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Autor Thema: Der Weihort  (Gelesen 131166 mal)

Beschreibung: Die Seuche von Ansdag

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Freydis

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Der Weihort
« Antwort #300 am: 02.08.2017, 16:57:55 »
Da sie es ohnehin nicht lesen kann, übergibt Freydis Rogar ganz selbstverständlich das Blatt. Seinen misstrauischen Blick nimmt sie zur Kenntnis, ignoriert ihn aber vorläufig.
Gerade will sie auf seine Frage eingehen als ihr Tristan zuvorkommt. Sie bedenkt den Sänger ob der Selbstverständlichkeit mit der er sich einfach so in anderer Leute Gespräch einmischt mit einem verärgerten Blick. "Ich kann nicht für die Rûngarder sprechen, aber auf Albion sind die meisten Menschen Freie und jeder  Freie, ob Mann oder Frau lernt sich selbst zu verteidigen. - Zum Beispiel gegen Rûnländer Piraten." meint sie eisig zu Tristan.  "und hat das Recht das Langmesser zu führen." setzt sie dann wieder dem Dain zugewant fort: Die wenigen Unfreien sind entweder ehemalige Gefangene, haben sich verschuldet und so ihre Freiheit an ihren Gläubiger verloren bis die Schuld bezahlt oder abgeleistet ist oder sind von Jarl oder Thing für Verbrechen zu ihrem Stand verurteilt worden. In jedem Fall dürfen sie keine Waffen tragen. Nicht einmal Messer mit mehr als einer Handbreit Klingenlänge. Tun sie es trotzdem sind sie des Todes." erklärt sie ihm während sie sich über ihr Frühstück hermacht.
Bei Abdos Worten nicht die Berührte nur zustimmend. Schon aus Pflichtgefühl würde sie ihre Gefährten jetzt nich so einfach im Stich lassen wollen, davon abgesehen ist ihre Neugier erwacht. Zu gern will sie wissen, was es mit den Ereignissen im Kloster auf sich hat.
"The storm is up, and all is on the hazard."

William Shakespeare, Julius Cæsar (1599), Act V, scene 1, line 67.

Rogar, Apothekarius

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Der Weihort
« Antwort #301 am: 02.08.2017, 20:50:05 »
Rogar beobachtet immer wieder die Interaktion zwischen Lif und Talahan, einmal ihrer Sicherheit wegen - auch gegen Ansteckung - zum anderen, um Veränderungen am Wesen des Gotteskriegers mitzubekommen und im Zweifel einzugreifen. Ihn erstaunt der unfreundliche Umgang der Menschen miteinander immer wieder und er fragt sich, ob er sich würde anpassen müssen. Er hofft nicht, denn irgendwie würde er etwas von sich selbst verlieren, meint er.

Abdos Worte quittiert er zunächst mit Zustimmung, um dann doch noch etwas nachzuschieben: "Weitesgehend bestätige ich eure Darstellung, Herr al'Mbabi, in Einzelpunkten möchte ich aber noch etwas ergänzen: Gute Vorbereitung ist besser als überstürztes Handeln und unsere Feinde haben schon viele Stunden ungestört gehabt - sie sind eher nachts als tagsüber aktiv - so werden einige Minuten zum Stärken, Packen und Vorbereiten keinen Unterschied machen. Was das Töten angeht: Vielleicht sollten wir ein paar der eher normal wirkenden nur außer Gefecht setzen, um sie zu befragen?"

Tristans Worte, vor allem die Selbstverständlichkeit, mit der er die Realität des Dains angriff, fordern Rogars Langmut. Mit krauser Stirn und zusammengezogenen Augenbrauen lauscht er hüflich bis zum Ende und antwortet betont ruhig: "Ich stimme zu, dass es wünschenswert wäre, wenn Frauen und Kinder nicht kämpfen müssten. Aber das gilt eigentlich auch für Männer. Aber ein Kolkar, Untoter, Dämon oder anderer bösartig Beseelter wird sich von diesem hehren Zielen nicht abhalten lassen. Also sollten sie in der Lage sein, sich zu verteidigen. Und was die anderen Dienste angeht: Gibt es Menschen, die allein vom Kämpfen leben und nichts anderes beherrschen, quasi Kriegshandwerker?" Er schüttelt ungläubig den Kopf - so eine Gesellschaft konnte in seinen Augen nicht zur Ruhe kommen. Dann beantwortet er doch noch die hinterhergeschobene Frage: "Alle Dain erhalten die ersten Jahrzehnte ihres Lebens eine Grundausbildung, zu der gehören Waffenkunst, Minenarbeit, Lesen und Schreiben und ein paar weitere, je nach Talent. Erst danach beginnen sie die Lehre in ihrem Handwerk."

Freydis Ausführungen klingen für ihn nach einer besser funktionierenden Gemeinschaft, wenn auch nur ein wenig. Mit Sorge hört er allerdings von den offensichtlichen Spannungen zwischen Albionern und Rungarder. Nicht einmal die beiden großen Bürgerkriegsparteien der Menschen scheinen geschlossen zu handeln, sondern ihre Energie auf interne Spannungen aufzuwenden. Gerne hätte er gefragt, aber seine Zurückhaltung verbot es ihm. "Die Unfreien haben also der Gemeinschaft geschadet und werden damit bestraft, der Gewalt anderer hilflos ausgeliefert zu sein. Bekommen sie Gelegenheit, ihren Schaden wieder gut zu machen, oder bleiben sie eine Bürde?"
« Letzte Änderung: 04.08.2017, 17:19:05 von Rogar, Apothekarius »

Lîf

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Der Weihort
« Antwort #302 am: 03.08.2017, 11:14:19 »
Bei Talahans Reaktion zuckt der Rotschopf zurück wie nach einer Ohrfeige. Ihre Züge verdüstern sich, sie beißt sichtlich die Zähne zusammen. "Der Segen der Herrin ist kein billiger Zaubertrick!" zischt sie aufgebracht. Dass der Gotteskrieger seine Worte gleich darauf zu bedauern scheint, lässt sie zögern – doch sie zeigt einen stolzen und abweisenden Ausdruck, als sie ihm mühsam beherrscht erwidert: "Da braucht Ihr keine Bedenken zu haben: Jede Mutter kämpft mit aller Macht gegen jene, die ihre Kinder bedrohen – so, wie sie jene tröstet, die sich in ihre Arme flüchten." Die letzte Spitze hat sich die drudkvinde doch nicht verkneifen können. Sie steht auf, sieht auf Talahan hinab und sagt nach einiger Zeit: "Möge Sie Euch verzeihen und trotzdem Ihre Gnade spenden, auch wenn Ihr mir nicht vertraut." Sie wirkt zwar, als schwanke sie noch für einen Moment, doch allein ihr verletzter Stolz ist ein Hindernis, das die stolze junge Frau nicht so einfach überwinden kann.

Abdo al'Mbabi

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Der Weihort
« Antwort #303 am: 03.08.2017, 13:03:16 »
Abdo lauscht den Gesprächen um sich herum mit wachsender Unruhe, während er seine karge Mahlzeit verdrückt. Bis auf den Dain scheint sich niemand wirklich mit der aktuellen Situation zu beschäftigen; stattdessen diskutieren sie über irgendwelche religiösen Belange oder die Ausbildung zum Kampf. "Vielleicht auch einfach nur zur Ablenkung, um nicht über das nachdenken zu müssen, was sie möglicherweise erwartet." Abdo selbst hat sich in seinem Leben in einem einzigen, endlosen Überlebenskampf befunden, und die Aussicht seines bevorstehenden Todes ist mit der Zeit zur Routine geworden, schreckt ihn nicht mehr wirklich. Diese Leute hier, die aber in relativer Sicherheit aufgewachsen sind, für sie mag es eine neue Erfahrung sein.

Rogar jedoch hat sich ebenfalls einige Gedanken gemacht, und Abdo entgegnet ihm: "Wie sollen wir uns vorbereiten, wo wir nicht wissen, was uns erwartet? Ich würde gerne, aber ich weiß nicht, was wir tun können außer uns zu stärken. Ausgeruht sollten wir nach der Nachtruhe hoffentlich alle sein.
Zum Umgang mit den Mönchen habt Ihr mich womöglich falsch verstanden. Es scheint zwei Arten zu geben: Diejenigen, die vorher tot waren. Sie scheinen geistlos und verwandeln sich nach ihrem Tod in Schleim. Ich glaube nicht, dass wir einen solchen befragen können. Und diese meinte ich mit "falsche Mönche". Dann diejenigen, die wie Bruder Jarus normale Menschen geblieben zu sein scheinen, aber aus welchem Grund auch immer zum Bösen gewechselt sind. Diese sollten wir befragen."


