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Autor Thema: Erstes Buch: Das verlorene Paradies  (Gelesen 43409 mal)

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Idunivor

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Erstes Buch: Das verlorene Paradies
« am: 28.01.2017, 20:01:18 »
In arms not worse, in foresight much advanced,
We may with more successful hope resolve
To wage by force or guile eternal war
Irreconcilable, to our grand Foe,
Who now triúmphs, and in th' excess of joy
Sole reigning holds the tyranny of Heav'n.

Kaum merklich aber doch spürbar war der Frühling in diesem Jahr herangekrochen im Paradiestal. Der Winter hatte die Stämme fest in ihrem Griff gehalten und die mutierten Tiere hatte viel Zeit gehabt, um zu reden und Pläne zu schmieden, während draußen eine weiße Pracht das Tal in einen eisigen Mantel gehüllt hielt. Hier sprach man über alles und jeden, aber hinter vorgehaltener Hand wurde viel gemurmelt, von neuen Entführungen, von der Tyrannei der Wärter, vom Widerstand. Für die meisten war er kaum mehr als ein Gerücht, aber doch schien dieser Widerstand überall präsent. Egal, ob durch das Flüstern eines Fremden in einer dunklen Ecke oder ein kleines Briefchen, das plötzlich im Gepäck aufgetaucht war, auf die ein oder andere Art wurden verschiedene Bewohner des Paradiestals eingeladen, den Dachsstamm aufzusuchen und zwar in der Nacht des "Wilden Tanzes". Die großen Feiertage waren seit jeher Gelegenheit, um alte Bekannte zu besuchen, und so dürfte es weniger verdächtig sein, wenn so viele Fremde beim Außenposten des Dachsstamms auftauchten, auch wenn er fernab der anderen Außenposten gelegen war - und fernab der Augen des Hundestamms und der Wärter.
So kam es, dass sich im Laufe mehrerer Tage vor dem Abend des "Wilden Tanzes" einige Fremde in den baufälligen Betonbauten wiederfanden, die den Eingang zum Außenposten der Dachse verbargen. Hier oben, wo die Dachse selbst nicht lebten, bekamen Besucher für gewöhnlich Unterkunft. Also fanden sich ein Kaninchen, ein Bär, ein Luchs und zwei Echsen hier in den zugigen Hallen wieder, die mit ihren grauen Wänden und von Spalten durchzogenen Fußböden nicht sonderlich einladend wirkten. Die Fremden wurden kritisch beäugt von den Bewohnern des Dachsbaus, insbesondere Garcia 13 und Stind 73. Aber da die alte Schildkröte öfters zu Besuch kam, gab es kaum mehr als misstrauische Blicke. Man ließ sie auch in die offenen Bereiche der Tunnel unter dem Hügel hinein, wenn sie einen guten Grund nennen konnten dort hinunter zu müssen, aber die meiste Zeit verbrachten die Dachse dieser Tage so oder so im Freien.
Die Sonne stand bereits tief am Himmel und in wenigen Stunden würde der wilde Tanz beginnen. Zwei große Scheiterhaufen waren unweit des Hügels, auf dem die zwei Gebäude aufragten, aufgeschichtet worden und es würde nicht mehr allzu viel Zeit vergehen, bis sie in glühenden Flammen aufgingen. Dann würde es keine Worte mehr geben nur noch Fauchen, Brüllen und Heulen, keine Werkzeuge, sondern bloße Krallen und Tatzen, selbst Kleidung würde etwas rarer werden, auch wenn die Kälte noch nicht entschwunden war und nur sehr wilde Welpen die Gelegenheit nutzen würden, den Blicken der Älteren zu entschwinden und sich mit einer anderen Art von Tanz zu befassen, bei dem Kleidung doch eher störend war. Aber noch mussten einige Vorbereitungen getroffen werden und die Fremden beobachteten das Treiben.
Alles geschah mehr oder weniger um sie herum. Wiesel liefen an ihnen vorbei um noch mehr Holz zu holen, Vielfraße und Marder bauten in der Nähe der Scheiterhaufen Tische auf, die später mit Speisen gefüllt sein würden. Zwei von ihnen, ein Veilfraß mit besonders zottigem braunen Fell und ein Marder mit einer neongelben Schirmmütze auf dem Kopf gerieten dabei aneinander und wenig später stürzte einer der Tische um, gemeinsam mit den beiden Streithähnen, die beinahe ineinander verbissen waren. Ein alter Dachs, der sein Fell im Nacken und am Kinn in gewundenen Zöpfe geflochten hatte, stapfte auf die beiden zu und tönte mit donnernder Stimme: "Hackl! Pechstein! Lasst den Unsinn, es ist noch viel zu erledigen bis heute Abend." Beide rappelten sich hastig auf und ließen sofort voneinander ab, als sie den Dachs auf sich zukommen sahen. Trotz seines Alters war Hannawald 37 eine ehrfurchtgebietende Erscheinung. Sein Fell glänzte nicht mehr wie früher in schwarz und weiß, sondern die Farben hatten an Kraft verloren. Das galt allerdings nicht für den Rest seines Körpers. Beachtliche Muskeln waren dank der ärmellosen Weste aus braunem Leder an seinen Oberarmen zu erkennen. Und nur weil er sich auf den hölzernen Stab des Alphas stütze bedeutete das nicht, dass er ihn wirklich brauchte, um laufen zu können.
Selbst für die Fremden war dieser Dachs ein beeindruckendes Exempel seiner Spezies und sie konnten nicht so recht die Augen von ihm lassen, während sie um sich herum viel Trubel erlebten. Das galt allerdings nicht für Thofelt 42. Zum einen hatte der alte Dachs dafür schon zu viel Zeit mit Hannawald 37 verbracht, zum anderen gab es auch für ihn viel, was ihn ablenken konnte: wichtige Aufgaben, die er zu erledigen hatte und vielleicht die zwei Wiesel, die sich mit einem toten Baumstamm von beachtlicher Größe abmühten. Der Schweiß von der Anstrengung ließ ihr Fell glänzen und der rote Glanz eines dieser Felle hielt Tholfelts Blicke gefangen.
The only ones who should kill are those prepared to be killed.

