• Drucken

Autor Thema: Wohin die Wärme flieht...  (Gelesen 38694 mal)

Beschreibung: IC - Thread

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Menthir

  • Moderator
  • Beiträge: 4052
    • Profil anzeigen
    • Enwe Karadâs
Wohin die Wärme flieht...
« am: 17.11.2016, 18:37:46 »
03. Zima - 49tes Jahr des Neubeginns - Am Tor der Brüderschaft - Sjukowo - 19:27 Uhr

Der elfte und letzte Monat dieses elendig langen Jahres hatte begonnen und es würde mit Abstand der längste Monat werden. Je größer die Verzweiflung war, je beherzter der Wunsch nach Wärme und je unerfüllter eben dieser, desto länger zogen sich die kalten Tage.

Die Volakhi, benannt nach den alten Ochsenkarren, die sie zogen, waren das sicherste Zeichen für den nahenden Winter. Sie bestimmten das Wetter mit einer größeren Präzision als eine Wasseruhr die Zeit bestimmte und wer sie in den Straßen sah, wusste, dass Frost nahte. Vor zwei Nächten brachen sie aus den Tiefen des Nebelviertels Bulajew auf, dreißig oder vierzig Karren, gezogen von verhärmten Männer mit struppigen Bärten, allen Anzeichen von Mangelernährung und selbst kaum ausreichend für das Wetter gekleidet. Sie zogen durch die Straßen, sammelten mit Mandat des Stadtrates die Leichen aus den Wohnungen, aus den Fabriken und von den Flüchtlingen und ganz Armen, die auf der Straße vor Hunger und meist Kälte zugrunde gingen. Jeden Abend mit Sonnenuntergang verließen sie Bulajews dampfenden See und mit dem Sonnenaufgang verschwanden fast alle Karren wieder dort. Es war der Gang der Dinge in Demjanowka: alle Leichen kamen erst nach Bulajew, ehe sie der Kirche oder den Familien - oder bei den Ärmsten der Stadt - zum Begräbnis übergeben wurden. Warum? Darüber gab es nur Gerüchte, die teils gar allzu mythische Auswüchse annahmen. Doch die meisten glaubten einfach das, was die Stadt dazu öffentlich verkündete: das städtische Ärztezentrum hatte den Tod ordenungsgemäß festzustellen und sein Hauptquartier lag im Schatten der Magiespeicher-Bauanstalt[1]. Was auch immer mit den Leichen geschah, einem Volakhi zu begegnen, galt nie als gutes Zeichen. Und seit zwei Nächten waren sie wieder unterwegs...

Es gab jedoch auch Karren, die man gerne erwartete. Einer dieser Karren war einer der Gründe, warum sich am Tor der Brüderschaft eine Traube von Arbeitern bildete. Es war ein offenes Geheimnis, aber noch war es für viele immerhin noch ein Geheimnis und somit war der Andrang überschaubar. Obwohl die Halblinge den offiziellen Handel mit der Stadt verweigerten, gab es einige Mitarbeiter dort, welche überschüssige oder ausschüssige Ware zu erträglichen Preisen an die Stadtbevölkerung verkauften. Etwa 40 Bewohner Demjanowkas hatten Wind von diesem heutigen Treffen bekommen und warteten in der eisigen Kälte unter einem leicht wolkenbedeckten Mond auf einen der Halblinge von Hosch & Baber, auf alte Waren zu brauchbaren Preisen und auf etwas zu Essen im Magen. Unter den Hungrigen und Wartenden waren auch Lavrenty Volkov, Elrevan Izavel und Mara Sorokin. Vielleicht nicht aus denselben Gründen, wie die meisten, aber sie waren dort. Sie froren wie alle anderen.

Die Temperaturen waren weit unter 0 Grad gesunken, das erste Mal würde es richtig frostig werden und die Volakhi würden viel zu tun haben. Es war so kalt, dass sich viele Arbeiter in die Stahl- und Walzwerke des Nebelviertels wünschten. Der volle Mond leuchtete über karge Felder, brach sich an den Scheiben magischer Gewächshäuser, in dem die Halblinge von Hosch & Baber auch zu dieser Jahreszeit eifrig Erträge erwirtschafteten, während in der Stadt im Winter der Hunger besonders arg war. In der Ferne hoben sich die Haupthöfe der Halblinge von den dahinterliegenden, noch etwas höheren Hügeln ab. Die erdverkrusteten und frostigen Äcker glimmerten im Mondenschein wie mit Sternenstaub bestäubt. Aus der Richtung drang das Muhen des Viehes, welches in den engen Ställen wärmer hatte als die Menschen hier draußen. Im Norden verschwand die Stadt mit ihren tausend Schloten in unheilvollen Schatten aus Dunkelheit und Rauch, zeichnete sich nur noch als verschlingender Moloch, als Nachtmahr am Indigo der Nacht ab.

Sie blickten auf das Tor der Brüderschaft, eine Erinnerung an die Befreiung der Bauern aus ihrer Leibeigenschaft vor 49 Jahren. Einstmals mit einem Grenzposten und einer mannhohen Mauer umgeben, ist die Mauer von den Halblingen zurückgebaut worden, nachdem sie nach Westen hin baufällig wurde, sodass das Tor alleine auf der Straße steht. Sein stählernes Äußeres ist angelaufen und an vielen Stellen schon schrotig und rostig, brüchig und scharfkantig. Auf den schweren Gittertüren prangte einstmals jeweils eine Person. Auf dem linken Flügel ein Abbild des damaligen Königs Zavael III.[2] und des Führers der Bauernschaft Viktor Pulijenko[3], und wenn die Tore geschlossen waren, gaben sich also beide die Hände und es sollte für das Zeichen der Eintracht zwischen Adel und Landschaft stehen. Nur waren die Figuren aus wertvollem Messing und in einer kalten Winternacht vor zwei Jahren waren beide Figuren gestohlen worden und vom Stadtrat bis heute nicht ersetzt. Der gemauerte, kuppelartige Rundbau um das Tor war von brachialer Gestalt, aus Beton gegossen, und der damals zuständige Künstler hätte das Ganze Objekt noch verzieren wollen. Doch sein frühzeitiger Tod beendete dieses Projekt und hinterließ einen schäbigen, inzwischen vielfach bemalten Bau mit nicht mehr funktionierenden Toren, schartigem, rostigen Stahl. Das Mahnmal verwitterter Hoffnung. Die Schmierereien im Inneren gaben Kunde davon, wenn sie vom Tor der Verräter oder vom Tor des Hunger sprachen.

Endlich rollte ein Karren aus Richtung der Legebatterien über das gleichmäßige Straßenpflaster der Hauptstraße nach Demjanowka. Aufgeregtes Gebrumme ertönte. Was mochten die Halblinge wohl diesmal veräußern? Alte Hennen? Durchwachsenen Speck, in dem sich gerade die Maden einnisteten? Vielleicht waren ein paar Sack Getreide nass geworden und mussten weg, ehe sie schimmelten? Der Karren sah üppig beladen aus. Mehrere Kisten stapelten sich auf einer kleiner Ladenfläche und ein krummbeiniger Esel hatte furchbare Nöte, den schweren Wagen zu ziehen. Die Leute drängelten vor und manche wollte bereits vorstürmen, um als erstes von dem Mann zu kaufen. Gepöbel brach aus, bis ein kleiner, dürrer Mann mit einem abgebundenen Auge den Finger reckte und rief.
"Seht! Der Mann, der den Karren führt, ist viel zu groß für einen Halbling."
Eine vor Kälte schlotternde Frau, nur in ihrer Werkkleidung einer Zimmerfrau der Werft gekleidet und mit einer Wolldecke eingewickelt. "Schweige doch. Vielleicht haben Sie diesmal einen Arbeiter geschickt."
Aufgeregtes Jaulen und dann blieben doch alle am Tor. Die Worte der Halblinge waren deutlich. Wir handeln am Tor, oder wir handeln gar nicht.

Und so beobachteten die Anwesenden den Wagen voller Sorge und heimlicher Freude. Dann war er einige Minuten später bei ihnen. Sie stellten sich in seinen Weg und ein dürrer Mann, der eine zu kleine Papacha[4] auf dem Kopf trug, nur in eine ledrig-abgeschürfte Jacke und kurze Hosen gekleidet, brachte den Wagen zum Halt. Er schlotterte so vor Kälte, wie die meisten hier. Seine Schuhe waren beinahe durchgelaufen, die Socken versprachen keine Wärme mehr. "Nicht doch...", säuselte er schwer atmend in die Nacht, die inzwischen sternenklar geworden war. "Haltet einen alten Volakhi nicht auf. Ich will doch nur in den dampfenden See und mich dort mit meiner Beute niederlegen."

Jemand schauderte, als der Mann das so formulierte und riss ihm die Papacha vom Kopf. Ein anderer in der Kleidung eines Minenarbeiters fragte stattdessen. "Keine Waren? Sind so viele letzte Nacht in den Legebatterien gestorben?"
Der Alte versuchte seinen Karren freizubekommen, doch der Esel fühlte sich bedrängt und wurde langsam störrisch.
"Lasst einen alten Mann ziehen. Bitte, die Herren und Damen. Was soll ich tun? Ich muss genauso leben wie ihr. Ich bin schon ein Volakhi. Was wollt ihr mir noch tun? Die Männer auf meinem Karren sind auf den Feldern erfroren. Genug des Wissens? Lasst mich doch ziehen!" Seine Stimme nahm einen weinerlichen Klang an und der Lichtschein einer Magielaterne, die am schäbigen Tor hing, verriet, dass seine sich auf die Kopfmitte beschränkende Glatze vor Scham und Kälte rot und blau glänzte. Seine braunen Augen waren etwas blutunterlaufen.
Der Mann, der wohl Kohlemann war, setzte nach. "Lüg doch nicht, Alter. Du bist uns zuvor gekommen und hast den Halblingen abgekauft, was sie uns gegeben hätten." Er polterte gegen den Esel, der in die Luft austrat. Der Alte versuchte den Esel zu beruhigen, aber schnell stimmten zwei menschliche Frauen, ein Zwerg und ein Ork dem Kohlemann bei. "Genau! Du schmuggelst! Lasst uns die Kisten aufreißen!" - "Nein! Bitte nicht! Es sind doch nur Tote. Habt ihr vor Hunger keine Ehre mehr im Leib!"
Einige Männer und Frauen umzingelten nun den Karren und drohten den alten Mann die Tücher vom Karren zu reißen. Einer riss daran und die am Karren befestigte Gaslaterne stürzte auf die Straße, zerbrach und erlosch.

Koura. Die Welt, in der die Wärme wich. Aus der Welt selbst, aus dem Feuer und auch aus den Herzen. Der Alte bettelte, dass sie einen Moment innehielten. Er blickte sich hilflos unter den Besuchern des Tores der Brüderschaft um und schluckte. Bitter spie er aus. "Willkommen in Demjanowka..."
 1. Vielleicht hat wer genauere Gerüchte gehört oder kennt gar die Wahrheit? Wissen(Lokales)-Wurf verrät mehr.
 2. 
Wissen(Adel- und Königshäuser) SG 5 (Anzeigen)
Wissen(Adel- und Königshäuser) SG 15 (Anzeigen)
 3. 
Wissen(Geschichte) SG 15 (Anzeigen)
 4. Die Papacha ist eine Pelzmütze aus der kaukasischen Gegend.
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Menthir

  • Moderator
  • Beiträge: 4052
    • Profil anzeigen
    • Enwe Karadâs
Wohin die Wärme flieht...
« Antwort #1 am: 19.11.2016, 22:44:57 »
03. Zima - 49tes Jahr des Neubeginns - Yevgeni-und-Marija-Popowkowitsch-Park - Arbamanka - 19:27 Uhr

Das Viertel machte in diesen Stunden seinem Name alle Ehre. Durch die tiefen Straßenschluchten Arbamankas drang das Jaulen der hungernden, frierenden Streuner, auf der Suche nach Nahrung und Wärme. Einst hatten in diesem Viertel viele Hunde tot in den Gassen gelegen, entweder weil jemand ihr Gejaule nicht mehr ertrug, und sie erschlug, oder weil sie schlichtweg verfroren und verhungert waren. Dieser Tage traute sich niemand mehr an einen Hund heran. Sie waren nicht bissiger, nicht toller geworden. Aber die Angst von einem Psina gesehen zu werden, sie ließ jeden Wütenden einhalten. Jeder wusste, wenn er erwischt wurde, wie er einen herrenlosen Hund zu Tode prügelte - sei es, um ihn ruhig zu stellen oder um ihn zu fressen - bekam es mit dem Genossen Dschaba und seinen Kötern zu tun.

An den meisten Tagen hatte das zur Folge, dass Hunde gefüttert worden und so im Frühjahr bis Spätsommer Stille herrschte, doch in der einbrechenden Kälte des Winters mussten die Bewohner Arbamankas mehr auf ihr eigenes Essen schauen, die Hunde wurden weniger gefüttert und diese damit unruhig, bissiger, toller. Jeden Abend bis nahe an die Mitternacht schall das krampfhafte Jaulen durch die Straßen des Hundeviertels.
Und nicht nur die Hunde selbst wurden in dieser Zeit hungriger, auch die Köter. Die Psina hatten jedes Jahr ihre aktivste Phase, wenn es den Bewohner am schlechtesten ging. Dann rekrutierten sie mit der Aussicht auf Kost und Logis, mit Aussicht auf ein wenig Hoffnung und Wärme.

Seit zwei Tagen erstrahlten die wenigen noch gepflegten Parkanlagen Demjanowkas, fast alle im Viertel Arbamanka gelegen, im silbrigen Film frostiger Kälte. Der Auftakt der Winterwochen begann damit, dass sich der Mann in Weiß wieder zeigte. Die Winterwochen waren ein politisches Schlagwort, während dieser die Psina sich erhoben und gegen die Zustände in der Stadt stellten. Die Köter waren ein zweischneidiges Schwert, wenn man den Gerüchten glaubte. Ebenso kriminelles Kartell wie auch politische Partei mit einem charismatischen Gesicht. Und wer auch immer in den Schatten davon hörte, mochte vielleicht ein ersten Eindruck davon bekommen. In den Schatten wurde gemunkelt, dass Genosse Dschaba eine Rede im Park halten würde, der auch der Schwurpark genannt wurde. Und er würde einen Schwur ablegen. Doch etwas hatte sich geändert. Bruder Dschabas Auftreten sollte sich im Kleinen verändert haben. Immer noch im weißen Anzug, trug er nun ein weißes Hemd und eine schwarze Krawatte. Einem kulturlosen Halunken mochte das nicht weiter auffallen, wer aber die kulturellen Winkelzüge der Herzlande kannte, wusste, dass die Etikette nur dann eine schwarze Krawatte - von Dschaba in der modernen Form des Langbinders getragen - zuließ, wenn Trauer zu zeigen war, meist im Rahmen einer Beerdigung. Und Genosse Dschaba war ein Mann von Etikette, jemand der viel Wert darauf legte und in jungen Jahren sogar ein Buch über Etikette geschrieben hatte. Stilbewusst, öffentlichkeitsbewusst und offiziell ohne Verbindung zu einem verurteilten Verbrechen.

Die Dubinapolizisten mochten ihm - trotz aller Unkenrufe, dass die Psina sie kontrollierten - dennoch nicht trauen. Und auch ihre Ohren hatten von diesem Treffen gehört. Der frostverlorene Park, dessen Blumen längst eingegangen waren, nur noch das sauber geschnittene Immergrün war noch formbildend und sah mit den Frostspitzen an dessen Blättern fast pittoresk aus, war umgeben von einem umführenden Weg aus blassrotem Pflasterstein, welcher wiederum umgeben war von hohen, schmutzigen Hauswänden; rusgeschwärzt und mit schmierigen Hinterhoffenstern. In manchen Fenster brannten trübe Gaslampen und Bürger schauten herab auf den Platz. Andere dunkle Fenster offenbarten durch das Mondlichten mit der Finsternis verschwimmende Silhouetten, welche das Treiben ebenfalls beobachteten. Vier Hinterhofeingänge, gemauerte Tunnel durch die Wohnbarracken, erlaubten Zu- und Abgang aus dem Park. In der Nähe dieser wichtigen Punkte standen in oliv gekleidete Dubina, im Lichtschein der Magielaternen glänzten die Silberknöpfe ihrer Jacken. Mindestens drei von ihnen pro Zugang. Im Park hatte sich derweil fünfzig oder sechzig Bürger versammeltet. Die wenigsten von ihnen Menschen. Vielleicht zwanzig Zwerge und zwanzig Elfen, der Rest gemischt aus Menschen, den rabenartigen Tengus und einigen Halblingen und Ratlingen. Unter ihnen auch Djirris und Sawelij. Sie standen wild durchmischt um die Statue der Popowkowitschs, einer massiven Bronze, welche den blinden, gebrechlichen Yevgeni zeigte, wie er seine Frau zu Grabe trägt. Davor hatte - etwas unpassend - jemand einen roten Cocktailsessel gestellt, daneben ein rundes Beistelltischchen aus Mahagoniholz, auf diesem ein breitbodiger Dekanter stand, der gerade von einem Mann in schwarzer Weste, weißem Hemd und schwarzer Lederhose und schmalen Schnurrbart befüllt wurde, mit tiefrotem Wein.