Während des Essen hat Abdo aber auch dem Gespräch zwischen Freydis, Tristan und Rogar gelauscht. Obwohl er sich nicht ablenken lassen wollte, ist ihm das nicht wirklich gelungen. Folgen konnte er der Diskussion jedoch nicht, denn mit vielen der Wörter kann er einfach nichts anfangen. Deshalb schiebt er seiner Ausführung noch eine Frage nach, die ihn beschäftigt, seit er das Wort gehört hat:
"Was sind Unfreie? Gefangene?"
« Letzte Änderung: 03.08.2017, 13:04:02 von Abdo al'Mbabi »

Tristan

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Der Weihort
« Antwort #304 am: 03.08.2017, 21:55:28 »
"Jahrzehnte, sagst du? Und dann erst die Lehre? Womöglich danach noch ein Gesellentum? Wieviel länger dauert das? Ja, und wann heiratet ihr, wann bekommt ihr Kinder?"

Tristan findet das höchst interessant, was der Dain erzählt, obzwar einiges davon schon arg seltsam ist. Was, Männer sollen seiner Meinung nach nicht kämpfen? Wer dann? Auch das Unwissen des Dain über hiesige Verhältnisse lässt Tristan die Augen aufreißen. Dass Abdo, ihr neuer Drachenführer, dieselben schon verdreht, weil sie nicht bei der Sache bleiben, bemerkt Tristan sehr wohl, aber über die Sache ist ja alles gesagt und es kann nicht schaden, mit dem neuen Kampfgefährten ein wenig vertraut zu werden, bevor man sich in die Schlacht stürzt. Außerdem stärken sich ja alle nebenher und packen ihre Sachen zusammen. Nicht, dass Tristan etwas zu packen hätte, und sein Mahl ist auch bereits verschlungen—er könnte los! Aber so schnell schien der Dain nicht bereit zu sein. Offenbar hatte ein Dain immer mehr Zeit als ein Mensch.

"Ihr Dain werdet wohl sehr alt, was, dass ihr soviel Zeit habt? Da lägen wir Menschen längst unter der Erde, bis wir der Lehrzeit entronnen wären. Meine erste Lehre begann an der Mutterbrust: die des Sanges. Mit sieben kam ich zu den Mönchen, die mir den Sang austreiben und statt dessen den Kopf mit ihrem Unfug vollstopfen wollten, das war die zweite Lehre. Mit vierzehn entkam ich ihr endlich und wurde darauf von Olav im Schwert ausgebildet. Die dritte Lehre, in Recht, Rhetorik und der Verskunst, lief nebenher. Mit sechzehn ging's dann zur See und in die Schlacht und als ich von beidem zurückkehrte, war ich Herr über Olavs Haus und Hof und all seine Knechte und Mägde, denn er selbst war gefallen. Auch übernahm ich von ihm das Amt des Skalden für alle vier Inseln. Bei jedem Rechtsfall, den man unserem Jarl antrug, musste ich mich an die rechten Gesetze und Fälle erinnern und diese vortragen, damit die Gemeinschaft zu einem gerechten Urteil kam. Ein Jahr älter, als ich hätte sein müssen, wohlgemerkt. Mit fünfzehn ist bei uns ein freier Mann ein Mann und ein freies Weib darf heiraten und herauf ihre Rechtsgeschäfte tätigen. Ein Mann von zwanzig aber ist entweder verheiratet oder die Leute schieben ihm von links und rechts die Töchter vor die Nase und rufen verzweifelt: jetzt such dir endlich eine aus! Hat man mit dreißig noch kein Weib, setzen einem sogar die Fahrtenbrüder zu, deren Ställe längst voller Kinder sind. Gut, dass ich zwei Jahre später meine Lîf getroffen hab, drauf hatt' ich endlich Ruh'. Und sie, nach zwei Jahren Lehre bei unserer drudkvinde neben all der anderen Arbeit auf dem Hof, folgt der alten Esja, als diese stirbt, im Amte nach als oberste Heilerin und Weise Frau, Lîf selbst noch keine zwei Jahrzehnte alt."

Nach dieser Rede, die vielleicht ein wenig angeberisch klingt, tritt er zu seinem Weib hin, auf die er momentan stolzer ist als auf alles andere, das er in seinem Leben erreicht hat—das dürfte sein Blick deutlich verraten. Doch als er ihr gerade die Hand auf die Wange legen will, springt Lîf empört auf und giftet ihren Patienten an. Verwirrt hält Tristan inne und benötigt erst einmal eine ganze Weile, um zu begreifen, was hier vorgefallen ist. Dann lacht er. Ungläubig klingt es. Ja, so redet man auch nicht mit seiner Lîf! Oder mit einer Weisen Frau! Oder auch nur mit einem Rotschopf! Doch gleich wird er wieder ernst. Wenn Lîf so aufbraust, dann tut und sagt sie Dinge, die sie später gerne zurücknähme, und solange dies möglich ist und nicht mehr als eine Entschuldigung oder eine Versöhnungsnacht kostet, so ist kein Schaden entstanden. Aber das hier, das wird sie bitter kosten, wenn sie nicht ganz rasch auf ihre bessere Stimme hört.

"Lîf", spricht er, an ihre Seite tretend, leise an ihrem Ohr. "Der Mann ist erschöpft, verletzt, aus ihm sprechen Fieber, Enttäuschung, die Scham vor seiner Schwäche, der Neid auf uns, die sich weiter in die Schlacht stürzen können, Wut auf sich selbst und den Schicksalsmoment, der ihm das Ruder aus der Hand riss! Hast du mich nicht in einer ähnlichen Situation ganz furchtbar gescholten, als ich dem Mann die Zähne ausschlug, die du ihm hättest ziehen sollen, für seine Frechheit, dir unter den Rock zu fassen? Kranke Männer nähmen sich halt so einiges heraus, hast du mir erklärt, du wüsstest dich da schon zu wehren! Nichts anderes ist das hier, nur dass es dich schlimmer trifft, wenn jemand an deiner Entschlusskraft, deinen Fähigkeiten oder deiner Göttin zweifelt. Das verletzt deinen Stolz, nicht wahr? Das andere nur den meinen. Jetzt hol' tief Luft und denke nach: wir ziehen gleich in die eine Richtung, er in die andere. Nun stell' dir vor: wir überleben das hier und kommen nach Ansdag zurück und Talahan ist tot. Was wirst du dann von dir selbst halten?"[1]
 1. Auf Abdos Frage bzw. zum Thema Unfreie allgemein, auch zu der Sache mit den falschen Mönchen, würde Tristan ebenfalls gerne noch seinen Senf dazugeben, aber das passte hier in diesen Post nicht mehr so gut hinein. Da würde ich erst Lîfs Reaktion abwarten wollen. Deshalb tu ich hier so, als wäre Abdo hier noch nicht mit seiner Rede am Ende.
« Letzte Änderung: 04.08.2017, 00:16:35 von Tristan »

Lîf

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Der Weihort
« Antwort #305 am: 04.08.2017, 12:15:40 »
Nachdem sie sich wutentbrannt von Talahan abgewandt hat, geht Lîf langsam zu den anderen zurück, die Arme um ihren Oberkörper geschlungen, den Blick mürrisch zu Boden gerichtet. In ihr widerstreiten der Wunsch und ihre Eide, den Kranken zu helfen, mit dem Stolz, den der Gotteskrieger verletzt hat. Sie hört dem Gespräch zu, nimmt wohl auch einige Schlucke Wasser und ein paar Bissen zu sich, und steht dabei schweigend hinter Tristan. Erst auf Abdos Worte zu den Mönchen reagiert sie, indem sie einfällt: "Wenn es tatsächlich so ist, wie du gesagt hast, dann dürfen wir die echten Mönche aus zwei Gründen nicht einfach erschlagen: erstens, weil sie uns vielleicht wirklich etwas sagen können, und zweitens, weil es immer noch Menschen sind – Menschen, die erkrankt sind, wofür sie nichts können! Die anderen..." sagt sie leise, wobei ihr Blick sichtlich düsterer wird "...sollen den Zorn der Großen Mutter zu spüren bekommen..!" Und so warmherzig und fürsorglich, wie sich die junge Frau um die Verletzten gekümmert hat, so eiskalt wirkt sie bei diesen Worten. Tristan kennt diesen Ton an seinem Weib: Er verheißt Lîfs bleibende Feindschaft, die weitaus gefährlicher ist als ihr oftmals aufflammender, aber stets rasch wieder besänftigter Jähzorn.