Laetitia 87

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Erstes Buch: Das verlorene Paradies
« Antwort #1 am: 31.01.2017, 18:36:50 »
In einer Ecke der ungemütlichen Betonhalle hockte die Luchsseherin mucksmäuschenstill im Schneidersitz auf dem Boden und beobachtete das Hin- und Herwuseln der Dachse und ihrer Gäste draußen im Freien. Auf den ersten Blick fiel sie einem gar nicht auf - ein gefleckter, regungsloser Schatten am Rande der Wahrnehmung - einige Jungtiere hatten sich aber schon mächtig erschreckt, als sie plötzlich merkten, dass da schon die ganze Zeit ein Katzengesicht ohne zu blinzeln durch sie hindurch starrte.
Laetitia 87 wußte natürlich ganz genau, welche Wirkung sie auf andere hatte, insbesondere Nichtkatzen, für die geräuschloses, geduldiges Lauern nicht zum Jägeralltag gehörte. Die mystische, ja gespensterhafte Aura kultivierte sie mitunter völlig bewusst, dennoch steckte hinter ihrer Erscheinung mehr als Trickserei und Blendwerk. Als Seherin bewegte sie sich stets in zwei Welten, der sichtbaren und der unsichtbaren, kommunizierte mit Zeitgenossen und Ahnen gleichermaßen und wußte doch recht viel von dem, was im Paradiestal passierte. Der Widerstand war für die Mystikerin nicht bloß ein Gerücht - er war längst Wirklichkeit, so sehr sich zu gemütlich gewordene Älteste oder kläffende Alphas dagegen sträubten. Auch in der Geisterwelt herrschte Uneinigkeit, doch die schlafende Schlange war erwacht, und im Gegensatz zu den Wärtern war das Verlangen nach Freiheit und Ausgleich eine Urgewalt, die sich nicht ewig zurückdrängen ließ.
Laetitia hatte viele Nächte Zeit gehabt, über ihre Rolle in diesem Gefüge nachzudenken und mögliche Zukunftsvisionen zu erforschen, und diese Zeit auch genutzt. Das Ergebnis ihrer Überlegung war ihre heutige Anwesenheit im Außenposten der Dachse - hier, einem sehr mundanen Boten, der Lemure Zeilinger 34, zufolge, würde sie mehr oder minder alte Bekannte antreffen und weitere Ereignisse ins Rollen bringen können. Ihr Besuch bei den Dachsen konnte unverdächtiger nicht sein: dass die Luchsin regelmäßig beim brummeligen alten Tränkepantscher Thofelt 42 aufkreuzte und sich an den Früchten seines Handwerks gütlich tat, war für viele Marderartige nichts Neues. Dass sie also gerade zur Nacht des Wilden Tanzes irgendein Gebräu aus Wermut und Katzenminze vom Kesselrührer ihres Vertrauens zu beziehen suchte, dürfte wirklich niemanden überraschen.
Die Seherin verbrachte eine halbe Ewigkeit damit, dem Treiben vor der Halle zuzuschauen und nicht einmal mit den Ohren zu zucken, selbst wenn andere, die sie plötzlich bemerkten und sich erschreckten, es taten. Dann, ohne Vorwarnung, stand sie rasch und unvermittelt auf, in einer fließenden und irgendwie verstörenden Bewegung, wie ein Wassertropfen, der nach oben fällt. Wenige kurze Schritte trugen sie zum zotteligen Dachsheiler, dessen Sichtfeld von einem Augenblick auf den nächsten von einem wohlbekannten, umgenähten schwarzen Shirt ausgefüllt wurde. Der Duftgemisch aus Katzenhaar und absonderlichen Berg- und Sumpfkräutern ließ keinen Zweifel an der Identität des Gastes übrig, der Thofelt so zielgerichtet den "sonnigen Ausblick" versperrt hatte.
« Letzte Änderung: 06.02.2017, 16:21:53 von Laetitia 87 »