Leises Säuseln fuhr die aufgeregten Leute, als im Nordeingang die Dubina ein paar Schritte machten und ein Mann in weißem Anzug, weißem Hemd und schwarzen Schlips in das Licht einer Magielaterne trat. Er ließ das künstliche Licht einen Moment wirken und blickte unter einem olivgrünen Fedora mit schwarzer Binde hervor und reckte das scharfgeschnittene, breite Kinn. Er zog eine Zigarette aus der Hemdtasche und entzündete sie mit einem magischen Taschendrachen, silber und in simpler Blockform. Er wanderte gemessenen Schrittes aus dem Licht, als das Flüstern und Mutmaßen unter den Besuchern begann, und klar wurde, dass ein schwarzer, etwa hüfthoher Hund mit glänzendem Fell ihm treu folgte. Doch der Mann, der augenscheinlich Genosse Dschaba war, unterbrach das Flüstern mit einer Stimme, die Magie nutzen musste, denn obwohl er normal sprach, war er von jedem, an jeder Position klar und deutlich zu verstehen.
"Guten Abend, meine Damen und Herren." Das Flüstern erstarb an fast allen Stellen, während die Dubina sich wieder in den Nordeingang stellten. Dschaba nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette, atmete den Rauch aus der Lunge aus und verbarg die Zigarette auf der Innenseite der Hand, um sie vor dem kühlen Wind zu schützen, der durch die Straßenschluchten in den Hinterhof zog. Dann setzte er sich in den Sessel, schlug das linke über das rechte Bein und setzte die Zigarette wieder an den Mund. Der große Hund mit den leicht hängenden Lefzen und den stelzenartigen Bein, augenscheinlich eine Dogge, legte sich vor dem Boss der Psina nieder.
"Ich habe für das Interesse zu danken. Ich sehe die Frage in den vielen Gesichtern. Warum sind wir hier? Was kann ein Mensch, der sich nicht seiner Armut entsprechend kleidet, für die Nichtmenschen tun, die von der Stadt - dem ganzen Land - so verachtet sind. Die in einen kochenden Pott mit allen Orks aus Kirgagrad geworfen sind, und doch nur brennen und hungern."
Er atmete den Rauch der Zigarette tief ein, hielt ihn einen Moment, ließ ihn durch die Nase weichen und goss sich von dem Wein aus dem Dekanter ein.

"Die Wahrheit ist. Ich bin nicht gekommen, um zu versprechen, dass alles besser wird, nur weil ich es verspreche. Ich bin jedoch gekommen, weil ich sehe, dass euren jeweiligen Völkern der innere wie äußere Zusammenhalt fehlt. Weil euch Fürsprecher fehlen und Personen, deren Gesicht, deren Geschichte mit eurem Schicksal verbunden ist."
Seine Hand greift hinab zu der massiven Dogge und krault ihr das Kinn, während der Hund die Ohren aufstellt und suchend schnüffelt. Im schwachen Licht der trüben Gas- und Magielampen, die manche der Besucher trugen, waren die grau-schlierigen Augen des Hundes zu sehen. Er war blind.
"Ein Mensch macht dieses Angebot." Allgemeines Gemurmel gab dem Genossen die Chance, einen Schluck von dem Wein zu kosten, der ihm eindeutig zu sauer war und ob seiner Kälte das linke Auge des Genossen kurz zucken ließ.
"Warum sind wir Psina? Weil wir Verbrecher sind? Ja, wir sind Verbrecher. Verbrecher kommt aus einer der alten Sprachen und bedeutet wortwörtlich "das Recht brechen". Aber ist Verbrecher etwas negatives, wenn das Recht das Unrechte ist?" Er lächelte gewinnend.
"Ist es richtig, wie mit dem Elfen in dieser Stadt umgegangen wird, weil es Gewohnheitsrecht ist, sie in ihre Straßenzüge oder abgebrannte Wohnungen zu sperren?" Ein paar zustimmende Stimmen, die Stimmung löste sich etwas. Doch wer glaubte, dass der Mann sich darauf stürzen würde und eine Stimmung offen schüren wollte, sah sich getäuscht. Alleine der Sessel sprach dagegen. Er lehnte sich zurück und seine Entspannung ließ das leichte Aufbranden von Stimmung schnell wieder ersticken. Er würde gerne Rede für alle halten.

"Wir sind Psina - Köter - weil es unter Hunden egal ist, ob du ein Dackel, eine Dogge, ein Hirtenhund, ein Schweißhund bist. Es ist egal, ob du ein Schweinehund oder ein Sauhund bist, es ist egal, ob du ein krummer Hund oder ein Hundsfott bist. Wir sind alles Straßenköter, Mischlinge mit vielleicht augenscheinlich klarer Herkunft und doch mit ungewisser Zukunft." Er lächelte freundschaftlich. "Sicher gibt es in Hunderudeln auch eine Hierarchie, eine Ordnung. Aber sie ist komplexer als die großen Bürger dieser Stadt glauben. Und das ist das, was ich euch Nichtmenschen - euch Psina - bieten kann. Teil eines Kollektivs zu sein, in welchem wir Brüder und Schwestern sind. In dem es egal ist, ob du Elf, Mensch, Zwerg, Ork oder Halbling bist.
Die Frage ist und bleibt, was können wir damit machen? Das ist die Frage, die ich implizit am Anfang stellte. Aber die kann ich so nicht beantworten.
Um sie zu beantworten, benötige ich jetzt mindestens zwei Köter, die vortreten. Mir ist das gleich, ob ihr Politiker, ob ihr Dubina..."
Ein paar Männer lachten in Richtung der Männer in ihren oliven Uniformen. "..., ob ihr Schreiner, Penner, Stahlwerker oder Obdachlose seid. Mir ist egal, welcher Promenadenmischung ihr angehört. Mir ist egal, ob ihr wortgewandt oder still, ob ihr Mann des Gaslichts oder des Schattens, ach, ob ihr Mann oder Frau seid. Wen interessiert's? Mich interessiert, ob ihr jetzt eine Entscheidung trefft. Es ist eine einmalige Chance! Ihr tretet jetzt vor. Wer jetzt vortritt, den will ich als Sprachrohr für seine Gruppe ansehen und mit denen werde ich bereden wie es weiter geht.
Richtig, keine Reden für das Wohlgefallen aller. Sondern ein Gespräch, ein verbindliches Gespräch, zwischen echten Männern und Frauen.
Also, wer hat den Mumm das Schicksal seiner Gruppe in die Hand zu nehmen und sich mit Kötern zu umgeben."


Verwirrter Gesichtsausdrücke trafen Genosse Dschaba einen Moment, ein paar Besucher waren enttäuscht, weil sie große Reden erwartet hatten. Stattdessen nahm Dschaba noch einen Zug von der Zigarette und ließ den Stummel fallen und trat ihn aus, kraulte der blinden Dogge hinter den Ohren und wartete lächelnd, wer wohl vortreten mochte. Und manche spürten seine Blicke, sie wichen unwillkürlich einen Schritt zurück. Schließlich trafen seine Blicke auch Djirris und Sawalij. Als er die beiden anschaute, hielt er inne und schob den Fedora ein Stück hoch, um einen besseren Blick zu haben und stierte sie einen Moment unverwandt an[1]. Dann lächelte er wieder. Er wartete, ob jemand es wagte, vorzutreten.
Noch traute sie niemand den ersten Schritt zu...
 1. Motiv erkennen-Wurf
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Lavrenty Volkov

  • Beiträge: 10
    • Profil anzeigen
Wohin die Wärme flieht...
« Antwort #2 am: 20.11.2016, 02:14:49 »
Die Wärme war inzwischen ganz weg. Während er arbeitete lag sein abgetragener Mantel stets über einem Rohr durch das heiße Dämpfe strömten. So konnte er nach der Arbeit immer ein wenig Wärme aus dem schrecklich heißen Stahlwerk mit sich nehmen. Jetzt wo die Kälte nun endgültig die Stadt zu umfangen schien hatte er die Innenseiten des Mantels mit Pappe und Tapetenresten, die er irgendwo gefunden hatte, verstärkt. In der Armee hätte man das Kampfwertsteigerung genannt, hier war es viel mehr so, dass der Mantel ohne Lavrentys Improvisation beinahe gar keinen Wert mehr hatte. Nach seiner Schicht war er gleich hier her gelaufen, von der Wärme, die er dem Stahlwerk gestohlen hatte umfangen. Doch jetzt merkte Lavrenty wie der Frost durch den Mantel drang und nach ihm griff. Die Wärme war weg.

Die Hände tief in den Taschen, die Arme eng an den Körper gepresst und die Schultern hochgezogen, stand er da, unter all den Anderen und blickte sich unschlüssig um. Ein paar der Leute, die hier mit ihm warteten kannte er von Versammlungen und von der Straße. Wenn sich die Blicke begegneten nickte er kurz und raffte sich zu einem sanften Lächeln auf, aber blieb sonst still, suchte keine Gespräche. Wie die anderen auch, war er erschöpft von der langen Schicht und wollte genauso wie alle, dass dieser Tag einfach vorbei gehen möge. Als die Ankunft des Wagens angekündigt wurde konnte er spüren, wie sein Magen vor Freude einen Salto zu vollführen versuchte und Lavrenty auf diese Weise unsanft darauf hinwies, dass er großen Hunger hatte. Dennoch beteiligte er sich nicht an dem nun allmählich einsetzenden Gedränge um die besten Plätze. Viele hier sahen schlechter aus als er selbst, hatten die Mahlzeit nötiger, er würde auch mit dem was vielleicht überblieb auskommen können. Zumindest heute noch.

Doch es war nicht der erhoffte Wagen, sondern nur ein Leichensammler, ein Volakhi. Eigentlich glaubten die Leute doch, dass es ein schlechtes Zeichen war so einem zu begegnen, aber der Hunger ließ sie jeden Aberglauben vergessen. Allein die Hoffnung auf Essen machte sie sofort glauben, dass der Alte ihnen eben dieses wegnehmen wollte.
Jetzt machen sie sich am Wagen zu schaffen und gleich fallen die Leichen auf die Straße, dachte Lavrenty und Sorge machte sich in ihm breit. Das wäre dann ein neuer Tiefpunkt - alte Männer und Leichen. Er hatte bloß gewollt, dass der Tag vorüber ging und ein wenig Ruhe noch dazu, doch Lavrenty musste einfach dazwischen gehen. Um seiner Mitmenschen wegen, aber insgeheim auch um seiner selbst wegen. Er hatte schon zu viele Tote gesehen...

"FREUNDE! GENOSSEN!", rief Lavrenty und versuchte sich Gehör zu verschaffen während er zu dem Wagen drängte damit ihn alle sehen konnten. "Meine Enttäuschung ist nicht kleiner als die von jedem anderen, aber müssen wir diese Enttäuschung an anderen, genauso Enttäuschten auslassen?" Als er den Alten erreichte, nahm er seine eigene Mütze ab und reichte sie demonstrativ dem Volakhi. "Hier Väterchen, bis du deine eigene wieder hast." Die Kälte strafte Lavrentys Nächstenliebe augenblicklich mit eisigen Messern die durch sein Haar fuhren. Er schwieg einen Augenblick um die Aufmerksamkeit der Menge weiter zu bündeln und fuhr dann fort:

"Dieser Mann arbeitet doch nur, wie auch ihr! Er friert und hungert, wie auch ihr! Wir alle! Wir sind alle gleich, nichts unterscheidet uns! Ihr mögt vielleicht einwerfen, dass die Volakhi eine unreine Arbeit verrichten und euch das von ihnen unterscheidet. Kann so etwas gelten? Kann Arbeit überhaupt unrein sein, gerade wenn sie so notwendig ist, wie die des Alten? Unangenehm, das mag sein, aber unrein? Ich kenne jedenfalls nur einen unreinen Beruf... Fabrikbesitzer!"[1]
Lavrenty ließ der Menge einen Augenblick um das Gesagte einsickern zu lassen. Lächelnd fuhr er fort "Ihr mögt lachen, Genossen, aber es ist die Wahrheit und zwar eine sehr bittere. Der Fabrikbesitzer hungert nicht wie wir. Er muss auch nicht in der Kälte herumstehen so wie wir. Und ihm reißt auch niemand die Mütze vom Kopf, weil er mehr besitzt als wir. Er sitzt in seinem schönen, großen, warmen Haus und genießt ein Festmahl mit seiner gesunden und von Sorgen befreiten Familie. Jeden Tag. Nicht nur an Tagen wo er mal Glück hat, dass er was Gutes ergattern konnte. JEDEN TAG. Und wie kann sowas sein? Wie viele Schichten arbeitet so einer denn, damit das möglich ist? Wieviel mehr produziert er als wir in der gleichen Zeit, dass er soviel mehr Lohn verdient?

Die Fabrikbesitzer, die ich kenne, sitzen meistens nur auf einem bequemen Stuhl hinter einem großen Schreibtisch. Sie müssen ein flinkes und scheues Volk sein, diese Fabrikbesitzer, denn immer wenn man hinsieht verrichten sie keine schwere Arbeit und sind trotzdem reich. Sie verdienen mehr als alle ihre Arbeiter, wesentlich mehr. Und die Arbeiter? Die sind unzufrieden. Mit Recht! Aber warum lassen sie dann ihre Unzufriedenheit an diesem Volakhi aus? Ist er dafür verantwortlich, dass unsere Arbeit nichts wert ist, obwohl diejenigen, die von ihr profitieren, die durch sie - unsere Arbeit - ihren eigenen Verdienst erwirtschaften, wesentlich mehr zahlen könnten?

Selbst wenn er Nahrungsmittel dabei hätte - er sagt es ja selbst: Ich muss genauso leben wie ihr! Dürfen wir uns gegenseitig um das Wenige was wir haben beneiden? Findet ihr das richtig? Auch wenn einer von euch morgen dran ist und wegen schimmligem Brot mehr als nur die Kopfbedeckung vom Kopf geschlagen bekommt?"

Lavrenty war nicht wütend und seine Worte waren es auch nicht, vielmehr hatten sie einen flehenden Unterton. Die Leute mussten einfach verstehen, dass sie nicht gegeneinander sondern zusammenarbeiten und leben mussten. Das war wichtig und es musste noch schneller geschehen als es das derzeit tat. Der Winter war unaufhaltsam und seine Kälte unerbittlich. Doch wenn die Herzen der Menschen schon vorher eiskalt würden, dann würde sich nie etwas ändern.
 1. Diplomacy 35 um die Leute mit diesem lustigen Witz zu erheitern und die Situation so etwas zu entschärfen
« Letzte Änderung: 20.11.2016, 02:15:00 von Lavrenty Volkov »
Unser Weg ist noch nicht zu Ende,
Genossen, blickt weit voran,
seht im Wind die Fahne vor uns wehn,
sie führt die Arbeitenden an! Genossen! Los! Los! Los!
(Melodie)

Mara Sorokin

  • Beiträge: 46
    • Profil anzeigen
Wohin die Wärme flieht...
« Antwort #3 am: 21.11.2016, 06:21:43 »
Auch Mara Sorokin hatte sich nach einem langen Tag im Walzwerk an das Tor der Brüderschaft geschleppt, um in der eisigen Dunkelheit des Abends auf den Hoffnungsschimmer zu warten, den der Wagen der Halblinge bedeutete. Trotz des Wollpullovers, des langen Mantels und der Uschanka auf ihrem Kopf, kroch ihr die Kälte in alle Glieder. Vermutlich lag es daran, dass ihr Pullover von Motten zerfressen, ihr Mantel längst abgetragen und die Kopfbedeckung kaputt war aber die Sachen waren das Beste, was sie sich hatte beschaffen können. Wenn sie sich die drei Dutzend anderen Arbeiter ansah, die sich hier versammelt hatten, ging es ihnen nicht anders. Auch sie frierten und zitterten und trotzdem waren sie hier. Der Wunsch nach einem gefüllten Magen und einem einzigen Abend, an dem man ohne Hungergefühle in den Schlaf abdriften konnte, obsiegte über eine Möglichkeit, seine Zeit an einem wärmeren Ort zu verbringen.

Mara war erschöpft und entkräftet. Sie hatte ihr Bestes getan und was hatte sie dafür bekommen? Gerade einmal genug, um sich den Abfall leisten zu können, den niemand mehr wollte. Sehnsüchtig blickte sie auf die Hauptstraße und versuchte dort einen Karren zu entdecken. Um nicht ganz dem Gefühl des Erfrierens nachzugeben, hüpfte und bewegte sie sich auf der Stelle und rieb ihre Hände aneinander. Einen Wagen konnte sie noch nicht erkennen, weshalb sie noch einmal einen Blick in die Menge warf. Nicht viele der verhärmten Gesichert kannte sie aber diejenigen, die ihr schon einmal begegnet waren, schenkte sie ein aufmunterndes Lächeln. Bei einem Teil der anderen tat sie das gleiche. Es kostete nichts, freundlich zu sein und an so einem Abend eine nette Geste zu schenken. Lavrenty Volkov, dem sie schon das ein oder andere Mal zugehört hatte, nickte sie außerdem anerkennend zu. Viele hatten sich hier aus dem gleichen Grund versammelt und es war bereits jetzt klar, was das bedeuten würde.