Zu der Diskussion um die Unfreien schüttelt sie halb ungläubig, halb spöttisch den Kopf und nickt, um die Worte ihres Mannes zu unterstreichen. "Wenn jedermann bewaffnet wäre und geübt im Umgang mit Kriegswerkzeug, wie würden dann wohl einfache Streitereien zwischen betrunkenen Knechten enden? Und wie sollte ein Fürst die Herrschaft über sein Reich ausüben, wenn sich jederzeit die Dörfer gegen ihn erheben könnten? Ein Faustrecht wäre die Folge, ständiges gegenseitiges Misstrauen und sicher auch viele Tote." Dann lacht sie hell auf und fährt fort: "Und dann gar noch Weiber in Waffen?! Seht doch selbst einmal, wie ein Mann und ein Weib beschaffen sind." Womit sie den kräftigen Oberarm Tristans mit der Hand mühsam umspannt und dann ihren eigenen dagegen hält. "Glaubt ihr nicht, die Schöpferin hätte ihren Töchtern dieselben Vorzüge geschenkt wie ihren Söhnen, hätte sie gewollt, dass sie es ihnen gleichtun? Wir Weiber haben unseren Platz im Herzen der Familie, der Sippe, des Clans! Wir sind ihr Rückgrat, nicht ihre Faust! Unsere Aufgabe ist nicht das Verletzen, sondern das Heilen."

Als sie an diesem Punkt ihrer Rede angelangt ist, verstummt sie plötzlich, als habe sie sich selbst damit an etwas erinnert, eine wunde Stelle berührt. Sie presst sichtlich die Lippen zusammen und wendet sich brüsk ab, um ihre Unsicherheit zu verbergen. Es überrascht sie nicht, dass Tristan kurz darauf neben sie tritt und den Arm um sie legt. Er dürfte mittlerweile gelernt haben, ihre heftigen Gefühle zu ergründen. Stumm hört sie ihm zu, den Blick auf Talahan gerichtet. Dann sieht sie zu Boden und kämpft mit sich. Schließlich kommt ihr ein entnervt klingendes Seufzen über die Lippen, und sie erwidert ebenso leise wie er: "Wenn er die Hilfe der Herrin will... Sie ist gütig zu all Ihren Kindern – selbst denen, die Sie verleugnen. Er muss nur ein Wort sagen, und ich... ich gehorche Ihrem Gebot." Sie nagt an ihrer Unterlippe und bittet schließlich ihren Mann: "Sprich du mit ihm und erkläre es ihm." Und Tristan wird es schon ahnen, weil es stets so ist: Lîf ist bereit zu verzeihen, doch ihre ungestüme Art macht es ihr schwer, den ersten Schritt zu tun.

Tristan

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Der Weihort
« Antwort #306 am: 04.08.2017, 15:52:47 »
Von Lîf derart vor den Kopf gestoßen, verharrt Tristan erschrocken. Abermals muss sein Weib vor allen Leuten sich ihm gegenüber bockig zeigen. Will nicht einlenken, wo er sie doch darum bittet. Schickt ihn vor, er solle die Sache richten. Er schaut die anderen nicht an, wähnt sich unter ihrem spöttischen Blick. Wie, Lîf verletzt lieber seinen Stolz, als dass sie den ihren überwindet? Am liebsten will er insistieren, aber vor Zuschauern wird sie gewöhnlich nur noch bockiger, und ihm ist dies bereits peinlich genug. Wahrlich, hier steht ein Mann, der sein junges Weib nicht in den Griff bekommt...

Vielleicht habe ich auch nur vergessen, um wieviel schwerer es als junger Mensch ist, seinen Stolz zu überwinden, denn als einer, dem das Leben schon so manche Lektion in Sachen Stolz erteilt hat...

Trotzdem, auch Tristan ringt noch mit dem seinen. Da kommt ihm gerade recht, dass Abdo bittet, jemand möge ihm das Wort "Unfreier" erklären. "Die Unfreien, das sind die Knechte und Mägde, die auf den Höfen ihrem Herrn dienen, welcher über sie richten und bestimmen darf wie über die eigene Familie. Als Unfreie dürfen sie keine Waffen tragen und auch nicht vor den Jarl oder die Thingversammlung treten, um einen freien Mann oder eine freie Frau anzuklagen oder Recht von ihm verlangen oder bei einer Abstimmung die Hand zu heben." Nach dieser Rede steht Tristan zwar schon fast vor Talahan, weiß aber noch nicht, was er zu diesem sagen soll, daher wendet er sich noch einmal an Abdo.

"Und was du vorhin über die Mönche sagtest, du warst ja bei unserem Kampf nicht zugegen: es war Bruder Edgar, der zu Schleim zerspritzte, und der schien zuvor doch ganz normal und gesprächig. Dass die sechs Schreiber aber geistlos gewesen seien, das können wir nicht wissen: in einem Skriptorium herrscht Redeverbot. Hätten sie zu uns gesprochen, wäre der Täuschungsversuch aufgeflogen. Und sagte Rogar nicht vorhin, die echten Mönche wären vor vier Tagen geflohen?"

Er seufzt. Jetzt muss er sich um die andere Sache kümmern, bevor sein Zögern auffällt. Wenigstens ist man ja schon fast beim Thema.

"Deine Glaubensbrüder reden immer viel von der Wahrheit", wendet Tristan sich also an Talahan. "'Gott ist die Wahrheit', sagen sie. Und doch fällt mir immer auf, wieviel Angst sie vor der Wahrheit haben. Dass Lîfs Heckenzauber ebenso viel wie Deine frommen Gebete bewirken könnten, davor hast du Angst, nicht wahr? Vor den Zweifeln, die dir da kommen könnten. Nun kann ich verstehen, dass jemand Angst vor dem Zweifel hat, denn an seinen Zweifeln wird ein Mann getestet und nicht jeder besteht einen solchen Test. Aber darf man als Anhänger des Einen Angst vor der Wahrheit haben?"[1]

Doch bei seinen Worten wird Talahans Miene so bockig wie Lîfs. Wie die Kinder, alle beide! Aber auch die väterliche Geduld kennt ein Ende. So tritt Tristan also vor Talahan hin, die Hand locker auf den Schwertknauf gelegt, und verlangt mit lauter Stimme: "Du hast meine Frau beleidigt, dafür verlange ich eine Entschuldigung. Oder wollen wir uns unter den Fichten verabreden?"[2]
 1. Diplomacy = 11.
 2. Intimidate = 21. "Unter den Fichten verabreden" ==> die Aufforderung zu einem Duell, oft wegen der Frauen, aber immer der Ehre wegen. Gute Gründe, jemanden unter die Fichten zu bitten, wären: Beleidung, Betrug(sversuch), Diebstahl, freche Lügen, Verbreitung böser Gerüchte, aufgesetzte Hörner. Wer seinen "Zapfen unter Nachbars Fichte fallen lassen" hat, der war mit des Nachbarn Weib im Heu.)
« Letzte Änderung: 04.08.2017, 22:50:40 von Tristan »

Abdo al'Mbabi

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Der Weihort
« Antwort #307 am: 05.08.2017, 02:03:42 »
Abdo ist gerade noch dabei, Tristans Information über die Unfreien zu verarbeiten, als Lîfs Gatte wieder einmal einen seiner Ausraster bekommt. Normalerweise hat der Ya'Keheter sich inzwischen an dessen aufbrausende Art gewöhnt, aber hier und jetzt ist nicht der richtige Moment für solche Extravaganzen.

"RUHE!" brüllt er in den Raum, und sofort wenden sich alle Augen erstaunt ihm zu, während die Gespräche zumindest für den Moment zum Erliegen kommen.

Abdo geht einige Schritte auf den Barden zu, und beginnt mit harter Stimme, die keine Spur von Freundlichkeit enthält, zu sprechen.
"Niemand wird hier mit niemandem unter irgendwelche Bäume gehen!

Wie kannst du es wagen, so mit einem Mann zu sprechen, der sich für UNS aufgeopfert hat? Der in vorderster Front die Schrecken dieses Ortes hier bekämpft hat, damit du, ich und deine Ehefrau einen neuen Tag erleben können! Der, wenn nicht noch ein Wunder geschieht - und ich bete zu Aris, dass dies passieren wird - nur noch wenige Tage erleben wird.
Und warum das alles? Weil Lîf sich beleidigt fühlt? Ich gestehe, ich verstehe vieles nicht, was eure Götter betrifft. Und ich verstehe nicht, weshalb man so ein Aufhebens macht um die Frage, wie man Gott nennt. Für mich ist es eins, ob ich in ihm eine Naturkraft sehe oder ob ich ihn Aris nenne; ich glaube, es handelt sich letztendlich um die gleiche alles umspannende Kraft."


Der Kämpfer zögert einen Moment, und wendet sich dann Tristans Weib zu.

"Aber das ist einerlei. Jetzt zu dir, Lîf! Auch wenn Talahan dich vielleicht etwas grob behandelt hat: Schluck es runter! Bisher hat er es noch nicht einmal an Respekt fehlen lassen - und beim ersten Mal reagierst du beleidigt und schickst deinen Mann vor wie ein kleines Mädchen? Wo ist denn die starke Frau, die sich nichts sagen lässt und selbstbestimmt handelt? Hast du sie noch schlafen lassen?