Weißherbst

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Erstes Buch: Das verlorene Paradies
« Antwort #2 am: 31.01.2017, 21:02:12 »
Weißherbst beobachtete das Treiben um sich herum in höchster innerer Anspannung. Jeder Aufenthalt in Raubtierhabitaten verursachte einen gewissen Stress bei ihm, doch heute war es selbst dafür eine außergewöhnliche Situation. Schon jetzt knisterte die Luft beinahe vor Spannung, und wenn später die Feuer brannten, würden etliche der anderen Tiere sich den Urinstinkten ihrer Vorväter hingeben - für einen Hasen, umgeben von Raubkatzen, Mardern und Schlangen war dies nicht gerade eine beruhigende Vorstellung.

Weißherbst selbst konnte mit dieser Tradition nur wenig anfangen und hielt sich gewöhnlich von den Festivitäten fern, doch diesmal hatte er kaum eine Wahl gehabt, denn Kaka 12 - Einzahn - hatte ihn persönlich mit der Aufgabe betreut, heute hierherzukommen. Den Grund hatte ihm der ältere Rebellenoffizier nicht genannt, doch das war nicht ungewöhnlich für die zu höchster Verschwiegenheit gezwungenen Aufständischen, und seit Weißherbst offiziell der Rebellion beigetreten war, hatte er schon häufiger ähnliche Situationen erlebt - nicht jedoch in einer solch gefährlichen Umgebung.

Der Hase, dessen weißes Winterfell schon wieder fast komplett dem bräunlichen Ton des Sommers gewichen war, nahm sofort einen größeren Abstand, als die Streithähne Hackl und Pechstein sich ineinander verbissen. Es ging los. Schon bald würde es für die Mitglieder des Kaninchenstammes, die schwächsten Bewohner des Tales, brandgefährlich werden. Aus seiner nun etwas abseits gelegenen Position sah er sich nun genauer um und versuchte, mögliche Verbündete zu finden, die ihn schützen könnten, würde es zum Äußersten kommen. Doch außer den Mitgliedern des Dachsstammes unter ihrem beeindruckenden Alpha Hannawald 37 waren nur wenige Außenstehende zu sehen.

Als erstes erspähte er die Seherin Laetitia 87; sie würde ihm schon einmal keine Hilfe sein. Im Gegenteil war der Luchs für ihn vermutlich eine größere Gefahr als alle Marder, Wiesel und Dachse zusammen. Einige Augenblicke später jedoch sah die Lage schon wieder etwas besser aus, nachdem er nacheinander Sting 73, Garcia 13 und vor allem Burton 05 erblickte. Sting war zwar ebenfalls ein Räuber, doch Weißherbst kannte ihn bereits und wusste, dass er ebenfalls in der Rebellion aktiv war. Er hoffte, dieses gemeinsame Band würde verhindern, dass die Echse in ihm plötzlich einen Nachtisch sah. Garcia wurde ihm sicherlich nicht gefährlich, und auch wenn er die alte Schildkröte recht langweilig fand, würde seine bloße Anwesenheit vielleicht schon abschreckend auf die Dachse wirken. Am meisten freute er sich jedoch über die Anwesenheit von Burton, der einer der wenigen im Tal war, die er als Freund bezeichnen würde - und es außerdem locker mit einem ganzen Rudel dieser Dachse würde aufnehmen können. Mit aufgehellter Miene sprang er in wenigen Sätzen zu dem Bär, um dort abzuwarten, was weiter passieren würde. Irgendwer würde sicherlich auf ihn zukommen und ihm erklären, weshalb er hierher bestellt wurde. Hoffentlich, bevor alle ausflippen.