Kaum hatte Mara diesen Gedanken gefasst, kam auch schon ein alter Karren in Sicht. Die Menge setzte sich schließlich in Bewegung, denn jeder wollte der Erste sein und zumindest den Hauch einer Wahl haben. Sie machte den Leuten Platz und wartete geduldig ab. Währenddessen streifte ihr Blick das Tor und die beiden fehlenden Figuren. Der heilige Befreier Zavael. Den ehemaligen König derartig zu verehren schien ihr falsch, auch wenn er sich für die Armen eingesetzt hatte. Ruslan, der dritte Sohn des Königs hatte sogar seinen Adelstitel abgelegt und sich der Religion und den Armen verschrieben. Zwar war sein Ruf nicht der Beste aber trotzdem war es gut zu wissen, dass es solche Menschen noch gab. Von dieser Selbstlosigkeit konnten und sollten noch viele lernen.

Der Wagen kam immer näher und schnell wurde klar, dass es sich nicht um einen der Halblinge handelte, die sonst immer die Lebensmittel verkauften. Die Enttäuschung darüber machte schon sehr bald Empörung Platz, als die hungrigen Leute nicht mehr klar denken und nur noch glaubten, ihrer Mahlzeit beraubt worden zu sein. Einen Moment lang sah sie dabei zu, wie sie bereits auf den Karren und den alten Volakhi zustürmten; ihm die Mütze vom Kopf rissen. Das war wirklich genug. Sie sollten nicht ihre Wut an ihresgleichen auslassen, sondern an den Personen, die wirklich für ihre Lage verantwortlich waren. Doch bevor sie etwas tun konnte, drängte sich auch schon Lavrenty vor. Mara hätte die Situation vermutlich anders zu lösen versucht aber jetzt konnte sie den Mann auch unterstützen. Schließlich sagte er die Wahrheit. Sie machte sich auf den Weg zum Wagen.

"Hört auf ihn und überdenkt euer Handeln!" schaltete sich Mara schließlich ein und kletterte auf den Karren, um besser gesehen und gehört werden zu können. Das Gewehr, das sie sich aus gestohlenem und gefundenem Schrott und Einzelteilen zusammengebaut hatte und jetzt über ihrer Schulter hing, klapperte dabei gefährlich. "Wir alle frieren hier draußen. Wir alle hungern. Wir alle haben darauf gehofft, dass wir heute Abend vielleicht ohne einen knurrenden Magen einschlafen können. Wir alle. Dazu gehört auch dieser Volakhi. Lasst ihn seine Arbeit verrichten, damit auch er nach einem anstrengenden Tag endlich etwas Ruhe finden kann."

"Wir sitzen doch alle im selben Boot und sollten uns nicht gegenseitig bekämpfen, sondern unseren Hass und Unfrieden auf die Personen richten, die für unsere Misere verantwortlich sind. Tag für Tag schuften wir uns ab und schaufeln uns selbst ein Grab, nur um die Geldsäcke in ihren Anwesen weiter zu füttern und sie noch fetter werden zu lassen. Und nun seht uns an: Nicht viel mehr als Haut und Knochen. Müssen in die Kälte hinauslaufen, um den Dreck kaufen zu können, den die Fabrikbesitzer in den Müll werfen würden. Wir halten den Karren der Halblinge für eine einzigartige Möglichkeit und frieren uns den Arsch ab, um darauf zu warten aber am Ende bekommen wir nicht viel mehr als Dreck. Abfall."

"Seht also davon ab, diesem Mann die Schuld in die Schuhe zu schieben und erkennt, dass keiner von uns für unsere Lage verantwortlich ist. Wir tun unser Bestes, um am Leben zu bleiben. Wir arbeiten den halben Tag, um nicht verhungern zu müssen und selbst das reicht für einige von uns nicht zum Überleben. Die Arbeit dieses Mannes ist Beweis genug dafür, dass selbst unsere größten Anstrengungen nichts helfen. Nicht dieser Volakhi ist euer Feind! Die Fabrikbesitzer sind es!"
« Letzte Änderung: 21.11.2016, 06:28:04 von Mara Sorokin »

Sawelij

  • Beiträge: 72
    • Profil anzeigen
Wohin die Wärme flieht...
« Antwort #4 am: 21.11.2016, 22:56:41 »
War es eine gute Idee hier her zu kommen? Hier raus ins Hundeviertel bei dieser Kälte. Es brachte auch nicht einmal etwas auf der Stelle herum zu treten. Die Kälte fraß sich einfach durch die Stiefel, den Mantel und die Kleider in den Leib. Auch der Kopf unter der dunkelgrünen Bommelmütze wurde langsam kalt und dies für eine Rede!? Wäre es wenigstens was zu Essen, etwas Kohle oder ein paar Münzen. Aber nein. Gut zumindest an letzterem könnte man drehen. Doch volle Taschen waren hier nicht zu sehen und zu allem Übel wachten die Augen der Dubina hier. Mit zusammen gepressten Lippen unterdrückte der Elf im alten Soldatenmantel ein mürrisches Zähneknirschen. Irgendwie wäre er jetzt lieber zu Hause in der Überfüllten aber dafür wärmeren Wohnung.

Gerade als er sich wieder fragte, welche Flöhe ihn da gebissen hatten, ging es los. Der große Genosse Dschaba tauchte auf. Die Gerüchte in den Schatten hatten auch nicht gelogen. Wiedermal zeigte sich, dass bei ihnen Wahrheit zu finden war. Doch warum hatte er sein Auftreten so verändert. Gut an Charisma war ihm immer noch nichts zu nehmen. Dieses gehabe, die Ruhe würden seine Hunde gerade die Gedanken des Elfen lesen können, so würde er auf der Stelle beide Hände verlieren. Aber ehrlich, Dschaba verleugnete weder seinen Einfluss noch seinen Reichtum.
Die Rede des Menschen, mit ihren gut gesetzten Pausen und passend gewählten Worten war seinen Gerüchten wirklich würdig. Doch waren seine Worte hohl? Er schwor alle auf Gleichheit und eine große Familie ein. Auf etwas was es vorher nicht gab, jedenfalls nicht so oder an was er sich erinnert. Ja es wäre schon verlockend als Gleichberechtig angesehen zu werden. Hier und jetzt. Ja und das nur zu einem kleinen Preis.
Der Elf zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen. Der Genosse versteckte es nicht wirklich. Er suchte Leithunde. Leithunde die vorpreschen hinaus in eine kältere Welt als dieser Winter der kommen möge. Hinaus in so manche scharfe Klinge die nicht offensichtlich sein mag. Denn wer wurde als erster gebissen? Wer sammelte am meisten Schrammen? Der der sich Leithund schimpfte. War es das wert?

Der Blick des Genossen entging dem Elf nicht. Er antwortete entschlossen, wich nicht zurück. Denn noch war ihm die Überraschung ins Gesicht geschrieben. Seine Augen wanderten von rechts nach links, versicherten sich des Ahnenden und suchten das andere Ziel. Verfluchen sich dann für die Dummheit. Die langsam sichtbar werdenden Schlagstöcke in den Ärmeln der Dubina waren ja auch kaum mehr zu übersehen. Egal es war geschehen und nun nicht mehr zu Ändern.
Das bisschen warme Luft, was die Lungen des Elfen hergaben, prustete er als weißen Rauch hinaus. Langsam setzte er sich in Bewegung. Trat hervor aus der Masse auf den Genossen zu. Während der ersten Schritte blickte er noch diesen an „Herr Genosse Dschaba, hat Recht und das ist traurig. Stimmt ihr mir da nicht zu?“ dann wanderte sein Blick zu den anderen Elfen, zu den Tengus und den Rattlingen. „Für einen meines Volkes mag ich noch jung sein, und doch kann ich mich an andere Tage erinnern. Wo es weniger ausmachte welchem Volke man angehört.“ Als er die Grenze zwischen dem Pulk und dem Genossen passiert hatte, drehte er sich demonstrativ um. „Ich habe keine Angst mich mit Kötern zu umgeben. Mein Name ist Sawelij, ich bin ein Straßenköter.“ Nach diesen Worten drehte er sich wieder zum Genossen. Es war kaum zu glauben aber ihm lief ein eisiger Schauer über den eh kalten Rücken. Was würde ihm hier sein Trotz schon bringen, sicher nur gebrochene Pfoten.

Djirris

  • Beiträge: 66
    • Profil anzeigen
Wohin die Wärme flieht...
« Antwort #5 am: 23.11.2016, 18:40:00 »
Kalt war es in den letzten Tagen geworden. Und das mit doch überraschender Schnelle. Jedenfalls draußen in den Straßen und den Parks. Wenn man nicht wußte, wo man Wärme fand. Wenn man ein einfaches Wesen ohne Gaben war.
Aber so war Djirris nicht. Er kannte die Stadt und sie kannte ihn. Sie waren verbunden. Und der Ratling wußte, daß sich die Stadt um ihn kümmern würde. So auch jetzt, wo der Winter anfing. Gerade in Arbamanka gab es genug Hunde, die ihn kannten. Und immer gab es ein Rudel, das nichts dagegen hatte, ihn und Muckel eine Nacht bei sich aufzunehmen; ihnen Schutz und gemeinschaftliche Wärme zu geben, wenn sie sich alle aneinander kuschelten. Hunde waren treue Seelen und so gab Djirris auch immer etwas zurück, nehmen der Wärme, die er und Muckel mitbrachten. Mal war es etwas zu Essen, mal seinen Hilfe gegen ein anderes Rudel oder auch ein anderes neues Rudelmitglied, das einen Platz in der Stadt suchte.

Doch jetzt waren er und Muckel alleine unterwegs. Er drückte seinen Katzenvertrauten, den er auf den Armen hielt, enger an seine Brust, damit sie beide Nähe und Wärme teilen konnten. Zusammen mit seiner streichelnden Hand brachte das den Kater zum wohligen Schnurren.
Verdammte Kälte!
Er spürte, wie sie ihm die Beine hochkroch. Langsam, unauffällig, wie ein Raubtier, das sich an seine Beute anschleicht. Also stampfte er wiederholt auf, um die Durchblutung zu fördern und das Raubtier zu verscheuchen.
Wie die anderen Zweibeiner wartete auch Djirris auf den Auftritt vom Anführer der Psinas. Aber seine Beweggründe waren andere als der meisten. Das wußte er. Denn die Stadt hatte ihn geschickt, um zu schauen, was Dschaba vorhatte. Natürlich bekam sie eh alles mit, was in ihr passierte, aber manchmal brauchte sie Ohren, die verstanden, was gesagt wurde. Die anderen Anwesenden waren zwar auch Teil der Stadt, aber sie verstanden es nicht. Sie alle klagten meist über ihr eigenes kleines Elend, statt sich als Teil von etwas Größerem zu sehen.
Dem Ratling wurde ein bisschen mulmig, als er die Dubina sah, wie sie die vier Eingänge besetzten. Das konnte nichts Gutes bedeuten, denn warum sollten sie so etwas tun, nur weil Dschaba eine Rede hielt. Hier war irgendwas im Busch, da war er sich sicher. Aber als er sich umschaute, verging das flaue Gefühl. Er wußte, das sie ihn nicht zu fassen kriegen würden. Die Stadt würde es nicht zulassen.

Dann hatte schließlich der Anführer der Psinas seinen Auftritt. Und auch wenn Djirris den Kötern schon so manches Mal mit Informationen geholfen hatte, konnte er dem charismatischen Dschaba nichts abgewinnen.
Er war nicht anders als die Fabrikbesitzer, auf die er schimpfte. Seine Bande sorgte dafür, daß er im Luxus leben konnte, aber er selbst würde sich offiziell nicht die Finger schmutzig machen. Da half auch seine Mildtätigkeit wenig, Djirris von anderem zu überzeugen. Allein was Stuhl, Tisch, Karaffe und Wein gekostet hatten, hätte alle Anwesenden einen Tag ernähren können. Oder einen von ihnen einen Monat. Warum sich also hier so präsentieren?
Da konnte der werte Herr so viel auf Freund des kleinen Mannes machen, wie er wollte.
Als Dschaba seine Rede beendet hatte und sich umschaute, spürte Djirris natürlich seinen Blick und verstand die Botschaft, die damit einherging. Und ebenso sah er, wie sich die Dubina bereit machten.
Wieder überkam ihn ein Schauer und er drückte Muckel so hart an sich, das der Kater ein protestierendes Mauzen von sich gab. Denn wenn der Mann ihn erkannte, ja regelrecht wahrnahm, dann hatten seine Vorkehrungen nicht funktioniert. Normalerweise reichte sein Bettlermantel dafür, daß ihm keiner eines weiteren Blickes würdigte, wenn Djirris es nicht gerade darauf anlegte. Und auch sonst arbeitete er meist heimlich oder in Verkleidung. Selbst die Informationen, die er den Psinas hatte zukommen lassen, waren nie von ihm selbst, in dieser Erscheinung, gekommen.
Djirris wich ebenso wie die meisten zurück, ja sogar noch etwas mehr. Er verschwand in der Menge, was ihm auf Grund seiner Körpergröße nicht schwer fiel. Dabei versuchte er natrülich besonders den vier Typen, die er in der Menge als Psina-Helfer ausgemacht hatte, zu entweichen.
Wieso weiß er von mir? War ich nicht immer vorsichtig?
Was weiß er von mir? Will die Stadt, daß ich mit ihm rede?

Djirris gingen einige Gedanken durch den Kopf. Am Ende aber blieb ihm eine Einsicht.
Wenn er mich kennen sollte, dann müßte er wissen, daß ich kein Führer bin. Dann müßte er wissen, daß mir all diese Wesen als Einzelne egal sind. Denn nur die Stadt zählt!
Und er müßte wissen, daß er mich nie ins Offene zerren darf, so wie er es hier versucht!
Nein, Dschaba! Du willst mit mir reden! Dann auf meinem Terrain, nach meinen Regeln!
Versuch es wieder, aber nicht so plump wie jetzt.

Und mit diesem Gedanken verschwand der kleine Ratling aus der Menge in einem der Büsche, die an ihrem Rand stand[1]
Von dort würde er schauen, was weiter vor sich ging. Und auch dem Gespräch lauschen, das sich da wohl zwischen dem Elfen und Dschaba anbahnte. Kurz überegte er, ob er den Elf kannte. War dieser schon mal irgendwo in Erscheinung getreten? Hatte er schon mal mit ihm geredet?
 1. Heimlichkeit: 34
« Letzte Änderung: 23.11.2016, 18:54:59 von Djirris »

Menthir

  • Moderator
  • Beiträge: 4052
    • Profil anzeigen
    • Enwe Karadâs
Wohin die Wärme flieht...
« Antwort #6 am: 24.11.2016, 00:54:22 »
03. Zima - 49tes Jahr des Neubeginns - Yevgeni-und-Marija-Popowkowitsch-Park - Arbamanka - 19:37 Uhr

Der Mann in Weiß und Schwarz blickte Djirris lächelnd hinterher, als dieser dem Blick auswich und in der Menge zu verschwinden versuchte. Der aufmerksame Beobachter der Szene erkannte, wie sich zwei Elfen und zwei Ratlinge kurz in der Menge zusammenrotteten. Ihre Gemeinsamkeit lag in einer roten Schnur um das linke Handgelenk, die nur für einen Moment wahrlich erkennbar war. In jenem, in dem sie sich ihre jeweilige Zugehörigkeit zusicherten, ehe die Hände wieder in tiefen, stofflichen Taschen verschwanden[1]. Für die Masse - jedoch nicht für Djirris - unauffällig setzten sie sich in Bewegung, als ein tiefes, merkwürdig langgezogenes Bellen der blinden Dogge die Männer innehalten ließ. Dschaba machte eine verneinende Handbewegung und blickte die Männer an, die sich in ihrer Gruppe auflösten und wieder in die Menge eintauchten. Dschaba blickte kurz in die immergrünen Bewuchs, in welchen der Ratling samt seines Stubentigers abgetaucht war, und lächelte aufmunternd.

Für die Unbeteiligten wirkte die Geste anders, auch aufgrund seiner folgenden Worte. "Nur einer?"
Den verachtungsvollen Blick konnte Dschaba nicht verbergen. Die Verachtung wich einer Form angeekelter Empörung, die ihn sein Weinglas abstellen ließ. Er blickte auffordernd in die Versammlung von Bürgern, Ausgebeuteten und sicher auch Flüchtlingen. Wie sie dort alle standen, gekleidet in ihren zerrissenen Kleidern, den ausgelatschten Galoschen, den entflochtenen Schals, in klirrender Kälte, bar jeder wirklicher Hoffnung, in ihrem verzweifelten Ansinnen, dass jemand ihnen, wenn schon kein besseres Leben, doch zumindest wieder dieses Gefühl von Hoffnung schenkte. "Nur einer?", wiederholte Dschaba jetzt sanfter, versöhnlicher und rieb sich mit der rechten Hand über die Stirn und die Augen, vergrub sein Gesicht in denkender Pose für einige Sekunden in seiner Hand, und es blieb Sawelij alleine, der nach vorne trat und sich als Straßenköter bekannte.