Verdammt nochmal, wisst ihr nicht, was hier passiert? Wir stehen hier einer Macht gegenüber, die furchtbar ist und es ungewiss macht, ob irgendjemand von uns das Kommende überlebt. Und ihr habt nichts besseres zu tun, als euch gegenseitig zu bekämpfen? Wenn wir auch nur den Hauch einer Chance haben wollen, müssen wir zusammenarbeiten, und jeder muss sich blind auf den anderen verlassen können.
Ihr habt den Luxus, dass weitgehend Friede in euren Landen herrscht. Könnt ihr damit etwa nicht umgehen? Glaubt mir, ich spreche aus eigener Erfahrung: Wenn jeder Tag ein Überlebenskampf ist, dann ist man verloren, bekämpft man sich auch noch untereinander. Es gibt Shetani - Dämonen - die schlau sind und heimtückisch. Nicht die dumpfen Monster, die als deren Frontsoldaten dienen. Nein, diese Art geht anders vor: sie versuchen, den Geist der Menschen zu verführen, Keile zu treiben zwischen die Menschen. Und wenn ihnen das gelingt, dann fällt jeder Widerstand in sich zusammen. Aber hier, hier hätten sie ihre wahre Freude: Ihr nehmt ihnen ihre Arbeit selbst ab!

Und noch eines: Was für ein Menschenbild hast du, dass du denkst, einfache Knechte könnten sich nicht beherrschen, drückt man ihnen eine Waffe in die Hand? Hältst du dich für etwas besseres, oder deinen Mann? Gerade Tristan? Oder uns andere? Ich bin der einzige unter uns, der keine Waffe trägt, und bisher gab es kein Blutbad unter uns. Wieso sollte es bei Knechten anders sein? Und was für ein Herrscher ist jemand, dessen Dörfer sich nur deshalb nicht gegen ihn auflehnen, weil es ihnen an Waffen mangelt? Der sollte sich schleunigst hinterfragen. Im Übrigen kann auch ein Messer oder eine Mistgabel tödlich sein, bei manchen sogar die bloße Faust.
Und ich kenne in meiner Heimat viele Frauen, die genauso gegen die Shetani kämpfen wie ich und andere Männer auch - und die besserer Kämpferinnen sind als ich. Nur weil DU keine Muskeln besitzt, heißt das nicht, dass das für alle Frauen gilt."


Abdo scheint nun selbst zu merken, dass er etwas vom Thema abgekommen ist, und blickt reihum nochmals jeden der Anwesenden an.
"Ich weiß, wir alle sind angespannt; und unter Anspannung tut man Dinge, die man später bereut. Trotzdem und gerade deshalb will ich jetzt kein Wort des Disputs mehr hören. Wir werden JETZT unsere letzten Vorbereitungen treffen, und dann gehen wir los."

Noch einmal blickt der Ya'Keheter alle durchdringend an, als ob er sie herausfordern wollte, sich ihm entgegenzustellen.
« Letzte Änderung: 05.08.2017, 02:05:12 von Abdo al'Mbabi »

Tristan

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Der Weihort
« Antwort #308 am: 05.08.2017, 23:29:24 »
Bevor Talahan auf Tristans Ansprache reagieren kann, geht Abdo dazwischen, als hätte ihn jemand zum Jarl ernannt. Und was für einen Unsinn der Mann daherredet! Talahan soll sich aufgeopfert haben für sie alle? Das Schicksal oder der Zufall wollte es, dass Talahan und nicht Tristan oder Freydis, die auch in vorderster Reihe standen, von Edgars Schleimregen erfasst wurde. So ist das nun mal in einer Schlacht: den einen trifft's, den anderen nicht. Aufopfern, weiß Abdo überhaupt, was das heißt? Alle fünf Jahre am Disenthing, von jeglichem männlichen Wesen fünf Stück: Hahn, Hund, Pferd, Rind, Schaf, Schwein und Mensch.[1] Und wie schön für ihn, dass es ihm einerlei ist, wer von ihnen welche Gottheit anbetete: den frommen Brüdern hierzulande ist es nicht egal. Überhaupt, im nächsten Moment entlarvt Abdo sich selbst: nur einen Gott gibt es nach seiner Meinung—den einzig wahren, den seinen!—und wer ihn nicht unter demselben Namen anruft wie Abdo es tut, nun, der ruft dennoch denselben Gott an und nennt ihn bloß anders. 'Aris ist der Eine, der Schöpfer...' sagte er auf der Reise. Dieser typische Hochmut der Gottesbrüder, dieser Neid, gar Hass auf das Weib! Ein flüchtiger Moment männlicher Lust ist ihnen Schöpfungsakt, nicht die zehn Monde, in denen das Weib die Brut von ihrem Leben nährt. Es wird immer deutlicher, dass der Fremde, und kommt er von noch so weit her, ein Bruder im Geiste der hiesigen Pfaffen ist.

Und jetzt beginnt er zu spotten, nennt alles falsch, was hierzulande anerkannte Ordnung ist, redet mit Lîf wie mit einem kleinen Kind, das ihm zu gehorchen hätt'. Und fordert, was Anhänger des Einen so gerne fordern: Seid doch vernünftig, nicht so störrisch, was spielen unsere Streitpunkte für eine Rolle, solange wir gemeinsam gegen die Dämonen kämpfen müssen! Also schluckt die Beleidigungen und auch das Unrecht herunter, von dem ihr meint, das wir euch antun, es sind am Ende doch eh Lappalien. Ihr Kleinmütigen, ihr Unvernünftigen, die ihr hier Unfrieden stiftet, den Dämonen zum Gefallen. Ihr müsst doch einfach nur alles so machen wie wir, dann ist Ruh' und alles wird gut. Und während Tristan diese Beleidigungen noch verdaut, setzt Abdo bereits dem ganzen die Krone auf—und befiehlt allen das Schweigen.

Und zunächst schweigt Tristan auch. Seine Ohren klingeln. Hallende Leere verschluckt ihn, als er die Augen schließt. Vor ihm steht der Novizenmeister mit der Birkenrute. Die unreinen Gedanken wolle er ihm damit schon austreiben, versprach der feiste Mönch, und auch die lästerliche Rede. Denn die Anhänger des Einen ertragen es nicht, wenn irgendwer anders denkt oder spricht als sie.

Als Tristan die Augen wieder öffnet, schaut er Lîf an. Sein Blick wandert an ihr hinab, bis er auf der leichten Rundung ihres Leibes zu ruhen kommt. Noch nie hat er in seinem Leben den Tod gefürchtet, doch heute will er nicht sterben. Und Lîf soll nicht sterben. Sein Kind wenigstens will er noch geboren sehen. Und außerdem: Abdo sagte soeben, dass er keine Waffen trüge. Nach hiesigem Recht könnte Tristan ihn also gar nicht herausfordern, selbst wenn er dies wollte.

"Du weißt wenig über unser Land, unsere Sitten, Gesetze und Gebräuche", entgegnet er Abdo in, wie er meint, windstiller Stimme. "Oder über die Kämpfe, die wir auf unserem Boden austragen. Und wenn du allen um dich herum das Schweigen befiehlst, wirst du wohl auch nicht viel mehr darüber erfahren." Gemeint ist dies als Warnung, nicht als Drohung: dass Abdo nämlich mit solchem Verhalten eher früher denn später einmal an den Falschen geriete. "Jeder freie Mann hat bei uns eine Stimme—und jede freie Frau. Niemand kann ihnen diese verbieten, weder Drachenführer noch Hersir noch Jarl noch Konr.[2]"

Hier sucht er Freydis' Blick, weil er hofft, dort Zustimmung zu finden. Zu spät erinnert er sich daran, dass sie ihn kurz zuvor erst einen 'Rûngarder Piraten' nannte. Rasch fährt er daher fort.

"Es tut mir leid, dass deine Landsleute in Ya'Kehet täglich um ihr Leben kämpfen müssen, doch auch wenn du es nicht sehen willst: wir haben hierzulande unsere eigenen Kämpfe auszutragen, unsere eigenen Grenzen zu verteidigen. Für dich mag das Überleben das Wichtigste sein, für uns ist es die Freiheit, denn ein Leben ohne sie ist keines und man wäre besser tot. Wer von uns verlangt, dass wir unseren Glauben, unsere Gesetze, Gebräuche, unsere Ahnen und Vorbilder, ja, sogar die eigenen Namen ablegen und uns als Knechte vor ihrem Herrn in den Staub würfen, der halte uns besser keine Unvernunft vor und meine auch nicht, die Todesfurcht müsse uns dazu bewegen, zu tun wie er sagt. Meine Lîf fühlt sich nicht nur beleidigt, sie wurde beleidigt, und den Schaden, der in solcher Rede liegt, wie Talahan sie im Munde führt, kannst du gar nicht ermessen. Oder vielleicht doch: wie viele, sag, haben sich in Ansdag getraut, Rat bei der ansässigen Heilerin zu suchen? Drei! Und woran liegt das? Weil die Anhänger des Einen unsere Weisen Frauen erst als Kräuterweiblein belächeln, dann als Heckenzauberin verleumden, dann als Hexe denunzieren—und dann wird sie eines Nachts vom Volk davongejagt, wenn nicht gar erhängt, erwürgt oder ersoffen. Wie soll man da gemeinsam gegen das Unheil hier kämpfen?"