"Hi Burton, waf treibt diff denn hierher?"
« Letzte Änderung: 09.02.2017, 11:48:38 von Weißherbst »

Garcia 13

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Erstes Buch: Das verlorene Paradies
« Antwort #3 am: 03.02.2017, 00:41:02 »
Garcia 13 schaute sich die versammelten Gestalten an, die sich zum Fest eingefunden hatten. Ihm waren die Blicke der Dachse und ihrer Verwandten, die ihn immer wieder streiften, nicht entgangen. Aber er hatte sich über die Jahre daran gewöhnt und so störten sie ihn nicht.
Er hatte sich einen Platz auf einer der Bänke gesichert, die nah an einem der Holzstapel stand. Die Vorfreude auf das bald in seinem Rücken prasselnde Feuer wärmte ihn schon jetzt ein wenig.

Als der Kampf zwischen Vielfraß und Marder ausbrach, seufzte die alte Schildkröte auf und drehte sich mühsam in die Richtung des Spektakels.
Ach ja, die Jugend! So ungestühm müßte man noch mal sein.
Ein wenig bedauerte er es, als der Konflikt so schnell vom Anführer der Dachse beendet wurde. Denn für Garcia 13 waren solche Kämpfe, gerade unter den Jüngeren, auch immer ein Ringen um den Status im Stamm.
Aber vielleicht würden die beiden sich ja später weiter miteinander raufen...
Er verlor sich in Gedanken daran, wie er früher gefochten hatte. Auch wenn viele ihn für langsam hielten, konnte er doch auch ganz schon austeilen.

Aber dann kehrte sein Geist wieder ins Hier und Jetzt zurück. Noch einmal holte er den Zettel hervor, der diesmal für ihn persönlich bestimmt gewesen war. Sonst überbrachte er eigentlich immer die Briefe an andere im Tal, weil er einer der Wenigen war, die immer von Stamm zu Stamm unterwegs waren.
Langsam strich er das Papier glatt und las noch mal die Einladung zum "Wilden Tanz" bei den Dachsen.
Er wußte, daß der Brief nicht von seinem Freund Thofelt 42 stammte, denn die Schrift war eine andere.
Aber wer hatte ihn wohl eingeladen? Und warum?
Er hoffte, daß sich der geheimnisvolle "Gastgeber" bald enthüllen würde, damit er das Fest ungestört geniessen konnte.   

Sting73

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Erstes Buch: Das verlorene Paradies
« Antwort #4 am: 04.02.2017, 10:25:30 »
Schon seit einiger Zeit hatte Sting Kontakt zum Wiederstand. Es war anfangs ein rein geschäftlicher Kontakt. Sie lieferten Sting Rohstoffe, Nahrung und Wasser, und er fertigte und reparierte Waffen für sie, so hatten beide etwas von der Geschäftsbeziehung. Es gab bisher edoch nie wirklich feste Ansprechpartner. Es kamen immer wieder unterschiedliche Personen zu ihm. Oftmals lief es sogar über Mittelsmänner oder Zwischenhändler. Dieser Brief war nun der erst wirkliche direkte Kontakt zum Wiederstand. Sting freute sich irgendwie darauf endlich selbst etwas aktiver zu werden, denn diese ständig steigenden Zölle, abgaben, Kontrollen und Schikanen der Wächter fingen ihn an immer mehr zu nerven. Das einzige was ihn an diesem Treffen störte war, das es ausgerechnet bei den Dachsen sein musste. Irgendwie waren ihm diese Dachse nicht ganz geheuer. Sting konnte es zwar selbst nicht genau sagen warum, aber irgendwie mochte er sie nicht.

Als Sting nun durch das Lger der Dachse streifte fühlte er sich ständig beobachtet und hatte immer wieder das Gefühl das sich wohl am liebsten gleich jemand auf ihn stürzen wollte. Da war es schon fast erleichternd als er in eingen Schritt Entfernung seinen Freund Burton sah. Der große Bär stoch eindeutig aus der Masse heraus, alleine schon wegen seiner Größe. Er wollte hier in der Menge jedoch nicht unbedingt sofort erkenntlich machen das er den Bär kannte. Sting war sich noch nicht so ganz sicher wie sich das ganze hier entwickeln würde. Im Fall eines Kampfes könnte es vorteilhaft sein wenn man den Überraschungsmoment auf seiner Seite hat und plötzlich einen unerwarteten Freund an seiner Seite hat.