Wieder ein langgezogenes, tiefes Bellen der Dogge, mit aufgestellten Ohren, als würde sie etwas bemerken, was niemand anderes bemerkte. Dschaba kraulte dem Tier die Ohren und blickte Sawelij an. Die Abscheu verließ seinen Blick und er wurde weich. Mit einem Nicken zeigte er seine Zustimmung. "Wohl gesprochen, mein Freund. Dann seid ihr der eine." Er nickte dem Mann in Weste zu, der jetzt zum Ostzugang zum Park ging. Währenddessen war zu beobachten, dass die Dubina den Park verließen. Auffällig unauffällig versuchten sie ihre Posten zu verlassen, fast schon etwas zu ostentativ in ihrer bemühten (Un-)Auffälligkeit. Schwere Bewegungen, welche neue Stiefel mit schweren Sohlen erwarten ließen, und doch mit gesenktem Haupt und so langsamen Schrittes, als hätten sie nie gelernt, in schweren Stiefel die Füße abzurollen.
"Es gibt auch keinen Grund, sich nicht mit Kötern zu umgeben. Wir handeln nicht immer richtig, manchmal übernehmen Instinkt und Trieb unsere Handlung - wie es bei Tieren so der Fall ist - auch wenn die Engelsfreunde diese Worte nicht hören mögen. Aber Köter sind immer loyal. Und dein Mut, mein Freund, für alle hier sprechen zu wollen, will belohnt sein."
Dschaba lachte leise. "Dein Mut hat allen Besuchern unserer kleinen politischen Serenade eine Mahlzeit verschafft."

Während Genosse Dschaba sich eine neue Zigarette anzündete, lenkte er seinen Blick in Richtung des Osttores, wieder dieses langgezogene Bellen der riesigen Dogge. Als erstes kam der Mann in der Weste in den Blick, dann war auf dem roten Pflasterstein das Rollen hölzerner, eisenbeschlagener Räder zu hören und etwas Rumpelndes. In den trüben Schein der Gaslaternen trat eine rumpelnde Gestalt hervor, sie zog einen mit Kisten beladenen Karren hinein. Verborgen unter einem großen, braunen Umhang, konnte dieser kaum verheimlichen, dass aufgeschichtete Pflastersteine, die grob eine humanoide, zwergengroße Gestalt darstellten, unter dem Umhang rumpelten und grollten. Das Wesen, sein Kopf wurde von einem breiten, gusseisernen, angerosteten Gullideckel gebildet[2], schob den Wagen durch das Licht auf den Platz, und grollte in fremder, gutturaler Stimme, welche wie das Brechen und Schaben von Schiefer klang, gleichwohl in der Sprache der Herzlande, Inolisch. "Brecht das Brot mit den Armen, und dann brecht den Reichen die Arme."

Erschrockene Blicke aus den Reihen der Bewohner, doch auch vereinzelt ängstliche oder tatsächlich erheiterte Lacher. Dann begann das Wesen Kisten von dem Karren zu nehmen. Die erste Kiste brach es auf, im Lichtschein zum Vorschein kamen gerupfte und gewaschene, eng gepackte Hühnchen. Vielleicht mochten 100 Stück davon in der Kiste liegen.
Dschaba übernahm wieder das Wort. "Unser neuen Straßenköter macht euch dieses Geschenk. Denn er übernimmt Verantwortung für euch, damit ihr eines Tages wieder Verantwortung für euch übernehmen könnt."
Die Leute stürzten mit gierigen Blicken, die Worte Dschabas wahrnehmend und doch nicht ganz hörend, nach vorne, und geduldig nahm das Wesen aus Pflasterstein und Erde mit grober Faust einen Stapel Leinensäcke und befahl den Leuten, sich einzupacken. Er nahm von dem etwas windschiefen, beschädigten Karren[3] weitere Kisten. Und binnen kurzer Zeit gesellte sich der Mann mit der Weste und dem Schnauzer dazu, verteilte die Säcke und gemeinsam mit dem unheimlichen Wesen, in dessen magischen Adern Mörtel und Unrat floss, verteilte er erst an jeden zwei Hühnchen, ein Viertel Käserad eines leicht überreifen Weißkäses, eine Kanne voll Milch und dann einen harten Laib Schwarzbrot.

Dies dauerte nur wenige Minuten, in denen Dschaba genüsslich seine Zigarette rauchte, nicht ohne auch Sawelij eine anzubieten. Die große, schwarze Dogge stand derweil auf und roch, schnüffelte, tastete an dem Elfen herum, jedoch ohne irgendwelche Anstalten von Unbehagen zu machen. Dann legte sie sich vor dem Elfen nieder. Dschaba beobachtete genüsslich das Schauspiel bis die Kisten schließlich leer waren. Das gefrorene Gras brach unter den Schritten der Hungrigen.
Dschaba nickte gefällig und deutete dem Mann mit dem Schnauzer und der Weste etwas mit dem Ringfinger und kleinen Finger. Dann erhob er wieder die Stimme.
"Keine großen Reden am heutigen Abend, aber volle Bäuche. Geht und ruht euch aus. Eure Kinder, eure Männer, eure Frauen, sie brauchen euch noch. Doch euer Straßenköter hier, er wird bleiben und mit mir reden. Und gemeinsam werden wir überlegen, wie wir euch so helfen können, dass ihr wieder Kraft dafür findet.
Wisst, dass ich verstehe, wie es ist. All der Kampf um zu überleben, und wie sollt ihr dann noch Kämpfen für mehr? Was ist, wenn die Fabrikanten euch erwischen und euch die Anstellung streichen? Wie sollen eure Kinder über den Winter kommen. Bei den Engeln. Es wird Winter und manche von uns werden sowieso verhungern. Soll ich meine Familie opfern, für die nur so kleine Aussicht auf Besserung? Soll ich sie im Stich lassen, obwohl so wenig Hoffnung ist? Und selbst wenn ich die Kraft besitze, wer kümmert sich, wenn ich im Kampf für die Freiheit und Gleichheit sterbe?"
Seine Stimme klang bitter und selbst ermattet von dem Kampf. Zustimmendes Gemurmel folgte. Zurufe. Ja, wie sollten sie das alle tun?
"Es sind noch zwei Kisten auf dem Wagen. Fjodor wird sie euch abladen. Für jeden von euch werden Kohlen sein, damit ihr es zumindest heute Nacht warm habt. Schenkt euren Kindern, euren Frauen, euren Männern Wärme. Und betet für diesen Elfen. Merkt euch sein Gesicht, sein Antlitz, seine Wärme, seinen Mut. Er hat euch - auch wenn er es abstreiten wird - diesen Abend geschenkt. Er wird dort kämpfen, wo ihr es nicht könnt. Noch nicht könnt. Aber merkt euch den Tag, merkt euch, was euch geschah. Vielleicht kommt der Tag, an dem ihr zurückgeben könnt. Denkt an Yevgeni und Marija, doch denkt bei diesem Park fortan auch an Sawelij!"

Und dann gingen die ersten, unsicheren Schrittes, beladen mit Kohlen und Nahrung, während das merkwürdige Ungetüm aus Schotter und Kies den Wagen aus dem Park schob. Als das Rumpeln verklungen war, waren schon einige Besucher eilig geflohen, in Sorge ihre Geschenke an Gauner und Hungrige zu verlieren. Doch viel mehr gingen auf Sawelij zu. Manche nahmen seine Hand in ihre durchfrorenen Hände, manche Frau küsste seine Hand, den Saum seiner Jacke, eine gar seinen Stiefel. Kerle schlugen ihm auf die Schulter. In den Augen eines dürren, humpelnden Tengus sah er verräterische Tränen, die er zu unterdrücken versuchte und der dann doch eine Umarmung der Dankbarkeit andeutete. Genosse Dschaba erlebte dasselbe. Duzende fanden keine Worte für ihr Glück oder ihre Dankbarkeit, drückten diese dann durch Handdrücken und ungewohnte, überfordernde, doch kurze und ehrliche Nähe aus. Ein älterer Mann jedoch, er war ein Mensch im Alter von mehr als sechzig Jahren, ausgezerrt mit struppigen Bart. Seine Haare waren auf dem Kopf zum Teil ausgefallen, nur kreisförmig standen sie um die Deckplatte des Schadels, langgewachsen und grau. Sein Blick war tränenreich und erschöpft. Seine ausgemergelte Gestalt in braunen, ausgetragenen Loden[4] wankte auf Sawelij zu und hielt ihm am Arm und sprach glücklich.
"Du tust Großes, mein Genosse Sawelij. Wahrhaft Großes. Ich sehe an deinem Blick, du wirst nicht wissen, worauf du dich einlässt. Aber du tust Großes. Wir danken dir dafür." Dann humpelte der Mann dem Karren hinterher.

Der Platz war wenige Minuten später verlassen. Der Wein im Dekanter hatte durch seine Wärme das Glas des Dekanters erst beschlagen, bald würde es auch frieren. Dschaba rieb sich die Hände und stand auf, was ihm die große Dogge nachtat. Jetzt waren nur noch Sawelij, Dschaba und im Immergrün Djirris dort.
"Ich hoffe, Sawelij, du verzeihst mir, was ich gerade getan habe.", begann er und versuchte dem Elfen die Hand um die Schulter zu legen, um mit ihm in kumpelhafter Art ein paar Schritte durch den Park zu gehen, in Richtung der Statue.
"Du bist ein tapferer Mann. Ich sehe, in einem Wolfsrudel wärest du ein Alphatier. Ich sehe es an deinem Blick. Die meisten in dieser Stadt, sie überleben nur. Sie sind höchsten Deltatiere, diese unselige Stadt hat viele zu Omegatiere gemacht, die von den Fabrikanten, selbst bestenfalls Betatiere, schikaniert werden. Aber ich sehe in deinem Blick, du weißt bereits wie man überlebt. Du kannst darüber hinaussehen. Solche Leute braucht die Stadt. Leute, die etwas ändern können, weil sie nicht nur mit sich selbst beschäftigt sind. Und du hast jetzt etwa fünfzig Demjanowkern Hoffnung in deine Person gegeben. Und ich weiß, du wirst sie nicht enttäuschen. Und ich habe - vielleicht - einen Weg, wie wir das Ganze zusammen erreichen können. Mehr erreichen können als nur ein paar Bürger durch eine kalte Nacht zu bringen. Ich rede von Errettung. Einem messianischen Gedanken!"
Dschaba nahm den Arm von der Schulter des Elfen, bewusst laut genug sprechend, dass Djirris jedes Wort mithören konnte, selbst wenn er im Rücken der beiden die Position änderte. Aus den Fenstern blickten immer noch einige Gestalten, auch aus den Schatten, in den Park und auf die Kommunizierenden.
Dschaba berührte die Statue mit der rechten Hand und Sawelij sah, wie kleine Fäden in weißer und roter Faden, kompliziert verwoben zu einem Sawelij unbekannten Muster in die Statue floß, welche langsam zu dampfen begann. Die gefrorene Wasser an ihr platzte oder lief herab, während es Dschaba kaum Anstrengung zu kosten schien. Fünf Sekunden dauerte dieses Schauspiel, und Dschaba lächelte[5].
"Der Statue der Schwüre. Ein interessantes - das wohl interessanteste - Denkmal der Stadt, nicht wahr? Doch bevor wir dazu kommen, möchte ich mehr wissen.
Ich weiß, ich werde eine große Frage stellen. Eine vielleicht zu schwierige Frage. Aber ich möchte hören, zumindest ein, zwei Sätzen. Und dann reden wir drüber, okay?
Doch sag: was ist deine Vision für diese Stadt? Was ist Sawelijs Vision für ein besseres Leben?"

Dschaba blickte interessiert zum Elfen und lächelte ein weißes, aufmunterndes Lächeln.
 1. 
Wissen(Lokales) SG 10 (Anzeigen)
 2. 
 3. 
Perception SG 20 (Anzeigen)
 4. Loden
 5. 
Spellcraft SG 21 (Anzeigen)
« Letzte Änderung: 24.11.2016, 00:55:17 von Menthir »
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Elrevan Izavel

  • Beiträge: 13
    • Profil anzeigen
Wohin die Wärme flieht...
« Antwort #7 am: 24.11.2016, 01:05:32 »
Die Kälte war wie Efeu. Still und leise, fast unbemerkt, begann sie, zu gedeihen, dann streckte sie ihre Ranken aus, sie erklomm und wucherte, bis sie vollkommen umschloss und verholzte… Ein dichtes, lästiges Gewächs, das seine Spuren hinterließ, den Eindruck gab, alles zu erdrosseln, woran es sich haftete. Die Kälte erdrosselte nicht nur den Lebenswillen, wenn sie sich durchs Fleisch fraß, sondern, zusammen mit dem peinigenden Hunger, auch jedwedes Ehrgefühl, wie es schien.

Wie vermutlich alle anderen hier hatte Elveran darauf gehofft, ein bisschen Nahrung zu ergattern. Sein Magen erinnerte ihn allein beim Gedanken daran lautstark, dass es dringend nötig war, etwas zu sich zu nehmen. Dennoch hatte Elveran nicht unbedingt seine eigene Versorgung im Sinn gehabt, während er in der Kälte auf den Halblingskarren gewartet hatte. In letzter Zeit hatte er alles, was er hatte entbehren können, ohne selbst Gefahr zu laufen, dem Hunger zu erliegen, an andere verteilt – hauptsächlich an Familien in den Flüchtlingsbarracken, aber auch an Straßenkinder, die ihm während seiner Streifzüge ans Herz gewachsen waren. Er ertrug es nicht, sie verhungern zu sehen. Auf Dauer würde das vermutlich unvermeidbar sein, so, wie die Lage im Moment war, jedoch hatte er nicht vor, dies zu beschleunigen, wenn es sich vermeiden ließ. Lieber verzichtete er am Ende selbst auf alles, wenn es ihnen nur half, über die Runden zu kommen.

Elveran konnte den Unmut gut nachvollziehen, der nun herrschte, jedoch war die schlagartig wachsende Anspannung, die vollends zu eskalieren drohte, sowohl besorgniserregend als auch inakzeptabel. Zum Glück war er nicht der einzige, der das so sah. Er erkannte den Mann, der vortrat, um den Volakhi zu verteidigen. Lavrenty Volkov hieß er, wusste Elveran, nicht nur einmal hatte dieser wohl recht charismatische Mensch seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen, wenn es sie zufälligerweise zur gleichen Zeit in die tröstende Wärme des Red Dragon & Crescent verschlagen hatte. Zwar versuchte Lavrenty, den Mob aufzuhalten, und schnell hatte er auch Unterstützung durch eine junge Frau gefunden, aber Elveran gefiel die neue Richtung, in die sich das Geschehen entwickelte, ebenso wenig wie die vorherige.

So sah sich Elveran gezwungen, seine Komfortzone zu verlassen und sich selbst ins Rampenlicht zu rücken. Auch wenn die Stimmung aufgeheizt war, schälte er sich aus der Menge und versuchte, sich zwischen Menge und Volakhi zu drängen und sich Gehör zu verschaffen.
„Ich kenne viele eurer Gesichter!“, rief er der, in dieser Menge sehr bedrohlich wirkenden, Ansammlung an wütenden Hungernden entgegen. Sie alle lebten hier in der Nähe. Elveran begegnete ihnen fast täglich auf der Straße, merkte sich ihre Gesichter und las in ihren Augen und in ihrer gebeugten Haltung die Sorgen, die sie bedrückten.
„Wahrscheinlich ist, dass ihr meins nicht kennt!“
Zumindest nahm er an, dass es so war. Wer achtete schon auf einen Schrottsammler? Er war jemand, der im Dreck wühlte, den Dreck von den Straßen räumte, eigentlich dem Mann gar nicht so unähnlich, der nun gerade vom Mob angefeindet wurde. Er bezweifelte, dass es mehr als zwei oder drei Leute hier gab, die wussten, wer er war. Dennoch nahm er sich heraus, alle hier zurechtzuweisen. Elveran war kein Mann, der gern Reden schwang… aber nun konnte er es zumindest versuchen.
„An guten Tagen meidet ihr mich“, erzählte er ihnen, „und ich euch meist auch“, gestand er, „an neutralen beachtet man mich mehr, als mir lieb sein könnte“, meinte er, mit einem schmalen, bitteren Lächeln, „und an schlechten, da fühle ich mich fast wie ein Volakhi. Verachtet diesen Mann“, forderte er, ausladend auf den bedauernswerten Alten weisend, „nicht für das, was er tut! Ich“, er nickte bekräftigend, „zolle ihm meinen Respekt.“