Tristan verkneift sich den Nachsatz: 'Dazu müsste man sich ja erst einmal darüber einig sein, was das größere Übel hier ist!' Er spricht auch lieber von 'Unheil' als von 'Dämonen'. Erstens ist noch längst nicht klar, dass Dämonen hier am Werke sind; Talahan zumindest vermutete zuletzt noch einen einfachen Zauber. Und zweitens blicken Astrid, ihr Vater und die beiden Pilger—Halfdan ausgenommen, den kann offenbar nichts erschüttern—äußerst erschrocken. Abdo redet aber auch sehr unbedacht daher. Kann er sich nicht denken, dass die vier im Dorf alles haarklein erzählen werden? Ausgeschmückt natürlich? Oder darf man hoffen, dass sie die Hälfte von Abdos wirrer Rede nicht verstanden haben? Sein Akzent ist ja an manchen Stellen sehr schwer zu verstehen.

Entschlossen wendet er sich wieder an Abdo.

"Warte!" murmelt Talahan da. "Lass nach, du hast ja recht!" Er schaut zu Lîf hinüber. "Es tut mir leid, dass ich so unbedacht dahergeredet habe. Ich bin alt genug und müsst es besser wissen, als Worte nachzuplappern, die man mir in der Jugend eingeredet hat, die Zeugenschaft meiner eigenen Erfahrung ignorierend. Du bist ein tapferes und ein gutes Weib. Bitte verzeih'."
 1. Die "Disen" sind weibliche Wintergeister, die es zu besänftigen gilt, sonst hört der Winter nicht auf. Alle fünf Jahre werden im Disenmond den Wintergeistern Tieropfer gebracht, in besonders rückständigen Gegenden sogar Menschenopfer (s. auch Schriftrollen, 1.3 Zeitrechnung. Den Kalender habe ich leicht überarbeitet, um mehr Dalaran-Feeling hineinzubekommen.)
Freydis & Lîf: Ihr dürft euch selbst überlegen, ob es auf Albion bzw. in Fersland noch Menschenopfer gibt. Vielleicht hat Haus Kuijt ja dafür gesorgt, dass nur Tiere geopfert werden dürfen und keine Menschen mehr, wie nach alter Sitte.
 2. Herrschertitel auf Albion und den Rûngard-Insel: Hersir etwa = Fürst, Jarl etwa = Herzog, Konr = König.
« Letzte Änderung: 07.08.2017, 11:57:12 von Tristan »

Lîf

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Der Weihort
« Antwort #309 am: 06.08.2017, 15:09:50 »
Abdos barsche Worte lassen Lîf völlig perplex den Mann mit der dunklen Haut anstarren. Sie, die unter den Händen gläubiger Anhänger des Einen schon unschuldige Kräuterweiber, Hebammen und andere Weiber hat sterben sehen, muss schwer schlucken bei den Behauptungen des Fremden, der da redet, als wüsste er, wie die Menschen in diesem Land sind. Empört schnaubt der Rotschopf: Männer mit Waffen in ihren Händen, die dennoch Frieden halten? Muskelbepackte Weiber? Alle gleich, die ungleich geboren wurden? Nun wird er ihnen gleich noch erzählen, dass in seiner Heimat der Regen aus dem Boden in den Himmel schießt, die Stiere Milch geben und die Fische durch die Luft schwimmen, während die Schafe in den Flüssen und Seen weiden! Sie setzt zu einer geharnischten Antwort an, als Tristan ihr zuvorkommt. Lîf atmet tief durch und lässt ihn sprechen – ihn jetzt auch noch zu unterbrechen, so weit gedenkt sie sein Ansehen nun doch nicht zu untergraben. Immerhin musste er sich schon von seinen Kameraden auf den Inseln stets anhören, sein Weib habe in Wahrheit die Hosen an. Zudem stimmt sie dem, was er sagt, aus vollem Herzen zu. Und er kann, im Gegensatz zu ihr, sein Temperament besser beherrschen. Sie muss ihre Wut zügeln, Vernunft walten lassen, sagt sie sich immer wieder stumm!

Und dann, noch ehe sie weiter gekommen ist, unterbricht Talahan ihren Mann und findet versöhnliche Worte. Das erinnert die junge Frau daran, dass sie eine Ulmentochter ist, und es entwaffnet ihren Zorn. Sie nickt, atmet langsam aus. Darauf wendet sie sich an den Gotteskrieger: "Ich verstehe und ich verzeihe dir deine Worte, Herr Talahan. Die Große Mutter will nicht, dass Ihre Kinder streiten – und auch du bist Ihr Kind, das sie liebt" sagt sie leise und gemessen. Ruhe macht sich in ihr breit, nachdem ihre Erregung überwunden ist, und es erscheint ihr wie ein Wink der Herrin, als ihr auch zu Abdo eine Erleuchtung kommt. Sie berührt Tristan am Ärmel und sagt ruhig: "Lad det gå... Den Store Moder har taget hans sind til sig selv.[1]" Damit ist für Lîf alles einsichtig: Abdo mag verwirrt sein, doch das macht ihn nicht zu einem Mann, den man geringer achten sollte als andere. Mit jenen, denen die Große Mutter keinen klaren Verstand geschenkt hat, hat Sie besondere Pläne. Die Narren sind Ihr sehr liebe Kinder, und darum muss man ihren Torheiten mit Geduld und Verständnis begegnen. Gewiss glaubt er alles, was er sagt, Wort für Wort selbst. Mit einem an Tristan gerichteten Nicken kniet sie sich hin, legt Talahan eine Hand auf die Brust und schließt die Augen für ein inbrünstiges Gebet, das die Kraft der Großen Heilerin in den geschwächten Körper des Mannes fließen lassen soll[2].
 1. Värangsk: Lass es gut sein... Die Große Mutter hat seinen Geist zu sich genommen.
 2. Leichte Wunden heilen: 6 Punkte, siehe hier

Freydis

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Der Weihort
« Antwort #310 am: 06.08.2017, 19:15:38 »
Lívs -und Tristans - Worten zur Rolle der Unfreien kann Freydis gerade noch so stehen lassen. Die meisten Unfreien auf den Inseln sind sicher Opfer des ein oder andern Beutezugs der Rúngarder und denen gibt natürlich niemand eine Waffe. Schon weil Aber das auch die freien Frauen sich nicht selbst verteidigen können mag sie kaum glauben. Und hält der Rotschopf sie vielleicht für ein Manweib, nur weil sie Langmesser und Streitkolben zu gebrauchen weiß? Dabei ist sie, aus Mangel an Übung und Talent noch nichteinmal besonders gut im Umgang mit den Waffen. Ihre eigene Zwillingsschwester zum Beispiel war ihr stets überlegen gewesen.
"Und was", fragt sie die Druidkvinne, "soll deiner Meinung nach eine Frau machen, wenn ihr Mann zu See oder sonst abwesend ist und sie, ihre Kinder oder ihr Haus angegriffen werden?" - Seeräuber, Kolkar und der gleichen lassen sich durch Gebete und Bitten eher selten von ihrem tun abbringen." ergänzt sie sarkastisch, "Du oder ich mögen durch unsere Gaben geschützt sein, andere müssen sich da schon selbst zu wehren wissen."

Von Abdos Rede ist sie beeindruckt und überrascht. Anscheinend ist der dunkelhäutige Fremde willens sich der Verantwortung zu stellen, die ihm Talahan übertragen hat. An seinen Fähigkeiten als Streitschlichter muss er aber noch arbeiten, auch wenn sie seiner Kritik an Lívs Frauenbild voll und ganz zustimmt. Und nach dem wenigen, was er bislang über die Zustände in seiner Heimat berichtet hat, überrascht es sie nicht, dass auch dort die freien Frauen lernen sich selbst zu verteidigen, anstatt sich nur auf die Männer zu verlassen.
Allerdings hat auch Tristan recht. Abdo ist erst viel zu kurz in Dalaran um die hiesigen Verhältnisse zu begreifen. Bei den Ahnen, sie selbst wundert sich schließlich oft genug über die Festländer und dabei sind es doch nur ein bis zwei Tagereisen mit dem Schiff zwischen Fersland und Albion.
"The storm is up, and all is on the hazard."