Einen Moment später sah er Garcia etwas abseits auf einer Bank sitzen. Sting war eröeichtert ein weiteres bekanntes Gesicht zu sehen. Es könnte bestimmt nicht schaden wenn Sting sich auch erst einmal etwas zurück hält und das ganze mit etwas Abstand betrachtete und sich neben eine potenziell harmlose Gestalt gesellte. Er machte sich auf zu Garcia und näherte sich ihm.

Grüße dich Garcia 13. Ist der Platz hier neben dir noch frei? Ganz schön viel los hier.

Thofelt 42

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« Antwort #5 am: 04.02.2017, 11:35:32 »
Thofelts Blick und Gedanken waren abgelenkt, das Fest selbst interessierte ihn in seinem Alter nicht mehr, er hatte es schon viel zu oft erlebt und der Sinn wie die Aufregung hinter sich gelassen. Aber die Jugend hatte immer noch ihren Spaß damit, vor allem am Ende, wenn sie verschwunden würden, um andere Sachen zu feiern, zu zweit, abseits von Leuten wie ihm. Während er das Wiesel beobachtete schweifte seine Gedanken wieder ab und er seufzte, für einen Moment wünschte er, er wäre wieder jung. Aber Thofelt war alt und eigentlich sollte er nicht mehr Zeit hier draußen verschwenden, es gab Gebräu zu fertigen, Kräuter zu sammeln und zu forschen. Für viel mehr war er sowieso nicht mehr zu gebrauchen und das Fest sollte den Jüngeren überlassen werden, die Wildheit ihrer Gesellschaft war nichts mehr für ihn, er genoss seine Arbeit, auch wenn sein Verstand nicht mehr der Schärfste war. Anderseits war es ein schöner Tag und er konnte sicher noch etwas länger draußen bleiben, den Anblick genießen und vielleicht sogar aushelfen. Ja das könnte er. Doch bevor er weiteren Gedanken nachhängen konnte oder gar eine Entscheidung treffen, schob sich plötzlich eine Katze in sein Blickfeld, Laetitia 87.
Thofelt 42 seufzte erneut und schaute zu Laetitia 87. Mit einem grummelnden Ton sprach der Dachs.
“Die neue Ladung ist noch nicht fertig, aber das weißt du garantiert schon, deine Ohren sind groß genug, um mich beim letzten Mal schon verstanden zu haben. Was machst du also ausgerechnet zu diesem Fest hier bis uns?“
Brummte er und versuchte förmlich durch die Seherin hindurch zu sehen.
Vergiss deinen tollen Plan. Ich habe hier genau das richtige Mittel dafür.

Laetitia 87

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« Antwort #6 am: 06.02.2017, 18:41:03 »
Die eben erwähnten bepinselten Ohren der Luchsseherin zuckten leicht, was die gebleichten Amselschädel, die Laetitia 87 an ihnen als Schmuck trug, leise rasseln ließ - oder zwitscherten so die Geister der längst verspeisten Vögel? Solche schaurigen Sinnbilder kamen einem häufig in den Sinn, wenn man sich in Gesellschaft der Seherin befand; ob sie etwas damit zu tun hatte, ließ sie stets als offene Frage im Raum stehen.
"Ohren... sind zum Lauschen und zum Flauschen," amüsierte sich die Katze über die Wortwahl des Dachses. Ihre Augen huschten für einen Moment zu dem paar rotbepeltzter Ohren, die der alte Heiler nicht ungerne geflauscht hätte, ihres neckenden Gebarens war sie allerdings nur halb bewusst. Mit breiter werdenden Pupillen kehrte die Mystikerin zum eigentlichen Thema zurück, mehr oder weniger.
"Ohren hören Dinge, Augen sehen Dinge. Ein Pilzchen hat's mir zugezwitschert: Ein Alter Mensch sitzt vor einem eckigen Kasten und schaut hinein. Im Kasten sind Tierchen, ein Dachs, eine Katz, ein Has', ein Bär, eine Echs', eine Schildkröt', sie rennen durch einen Wald aus Schachteln wie der hier," mit einem Nasenzucken wies Laetitia auf die marode Betonhalle, vor der sie standen, "Werden doppelt und dreifach und glücklich und schleudern die maskierten Blechfratzen dem Alten Menschen ins Gesicht."
Die Visionen der Luchsin - und deren Darstellungen durch die selbige - waren meist wirr, aber das wusste sie ja. Sie wollte ja auch nicht etwas verständlich machen, was man nur verstehen konnte, wenn man es selbst erlebt hatte; die Quintessenz ihres Gleichnisses war für Thofelt 42 aber überaus greifbar: Die Seherin war weniger des Wilden Tanzes wegen heute im Außenposten der Dachse (oder zumindest nicht nur), sondern weil sie irgendeiner Art Hinweis oder Eingebung gefolgt war. Ob er diese Information nun ernst nahm oder überhaupt für real hielt, blieb dem alten Heiler natürlich selbst überlassen.