„Wer von euch kann nicht bezeugen, dass es furchtbar ist, den Tod zu sehen? Wem von euch zerreißt es nicht Herz und Seele, wenn es eure Nachbarn dahinrafft, eure Kameraden und eure Familienmitglieder – und ihr wisst, dass ihr selbst jederzeit der Nächste sein könnt? Die Nächste. Ja, selbst, wenn ihr Fremde tot auf der Straße liegen seht, und ihr den Blick abwendet und schnell weitergeht, regt sich etwas in euch. Warum sollte gerade dieser Mann hier Arbeit, von der jeder von euch zurückschrecken würde, auf die leichte Schulter nehmen? Glaubt ihr, ihm gefällt es, die Toten zu verladen und zu transportieren? Ich bezweifle das. Und glaubt mir, wenn ich euch sage: Es wird nicht einfacher mit der Zeit. Verhungerte Kinder, erfrorene Alte, einstmalige, von Krankheit entstellte Schönheiten, Opfer der Staublunge, totgeprügelte Invaliden… zu viele habe ich selbst schon gefunden – einsam, vergessen, verloren, in dunklen Ecken verreckt oder im Rinnstein liegend von euch ignoriert“, in seinem Ton schwang Anklage mit, und diese lag auch in seinem Blick, den er über die Menge schweifen ließ.
„Die Erinnerung an jeden einzelnen von ihnen begleitet mich Tag für Tag. Ich habe sie nie gezählt. Ihr solltet euch schämen, euch an diesem Mann und seiner Ladung zu vergreifen! Das steht euch nicht zu! Wenn ihn die Halblinge mit Nahrung geschickt hätten, würde er sie mit uns teilen. Er sieht wirklich nicht aus, als würde er sich selbst mit dem vollstopfen, was uns vorenthalten wird!“
Es blieb zu hoffen, dass sie das einsahen. Der alte Volakhi hatte ebenso wenig Fleisch auf den Knochen wie alle hier.
„Und ihr beide“, wandte er sich nun mahnend seinen Vorrednern zu, „solltet dem Hass lieber Einhalt gebieten als ihn anzustacheln! Mit wutschäumender Randale ist niemandem geholfen“, versuchte Elveran, wieder an alle gerichtet, die Vernunft Einzug gewinnen zu lassen, „egal, ob sie nun gegen diesen Mann oder gegen die Fabrikbesitzer gerichtet ist.“
Es war fraglich, ob diese Worte überhaupt etwas brachten. Natürlich war der Unmut berechtigt – und natürlich waren die Fabrikbesitzer nicht unschuldig. Sie waren die perfekten Sündenböcke, weil sie all das besaßen, was diese hungernden Leute begehrten. Allerdings, und das musste ihnen klarwerden, waren die Reichen nicht die einzigen Schuldigen.
„Denkt nach, Leute! Wenn ihr wollt, dass sich etwas ändert, dann denkt nach und handelt bedacht. Dann wird sich etwas ändern, ihr werdet sehen! Mit Blut erkauft man nur weiteres Leid. Es gibt andere Wege! Veränderung ist der Lauf der Dinge. Ihr müsst nicht bis in die Ewigkeit im Elend leben oder vorher genauso enden wie diese armen Teufel auf dem Wagen. Wir alle müssen das nicht! Ich habe diese Stadt wachsen sehen, sie verkommen sehen, immer mehr in den vergangenen Jahrzehnten. Ihr glaubt vielleicht, ich als Elf hätte eine andere Sicht auf die Zeit. Das habe ich bestimmt, doch wie ihr lebe ich im Jetzt, von Tag zu Tag, und jeder Tag ist eine Qual. Die Qual wird noch größer, wenn wir uns gegenseitig zerfleischen, statt uns beizustehen.“[1]
 1. Diplomatie: 32 (natural 20)

Menthir

  • Moderator
  • Beiträge: 4052
    • Profil anzeigen
    • Enwe Karadâs
Wohin die Wärme flieht...
« Antwort #8 am: 24.11.2016, 12:35:20 »
03. Zima - 49tes Jahr des Neubeginns - Am Tor der Brüderschaft - Sjukowo - 19:31 Uhr

Betretenheit war es, welche folgte. Die Worte von Lavrenty, Elrevan und Mara saßen, jedes auf die Weise, wie sein Sprecher es wohl beabsichtigte. Betretenheit, gefolgt von einem Moment der Stille. Jener Form peinlicher Stille, in der im Mondenschein und in den kalten, dämmrigen Lichtern eine warme, berührte Röte in die Gesichter der Beteiligten schlich. Ein hagerer Mann, vielleicht um die sechs Fuß groß, mit dünnem, blonden Haar, welches auf der Platte auszufallen beginn, einem schmalen Gesicht, welches von einem trübglasigen Zwicker auf einer hakigen Nase beherrscht wurde, nahm die Hände von einer Kiste. Seine kleinen, braunen Äuglein verschwanden vor Scham noch tiefer in ihren Augenhöhlen. Der Kuhfuß, den er aus seinem abgewetzten Ledermantel hervorgeschoben hatte, verschwand wieder in diesem. Neben ihn Männer und Frauen, die teils ebenso von Scham erdrückt waren, aber auch welche, denen hungriger Missmut in die Gesichter gemeißelt war. Doch jene als auch diese nahmen für den Moment Abstand von der Idee, die Kisten mit Gewalt aufzubrechen. Einige lachten über Lavrentys Witz, viele von ihnen verstummten wieder, als Elrevan sie daran erinnerte, dass sie sich zu leicht und verurteilend benahmen. Die Stille wuchs.

Der Mann mit den kleinen Äuglein jedoch, er wagte sich vor zu einer Widerrede, wagte die Stille zu zerschneiden. "Recht habt ihr, dass wir den Alten nicht ausbeuten sollten. Aber! Ihr macht es euch leicht. Wie stillen wir unseren Hunger? Ich arbeite 14 Stunden am Tag für Glaswerk und friere trotz des Feuers in den Hallen, weil ich nur Quarzsand vom Schiff auf den Karren und vom Karren auf den Hof, vom Hof vor den Ofen schippe. Meine Familie ist stets arm gewesen und ist seitdem ausgenutzt worden von den Höheren. Ich sehe doch, was der Volakhi macht. Er kann nichts dafür, dass er ausgenutzt wird. Aber wenn wir seine Kisten nehmen, nur reinschauen, dann sehen wir doch, ob er nur Leichen bringt, oder doch anderes." Er holte seufzend Luft und fügte dann hinzu. "Ich will den Alten nicht verunglimpfen, ja? Ich möchte doch nur..." Er blickte unsicher zu den Kisten und der Kuhfuß schob sich einige Zoll aus seinem Ärmel, aber er hielt in seiner Bewegung inne. "Was ist, wenn es nicht seine Lebensmittel sind, in den Kisten? Sondern Lebensmittel, welche die Fabrikanten und die Bonzen an uns vorbeihandeln. Was, wenn die Volakhi genutzt werden, um den offiziellen Streit mit den Halblingen von Baber & Hosch zu umgehen, und im Privaten die Dienste der ach so unfälligen Alten nutzen, um Lebensmittel - frische Lebensmittel im Winter! - in ihre beheizten Wohnungen zu schmuggeln?"
Der Alte mit dem blauroten Gesicht mischte sich ein. Dankend nickte er Lavrenty mit einem Nicken für die Mütze zu und setzte sie auf seinen frierenden Kopf. Seine Stimme war leicht zitternd.
"Was muss ein Mann noch tun, in dieser gegeißelten Stadt? Ich rufe jeden Abend den hl. Zavael an, er möge mir Gnade erweisen. Die kalten Winter haben mir meine Frau und meine drei Kinder genommen. Für einen alten Mann einen Beruf zu finden, wer kann das noch? Ich halte die Arbeit in einem Stahlwerk nicht mehr aus, ich kann auf kein Schiff mehr klettern und Kohlekessel feuern. Seht meine Hände, wie oft sie gebrochen, wie oft sie geschnitten waren!" Ostentativ hält er seine rechte Hand hoch, die verfroren aussah und der ein Fingerglied des linken Ringfingers fehlte, durch Frostbiss verloren. Tatsächlich fanden sich dort Narben, die auf Brandnarben und Schnittnarben schließen ließe, die Finger waren krumm - entweder vor Arbeit oder Brüchen. "Eigentlich tragen meine Füße mich nur noch aus Starrsinn durch den Frost, weil ich zu stur zum Sterben bin. Doch wie lange noch?", sagte der Alte jetzt etwas bitter und blickte zwischen Lavrenty, Elrevan und Mara sowie dem blonden Mann[1] hin und her. "Und nun muss ich sehen, wie ich mich ernähre. Nie habe ich ein Handwerk lernen können oder einen Beruf, der mich im Alter ernähren kann, wie Bänker oder Arzt. Ich hatte nur meine Arbeitskraft, und die schwindet mit jedem Frost. Glauben denn alle, ich mache das aus Freude? Leichen von der Straße zu kratzen, die erfroren und steif sind. Glauben Sie alle, es macht Spaß, den Verfrorenen die Glieder zu brechen, auf dass sie in Kisten passen?" Er schauderte bei dem Gedanken daran. "Ich weiß, dass ich einen undankbaren Job mache; ich ein Abdecker der alten Tage bin. Aber bitte, spart an Spott und Hohn und lasst mich endlich gehen."

Der blonde Mann rückte die Brille aus dünnem Nickel wieder auf seinen Nasenhöcker und rümpfte die Nase. Er dachte einen Moment nach und ging einen Schritt weg vom Karren, schob den Kuhfuß wieder in den Ärmel und verkündete schließlich. "Es ist kalt, und ich will den Alten nicht aufhalten, doch bevor er geht..." Er stellte sich vor den Alten, sodass er nicht ohne Weiteres an ihm vorbeikam. "...möchte ich, dass alle hier scharf nachdenken. Dass ihr alle ganz scharf nachdenkt. Die Worte meiner Vorredner haben mich überzeugt. Uns wider uns Arme zu wenden, das ist Torheit. Aber auch ihre weiteren Worte ergeben Sinn. Die Fabrikbesitzer sind unsere Feinde, und dementsprechend nutzen sie uns aus, als wären nur Bauern auf ihrem Schachbrett des Lebens. Natürlich nutzen sie uns, um uns etwas anzutun oder Sachen an uns vorbeizuschmuggeln. Wäre das dann nicht genau das, was als Fabrikant zu tun ist? Einen Volakhi anheuern? Sollten wir nicht im Sinne unseres Feindes dessen Lieferung zumindest begutachten? Was soll dem Alten denn passieren? Ich schlage zum gütlichen Lösen des Ganzen vor: wir werden dem Alten nichts stehlen, und wir werden ihm nichts tun. Aber wenn die Lieferung für die Bonzen bestimmt ist, was ist denn falsch daran, wenn sie unsere Feinde sind, so wie die beiden Advokaten des Alten sagen..." Er zeigte mit krummen Zeigefinger auf Lavrenty und Mara. "...dass wir die Kisten öffnen, um zumindest zu wissen, ob die Bonzen tatsächlich nur die Toten sammeln lassen oder ob sie uns etwas verheimlichen! Wir werden es nur durchschauen und nichts nehmen, keinem ein Haar krümmen. Wen wird es schon stören, wenn wir nur einen Blick auf jenes erhaschen, was uns vorenthalten wird?"
Zustimmendes Gemurmel. Es ging verblüffend schnell, die ungeschlachte, wilde, fokuslose Wut einer kleinen Gruppe von einem Ziel auf das andere umzulenken und Maras und Lavrentys Worte schienen einiges Gewicht für die Gruppe zu haben, auch wenn andere sich wiederum auf die Seite des Elfen stellten. Für und Wider hätte diskutiert werden können, verschwand jedoch in einem schnell aufbrandenden Gebrüll, wer denn wohl recht hätte. Ob es besser wäre, die Fabrikbesitzer grundsätzlich zu verdammen oder ob die Situation vielleicht komplexer war. Die Hungrigen dürsteten nach schnellen Lösungen. Die Fabrikanten waren ihre Feinde, jene Sklaventreiber, die sie in Ketten hielten. Nicht einander bekämpfen, den Feind bekämpfen! Diese Worte fanden Wirkung, und ihren Worten Widerhall. Lavrenty und Mara konnten geradezu mit Händen greifen, dass sie viel aufgestaute Wut, verdrängten Frust freisetzen könnten, wenn sie die Meinung über die Fabrikanten noch festigten und den Argwohn verstärkten.

Der Alte mischte sich nochmal ein, niedergeschlagen und körperlich zunehmend in sein Alter sackend.
"Aber...Aber...was ist mit der Pietät? Sind wir nicht nur wahre Humanoide, wenn wir auch in Armut und Tod Würde zeigen? Was ich ihnen antun musste mit Schlegel und Kraft, ist das nicht genug? Dass sie alleine in Kälte und Hunger starben, wie der Elf sagt, in dunklen Gassen und dreckigen Rinnsteinen, ist das nicht genug? Müsst ihr jetzt auch noch auf sie gaffen? Beim hl. Rel. Beim hl. Zavael. Oh helft mir! In welchen Zeiten leben wir..." Er schlug die Hände empört und müde über dem Kopf zusammen und blickte hilfesuchend nach Mara, Lavrenty und Elrevan[2].
 1. 
Wissen(Lokales) SG 13 (Anzeigen)
Wissen(Lokales) SG 18 (Anzeigen)
Wissen(Lokales) SG 23 (Anzeigen)
 2. Ihr könnte weiter mit Diplomatie arbeiten, je nachdem, wie ihr die Szene zu Resolution bringen möchtet. Eure erste Runde war dementsprechend schon ein großer Erfolg, wenn er auch neue Implikationen bringt.
« Letzte Änderung: 24.11.2016, 23:30:42 von Menthir »
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Lavrenty Volkov

  • Beiträge: 10
    • Profil anzeigen
Wohin die Wärme flieht...
« Antwort #9 am: 25.11.2016, 01:33:27 »
Lavrenty fiel ein kleiner Stein vom Herzen, als sich auch Mara auf seine Seite schlug und die gewaltätige Stimmung spätestens mit Elrevans auftreten endgültig verraucht war. Den Tadel des Elfen nahm Lavrenty stoisch entgegen. Selbstverständlich würde er eine bessere Welt für alle Bürger Herzlands am liebsten schon morgen und am liebsten ohne Gewalt und in einer Form die allen zusagte. Doch glaubte der junge Mann nicht daran, dass dieser Konflikt - als solchen nahm er ihre aktuelle Lebenssituation wahr - im Konsens und gewaltfrei gelöst werden konnte. Jedenfalls nicht, wenn man noch eine Lösung wollte, bevor alle erfroren waren. Doch von Konfliktlösung waren die Arbeiter noch weit entfernt, dazu war zunächst eine möglichst breite solidarische Bewegung nötig, daran arbeitete Lavrenty, wenn er nicht...arbeitete. Vor diesem Hintergrund waren solche Uneinigkeiten zunächst nur Details, wenn es noch darum ging sich erstmal darauf ztu einigen überhaupt an einem Strang ziehen zu wollen. Dennoch zog er eine Augenbraue hoch, immerhin war es Lavrenty und nicht Elrevan gewesen, der sich zuerst vor den Alten gestellt hatte. Nachdem zwei für den Mann eingestanden waren, brachte es Lavrenty doch zum Schmunzeln, dass der dritte Fürsprecher dann, die letzten verbliebenen Wogen glättend, seinen Vorrednern vorwarf Hass und Randale anzustacheln, obwohl eben dies gerade verhindert wurde.

Der blonde Mann, der daraufhin sprach war Lavrenty bekannt. Er hieß Oleg Taktov und Lavrenty wusste, dass sein Rauswurf bei der Polizei nicht ohne ein paar übrig gebliebene Unklarheiten vonstatten gegangen war. Ging es ihm vielleicht gar nicht um vermeintliche Lebensmittel in den Kisten sondern um etwas anderes, was er darin zu wissen glaubte? Hatte er sich gerade verraten, als er zu dem Satz ansetzte "Ich möchte doch nur..." und dann doch einen anderen Ansatz wählte? Lavrenty konnte sich die Art des Mannes sonst nicht erklären. Was brachte es ihm einfach nur um den Inhalt der Kisten zu wissen, wenn er offensichtlich nichts Weiteres mit diesem Wissen anstellen wollte?

Lavrenty schüttelte etwas verwirrt den Kopf. "Du möchtest echt wissen, was in den Kisten drin ist, oder? Oleg Taktov, wenn ich mich nicht täusche, richtig?" fragte er Oleg sowohl interessiert als auch erstaunt, allerdings ohne einen Vorwurf in der Stimme. An die gesamte Menge gewandt sagte er: "Ich bin übrigens Lavrenty Volkov, ihr kennt mich vielleicht aus der Prawda-Zeitung...Das Rote Banner" Er lächelte etwas schief. Besagtes Banner gab es übrigens auch tatsächlich und befand sich gefaltet in Lavrentys Tasche. Doch es ging ihm weniger darum Werbung zu betreiben, als den Leuten einen Namen zu seinem Gesicht und seinen Äußerungen zu geben und zu zeigen, dass er auch bereit war dazu zu stehen.

"Du fragst, wie wir unseren Hunger stillen sollen, willst in die Kisten schauen, aber - egal was drin ist - nichts aus ihnen nehmen. Warum dann noch in die Kisten schauen? Das Wissen um deren Inhalt macht auch niemanden satt. Ich bitte dich Genosse, welchen Anhaltspunkt gibt es denn überhaupt zu vermuten, dass du dort etwas anderes finden wirst, als zu erwarten wäre? Ich meine, wir haben jetzt alle eingesehen, dass die Enttäuschung und der Hunger uns gerade beinahe in die falsche Richtung und vielleicht auch an sich zu weit gehen lassen."Bei seinen letzten Worten nickte er Elrevan aufrichtig freundlich zu. Es gab keinen Grund für Differenzen, wenn hier alle eigentlich das Gleiche wollten. Auch schloss er sich bewusst mit ein, um zu zeigen, dass er sich nicht über die Anderen erheben wollte, dass er nicht besser war, bloß weil er hier und heute vielleicht die rechte Partei ergriffen hatte. "Einige scheinen sich dessen jetzt sogar zu schämen. Ich denke, dass sich hier niemand schämen muss, spürt doch jeder den Frust und den leeren Magen. Ich bin sich, dass alles vergeben und vergessen ist." Freundlich und aufmunternd lächelte er jetzt den alten Volakhi an. "Also welchen Grund gibt es noch einfach so die Toten zu behelligen und einen der unseren, der sich nichts hat zu Schulden kommen lassen von seiner ehrlichen Arbeit abzuhalten?