William Shakespeare, Julius Cæsar (1599), Act V, scene 1, line 67.

Rogar, Apothekarius

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Der Weihort
« Antwort #311 am: 07.08.2017, 07:22:47 »
Den Beginn der Eskalation zwischen Lif und Talahan nimmt Rogar zunächs nur am Rande wahr, zusehr ist er mit seinen Vorbereitungen und Gesprächen beschäftigt. Abdos Frage, wie man sich vorbereiten könnte, überrascht ihn etwas, dann grübelt er, wie er es ihm sagen kann, ohne seine frischgewonnene Autorität zu gefährden. Schließlich gibt er auf und beginnt in direkter Art: "Wir sollten unsere Stärken und Schwächen austauschen, um Taktiken im Kampf aufeinander abzustimmen. Für mich gilt: Über große Entfernungen verwende ich meine Bolzenschleuder, nähere Feinde bedecke ich mit Wurfwaffen und im Nahkampf verursache ich größtmöglichen Schaden. Daher überwinde ich die Entfernung ´zum Feind so schnell wie möglich." Eigentlich will er seine Worte fortsetzen, doch es kommt anders.

Tristans Frage beantwortet er, als wenn es offensichtlich wäre: "Das habt ihr richtig verstanden. Wir leben wesentlich länger als ihr." - Mit einem Seitenblick streift der Dain die Elbe. - "Natürlich kann sich an eine Lehre ein Gessllentum und eine Meisterschaft anschließen, die Dauer kommt auf das Talent und den Fleiß an, je anchdem dauert es Jahrzehnte oder Jahrhunderte. Manche verlassen nie den Lehrlingsstand. In die Ehe geht man sekbstverständlich, sobald man eine Familie versorgen kann." Er ist selbst überrascht, wieviel er ihm verrät, aber sich seiner Wirkung zu entziehen fällt Rogar schwer. Die Beschreibung seines eigenen Lebens lässt den Dain nachdenken. Sollte er die Wahrheit erzählt haben, passt es nicht in das Bild, dass die Schriften über Feen beziehungsweise Feennachkommen zeichnen. Aber woher sonst sollten seine Kräfte stammen? Seine Worte zur Beruhigung seiner beleidigten Frau klingen halbwegs vernünftig.

Lifs Einklinken in das Gespräch über den Vergleich der Kulturen beschwört ein schreckliches Bild herauf. Die Menschen scheinen keine geistige Reife zu erlangen in ihrer kurzen Lebensspanne, wenn sie dank ein bißchen Alkohols die Kontrolle verlieren und mit Tötungsabsicht auf ihre Mitmenschen und Vorgesetzten losgehen. Da kann keine Ordnung entstehen und die waren ihre Hoffnung, ja leider ziemlich einzige, dem Dämonenproblem Herr zu werden?! Rogar hofft inständig, dass sein Volk Wege findet, die Menschen nützlich in den Krieg einzubinden, ohne eigene Kräfte darüber zu verlieren. Einiges aus Lifs Worten über Mann und Frau und deren Aufgaben kling teinleuchtend, vor allem, wenn man bedenkt, wie viel schwächer Menschen sind, und anscheinend ihre Frauen erst recht. Nur ist der Dain es langsam leid, dass ihm offensichtlich nicht richtig zugehört wird. Hatte er nicht ausdrücklich gesagt, dass er davon spricht, allen die Möglichkeit zur Verteidigung zu geben? Hatte er jemals davon gesprochen, dass es auch nur einen Dain gäbe, der allein über sein Soldatendasein definiert wird? Wenn die Menschen so aufmerksam zuhören, wundert ihn deren Unbelehrtheit (/-barkeit) wenig.

Tristans Erklärungen zu den Unfreien wirft ein weiteres Schlaglicht auf die Struktur der menschlichen Gesellschaft. Auch wenn Rogar es durchaus versteht, dass nicht jeder bei allem mitreden sollte, ist er verwirrt davon, dass es so klingt, als würden nicht nur Fähigkeit und Wahl die Position der Anführer ausmachen. Wie sollten die Unfreien dann vertrauen haben, dass diese ihre Interessen verteidigen oder vernünftige Kompromisse im Sinne der Gemeinschaft finden? Was dann allerdings geschieht, schockiert ihn regelrecht. Natürlich hat sich Talahan danebenbenommen und eigentlich verlangt das eine Wiedergutmachung, doch geht es zunächst um etwas Kleinliches, und hatte er nicht im Einvernehmen mit dem Sir festgestellt, dass seine urechnungsfähigkeit getrübt ist, so sehr, dass er seine Aufgaben abgeben muss? Und so verständlich es ist, das einMann die Ehre seiner Lady und Familie verteidigt, so peinlch ist es, dass er einen kampfunfähigen Totkranken mit Duell bedroht, in einer Form, die vor Beleidigung selbst sinnvolle Entschuldigungen erschwert. Rogar kann nur den Kopf schütteln - was für Barbaren.

Immerhin zeigt sich - wie von Rogar erhofft - der dunkle Mann als in seine Anführerrolle wachsend. Er mischt sich ein und klärt den Streit- zumindest augenscheinlich und für den Moment. Das die Prioritäten bei der Bekämpfung von Dämonen und Unheil liegen sollten, sieht er auch so. Allerdings lässt ihn etwas anderes Aufhorchen: Dort, wo er herkommt, sein Menschenklan lebt, haben die Dämonen anscheinend schon viel mehr gewonnen. Im Anbetracht der Tatsache, das sie auch keine Dain kennen, diese also dort nicht sind, wenig verwunderlich. Aber es bedeutet auch, dass sie selbst bei einem Sieg hier Expeditionen dorthin ausrüsten müssten, um die Dämonen entgültig zu schlagen und deren Einfluss und Flüche zu brechen. Keine guten Nachrichten. An den anderen Teilen war herauszuhören, dass er noch nicht viel Erfahrung hat und seine Kultur viel verloren hat durch ihren Krieg, deren Ehrverständnis wirkt geschwächt.

Abdos herausforderndem Blick hält er zwar stand, aber ohne Widerworte einzulegen. Fast könnte man seinen Gesichtsausdruck als müde deuten. Leider untergräbt Tristan prompt die Position des neuen Anführers. Offensichtlich muss hier noch Respekt und Vertrauen erarbeitet werden, sind die Kommandostrukturen nicht klar beziehungsweise eindeutig. Rogar hofft, dass dies nicht gerade im schlechtesten aller Momente zu einem Versagen der Gruppe führen würde. Aber er war nicht in der Lage, im Moment daran etwas zu ändern, geschweige denn die Führung an sich zu reißen. Sie kennen einander besser als ihn und umgekehrt genauso. Und so sehr er seine Kräfte für den Erfolg der Mission einsetzen würde, di Verantwortung für eine Menschengruppe, die er wenig kennt und daher kaum führen könnte, will er nicht übernehmen.

Der Gotteskrieger entschuldigt sich, womit der Dain unter den gegebenen Umständen nicht gerechnet hätte. Er beweist entweder die Fähigkeit, sich über die Situation hinaus zu versetzen, oder schlicht geringere Ehre. Im Endeffekt kann es ihm gleich sein, solange die Menschen miteinander auskommen. Er fürchtet allerdings, dass dieser Streit bereits gefährliche Klüfte gerissen hat, die später zutage treten und schwer zu überwinden sein werden.

Zum Schluss gibt es noch eine positive Überraschung für Rogar, ausgerechnet ausgehend von der Berührten. Sie scheint zugehört zu haben und den Verteidigungsgedanken  hinter der Waffenausbildung zu sehen. Auch die prakmatische Haltung gegebnüber Gebeten und Flehen wirkt vernünftig.

Immerhin kann er so noch ein paar Notizen über seine neugewonnenen Informationen und Beobachtungen machen, alles andere packen und mit Rüstung, Waffen, vollem Rucksack mit Anhängseln das Bild eines überladenen Lasttieres machen. Trotzdem steht er wie ungerührt auf, spannt seine schwere Armbrust mit der Kurbelmechanik und sieht sich um, ob alle aufbruchbereit sind. Da er, vor allem, wenn die Kampfuntauglichen samt ihrem Schutz Richtung Dorf unterwegs sind, der mit den besten Ortskenntnissen ist, setzt er sich wie selbstverständlich an die Spitze. Seine Panzerung tut das übrige zu dieser Zuversicht.
« Letzte Änderung: 07.08.2017, 18:43:20 von Rogar, Apothekarius »

Aeryn

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Der Weihort
« Antwort #312 am: 07.08.2017, 23:51:54 »
Aeryn war für einen Moment überrascht, als Rogar das Blatt nahm, welches sie eigentlich Freydis überreichen hatte wollen, aber als der Dain erklärt, dass dies ein Teil seiner Aufzeichnungen sei, hat sie selbstverständlich nichts dagegen. Ganz im Gegenteil, sie verspricht ihm, wenn sie noch weitere Blätter finden sollte, dass er sie natürlich bekomme.

