsche im Wald zu berühren, die an ihnen vorbeiziehen. Aber noch scheinen sie eher geisterhafte Schemen, die unter seiner Berührung zerfasern.
Als sie auf der Ebene ankommen, möchte er eigentlich gleich losrennen. Um die anderen dazu aufzufordern, dreht er sich kurz zu ihnen um....
...und der Zauber ist gebrochen. Hinter ihm befindet sich nur der kleine Projektorraum, mit einem grinsenden Phelps und erstaunten Mädchen. Ricky ist etwas verdattert.
"Ist ...ist ..denn das Tor jetzt hier oder unten auf der Leinwand?"

Changeling

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« Antwort #175 am: 16.05.2017, 12:34:05 »
Der alte Mann kichert immer wieder sichtlich vergnügt in sich hinein. Er tätschelt den vor sich hin schnurrenden Projektor liebevoll und meint: "Oh ja, sicher doch – er wird euch begleiten. Kommt, wir gehen nach unten. Dort öffne ich euch das Tor. Jetzt ist es noch... na, sagen wir einfach, nur einen Spalt weit offen. Ihr könnt hindurch blicken, aber um es zu passieren, braucht man den rechten Schlüssel! Doch als Wärter des Tores habe ich den natürlich. Kommt, kommt!" Damit eilt er die steile Treppe hinunter, so schnell ihn seine dürren Beine tragen. Er wirkt auf die beiden Schüler fast wie ein Schuljunge, so begeistert und lebhaft ist er geworden. Ein munterer Zug spielt um Phelps' Lippen, seine Bewegungen erscheinen kraftvoller als noch wenige Minuten zuvor, ja, er sieht regelrecht jünger aus – selbst sein Gesicht hat wieder mehr Farbe bekommen, soweit sich das bei der schummrigen Beleuchtung des alten Lichtspielhauses sagen lässt.

Unten angekommen sehen sie, dass Eddy sie schon erwartet. Laura Ann ist ihnen gefolgt. Sie tritt vorsichtig an die Leinwand heran, sieht unsicher an ihr empor und streckt schließlich die Hand aus, um sie zu berühren. Gänzlich scheint ihre gewohnte Keckheit und Neugier sie doch nicht verlassen zu haben, so verwirrt und eingeschüchtert sie auch wirkt. Doch ihr Versuch hat keinen Effekt, außer dass sich auf der Leinwand Wellen bilden und das Bild der Ebene undeutlich werden lassen. "Oh nein, oh nein, ohne den Schlüssel geht's nicht, das habe ich euch doch gesagt, junges Fräulein Naseweis" kichert Phelps und winkt Eddy. "Komm her, mein Junge! Dir will ich das hier anvertrauen, denn du weißt schon am meisten." Er zaubert ein altes, in dickes Leder gebundenes Buch hinter seinem Klavier hervor und reicht es Eddy. Der Einband wirkt speckig und abgegriffen, seine Ecken sind mit kupfernen Beschlägen verziert.

Indem er sich an das Klavier setzt und einige Akkorde anschlägt, lächelt der alte Mann, und sein Gesicht verzieht sich dabei wieder wie ein schrumpliger Winterapfel. "Das, meine jungen Freunde, ist ein lieber, alter Freund von mir! Er hat mich auf vielen Reisen begleitet und mir stets guten Rat gegeben. Und nun wird er dasselbe für euch tun." Er weist mit einem Nicken seines spitzen Kinns auf das Buch und schließt dann die Augen, um offenbar ganz in seiner Musik zu versinken. Die knotigen Finger des Alten gleiten beinahe zärtlich über die Tasten, und durch den alten Vorführsaal schwebt eine Melodie, die sie alle tief bewegt. Jeder, der den Blick wieder der Leinwand zuwendet und in die Singende Ebene blickt, glaubt zu erkennen, wie sich die Grashalme über den Hügeln zu ihrem Klang wiegen, ja, selbst das ferne Wiehern der Pferde scheint in den Harmonien ein Echo zu finden, die sie gefangen nehmen...

Ayleen Chepi Anitsiskwa

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« Antwort #176 am: 17.05.2017, 06:44:07 »
Dass Eddy ihr Führer wäre löst bei Ayleen nicht gerade Begeisterungsstürme aus. Aber sie ist wesentlich zu beherrscht, als es sich anmerken zu lassen oder ihr Handeln zu beeinflussen. Sie folgt ruhig und ohne Anzeichen von Verwirrung dem alten Mann, der garnicht mehr so alt wirkt. Als durch das Wegdrehen und Gehen aus dem Projektorraum sich die Szene wieder normalisiert, spürt sie eine gewisse Sehnsucht, dorthin zurückzukehren. Mit der Übergabe des Buches stellt sich das Indianermädchen schräg hinter Eddy, um ihn und das Buch (samt Inhalt) im Blick zu haben. Bevor Phelps in die Tasten des Klaviers greift, dankt sie im höflich. Als die Melodie ertönt, lässt sie sich von der Szene gefangen nehmen und folgt Eddy, sobald er sich in Bewegung setzt.