Was, wenn... Ja, Genossen! Was, wenn in den Kisten doch Essen ist, oder ein Goldschatz oder die Figuren, die einst dieses Tor geziert hatten? Und was, wenn er all das in seinen Kisten schmuggelte, um von den Reichen einen kleinen Vorteil für sich zu bekommen? Sei es ein Brot, das nicht schimmlig ist oder Fleisch, das nicht von Maden durchsetzt ist? Kann man es ihm vorwerfen? Ich sage: Nein!
Das habt ihr vielleicht nicht erwartet, aber es ist mein Ernst. Wer von uns würde so eine Gelegenheit denn ausschlagen, wenn sie sich ihm böte? Wieviele von uns haben allen Kollegen und Freunden gesagt, dass hier heute etwas zu holen sein soll? Auf die eine oder andere Weise versuchen wir doch im Augenblick uns einen kleinen Vorteil zu sichern. Wir alle wollen überleben und jeder von uns ahnt, dass nicht jeder überleben kann, wenn es so weitergeht! Scham oder Schande sind hier nicht angebracht, es ist einfach die traurige Wahrheit dieser Tage. Aber wir können das ändern, wenn wir nur solidarisch sind!

'Halt!' würdet ihr vielleicht rufen, 'Was der Alte tut ist aber auch nicht solidarisch, wenn er denn nun schmuggelt!' und das wäre nicht verkehrt. Aber so kommen wir niemals vorwärts, Genossen, denn wir sind viele und haben wenig. Wir müssen einander vertrauen und das geht viel einfacher, wenn ein jeder versucht sich so vertrauensvoll und solidarisch zu verhalten, wie er kann. Das ist leichter und es ist besser als zuerst andere zu kontrollieren. Sie mit Zwang oder vielleicht sogar Gewalt auf Solidarität zu überprüfen und von deren Fehlverhalten oder Tugendhaftigkeit abhängig zu machen ob man sich selbst solidarisiert.

Und es ist notwendig, dass wir uns alle solidarisch Handeln Genossen! Wie ich schon sagte, sind wir viele und haben wenig, so haben wir auch keine Stimme, die gehört werden kann. Aber durch Solidarität können wir etwas erreichen, Genossen, dann haben wir eine Stimme, jawohl, und sie wird nicht nur gehört werden, sie wird so mächtig sein, dass niemand sie mehr überhören können wird!"
Lavrenty hatte sich mit den letzten Sätzen immer weiter in seine Stehgreifrede hineingesteigert und gestikulierte nun auch bedeutsam, wenn auch präzise und dosiert.

"Genossen, bitte verzeiht einem Liedermacher, wenn der Pathos mit ihm durchgeht, doch Solidarität ist wie die Liebe, sie ist politische Liebe. Sie kann nicht genommen werden, nur gegeben werden. Geht denn einer zu einem Mädchen und verlangt "Liebe mich und wenn ich deine Liebe geprüft habe werde ich entscheiden, ob ich dich auch lieben werde"? Nein, man muss den ersten Schritt wagen und etwas riskieren, etwas von sich preis geben. Ich weiß, es ist viel verlangt, gerade in einer Zeit, wie der jetzigen. Doch nie war es notwendiger als jetzt! Und jetzt, an diesem Abend, könnt ihr euren ersten Schritt machen, wenn ihr etwas ändern wollt!"[1]
 1. Diplomacy: 21, falls es notwendig sein sollte
Unser Weg ist noch nicht zu Ende,
Genossen, blickt weit voran,
seht im Wind die Fahne vor uns wehn,
sie führt die Arbeitenden an! Genossen! Los! Los! Los!
(Melodie)

Sawelij

  • Beiträge: 72
    • Profil anzeigen
Wohin die Wärme flieht...
« Antwort #10 am: 27.11.2016, 18:37:54 »
Und das Reden von Dschaba ging weiter. Sogar das Spiel mit den eigenen Emotionen konnte er. Sawelij, der eine kleine Einlage gezeigt hatte. Stand einfach da. Sein Stich gegen Dschaba und seinen Hunden hatte dieser simpel umgedreht. Aber sei es drum. Sawelij musste einfach mehr aufpassen, indem was er sagt. Simpel gedacht, aber schwer umzusetzen.
Langsam drehte er sich zu den Zuhörern um. Nun hatte er einen besseren Blick auf sie. Einige von ihnen kannte er, nicht alle und anders herum war es genauso. Sein Blick ging durch die Menge, doch das zweite Ziel von Dschaba war nicht mehr zu erkennen. Gut, dieser hatte wohl den Auftritt genutzt abzuhauen. Wohl die bessere Endscheidung. Wobei der kurze Blick nicht wirklich ausreichte, um den Rattling sich genau einzuprägen und er sich nicht sicher war, ob dieser nicht doch unter seinem Volk war. Egal, ein Kennenlernen war damit eh nicht mehr möglich.
Der Rattling war Sawlij in den Straßen nicht aufgefallen. Anders herum wahrscheinlich schon eher. Djirris Sawelij bei dessen Streifzügen durch die Straßen wohl ab und zu beobachtete haben. Seine flinken Finger oder mal auch, dass er die Bettlerschüsseln anderer einfach füllte. Auch mochten der Rattling und dessen feliische Begleiterin durchaus mitbekommen haben, dass der Elf öfter mal in Schwierigkeiten steckte. Das hier war aber bei weiten etwas Größeres und viel gefährlicheres als die sonstigen kleinen Straßenrauferein.

Der metalische Golem lenkte die Aufmerksamkeit des Elfen von den Leuten ab. Bei dessen Worten weitete Sawelij kurz die Augen. Das hatten sie ihm aber gut beigebracht. Ein Witz, nein daran glaubte er wenig. Zum Lachen war ihm auch nicht wirklich zu mute. Dschaba rief also gerade wirklich zum Kampf gegen die Reichen auf? Natürlich nur alle die, die nicht er selbst waren oder einer seiner Freunde. Aber Sawelij hatte nicht viel Zeit um sich über die Situation weiter zu ärgern. Dschaba lies das Essen als Geschenk von ihm proklamieren. Auch wenn die Anwesenden nicht dumm waren, das würde die Runde machen und da verdeutlichten sie sich wieder, die ersten Prügel, welche eine Frontfigur einstecken müsste.
Träge steckte Sawelij seine Arme durch die Armlöcher des Mantels um die Zigarette von Dschaba anzunehmen. Ihr kleines Feuer und der Rauch würden ein minimaler Trost in der Situation sein. Denn einfach hinüber gehen konnte er nicht, auch wenn sein Magen ihn knurrend an die dünne Suppe heute erinnerte. So blieb  erstehen, blickte weiter auf den Windschiefen Karren und paffte die Zigarette. Blinzelnd vergewisserte er sich dem was ihm auffiel. Sein Blick ging vom Karren weck. Kein Zeil vor Augen blickte er nach links und hielt im Rauchen inne. Er hatte genug von dem Zeug selber produziert um nicht zu wissen was es war. Das keine schöne Entdeckung.

Die Zigarette war ausgegangen als ihn eine schwere Hand aus den Gedanken riss. Ein Mann bedankte sich überschwänglich bei ihm. Er war auch nicht der einzige und die die den Elfen beobachten konnten sehen, dass er wie überfahren aussah. Damit hatte er jetzt nicht gerechnet und es schien ihm auch peinlich zu sein. Besonders als die ersten anfingen seine Hand, den Jackensaum oder auch die Stiefel zu küssen. Er brachte nur ein „Bitte nicht.“ hervor als sich wieder eine Frau zum Kniefall bereit machte. Bei den Worten des alten Mannes nickte Sawelij langsam. Ihm kamen Zweifel. Brauchten die Menschen, Elfen, Tengus, Rattlinge, einfach alle immer eine Figur, die für sie verbrannte wie die Kohle in den Kraftwerken. Jemanden der Leid ertrug ohne dass sie es selber ertragen müssten.
Solange Dschaba es zuließ, blickte Sawelji den anderen hinter her. Nein, alleine glaubte er sich nicht mit Anführer der Hunde. Er hatte sicher überall noch seine Leute versteckt. Doch wären sie rechtzeitig da um Sawelij aufzuhalten bevor er seine Faust in die Magenkuhle des Hundes graben könnte? Kurz überlegte er ob er dies nicht einfach wagen sollte. Einfach um zu sagen. Ja ich bin in deine Falle getappt aber so leicht ergebe ich mich nicht. Die Gelegenheit war auch kaum besser. So kumpelhaft wie sie gerade gingen. Aber er war nicht dumm. Ein Kratzer nur und ihm würde was Schlimmeres passieren.

Das Gerede von der Rangordnung in einem Rudel, die Vergleiche mit den Bewohnern der Stadt beeindruckten Sawelij nicht wirklich. Sie brachten ihn nur kurz zum überlegen. Dann jedoch, es waren die Worte mit dem nicht enttäuschen entlockten ihn ein „Danke“ welches er mehr zu sich selbst sprach. Für ihn sah das gerade auch wie ein Teil des Planes von Dschaba aus. Ja er würde sie nicht enttäuschen wollen. Ehre pah, Die Hoffnungen eines anderen Zerstöhren, nur weil man selbst Fehler begangen hatte. Nein genau das würde Sawelij nicht tun. Da hatte Dschaba ihm wahrlich eine Schlinge um den Hals gelegt.
Tief atmete der Elf aus, nachdem Dschaba seinen Zauber beendet hatte. Wärme erzeugen, das hatte etwas. Etwas was Sawelij gerne lernen würde. Doch war nicht der rechte Moment dafür. Es galt eine Frage zu beantworten.

„Alpha, Beta und Omega. In all ihren unseren Adern fließt das selber Blut. Mal heller mal dunkler. Doch verlässt es unseren Körper so sterben wir. Ja, wir sind alle gleich und es gibt auch Schicksaale vor denen weder Magie noch Geld schützen können.“ Sawelij blickte die Statur hinauf. „Auch wenn unsere Zeiten anders bemessen sind, auch dann noch sind wir gleich. Teilen die gleichen Gefühle. Die gleichen Hoffnungen und Ängste.“ sein Blick ging zurück zum Menschen neben ihn. „Wir müssen uns jedoch unseren Ängsten stellen und hinter die Hoffnungen blicken um unseren Weg zu erkennen. Die Stadt, also die Leute in der Stadt müssen das auch können. Müssen sich selbst bewegen, aus ihrem eigenen Trott heraus kommen um zu erkennen ob oder das etwas falsch läuft. Haben sie erkannte, dass etwas falsch läuft, so müssen sie auch in der Lage sein dies zu ändern. Ich glaube jedoch, dass viele es gerade nicht können oder wollen. Jedenfalls alleine. Hier sollten wir gemeinschaftlich zueinander stehen. Zusammen den Trott brechen um das eigene Selbst zu verwirklichen. Eine Stadt in der jeder das sein kann was er will wäre wunderbar. Aber ich glaube nicht das eine Person das alleine kann.“ Er sog die kalte Luft tief in seine Lungen. „Eine weiße Weste trügt nicht vor den Flecken darauf. Oder was war das mit dem Wagen?  Wollte sein Besitzer nicht wie wir wollen? Es ist wohl auch nicht so, dass ich hier meine Wünsche für die Stadt umsetzen kann oder? Eher geht es um deine Wünsche für sie und erlaub mir die Fragen. Wie weit hast du unseren Weg schon vorgeplant und welche Opfer wird es wohl kosten?“ Der Elf versuchte dem Menschen in die Augen zu blicken. Der Blickwürde ihm verraten ob Dschaba versuchte ihn anzulügen.

Djirris

  • Beiträge: 66
    • Profil anzeigen
Wohin die Wärme flieht...
« Antwort #11 am: 28.11.2016, 06:20:20 »
Als Djirris bemerkte, wie aufmerksam Dschabas Gefolgsleute und auch der Mann selbst waren, durchlief es ihn wieder kalt. Er hatte nicht damit gerechnet, daß sie so gut vorbereitet waren. Stumm verfluchte er sich selbst, weil er keine Ablenkung geschaffen hatte. Als er aber sah, wie die Männer zurückgepfiffen wurden, beruhigte er sich ein wenig. Aber da er erkennen konnte, wie Dschaba und seine Männer weiterhin das Versteck im Auge behielten blieb ein kleiner Knoten im leeren Magen, was diesen kurz zum Knurren brachte. Aber auch der Ratling war nicht untätig. Er prägte sich die Gesichter der Helfer ein, um sie später ein mal wieder zu erkennen.

Aufmerksam lauschte Djirris auch den Worten, die gesprochen wurden. Und ihm entging auch so manche versteckte Bedeutung Dschabas nicht. Aber auch Muckel hatte neugierig den Kopf aus den Winterklamotten gesteckt, als er die Unruhe des Ratlings bemerkt hatte. Natürlich wollte die Katze auch mitkriegen, was um sie herum passierte.
Von wegen Serenade, wohl eher Scharade hätte es heißen müssen. Und wie er dem Elfen dann die Verantwortung für das Essen übertrug. Was würde er ihm wohl noch an Verantwortung überlassen oder sollte es eher heißen, für was würde der Elf sich noch verantworten müssen? Und Kraft sollten sie alle wiederfinden, damit sie auch Verantwortung übernehmen könnten. Aber war auch da nicht auch eher Kraft gemeint, um Dschabas Vorhaben, wie auch immer die aussehen mochten zu unterstützen?
Oh ja, Scharade wäre wirklich der passendere Begriff gewesen.
Aber natürlich mußte der Ratling dennoch anerkennen, daß den Anwesenden wenigstens für diesen Abend oder vielleicht auch für morgen, wenn die Leute sparsam waren, geholfen wurde.
Aber zu welchem Preis? Das Blut am Wagen legte nahe, daß andere wohl, die es wohl auch gebraucht hätten oder für die es bestimmt gewesen war, Nichts bekommen würden.
Und der Elf?
Djirris erkannte ihn wieder. Einer der armen Teufel, die es nicht lassen konnten, selbstlos zu helfen. Und genau diese Einstellung hatte ihn wohl auch dazu gebracht, ohne groß nachzudenken vorzutreten. Und so war er Dschaba genau in die Falle getappt, die dieser aufgestellt hatte. Oh ja, Dschaba hatte sich sein neues Opfer gut ausgesucht. Der Ratling war jetzt echt froh, daß er sich aus vielen Dingen offiziell raushielt.
Und jetzt zwangen die anwesenden Nichtshabenden den Elfen noch mehr in seinen neue Rolle, als sie ihn als Helfer, ja gar als Retter wahrlich anhimmelten.

Als sich der Platz geleert hatte, entging Djirris nicht, daß sie trotzdem nicht alleine waren. Die Gesichter an den Fenstern und die Gestalten in den Schatten konnte er sehen.
Als würde Dschaba irgendwas riskieren und mit ihnen hier alleine bleiben.
Kurz streichelte er über Muckels Kopf und hörte weiter zu.
Dschaba ergab sich weiter in wohl vermeintlich intelligentem Gerede, aber Djirris langweilte es langsam nur.
Auf die Antwort des Elfen war er allerdings gespannt. Auch Muckel spitzte die Ohren.
Und anscheinend war Sawelij doch etwas schlauer als erwartet. Jedenfalls machte er den Eindruck, als hätte er die Falle des Psinaanführers druchschaut. Aber er war sich auch bewußt, hineingetappt zu sein.
Wie würde er sich wohl aus der mißlichen Lage befreien?
Vor allem da Dschaba den Schwurstein gerade mit Magie aufgeladen hatte. Wußte der Elf von der Macht der Statue? Sollte Djirris ihn warnen? Kurz verharrte der Ratling und lauschte auf die Stadt. Wollte sie, daß er eingriff?
« Letzte Änderung: 28.11.2016, 06:22:39 von Djirris »

Menthir

  • Moderator
  • Beiträge: 4052
    • Profil anzeigen
    • Enwe Karadâs
Wohin die Wärme flieht...
« Antwort #12 am: 28.11.2016, 23:05:31 »
03. Zima - 49tes Jahr des Neubeginns - Yevgeni-und-Marija-Popowkowitsch-Park - Arbamanka - 19:39 Uhr

Dschabas Gesichtsausdruck zeigte einen Zug Verwunderung, als Sawelij ihn so offen auf das Blut ansprach. Er driftete einen Moment in Gedanken ab und blickte dem gemauerten Untergang entgegen, aus dem der Karren wieder rausgerollt war. Dschaba atmete tief aus und dachte einen Moment über Sawelijs Worte nach. Sein Blick wandte sich wieder Sawelij zu und blieb an dessen Augen haften, als würde er etwas in ihnen lesen wollen.