Bei den Geschichten über Lehrjahre und wer bei einem Volk Waffen führen dürfe oder nicht musste die Elbin schmunzeln. Die jungen Völker waren immer so flüchtig und ungelenk in diesen Dingen. Bei den Elben war es nicht wichtig, ob man als Mann oder als Frau geboren worden war, beide hatten dieselben Rechte und Pflichten. Jeder Elb würde seine oder ihre Heimat verteidigen, wenn es nötig war. Manche waren geübter im Umgang mit Waffen, andere wiederum hatten andere Talente. Aber Aeryn hatte kein wirkliches Interesse daran, dass an diesem Ort zu besprechen, daher hielt sie sich aus der Unterhaltung zurück.

Als es dann lauter wurde und beinahe ein Streit begann, wurde sie hellhörig, aber zum Glück schienen sich alle nocheinmal zu beruhigen. Was sie wirklich nicht gebrauchen konnten, war Streit untereinander. Sie hatten genug schwierige Aufgaben vor sich, ohne dass sie sich selbst noch weitere aufbürdeten.

Sie ist froh, dass Rogar dann ein wenig in eine praktischere Richtung denkt und antwortet dem Dain daher: "Nun, ich bin vornehmlich Bogenschützin und auch recht zielsicher damit. Natürlich beherrsche ich auch die verschiedenen Klingen und andere Waffen, aber ich trage sie eher für den Notfall, wenn es keine andere Möglichkeit gibt."

Abdo al'Mbabi

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Der Weihort
« Antwort #313 am: 08.08.2017, 13:00:55 »
Tristan scheint ihn offenbar missverstehen zu wollen. Scheint viel zu verbohrt in seinem Hass, als dass er verstehen will, auf was es Abdo ankommt: Dass sie hier und jetzt einander vertrauen müssen, wollen sie eine Chance haben, dies lebendig zu überstehen. Wann hat er Tristan das Wort verboten? Als er gesagt hat, dass er jetzt keine Worte des Streits mehr hören möchte?

Eigentlich müsste der Ya'Keheter den Mann nun zum Kampf herausfordern: Auch wenn er die Anführerrolle nicht haben wollte, kann er einen solchen Angriff auf seine Autorität eigentlich nicht zulassen. Doch in diesem Fall siegt seine Weisheit: Zum einen kann er kaum glaubwürdig Zusammenhalt einfordern, wenn er selbst dann die wertvolle Zeit im Zweikampf vergeudet. Zum anderen sieht Abdo seine Rolle ohnehin nur als temporär an. Wenn ihm die letzten Stunden eines gezeigt haben, dann, dass er gegenüber seinem eigentlich Ziel hier nur seine Zeit vergeudet. Natürlich wird er, auch wenn der Ursprung nach allem, was er weiß, nicht bei den Shetani liegt, dabei helfen, dieses Übel hier zu beseitigen. Schließlich ist es seine Aufgabe, die Menschen zu beschützen. Doch gilt seine Treue vor allem seinem eigenen Land, und wenn diese Menschen sich lieber untereinander bekämpfen wollen, als dass sie die Shetani zurückdrängen, bleibt ihm nur, zu denen zu gehen, die das tun - was bedeutet, dass er in die Berge gehen wird, sobald diese Episode hier vorüber ist.

Eines jedoch muss er Tristan noch sagen, bevor er die Sache hoffentlich begraben kann. Er tut dies in einem hoffentlich versöhnlichen und durchaus freundlichen Ton:
"Ich habe dir nicht und auch niemand anderem das Wort verboten. Allerdings erfordert die Situation, dass wir uns nicht untereinander zanken. Diese Disziplin wird sicherlich auch auf deinen Schiffen eingefordert.

Aber du sagst, jeder freie Mann und jede freie Frau kann die Stimme erheben - niemand kann sie ihnen verbieten. Doch wer bestimmt, wer frei ist und wer nicht? Wird nicht den Unfreien die Stimme verboten? Waren nicht auch sie einst frei, bis jemand daherkam und sie zu Unfreien erklärt hat? Was würdest du tun, wenn es dich treffen würde?
Ist es nicht eine doppelte Moral, dass ich Rechte für mich selbst einfordere, die ich anderen verwehre?


Doch sollten wir uns nun wirklich vorbereiten auf das, was da kommen mag. Um Rogars Vorschlag aufzugreifen: Ich kämpfe von Mann zu Mann, im Zweikampf. Zwar trage ich keine Waffen, aber das heißt nicht, dass ich nicht wehrhaft bin."



Gaja

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Der Weihort
« Antwort #314 am: 08.08.2017, 17:18:28 »
"Als Knecht oder Magd wird man geboren[1]", stellt Tristan klar, "genau wie jemand als Mann geboren wird oder als Frau. Wer bestimmt das? Gaja, sagen wir. Der Eine, sagen die Pfaffen. So oder so ist es die Ordnung der Welt. Ein Mann kann nicht die Aufgaben einer Frau erfüllen; ein Knecht nicht die eines freien Mannes. Zu jedem Recht gehört eine Pflicht."

Während sich nun alle erheben und ihre Schilde oder Wanderstäbe ergreifen und sich ein letztes Mal umschauen, ob niemand etwas hat liegenlassen, antwortet auch Tristan noch auf Rogars Frage. "Schwert und Schild und ins Horn stoßen", fasst er seine kämpferischen Fähigkeiten zusammen. Da auch die Zwerge ähnliche Signale in der Schlacht verwenden, weiß Rogar, was er mit letzterem meint: dass er der ist, der zum Angriff bläst, der als einer der ersten vorstürmt, die anderen mitreißt, sie in die rechte Kampfeslust versetzt, ihnen mit dem eigenen Todesmut Vorbild ist. "Und am Abend zuvor den jungen Kämpfern, die das erste Mal dabei sind, Mut zusprechen, ohne dass irgendjemand bemerkt, wie sehr sie einer solchen Zusprache bedurften, am wenigsten sie selbst."

Dann ist man endlich unterwegs.

~~~

Nachdem soeben noch alle laut und erregt durcheinander sprachen, mutet es seltsam, fast schlafwandlerisch an, wie leise sie jetzt gemeinsam erst die Treppe hinuntersteigen, dann in den Hof hinaus—natürlich hat man vorher sehr genau ausgespäht, dass dort alles ruhig ist—und weiter zum Osttor, durch das der falsche Jarus sie gestern nachmittag hineinließ. Kein Laut ist zu hören außer dem schnaufenden Atem der Kranken und Verängstigten—und dem Knirschen und Schaben und Scheppern des schwerbepackten Zwergen. Doch kein Mönch zeigt sich. Kein Schuss fällt aus dem Hinterhalt. Niemand stellt sich ihnen in den Weg.

Draußen übernimmt Talahan die Führung. Lîfs Zauber hat ihn doch sichtlich gestärkt. Er geht aufrecht und sein Blick ist etwas klarer. Als die beiden Gruppen sich schon trennen wollen, hat er eine Idee. "Begleitet uns noch bis zur Wegkreuzung kurz vor dem Abstieg", schlägt er vor. "Bestimmt werden wir beobachtet. Vielleicht können wir sie so täuschen, dass sie denken, wir zögen uns alle zurück?" Darauf sieht Aeryn sofort: "Und dann schlagen wir uns dort in die Bäume und schleichen uns in einem Bogen wieder heran und kommen fast bis an die Seite der Kapelle." Also ist die Sache so beschlossen.

Gott sei Dank, wie sich herausstellt. Diesmal ist es Lîf, die—wie schon bei Betreten des Pilgerturms—versucht, wie ein Krieger auf feindlichem Gebiet zu denken und dabei entdeckt: "Wenn ich jemanden daran hindern wollte, dass er entkommt und anderen berichtet, was hier los ist: ich würde mich da drüben auf die Lauer legen und warten, bis der Feind unter mir auf dem steilen Hang marschiert, und eine Erdlawine lostreten, die ihn unter sich begräbt oder in die Tiefe reißt." Und wie man gemeinsam dort nachschaut, Hjálmarr bei den Pilgern zurücklassend, da scheucht man tatsächlich einen falschen Mönch und zwei Hungerkreaturen aus dem Gebüsch und macht, dank der Überzahl, kurzen Prozess mit ihnen.

Dann ist wirklich Zeit zum Abschied.