Garcia 13

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« Antwort #7 am: 08.02.2017, 23:36:38 »
Garcia 13 schaute auf, als er so unvermittelt angesprochen wurde.
"Ah, Sting 73! Ja, ja, setz dich ruhig. Ist ja nicht so, als würde mir hier irgendwas gehören."
Die alte Kröte klopfte auffordern auf den Platz neben sich.
Nebenbei steckte er den Zettel weg, holte aus einer anderen seiner Taschen ein paar große Blätter und fing an, diese langsam zu zerkauen, während er die Unterhaltung fortführte.
"Ganz schön viel los und ordentlich Trubel, was?
Bin mal gespannt, wie diese Fusselbälle feiern.
Wenigstens schaffen sie genug Holz für ein ordentlich heißes Feuer herbei."

Aufmerksam studierte Garcia seinen Banknachbarn.
Könnte er der geheimnisvolle Fremde sein, auf den er wartete? Wohl eher nicht, schliesslich hätte er ihn dann auch im eigenen Stammesgebiet ansprechen können.

Thofelt 42

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« Antwort #8 am: 09.02.2017, 16:12:41 »
Thofelt war zu alt, um sich von der viel zu jungen Katze jetzt noch irgendwie vorführen zu lassen. Der alte Dachs verschränkte die Arme und wendete seinen Blick vom dem Wiesel ab, um Laetitia 87 seine volle Aufmerksamkeit zu schenken. Die angebliche Vision ließ ihn nur nachdenklich das Kinnfell kraulen. Manchmal fragte er sich, ob nicht vielleicht doch weniger von dem Zeug für die Seherin brauen sollte, aber er hatte es längst aufgegeben ausgerechnet dieser Katze etwas vorzuschreiben. Die Vision versprach jedoch mehr als Ärger und ließ ihn aufhorchen. Gerade die Erwähnung dieser spezifischen Tiere.
“Ich hoffe deine Pilze machen dir keinen Ärger und ich hoffe du machst keinen Ärger.“
Brummte er und schaute sich um. Tatsächlich konnte er all diese Tiere entdecken, darunter Garcias 13, der sich mit einer Echse unterhielt, Sting 73, so glaubte er. Das konnte doch kein Zufall sein oder? Was hatten sie wohl vor? Und ausgerechnet Walter 08 war auch noch gekommen. Der junge Hase wusste einfach nicht was gut für die Gemeinschaft war. Es würde garantiert Probleme geben. Er schüttelte enttäuscht den Kopf und strich sich durch den Fellbart.
“Ich hoffe du weißt was du tust und dir ist bewusst, dass deine Taten nicht nur dich betreffen. Die meisten fürchte ich habe das schon lange vergessen.“
Wanderte sein Blick ungewollt über Walter 08 und auch die Wieselin, die er zuvor betrachtet hatte.
Vergiss deinen tollen Plan. Ich habe hier genau das richtige Mittel dafür.

Burton 05

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« Antwort #9 am: 11.02.2017, 23:18:09 »
Burton 05 war kein geselliger Typ. Wie die meisten Vertreter seiner Art bevorzugte er es, von den anderen Stämmen in Ruhe gelassen zu werden. Von ein paar nützlichen Geschäften hier und da natürlich abgesehen. Die herumwuselnden und streitenden Dachse ließen ihn unwirsch vor sich hingrollen. Ein Gutes hatten diese Feste immerhin – es gab immer reichlich zu essen. Der letzte Winterspeck hatte sich noch nicht ganz verzogen. Zur toten Jahreszeit hatte er sich wie jedes Jahr in seiner Hütte verschanzt und die Tage einfach weg gedöst. Da wäre der Riese jetzt auch wesentlich lieber. Immerhin sorgte Hannawald 37 für Ruhe unter den Störenfrieden. Für sein Alter war der Dachs noch erstaunlich fit. Soetwas konnte er respektieren. Körperliche Ertüchtigung war entscheidend für ein langes Leben – und auch einen klaren Verstand, wie ihm sein Vater zu seiner Zeit vermittelte. Und den würde er heute dringend brauchen. Es war keine Entscheidung, die er leichtfertig treffen wollte. Rebellion brachte einen Sack voll Schwierigkeiten mit sich, mit denen er sich eigentlich ungern befassen wollte. Vielleicht bot sie ihm ein paar interessante Möglichkeiten. Wenn sie Aussicht auf Erfolg hatte, umso besser. Vorerst würde er sich das Ganze erst mal in Ruhe ansehen. Derzeit sah er sich mehr wie einen Beobachter. Einen Mitläufer. Wie aufs gedankliche Stichwort kam ein alter Bekannter schon auf ihn zu gehoppelt.