Djirris spürte derweil, wie sich langsam und erst unangenehm Härchen in seinem Nacken aufstellten. Das untrügliche Zeichen, dass ihn noch etwas anderes beobachtete. Er konnte sich sicher sein, dass es weder Dschaba noch seine riesenhafte, blindäugige Dogge war. Aber er war sich sicher, dass der blinde, dunkelfellige Molosser[1] dies ebenfalls wahrnahm, denn dessen Ohren schnellten wieder in die Höhe und er schnüffelte in die Luft.
Der Ratling sah, wie die Schemen hinter den Fenstern zunehmend mit den Schatten verschmolzen. Als hätten sie genug gesehen. Sie waren es nicht, die ihn beobachten. Doch die Art, wie sie die Szene im gefrorenen Park begutachteten, wie nahtlos die Finsternis der Räume die Schatten gleichzeitig aufsog, ließ ihn glauben, nein wissen, dass es keine Humanoide waren, sondern die Allgegenwärtigkeit ihrer Größe, die sie schemenhaft die Form ausdruckloser, wie menschlicher Schemen annehmen ließ. Sie beobachtete die Szene auch. Und Djirris wusste, dass sie nur dann selbst zu beobachten pflegte, wenn sie die Veränderung an sich, in sich, auf sich, bei sich und unter sich spürte. Wenn sie voraussah, dass etwas von Bedeutung sich änderte.
Doch ihn beobachtete sie nicht aus den Fenstern. Wer beobachtete ihn dann?

Das Knurren des großen Hundes ließ Dschaba den Augenkontakt mit Sawelij brechen und den Hund zwischen den Ohren streicheln. Der Genosse in Weiß hatte scheinbar die Umgebung nicht zu sehr im Auge wie sein schwerer Vierbeiner. Vertieft im Gespräch mit Sawelij waren des Psina Gedanken auf das Gespräch konzentriert.
"Das ist das Entscheidende, Sawelij.", lenkte er zuerst noch einmal von dem Blut am Wagen ab. "Ein Alphatier eines Rudels hat niemals seine eigene Führungsposition alleine im Blick, sondern das Wohl des Rudels. Deswegen sind die Fabrikanten keine Alphatiere, sondern neidische Betatiere. Sie wollen die Führung des Rudels um ihrer selbst willen, nicht für das Rudel. Ein gutes Alphatier denkt wahrscheinlich sogar, dass es für den Posten ungeeignet ist, weil die neidischen, zweitrangigen ihn Glauben machen, dass eine selbst wahrgenommene Führungsstärke dafür vonnöten wäre. Aber wer die Macht nicht fürchtet, wird ihr Untertan und verliert den Blick für das Rudel. Das darf nicht passieren. Niemals. Deswegen bist du, Sawelij, dafür geeignet und ich nicht."
Der Gesichtsausdruck von Dschaba wurde betroffen und nachdenklich, sein aufmunterndes Lächeln verschwand.
"Sicher führe ich eine Gruppe von Straßenkötern an, doch ich bin kein guter, nicht der richtige Mann dafür." Er zupfte an seiner Jacke und lachte etwas bitter. "Ich habe ein zu großes Geltungsbedürfnis. Trotz meiner Armut sparte ich mir vier Jahre Kilo um Kilo von den Rippen ab, bis ich mir diesen sündhaft teuren und reell betrachtet reichlich schwachsinnigen magischen Anzug kaufen konnte, der niemals verschmutzt und solange die Magie in ihm wirkt, auch nicht reißen wird. Ich habe eine Verbrecherbande ins Leben gerufen, weil ich dachte, ich hätte ein erbärmliches Leben und Arbeit würde mir nicht geben, was ich verdiente. Wen interessierte, dass ich hervorragende Fliesen gestalten konnte und zudem auch noch den Beruf des Kaminbauers erlernte, nicht wahr? Ich war jung und dachte, ich müsste mir nehmen, was ich musste; nehmen, was mir zustand. Aber da ich mir die Niederträchtigkeiten meiner Taten nicht eingestehen wollte, habe ich mich selbst geblendet. Ich schrieb Traktate über Stil und Haltung und habe versucht, mich als aufrechten Mann zu inszenieren."
Jetzt lachte er auf. "Aber auch ein Schuft in einem weißen Anzug bleibt ein Schuft."

Er blickte zu der Statue, die den Namenspaten des Parkes gewidmet war, sie war jetzt frei von Frost und Eis und dampfte leicht, hüllte sich in einen kondensartigen Nebel. "Einstmals habe ich deswegen einen Schwur genau hier geschworen. Ich habe gesehen, dass ich meinen Weg nicht mehr verlassen kann. Jeder weiß, wer Dschaba ist. Selbst wenn ich asketisch wie ein Engelsmönch lebte oder das güldene Herz Rels[2] selbst hätte, niemand würde es mir glauben. Die Geschichten sind zu stark, zu oft erzählt, sie schwanken vom Red Dragon bis zur Silver Hall in Primorsk. Und wahrscheinlich hat sich der Weg auch zu tief in mir eingegraben, als dass ich ihn wirklich loslassen könnte."
Er berührte die Statue. Der Dampf verfestigte sich, als er Silben sprach, die mysteriös und bewundernswert melodisch klangen, ein arkanes Gedicht in rauer Schönheit.

Djirris Sicht sah, wie der Nebel sich dichtzog um die Statue und in weißlichen Schwaden den Mann in Weiß, dann die schwarze Dogge und schließlich den Elfen verschluckte. Der Nebel dehnte sich aus und reichte fast bis zur seiner Hecke. Träge waberten einzelne Schwaden über den ganzen Hof[3]. Nur Dschabas Stimme erschall nun singend durch den Nebel, nur ein Versatzstück, schwer und kummervoll.

"Wer bin ich wohl, der ich mich bekriege,
im ewigen Zwist mit dem eigenen Pfad,
Wer bin ich wohl, wenn ich endlich siege,
ein Diener im nun gerechten Staat?

Was hab ich mit dem Wohle aller gemein?
Wofür muss ich denn wohl alles stehen?
Bruder, ich will doch nur, was mein, ist dein.
Dann werden wir gemeinsam in die Zukunft gehen!"

Unbemerkt dieses Gesanges, der ein romantisches Arbeiterlied wiedergab, welches gerne im Hafenviertel in der Silver Hall gesungen wird von den Werftarbeitern, bemerkte Djirris, was ihn beobachtet hatte. Muckel krallte sich überrascht, aber Stille bewahrend, in der felligen Haut des Ratlings fest, als sich plötzlich eine nebelweiße Ratte auf der rechten Hand der Hexe niederließ. Erst auf den zweiten Blick sah Djirris, dass das Wesen sogar geflügelt war. Wo einst seine Augen gewesen waren, befand sich noch die mit dem Schemen verschmolzene Finsternis, die er eben in den Fenstern gesehen hatte. Obwohl ihr Fell weich und weiß war, fuhren undeutliche Schatten über das nebelweiße Fell und verzerrten die Konturen der geflügelten Ratte. Eine Botin Demjanowkas!
Ihr Fiepsen drang leise an die Ohren von Djirris, und was für andere nur das Fiepsen eines kleinen, kulturfolgenden, wenn auch in diesem Fall fliegenden Tieres gewesen wäre, war für Djirris in diesem Moment eine vollständige und zu verstehende Sprache. Die geflügelte Ratte war außer Atem, aufgeregt, aufgekratzt und sie krabbelte in Windeseile die Schulter des braunfelligen Ratlings hinauf, schnell zweimal vor sich hinredend.
"Djirris. Djirris. Noch sind die Nebel weiß.
Djirris. Djirris. Bald ist der Brodem rot.
Djirris. Djirris. Finde den alten Greis.
Djirris. Djirris. Sonst sind bald alle tot."
 

"Djirris. Djirris. Noch sind die Nebel weiß.
Djirris. Djirris. Bald ist der Brodem rot.
Djirris. Djirris. Finde den alten Greis.
Djirris. Djirris. Sonst sind bald alle tot."
Sie erreichte die Schulter des Ratlings und sprang wieder ab. Noch sah er sie einige Meter über sich, doch diese kleine, magische Kreatur versuchte wieder in der Finsternis zu verschwinden, aus der sie so plötzlich gekommen war[4].

Umschlossen von Nebel beendete Dschaba seinen Gesang. Er hatte eine raue, aber melodische Stimme. Sie passte zu seinem Typ, und zeigte, dass er einige Zeit damit verbracht hatte, sie zu schulen. Sawelij sah, dass Dschaba leicht vom Nebel verschluckt wurde, doch er konnte er ihn noch ausreichend gut sehen. Sie standen sich direkt gegenüber. Dschaba setzte seinen Vortrag fort.
"Ich schwor also dieser Statue, dass wenn ich schon meinen Weg nicht mehr ändern konnte, dann würde ich jemand anderen den Weg eröffnen, der dazu dienen könnte, was wir alle im Einzelnen wollten, nur gemeinsam schaffen konnten, und wo wir doch im Einzelnen lieber scheiterten als gemeinsam zu triumphieren. Ich versprach jener magischen Statue, dass ich alles tun würde, um einer Person, die ich - so glaube ich - verstehen kann, zu helfen, das zu verwirklichen, was ich alleine und auch für andere nicht kann." Er blickte jetzt zu der dampfenden Statue empor, blickte darauf, wie ein alter, todkranker Mann, seine Frau, die ihn ewig pflegte, zu Grabe trug. Dschaba schien dies aus irgendwelchen Gründen für ein starkes Symbol zu halten, auch wenn nicht ganz nachvollziehbar sein möchte, warum er es für ein Symbol des Neuanfangs oder der Wende hielt. Er tat sich mit seinen Worten schwer, als würde es ihn belasten, seine Gedanken auszusprechen. Als würde etwas Großes auf ihm lasten.
"Ja, an meinen Händen ist Blut. Und auch das am Karren ist im übertragenen Sinne an meinen Händen. Ich verstehe...glaube dich zu verstehen, weil ich auf demselben Weg ging wie du. Nur zu weit. Und nun kann ich mich nicht mehr ändern. Aber du kannst, zum Wohl aller.
Nun, wie gesagt, bin ich auch nur ein Betatier, auch wenn ich mein Rudel anführe. Aber es wird Zeit, denn mit meinen Fähigkeiten kann das Rudel nicht mehr wachsen. Ich und meine Exzentrik sind dem im Weg. Aber ich habe dich beobachtet, Sawelij. Wie du für deine Familie einstehst, was du dafür bereit bist zu tun und was du nicht bereit bist. Du bist kein Mörder wie ich."
Jetzt blickte Dschaba Sawelij wieder in die Augen.

Nach einem Moment der Stille, in der er seine letzten Worte sacken ließ, räusperte er sich "Bleibt nur die Frage, wie viele Opfer das fordern wird und wie viel ich vorgeplant habe, was?" In sein Gesicht kehrte die Lockerheit zurück. Scheinbar war es wichtig von ihm, sich den vorherigen Part mit seinem eigenen Kampf mit sich selbst von der Seele geredet und gesungen zu haben. "Ich habe euch ausgesucht. Ich habe euch lange Zeit beobachtet und beobachten lassen, so schwer das ist. Viele Jahre habe ich gebraucht, weil eure Spuren im langen Winter Demjanowkas immer schnell erkalteten." Scheinbar hatte er Djirris auch in seine Überlegungen einbezogen, auch wenn er jetzt nicht weiter darauf einging. "Ich musste sicher sein. Aber mein Planungsgeschick wäre zu sehr gelobt, wenn ich daraus lesen wollte, was die Zukunft bringen könnte. Doch ich will ehrlich sein: sie wird blutig werden, wenn die Bürger realisieren, dass die Macht ihnen entgleitet, weil Sawelij - aus dem Volk gekommen, um dem Volk zu dienen - ihnen unhintergründige Wohltätigkeit erweist. Noch etwas, was ich nie könnte. Doch wie viele werden bluten?" Er zuckte ostentativ mit den Schulter und verzog die Lippen nachdenklich und dann verneinend. "Ich weiß es nicht. Spielt es eine Rolle, ob wir verbluten, erfrieren oder verhungern?" Er seuftzte kurz, machte dann für seine Worte eine entschuldigende Geste. "Aber ich weiß etwas anderes."
Er blickte wieder zu der Statue und drehte sich hier gänzlich zu.
"Wenn du hier, unter den Augen Yevgenis und Marijas schwörst, dass du ein Alphatier werden wirst, und auf Grundlage deiner Ideen, deiner moralisch besseren Hoffnungen und deiner Wünsche eine bessere Stadt schaffst, in dem nicht mehr fast alle hungern, frieren und leiden, dann will ich schwören, dass ich meinen Posten in den Psina dir schenke. Ich werde davon zurücktreten und dir Treue schwören. Ich will dir und einer Idee einer besseren Stadt zu Diensten sein, so wie ich es einst forderte, als man meinen Ideen folgten. Doch deine sind reiner, du bist reiner. Du hast die Farbe Weiß verdient, nicht ich. Und zuletzt will ich schwören, dass alle Opfer, die wir für unsere Sache in Kauf nehmen müssen, durch mich getragen werden sollen, ist mein Ruf doch schon ruiniert, bin ich doch diesen Weg zu lang gegangen.

Sawelij Alagos. Ich lege dir den Schlüssel zu der Stadt in die Hand. Wisse nur, dass ein Schwur und ein langer - vielleicht blutiger - Weg vor dir liegt."


Er legte seine Hände auf die Statue, wieder die weißlich-rote Magie, die aus seinen Händen glomm und sich mit der Statue verband.
"Ich - Dschaba Ebanoidze - schwöre Sawelij meine Gefolgschaft, auf dass ich ihm durch Not und durch Freude als Freund und Helfer nutze. Ich gebe meinen Anspruch auf die Psina zu seinen Gunsten auf, auf dass er schaffe, worin ich verzagte: das Schicksal der Humanoiden dieser Stadt zum Besseren zu wenden. Dieser Schwur soll ewig sein, so Sawelij schwört, mit den Psina eine bessere Stadt zu begründen und sie in einen neuen Frühling zu führen."

Djirris und Sawelij erinnerten sich daran, dass Schwurmagie ein mächtiges Werkzeug war, welches an vielen Orten Inolias gepflegt wurde. Die mächtigsten Schwüre waren jene, welche Schicksale - so die alte Lehre aus der Ritterzeit, als man noch von Schicksalsknüpferinnen des alten Glaubens erzählte - aneinanderband. Diese Schwüre erfuhren erst ihre Gültigkeit, wenn zwei oder mehrere Beteiligte sich aufeinander eingeschworen hatten. Doch Obacht galt es schon in den alten Tagen zu bewahren; wessen Schicksal einmal zusammengefügt...[5]
 1. Molosser
 2. Güldenherz ist ein häufiger Name für den hl. Rel. Es gibt mehrere Darstellung aus der Ritterzeit, die behauptete, dass er als Ritter in Rot die Herzlande durchschritt und mit dem Fehdehandschuh das Böse in Schach hielt. Der Name dieses Ritters: Prinz Güldenherz.
 3. 
 4. Falls du noch darauf reagieren möchtest, Djirris.
 5. 
Wissen(Arkanes) SG 10 (Anzeigen)
Wissen(Arkanes) SG 15 (Anzeigen)
Wissen(Arkanes) SG 20 (Anzeigen)
Wissen(Arkanes) SG 25 (Anzeigen)
« Letzte Änderung: 28.11.2016, 23:10:39 von Menthir »
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Djirris

  • Beiträge: 66
    • Profil anzeigen
Wohin die Wärme flieht...
« Antwort #13 am: 29.11.2016, 14:05:09 »
Oh oh, die Stadt schaut tatsächlich zu., ging es Djirris durch den Kopf, als er die Veränderung in der Umgebung bemerkte. So etwas passierte nur selten und war immer etwas Besonderes.
Deshalb wußte der Ratling auch, daß hier sein Handeln erwartet wurde. Nur in welche Richtung?

Er hatte ja auf ein Zeichen gehofft, ja es quasi herbei gesehnt. Aber die Aufmerksamkeit der Stadt galt noch nicht ihm, auch das spürte er. Wo war das Zeichen?
Noch mußte er den Worten des Verführers lauschen, noch warten, bis er an der Reihe war.
Grad glaubte er, daß der aufsteigende Nebel ein Wink war, doch schnell erkannte er die magischen Worte Dschabas.
Und dann erschien endlich dieses kleine, wunderbare Geschöpf! Es teilte ihm etwas mit, von dem die Stadt wollte, daß er es wußte. Dies war schön öfter passiert und so hielt sich sein Staunen in Grenzen, auch wenn er immer wieder fasziniert war.
Wieso hatte die Stadt gerade ihn ausgewählt? Gab es noch andere wie ihn?
Aber schnell verflogen diese wiederkehrenden Gedanken, als er die Botschaft vernahm.
Greis? Welcher Greis? Grad wollte Djirris nachfragen, als sich der Bote schon wieder in die Lüfte erhob.
Und seine Position wollte er durch einen Nachruf nicht preisgeben. Die Stadt würde ihn schon bei der Suche leiten. Da war er sich sicher.
Also konzentierte er sich erst mal auf das Hier und Jetzt.
Ob sein Handeln richtig war, würde die Zukunft zeigen. Aber Handeln mußte er.
Vorsichtig zog er Muckel aus der wärmenden Kleidung und setzte ihn auf den kalten Boden, was ihm der Kater mit einem protestierendem Mauzen vergolt.
Er griff an den seltsamen Knochen, dem ihm die Stadt geschenkt hatte, um seine Bitten leise an sie richten zu können. Und rief eben ihre Hilfe herbei[1].
Die Gestalt des Ratlings änderte sich. Er wurde zu einem kleinen, zerzausten und lädiertem Elfenjungen.
Noch wartete er ab, aber dann erklang, genau wie erwartet, eine Aufforderung zum Schwur.