~~~

Auch Aeryns Plan geht auf. Nur auf den letzten hundert Schritt finden sich weder Baum noch Strauch noch Fels, die Deckung geben könnten. Man muss daher hoffen, dass der Gegner nicht in diese Richtung schaut. Schon beim Näherhuschen fällt ihnen der verbrannte Geruch auf, der durch die Fenster des Gotteshauses dringt. Ein vorsichtiges Spähen durch den Türspalt, ein Wink mit der Elbenhand—die Luft ist rein!—dann stehen sie alle im kühlen Inneren und betrachten, nach kurzer Gewöhnung der Augen, die Verwüstungen der Sturmnacht.

Selbst die hintersten Bänke sind umgestoßen, als die zum Nachtgebet versammelten Mönche offenbar erschrocken aufsprangen und zu fliehen versuchten. Rogar deutet auf die schmale Tür im Eingangsbereich gleich rechts und erklärt leise: "Die führt am Speisesaal vorbei zur Krankenstube." Ab etwa der Mitte des Schiffes finden sich dann die ersten Blutspritzer, eingetrocknet auf Bank und Boden, und deren Verursacher: Glas- und Holzsplitter. Denn auf der westlichen Stirnseite der Kapelle muss sich ein großes Glasfenster befunden haben—Zwergenarbeit, zweifellos!—kreisrund bis auf die vier Eckpunkte eines Kreuzes, die über den Kreisrand hinausragen. Doch von der ganzen Pracht sind nur noch einige bunte Glassplitter übrig, die in ihrem Rahmen stecken wie abgebrochene Zahnstümpfe und unter den Füßen der langsam weiter vordringenden Gefährten knirschen.[2]

Freydis fällt noch etwas auf. Nicht nur das Glasfenster ist zerstört: jedes Zeichen des Einen wurde verschandelt. Sie hebt eines der verstreuten Gebetsbücher auf: tatsächlich! Das Reifkreuz auf dem Ledereinband ist zu Unkenntlichkeit verbrannt—zielgenau. Der silberne Kerzenhalter dort—zerschmolzen zu einem unförmigem Klumpen. Die Stoffe, die an den Wänden hingen und sicherlich mit heiligen Symbolen oder Bildern bestickt waren: verbrannt bis auf einige rußige Fetzen. Die Sache scheint ihr eindeutig: hier hat jemand seine Wut auf den Einen und seine Anhänger hemmungslos ausgetobt.

Schließlich erreichen sie das Chorhaupt. Der Boden hier besteht aus einem Mosaik, das—wen wundert's, ein Reifkreuz zeigt. Die Endpunkte des Kreuzes liegen hier auf dem Kreis und reichen nicht—wie im Fenster—darüber hinaus. Vielleicht, weil er sich von den Brand- und Blutflecken ablenken will und dem fauligen Geruch, welcher sich hier dem Brandgeruch beimengt—jedenfalls fällt Abdo dieser Unterschied auf und er fragt nach seiner Bedeutung.

"Das Symbol nennt sich Reifkreuz", erklärt Tristan bereitwillig. "Der Kreis steht für das Jenseits, das Kreuz für das Diesseits, und zusammen steht das Kreuz im Kreis für die ewige Herrschaft Gottes auf Erden. Wenn aber die Eckpunkte den Kreis durchstoßen, so steht das Reifkreuz für die Aufgabe aller Gläubigen, das Wort Gottes in die Welt hinauszutragen und es so unter sämtliche Völker zu bringen, bis sich die ganze Welt zu Gottes Wahrheit bekennt und überall Frieden einkehrt." Dies sagt er erstaunlich neutral, ganz ohne seine sonstigen Seitenhiebe auf die Behadrim. Es klingt allerdings auch wie etwas, dass ein Schüler einst hat auswendig lernen müssen.

Und wie Abdo dann auf seine weiteren Entdeckungen zeigt—"In der Mitte des Kreuzes muss einer gestanden haben und von dem Blitz, den Rogar erwähnte, getroffen worden sein und seht, wie die Brandspuren das Kreuz nachzeichnen, als sei der Blitz von der Mitte zu allen vier Eckpunkten gesprungen"—so eilt ihm Tristan abermals erklärend zur Seite, das Reifkreuz abschreitend und dabei mit dem Finger deutend:

"Hier in der Mitte wird Abt Halfir gestanden haben. Die Mitte des Kreuzes repräsentiert das Element Luft, im höheren Sinne die Seele, oder auch Gott. Vertreten durch den Abt, als obersten Gläubigen des Klosters. Hier das Fenster geht nach Westen und dort ist bei den Behadrim die Kälte zuhause, aus keinem anderen Grunde, als dass im alten Glauben hier das Reich der Feuerriesen liegt. Also wird unser Freund Jarus hier gestanden haben, denn er lädt die Pilger ins Haus und lässt sie nicht in der Kälte stehen. Das Feuer aber sehen die Behadrim im Norden, denn Norden ist für sie gleich oben und oben am Himmel steht über allem die Sonne. Hier wird Edgar, der Bibliothekar seinen Platz haben, denn damit das Feuer des Glaubens sich ausbreitet, muss die heilige Schrift und das heilige Wort verbreitet werden, aufdass die Wahrheit Gottes allerorts die Herzen entflamme. Hier im Osten dann das Wasser, also der Novizenmeister, denn Wasser ist ein formloser Stoff, so wie die Novizen in seiner Obhut noch formlos in ihrem Denken sind. Oder vielleicht soll's auch für ihren Wissensdurst stehen, den er zu stillen gedenkt. Und zuguterletzt: hier auf dem Südpunkt wird der Infirmar gestanden haben, denn für die Behadrim ist die Erde das niedrigste der Elemente. Vermutlich konnte er sich mit einem Sprung in den Treppenaufgang retten, denn laut Rogar war er nicht unter den Opfern der Sturmnacht und hier auf der Treppenstufe, schau, da hat er sich die Hand aufgeschlagen."[3]

Tatsächlich sieht man auf der sechsten Stufe der Wendeltreppe zum Turm einen Handabdruck aus getrocknetem Blut. Im Norden dagegen ist der Boden fast vollständig von Blut- und Rußspuren bedeckt. Tristan bemerkt, wie seine Gefährten ihre Blicke nicht davon losreißen können. "Zum Nachtgebet müssen nur die älteren Novizen erscheinen, die schon fast für die Priesterweihe bereit sind. Die jüngeren... dürfen die Nacht durchschlafen."

Auch hier weiß Rogar zu sagen, wohin die Tür führt: "Einige Schlafkammern, danach die Treppe in den Keller und nach oben, dann die Bibliothek."
 1. Das ist in ganz Dalaran so. Selbst die Kinder eines Hausherrn mit seiner Magd werden als Unfreie geboren (s. hier, unter "3. Gesellschaftsordnung" der Abschnitt "Die Unfreien"). Tristan unterschlägt hier lediglich, dass Kriegsgefangene (oder Beute Rûngarder Seeräuber) zu Unfreien werden. Einen zweiten Punkt hat Freydis erwähnt: wer verschuldet ist, kann sich vorübergehend in die Unfreiheit begeben, bis er die Schuld abgezahlt hat. Ihre Behauptung, jemand könne für ein Verbrechen zum Unfreien erklärt werden, stimmt nicht ganz, aber: wer eine Schandtat gegen ein Mitglied der eigenen Sippe begeht, wird aus dieser ausgestoßen, wodurch er auch seine Rechte und den Schutz der Sippe verliert. Er wird "friedlos" (= in etwa 'vogelfrei', s. "Blutschande" unter "3.1 Sippengemeinschaft, Schicksalsgemeinschaft" in den Schriftrollen). Will nur sagen: Tristan lügt hier nicht. Er lässt nur die letzten juristischen Feinheiten aus.
 2. Perception: Aeryn 12, Freydis 13, Rogar: 13, Abdo (passiv) 17, Lîf 18
Zur Erinnerung für den, der auf die Karte blickt: die große Tür in der Mitte, zwischen 1A und 2A, existiert NICHT. Nur die beiden kleinen, seitlichen (Ost bzw. West). Die Treppe in den Turm ist VIEL kleiner als eingezeichnet: eine schmale Wendeltreppe in der Südwestecke.
 3. Im alten Glauben steht die Erde im Mittelpunkt des Kreuzes, das Feuer links (West), Frost rechts (Ost), Wasser unten (Süd), Luft oben (Nord). Feuer und Frost sind gegensätzliche Elemente, ebenso Wasser und Luft. Feuer und Wasser sind rein weibliche Elemente; Frost und Luft (Elektrizität) rein männliche; die Erde verbindet alle vier. Dies ist hier durch gegenüberliegende Position auf den vier Eckpunkten angezeigt - und die Erde ist das verbindende Element in der Mitte. So, wie der neue Glaube die fünf Elemente auf dem Kreuz positioniert, geht diese ganze Ordnung verloren.
« Letzte Änderung: 11.02.2018, 15:29:45 von Gaja »

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