„Neuigkeiten. Und Essen.“ Brummelte er zur Begrüßung und kratzte sich den Bauch. Das Langohr dachte ähnlich pragmatisch wie er selbst. Vielleicht konnte er sich deshalb recht ordentlich mit ihm verstehen. Auch wenn er für seinen Geschmack mal wieder etwas zu aufgekratzt war. Das lag bei ihnen wohl im Blut.

„Hast dich ganz alleine hergetraut? Dann muss es ja einen guten Grund geben. Geheuer ist dir die Ecke nicht, das rieche ich gleich.“ Stellte er nüchtern fest und ließ nur schwer erkennen, ob er über seinen Hasenkumpel herzog. Ein paar andere mehr oder weniger bekannte Gesichter waren ebenfalls hier, wie er beiläufig bemerkte. Burton beließ es bei einem knappen Nicken, sofern sich ihre Blicke trafen. Er war nicht unbedingt auf ein Schwätzchen vorbeigekommen, also musste das vorerst reichen.           

Sting73

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« Antwort #10 am: 13.02.2017, 07:12:20 »
"Danke Garcia13" antwortet Sting und setzt sich neben die alte Schildkröte. Dabei schaut er sich nocheinmal um und sein Blick fällt erneut auf die Holzstapel, "Ja, das könnte wohl ein wirklich schönes Feuer werden." Nach einem kurzen Pause und etwas zögernd wendet sich Sting erneut an Garcia "Sag, Garcia 13, weißt du eigentlich noch warum uns die Dachse nicht mögen?" Es fällt auf das Sting doch recht angespannt ist und ihm die ganze Situation im Moment noch nicht so ganz geheuer ist. Sting ist sich nicht sicher ob es das hier eine Falle der Dachse ist oder ob es wirklich eine Einladung des Wiederstandes ist.
« Letzte Änderung: 13.02.2017, 07:13:30 von Sting73 »

Weißherbst

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« Antwort #11 am: 15.02.2017, 15:24:09 »
Es war Weißherbst nicht wirklich danach, sein ungutes Gefühl, sich hier inmitten eines Haufens wildgewordener Raubtiere aufzuhalten, mit dem Bären zu vertiefen. Und über den eigentlichen Grund seines Besuchs konnte er natürlich ebenfalls nicht sprechen - auch wenn er Burton mochte, würde alleine das Wissen darüber, dass der Hase sich der Rebellion angeschlossen hatte, sie beide in größte Gefahr bringen.

Statt einer Antwort zuckte Weißherbst daher nur mit den Schultern und blickte sich weiter im Raum um, nun immerhin mit dem beruhigenden Gefühl, neben der stattlichen Statur des Bären nicht mehr automatisch als Beute angesehen zu werden, sollten die primitiven Urinstinkte den einen oder anderen Dachs vollends überwältigen.

Irgendjemand wollte heute mit ihm sprechen, doch der frischgebackene Rebell wusste weder, wer das sein mochte, noch worum es tatsächlich im Detail ging. Wie würde sich sein Gegenüber zu erkennen geben? Und wer würde es sein? Sein Blick streifte vor allem die anderen Nichteinheimischen: Waren alle nur harmlose Besucher, oder war einer von ihnen vielleicht der Kontaktmann der Rebellen?

Laetitia 87

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« Antwort #12 am: 17.02.2017, 22:08:34 »
Die Luchsin zuckte mit den Schultern und grinste geheimnisvoll. "Halt den Deckel auf dem brodelnden Kessel, nur zu," forderte sie den Heiler metaphorisch heraus, um ihn danach in Ruhe zu lassen und einmal quer über den Versammlungsplatz zu streifen. Wann der Initiator dieses Treffens-innerhalb-des-Treffens sich zu offenbaren gedachte, wusste die Seherin nicht genau, aber nun hatte sie sich schon einmal selbst für die potentiellen Rebellen und andere 'Teilnehmer' ihrer Vision bemerkbar gemacht.
Weiter zu warten beschloss Laetitia 87 in der Nähe der aufgebauten Feuerstelle, wo es hoffentlich bald warm prasseln und die tanzenden Funken verschwörerische Muster in die Frühlingsluft malen würden. Außerdem wuchsen an den morscheren der zu verfeuernden Holzscheite mitunter interessante Pilze, die im felsigen Habitat der Katzen eher selten vorkamen.