Djirris war froh, daß der Nebel bis an sein Versteck heran reichte. So brauchte er nur einige kurze Schritte tun, um in ihm zu verschwinden.
Der kleine Elfenjunge rannte in Richtung der Statue und began auf Elfisch zu rufen. Dabei fiel es Djirris nicht schwer eine Kinderstimme nachzuahmen, schließlich war sein eigenes Organ auf Grund seiner Rasse eh eher im höheren Spektrum angesiedelt.
"Onkel Sawelij, Onkel Sawelij! Wo bist du? Der Nebel ist eben aufgetaucht!"
Schon kam er bei den beiden Gestalten, die an der Statue standen an. Kurz schaute der Elfenjunge die beiden Männer an und griff dann nach Sawelij Hand.
"Onkel Sawelij! Gut das ich dich gefunden habe. Du mußt.."
Auf einmal wurde die Gestalt des Jungen starr und der Griff seiner kleinen Hand verstärkte sich krampfartig um die des größeren Elfen. Seine Augen rollten herum, so daß nur noch das Weiße zu sehen war.
Immer noch mit der kindlichen Stimme und damit wohl unheimlicher als erwartet, stieß es dann einige Zeilen in der Gemeinsprache hervor.

"Der Nebel, der dich umgibt, kalt und weiß,
bald wird er blutgetränkt, rot und heiß.
Bevor du jetzt leistest einen Schwur so leicht,
bedenke das Leben, das dann bald entweicht.
So zögere noch mit deinem Tun und deinem Handeln,
könntest bald sonst in dunkelsten Schatten wandeln."

Dann entspannte sich die Haltung des Jungen wieder und als wenn Nichts gewesen wäre, fuhr er in Elfisch fort:"...mitkommen. Dem Großvater geht es nicht gut. Wir müssen zu ihm! Du mußt zu ihm! Bitte, bitte!"
Schon zog der Elfenjunge an der Hand von Sawelij und versuchte ihn, von der Statue wegzuziehen.
 1. zaubern "Alter Self" mit Hilfe der Rod still gezaubert

Menthir

  • Moderator
  • Beiträge: 4052
    • Profil anzeigen
    • Enwe Karadâs
Wohin die Wärme flieht...
« Antwort #14 am: 30.11.2016, 16:03:54 »
03. Zima - 49tes Jahr des Neubeginns - Am Tor der Brüderschaft - Sjukowo - 19:36 Uhr

Wenn er vorher hungrig gewesen war oder wegen einer anderen Sache gekommen war, spätestens mit dem Nennen seines Namens brach sich in seinem braunäugigen Blicke Wut Bahn. Nicht Wut über die Worte, die gewählt waren, doch dass es dazu kommen konnte. Hinter der Wut blickte jedoch auch eine gewisse Hilflosigkeit hindurch. Mit leicht zitternder Hand, ob der Kälte, nahm der Mann seufzend die Brille von der Nase, klappte die wackligen Bügel zusammen und schob sie in seine Hemdtasche. Er trat einen Schritt zur Seite und deutete dem Volakhi an, zu gehen. Er würde ihm nicht mehr im Wege stehen. „Ehrliche Arbeit…Pff.“, flüsterte der Mann zynisch und wütend zu sich selbst.

Der Volakhi ließ sich nicht zweimal bitten. Er sah, wie die Bürger um ihn herum Platz machten und er nahm den Wagen wieder auf, spornte seinen Esel zur Weiterreise. Vielstimmiges Gemurmel verschluckte seine ersten Worte, sodass der Alte doch nochmal den Karren anhalten ließ. Er erkannte in Lavrenty, Mara und dem Elfen Elrevan seine Fürsprecher und so ging er zu jedem, und küsste ihm beziehungsweise ihr den Saum und hielt ihn danach wieder aufrecht stehend den Arm mit seinen verhärmten Händen, glücklich zu jedem sagend, dieselbe Formel für jeden wiederholend:

„Du tust Großes, mein Genosse. Wahrhaft Großes. Ich sehe an deinem Blick, du wirst nicht wissen, worauf du dich einlässt. Aber du tust Großes. Wir danken dir dafür.“
Nachdem er zuletzt Lavrentys Arm gehalten hatte, löste er sich von diesem, gab dem ehemaligen Soldaten seine Mütze wieder, nahm seinen Karren wieder auf, und schickte den Esel vorwärts gen Demjanowka-Stadt. Nicht ohne seine eigene Papacha wieder an sich zu nehmen, die man ihm nun bereitwillig zurückgab.
In den Blicken eines manchen, der hier auf Nahrung gewartet hatte, war die tiefe Enttäuschung zu sehen, gerade als sie dem rumpelnden Karren mit Achsenunwucht davonrollen sahen. Was mochte wohl in den Kisten gewesen sein? Das Einschreiten der drei hatte die Szene beruhigt und auch der widerspenstigste von ihnen traute sich nicht, weiter einzugreifen. Scheinbar hatte Lavrenty etwas bei ihm bewirkt,  auch wenn es wohl kaum etwas damit zu tun hatte, dass Herr Volkov dieses zufällige Treffen für seine politischen Ambitionen und zur Meinungsmache nutzte. Etwas anderes hatte das ausgelöst, etwas Gesagtes[1].

Doch während der Karren davon gezogen wurde, nur manchmal war das Ächzen des alten Volakhi und seines schwer ziehenden Esels zu hören[2], sammelten sich nun jene Hungrigen um Lavrenty. Während der blonde Mann, Oleg Taktov, etwas im Hintergrund blieb und dem Karren nachdenklich hinterherblickte, hatten sich die vierzig Bewohner Demjanowkas im Kreis um Lavrenty aufgestellt. Eine ältliche, kurzhaarige Frau, vielleicht um die Ende Fünfzig, Anfang Sechzig, sie war zuerst dem Kohlemann beigesprungen, in ausgeblichenen, blauen Leinen gekleidet wie eine Landfrau, fragte schließlich[3].
„Und wie sollen wir was verändern? Ihr jungen Männer redet immer von Wechsel und wie wir die Dinge ändern. Aber wie ändern wir die Dinge? Ihr formuliert das immer so, als wüssten wir nicht, dass die Dinge sich ändern müssen. Und wundert euch dann, dass keiner eure Schundblätter voller Versprechen ernsthaft liest. Ihr tut so, als wären wir blöd. Und dann versucht ihr uns genau das zu verkaufen. Sei anders, guter Volkov. Dann sage uns doch, wie wir uns helfen? Wie ihr uns helft?“



Der Ork, eine vierschrötige, untersetzte Gestalt mit humpelnden Gang ob eines krummen rechten Beines – wohl im Krieg zerschossen – setzte hinzu[4]. „Solidarität. Das ist ein Wort, dass verstehe ich nicht. Ich habe es gehört, ja, auch im Krieg. Da war es wie das Wort Kameradschaft für mich unbegreiflich. Könnt ihr mich begreifen machen?“

Und zuletzt kam auch der Zwerg, welcher dem Kohlemann beigesprungen war, hinzu. Er hatte eine große Nase, eine schmale Stirn. Im Gegensatz zu vielen Zwergen trug er keinen Vollbart, sondern nur einen kratzigen Drei-Tage-Bart, der im seinem pockennarbigen Gesicht eher wie Schmutz denn Bartwuchs wirkte. Die kurzgeschorenen, dunklen Haare und der Schmiss in der linken Augenbraue ließen ihn wie einen harten Arbeiter wirken, der schon einmal nahm, was er sich verdient zu haben glaubte. Sein sehr leicht nach innen schielender Blick hatte ihn schon mehrmals dem Spott zum Opfer werden lassen, dass er nicht die hellste Gaslaterne in den Straßen Demjanowkas sei[5]. So auch an diesem Abend, wo der Mensch, die Halblingin und der Elf im Murmeln und Raunen mehrfach seinen Namen gehört hatten und wie irgendjemand ihn schalt. „Du und deine blöden Ideen wieder, Podkhalim!“ , hieß es dann; oder „Halt’s Maul, (Pod-)Khalim!“
Er blickte Lavrenty an und räusperte sich. „Hör nicht so auf sie. Sie halten sich für gelehrt, weil sie ein Stück von Maxim Maximov[6] gesehen haben. Wenn sie aber nur halb so schlau wären, wie sie tun, dann hätten sie es gelesen.“ Lachend klopfte er Lavrenty auf die Hüfte, damit der 1,30m große Zwerg sich nicht strecken brauchte. „Ich habe seine Stücke gelesen. Er verspricht nicht nur, wie sie im Theater zeigen. Er zeigt Wege auf. Keine guten, wie ich finde. Aber er zeigt Wege. Ich lese aber auch Prawda, he. Deswegen weiß ich, dass ihr manchmal auch Wege zeigt, he.“
Er blickte kurz betrübt drein und sagte dann, als käme ihm eine hervorragende Idee – wozu er den Zeigefinger emporreckte, als wäre die Idee dringend zu betrachten. „Ich, Khalim, bin kein guter Redner, he. Aber du, Volkov. Du kannst besser sagen, welche Wahrheiten in der Zeitung stehen. Maximov sagt immer, es würde reichen, die Bonzen sechs Fuß unter die Erde zu bringen. Das kann aber keine gute Idee sein. Weißt du warum, he?“
Er lachte auf. Er musste bereits jetzt über sein Witz lachen. Er brauchte einen Moment des Lachens, und den Zuruf des Orken. „Jetzt komm zum Punkt, Podkhalim!“, um sich wieder zu fangen, auch wenn er beim Sprechen etwas kichern musste und hier und da eine kleine Pause einbaute, um sich zu fangen.
„Ich weiß warum, he. In jedem Stadtteil drehen wir die Erde tiefer um als sechs Fuß. Hier bauen wir Kohle ab, dort Torf und Ton, hier haben wir einen See gegraben und dort wird Landwirtschaft gemacht. Verstehst, he? Wir würden die ja alle wieder ausgraben!“ Jetzt lachte der Zwerg wieder laut. „Maximov ist wahrlich ein dummer Mann! Hahaha!“ Der Zwerg musste vor Lachen eine Träne verdrücken.

Die ältliche Dame prügelte dem Zwerg mit einem Schlag auf den Rücken, damit dieser sich beruhigte. Das laute Lachen erstarb, aber zitternd kicherte der Zwerg noch. Sie übernahm. „Aber im Ernst: wir brauchen keine politischen Parolen. Wir brauchen beim besten Willen etwas zu essen. Ja, vielleicht ändert sich was, wenn wir solidarisch werden, was auch immer das für dich bedeutet, Volkov. Aber zunächst sind wir hier raus, weil unsere Familien hungern und frieren. Ich habe hier eine Liste, was ich hier hätte bekommen sollen von den Halblingen.“ Gereizt faltete sie einen vergilbten, zerknitterten Zettel auseinander, der mit königsblauer Tinte beschrieben war, und rezitierte, was man ihr versprochen hatte. „Zwei Gockel, ein Viertel Weißer[7] vom Rad, eine kleine Kann‘ Kuhmilch, ein Laib Backausschuss Schwarzes.“ Sie steckte den Zettel wieder ein, faltete ihn sorgsam als wäre er ein Vertragsdokument. „Unsere Suppenküche, die hier in Sjukowo, liegt am nächsten an den Halblingen. Aber der Stadt wegen darf man keine offiziellen Lebensmittel von Baber & Hosch beziehen. Seit zwei Tagen ist sie kalt, weil dieser Sohn einer gewöhnlichen Hure, dieser Viktor Pulijenko uns hinhält, um bessere Preise auszuhandeln. Auf unsere Kosten, auf unser Leben! Bei den Engeln, wenn ihr also was für uns tun wollt, dann sagt uns, was wir jetzt tun können. Nutzt meinetwegen eure schönen, wohlfeilen Worte, die ihr in der Oberstadt gehört habt, aber macht um Himmelswillen Vorschläge, bei denen wir nicht erst noch bis zum Tode hungern müssen, damit unsere Urenkel irgendwann vielleicht besser leben. Wir frieren, wir hungern. Wir sind drüber hinweg, von dem guten Leben zu träumen. Die meisten von uns träumen davon, überhaupt zu leben!“ Ihre Verzweiflung war unüberhörbar.

Der Ork und viele neben ihm bejahten das, entweder wortstark oder nickend. Sie alle hatten von den Versprechen einer besseren Welt gehört. Streng genommen versprachen auch die Stadtoberen dies häufig. Sie selbst oder ihre Eltern und Großeltern hatten diese Worte vernommen, als die Adelsgesellschaft durch eine Bürgergesellschaft ersetzt wurde. Ihr Zweifel stand ihnen in das Gesicht geschrieben, und so fügte der humpelnde Ork hinzu. "Ich habe auf beiden Seiten des Krieges gedient, in Fabriken und in der Suppenküche des hl. Rel. Wahrscheinlich dräut mir auch das Schicksal eines Volakhi." Seine türkisfarbenen Augen standen in einem sonderbaren Kontrast zu seiner fahlgrünen Haut. Sie leuchteten rätselhaft. "Ich will einiges tun, um diesem Schicksal zu entweichen. Ihr habt alle drei dafür gesprochen..." Er zeigte mit krummen Zeigefinger auf den Elfen, die Halblingin und den Menschen. "...dass wir uns der Armut unserer nächsten erinnern und ihnen nicht weiter schaden. Ich will nicht an euch zweifeln, aber ich kenne keinen Weg aus der Misere. Ihr kennt einen, außer friedlich zu verhungern? Ihr kennt besser einen, sonst werden Angriffe auf Volakhi die geringste Sorge Demjanowkas sein..." Zunehmendes Gemurmel, auch wenn manche pöbelten - aus Prinzip - was eine Grünhaut denn schon wissen wolle. Die Frustratrion der Hungernden drohte wieder Überhand zu nehmen. Sie alle wussten, dass Demjanowkas Winter unbarmherzig war. Manche von ihnen blickten sorgenvoll in die kalte Nacht, vom Tor aus nach Süden. Und wer wusste schon, wann die nächste Welle Flüchtlinge durch dieses Tor kam und ihnen die wenige Nahrung streitig machte. Der Krieg entwurzelte viele, die Armut entwurzelte die viele, der Winter entwurzelte viele. Doch wie viele könnte Demjanowka noch vertragen, wenn sich seine Bewohner jetzt schon dem Schicksal ausgeliefert sahen?
Erwartungsvoll blickten die Bewohner, die sich am Tor getroffen hatten, zu Lavrenty, zu Mara, zu Elrevin. Flehendes Bitten, bittendes Flehen, alles lag in ihren Augen. Alle Augen schrien sie stumm an: "Bitte! Zeigt uns einen Weg![8]"
 1. 
Sense Motive SG 22 (Anzeigen)
Sense Motive SG 27 (Anzeigen)
 2. Der Esel ist langsam unterwegs. Wenn der Volakhi also zurück in die Szene gezogen werden soll, ist das durchaus möglich, sollte eurerseits ein Interesse daran bestehen.
 3. 
Wissen(Lokales SG 25) (Anzeigen)
 4. 
Wissen(Lokales SG 25) (Anzeigen)
 5. 
Wissen(Lokales SG 20) (Anzeigen)
 6. Maxim Maximov ist ein stadtbekannter Dichter und Dramaturg, der sich für die Rechte der Ungebildeten einsetzt und eine Philosophie der weitreichenden Bildung für alle anstrebt. Dies und die Revolution der Unteren wider die Oberen sind seine literarischen Sujets. Maxim ist allerdings ein eher wohlhabender Elf, der in der Stadt zwei Groschenbühnen leitet, auf denen seine Stücke dargeboten werden zu einem Preis, den sich auch arme Menschen leisten können. Allerdings ist er deswegen auch in der Kritik. 1. werden auf seinen Bühnen nur seine Stücke gespielt, 2. lebt Maxim Maximov im Stadtmittelpunkt in einer sündhaft teuren Wohnung in Saus und Braus und 3. hat er sich vor einer Woche zum "geistigen Führer der geschlachten Massen" erklärt auf einem Festbankett und ist seitdem bei einigen Städtern unbeliebt geworden. Vor zwei Tagen ist gar eine sehr Vorstellungen in einem Tumult geendet.
Wissen(Lokales) SG 15 (Anzeigen)
 7. Damit ist einfach Weichkäse mit weißer Rinde gemeint.
 8. Ich bin mir dessen bewusst, dass es in einer unbekannten Welt schwer ist, Lösungen zu generieren. Denkt daran, dass ihr hier auch Erzählrechte habt, also auch Vorschläge und Abläufe in der Welt erfinden könnt. Ihr könnt also damit auch vorgeben, wohin die Reise hier geht und welche Elemente eine Rolle spielen. Das einzige, was ihr nicht beschließen könnt, ist die Auflösung der Geschehnisse. Aber Richtungen könnt ihr vorgeben und Spielelemente erfinden. Wenn es euch nicht genehm ist oder euch nichts einfällt, gebe ich aber natürlich gerne im nächsten Beitrag Möglichkeiten vor.
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

  • Drucken