Ricky

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« Antwort #177 am: 21.05.2017, 23:12:48 »
Auch Ricky folgt Phelps und den Mädchen die Stiege hinab und in den Kinosaal.
Das kleine, beengte Kino erscheint für ihn wie ein Kontrast zu der eben gezeigten Weite des Waldes und der Ebene; aber dann auch wieder nicht, da beides irgendwie rustikal und zeitlos wirkt.
Als der Kinobetreiber dann das Buch hervorholt und enthüllt, daß Eddy schon mehr weiß, ist Ricky überrascht.
Er fragt sich, was Eddy noch alles für Geheimnisse hat und warum er sich ihnen nicht bei der Aufarbeitung der Unendlichkeitssymphonie angeschlossen hat. Vielleicht hätte er Tiffanys Verschwinden verhindern können.
Ob Eddy sich deswegen jetzt Vorwürfe macht?
Ricky betrachtet den anderen Jungen forschend.
Aber dann wird er aus seinen Überlegungen gerissen, als die Musik anfängt zu spielen.
Wie die anderen starrt er gebannt auf die Leinwand und beginnt ebenfalls, sich mit der Melodie zu wiegen.
Leise summt er die Töne nach, die durch ihn hindurch dringen.

Changeling

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« Antwort #178 am: 22.05.2017, 20:05:29 »
Alle vier Schüler starren auf die Leinwand, auf der sich die weite Landschaft vor ihnen erstreckt, während die Musik sich um sie zu legen scheint wie ein Mantel, durch den die Geräusche der Welt, wie sie sie kennen, nur noch gedämpft ertönen. Noch einmal streckt Laura Ann den Arm aus, und diesmal sieht es aus, als würde ihre Hand das Material vor ihr durchstoßen wie dünne Spinnweben. Ein Windstoß lässt ihren Rock flattern und spielt in ihren Haaren. Man kann regelrecht spüren, wie sie zögert, doch dann presst sie die Lippen zusammen, atmet sichtlich durch – und macht einen Schritt, der sie mitten in die Ebene führt. Den anderen erscheint es, als sei das Mädchen nicht nur den einen Schritt, sondern mindestens eine Meile vorangekommen: Klein und dunkel hebt sich nun eine Gestalt von den rollenden Wogen der Grashalme ab.

Gerade umklammert Eddy das Buch mit beiden Armen wie einen kostbaren Schatz, als eine Stimme hinter ihnen erklingt und durch das Bild der Ebene, durch die leise Musik und das warme Gefühl des Schwebens schneidet wie eine Klinge: "Nationale Behörde für Jugendschutz. Mr. Elias Phelps, ich nehme Sie fest wegen des dringenden Verdachts auf Kindesentführung und –misshandlung. Treten Sie zurück von den anwesenden Minderjährigen und kooperieren Sie. Nach Paragraph..." So monoton und leidenschaftslos die Stimme klingt, so stark reagiert der alte Mann: Er wird aschfahl, als er zum Besuchereingang des Saals herumfährt, wo drei Gestalten in grauen Anzügen und Hüten aufgetaucht sind, die sich durch die Sitzreihen auf die kleine Gruppe zu bewegen.

Auf Phelps' Stirn glänzt Schweiß. Er dreht sich in Richtung der Schüler und flüstert: "Rasch, meine Freunde, rasch! Tretet durch das Portal – keine Zeit mehr für Erklärungen!" Dann hebt er die Arme und greift noch stärker in die Tasten. Die Musik schwillt an, und eine Windböe scheint an den dreien zu zerren. "Dies ist die letzte Warnung: Sie verstoßen gegen nationales und staatliches Recht" ruft der vorderste der drei Männer, die nun in Laufschritt fallen. Der runzlige Alte hämmert wie besessen in die Tasten. Er schenkt den Schülern einen Blick, in dem sich Traurigkeit, Sehnsucht und eine fast väterliche Zuneigung zu mischen scheinen, nickt ihnen zu und flüstert: "The show must go on..."

Ayleen Chepi Anitsiskwa

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Kapitel I: Wen die Muse küsst
« Antwort #179 am: 24.05.2017, 17:21:13 »
Ohne äußerliche Regung genießt Ayleen die Musik und die sich vor ihnen erstreckende Landschaft. Sie beobachtet Lauras Übertritt und will gerade Eddy anspornen, als die grauen Eminenzen wieder auftauchen. Sofort bekommt sie einen Anflug von schlechtem Gewissen, immerhin hatte sie Infomationen zurückgehalten. Aber deren Auftritt erinnert sie so sehr an die Ranger und andere, die ihnen im Reservat das Leben schwer gemacht haben, das all die damit verbundenen Emotionen wieder hochkommen. Mühsam beherrscht sie sich und fällt den Herren laut ins Wort: "SIE verstoßen gegen das Recht! Sie haben sich nicht angemeldet und um Zutritt gebeten, so verstoßen Sie gegen MS Code 97-3-15! Sie müssen sich ausweisen und Durchsuchungs- und Haftbefehl vorweisen! Sonst verstoßen sie gegen den 6.Zusatz der Verfassung, Coffin gegen USA 1895 hat das bestätigt!" Auch wenn sie weiß, wie wenig Recht haben mit bekommen zu tun hat, gerieten die meisten Gesetzesvollstrecker der Anzugsart aus der Fahrt, wenn ihr Gegenüber plötzlich mehr wusste als erwartet.

Sofort danach beugt sie sich zu Herrn Phelps und flüstert ihm zu: "Wenn sie rechtlichen Beistand brauchen, mein Vater Anitsiskwa, Mitglied der Internatsspender, kann ihnen Thomas oder Sloan vermitteln. Verraten sie ihm im Zweifel, Chepi hätte dazu geraten." Eigentlich hält sie den Namen geheim, aber ihr Vater sollte Freund und Feind unterscheiden können, nicht das die Vorwürfe der grauen Männer ihn gegen Herrn Phelps einnehmen.

Zum Schluss sieht sie zu den Grauen und tritt rückwärts durch den Schleier. Sollten sich die beiden Jungs noch nicht bewegt haben, zieht sie sie mit Griff an Schulter oder Arm mit sich.

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