Garcia 13

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Erstes Buch: Das verlorene Paradies
« Antwort #13 am: 17.02.2017, 23:15:30 »
Gemächlich kaute Garcia 13 weiter auf den Blättern herum.
"Hmmmmm, die Dachse ...uns ... nicht ....mögen?!
Naja, eigentlich ist es ja eher so, daß wir von ihnen angepißt sind. Das vergelten sie uns dann eben entsprechend.
Du weißt schon. Wie man in den Wald reinruft und so...
Aber warum wir Geschuppten diese verfressenen Fusselbälle hassen...ne, an den Grund kann ich mich nicht erinnern. Das ist schon vor meiner Zeit als frisch geschlüpfte Kröte so gewesen."

Garcia 13 hatte die Umgebung nicht aus den Augen gelassen. Und als er jetzt sah, wie Laetita 87 sich der Feuerstelle, an der sie saßen, näherte, zog er unwillkürlich den Kopf ein wenig mehr zwischen die Schultern und in den Panzer hinein. Diese Katzenartige war ihm unheimlich. Und die Gerüchte, die er gehört hatte, taten ihr übriges.

Idunivor

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« Antwort #14 am: 20.02.2017, 18:41:21 »
Die fremden blieben mehr oder weniger isoliert, da sich nicht nur sie selbst, sondern auch die Dachse fragten, was sie hier eigentlich vor hatten. Die Vorbereitungen gingen weiter und schließlich versank die Sonne hinter dem Horizont und die Dachse waren noch immer bei der Arbeit. Hannawald tat sein Bestes, aber auch er konnte nicht überall sein und hatte selbst noch einiges zu erledigen. Die Dunkelheit war gerade hereingebrochen und einige Fackeln entzündet, aber bis zum Beginn des wilden Tanzes sollte noch etwa eine Stunde vergehen.
Die Fremden wurden weiterhin mehr oder weniger ignoriert, aber dann wurden sie auf etwas aufmerksam, was mehr als nur eine kleinere Streitigkeit zu sein schien. Neben einem der Scheiterhaufen hatte sich eine kleine Gruppe von Dachsen versammelt, von der eine Menge Lärm ausging, ganz so als würde dort eine hitzige Diskussion geführt. Die fremden waren ein bisschen zu weit weg, um es genauer zu verstehen, aber als ein rotfelliges Wiesel sich behende auf den Scheiterhaufen schwang und zu jemandem in der Gruppe am Fuß des Scheiterhaufens hinab rief: "Und warum nicht? Ich kann es doch laut hinaus rufen? Es ist die Nacht des wilden Tanzes! Wo wir uns an unsere Vorfahren erinnern und unsere Vorfahren waren frei! FREI! NICHT EINGEKERKERT! WIR SIND ZUR FREIHEIT GEBOREN! FREIHEIT!" Drei oder vier junge Stammesmitglieder stimmten zaghaft in diesen Ruf ein und dieser weckte jetzt doch die Aufmerksamkeit einiger anderer. Die Außenstehenden erkannten aber auch schnell, dass nach einem Blick in diese Richtung einiges an Kopfschütteln zu sehen war aber gerade unter den jungen Dachsen gab es einige interessierte Blicke und schnell wuchs die Gruppe von Leuten am Fuß des Scheiterhaufens. Aus dieser Gruppe heraus erklang eine donnernde und tiefe Stimme, auch wenn sie nicht so laut und an das Befehlen gewöhnt war wie die von Hannawald, der nirgends zu sehen war: "KOMM DA RUNTER UND HÖR AUF UNSERE TRADITION MIT FÜßEN ZU TRETEN! DIE WÄRTER HABEN SEIT JEHER FÜR UNSER WOHL GESORGT, SIE WERDEN ES WEITER TUN, WENN WIR WIE JEHER UNSERER TRADITION FOLGEN. SO WAR ES IMMER, SO MUSS ES WEITER SEIN!" Ein alter Vielfraß stand aufgerichtet in der Menge, der große Knochenohrringe trug und sich auf einen Holzstab stützte, der auf der Oberseite breiter und flacher wurde, änlich einer Schaufel, aber dafür doch zu schmal und auch nicht stabil genug.
« Letzte Änderung: 20.02.2017, 18:43:57 von Idunivor »
The only ones who should kill are those prepared to be killed.

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