Also setzte die Gruppe sich in Bewegung. Der Wagen bildete das Zentrum des Trecks, vorne ritt Kivan, Paran mit seinem auffälligen Wappen blieb eng beim Wagen, genauso wie Alyssa und Ponzio. Und Oldor bildete den Schluss. Kivan war anfangs sehr aufmerksam und suchte auch immer wieder den Himmel nach dem Greifvogel ab, der ihnen teilweise folgte, teilweise voraus flog. Aber mit der Zeit, in der er nichts Ungewöhnliches oder Gefährliches erkennen konnte, ließ seine Aufmerksamkeit etwas nach, ohne das er dabei nachlässig wurde. Auch Ponzios Aufmerksamkeit ließ nach, als alles um sie herum ruhig blieb, aber sein Gesäß erneut unter dem langen Ritt litt.
Sie ritten nicht allzu schnell, denn der Boden war uneben und an viele Stellen ragten große, zum Teil sehr scharfkantige Steine aus dem Boden. Angrosch bemühte sich zwar die großen Steine zu umfahren, aber dies war nicht immer möglich. Und so war von den Rädern mehrmals ein gefährlich klingendes Krachen zu hören. Mehrmals hielten sie an und der Zwerg inspizierte die Räder und das eine oder andere Mal waren auch seine handwerklichen Fähigkeiten gefragt, aber es kam zu keinem ernsthaften Schaden. Das Wetter blieb einigermaßen freundlich, auch wenn es doch eher kühl war. Der Himmel war nur leicht bewölkt, immer wieder lugte die Sonne kurz hinter den Wolken hervor und es blieb weitgehend trocken. Das Land wirkt ruhig und friedlich, die Lieder der Vögel und Grillen begleiteten sie auf Schritt und tritt, nur größere Tiere waren nicht zu sehen. Das überraschte die Reisenden aber nicht, da sie sich ja scheinbar mitten im Jagdrevier der Großkatzen befanden. Diese ließen sich aber auch nicht blicken. Als sie eine gute Stunde in den wärmenden Strahlen der Sonne unterwegs waren sahen sie bald auf den Steinen die ein oder andere Schlange und auch einige Eidechsen, auch diese zum Teil rattengroß, die Tiere stellten aber keine Gefahr da und hatten sich meist schon verkrochen bevor das erste Pferd sie erreicht hatte.
Und so konnten sie einige Stunden nach Mittag mitten in der Ebene das erste Ziel dieses Reiseabschnitts erkennen. Es war jedoch kein einzelner Bauernhof, wie der ein oder andere vermutet haben mag, sondern ein kleines Dorf, das aus ungefähr einem Dutzend Häuser bestand, geschützt von einem hohen Holzzaun. Die Siedlung lag auf einem kleinen Hügel, so dass sie nicht viel mehr erkennen konnten, man von dort aber einen guten Überblick über das Land haben musste. Als sie selbst sich auf einer Anhöhe befanden konnten sie sehen, was Shora gemeint hatte, der Weg, dem sie folgen, schlängelte sich in einem weiten Umweg durch das Grasland bis zum Dorf. Der direkte Weg wäre viel kürzer gewesen, hätte sie aber mitten durch das hohe Gras geführt. Also nahmen sie den Umweg in Kauf und erreichten ungefähr eine Stunde vor Sonnenuntergang einen angelegten Weg, der zum Dorf führte. Sie hätten früher dort ankommen sollen, aber offenbar waren sie doch langsamer unterwegs gewesen, als Shora erwartet hatte.
Von dort aus hatten sie schnell das Tor des Dorfs erreicht und wurden dort schon von fünf Männern mit großen Hämmern, Äxten und Sensen erwartet. Und obwohl die Männer eine grimmige Wehrhaftigkeit ausstrahlten, wurde die Gruppe freundlich empfangen, nachdem sie sich vorgestellt hatten und erzählten, woher sie kamen. Sie wurden ohne weitere Fragen eingelassen, die Pferde bekamen einen Platz in einem der Ställe, wurden versorgt und auch den Reisenden wurde eine Scheune mit Stroh und Decken angeboten, wo sie sich von den Strapazen des Ritts erholen konnten.
Ein Mann namens Othmel war der Sprecher der Bauern. Er zeigte der Gruppe die Siedlung und erkundigte sich nach dem Grund ihrer Reise. Er war nicht besonders neugierig und schien auch nicht misstrauisch zu sein. Er war mit wenigen Informationen zufrieden. Vermutlich hielt er es nicht für ungewöhnlich, dass Leute im Namen Erastils nach dem rechten sahen, letztlich taten die Männer und Frauen der Dornenfeste ja nichts anderes, wenn auch regional stark begrenzt. Das Bauerndorf bestand aus einfachen Steinhäusern, Stallungen und Scheunen, alles umgeben von einem hohen Zaun aus Baumstämmen. Es musste eine sehr schwere Arbeit gewesen sein, diese Mauer zu errichten aber sie stand offenbar schon seit mehreren Jahrzehnten und war gut gepflegt. Im Inneren gab es einen Brunnen, eine Weide mit Ziegen und Schafen, einen Schweinepferch und eine Wiese für die Pferde. Sogar einen kleinen Teich gab es, auf dem Enten schwammen, deren Flügel allerdings gestutzt waren. Sowohl innerhalb als auch außerhalb der Mauer gab es Felder, innen mit Gemüse und Früchten, außerhalb mit verschiedenen Getreiden und Obstbäumen. Es war also eine sehr weitläufige Anlage.
Abends gab es ein gemeinsames Abendessen, das aus Brot, allerlei Käsesorten und Quark, Milchsuppe und Früchten bestand. Und natürlich gab es Bier, aber auch Milch. Es wurde ein geselliger Abend. Die Dorfbewohner freuten sich über Neuigkeiten und berichteten ihrerseits von der Ernte, dem Wetter und allem möglichen anderen, was sich so in ihrer Welt ereignet hatte. Nichts davon schien ungewöhnlich zu sein. Auch hier war aufgefallen, dass die Großkatzen aggressiver ihr Revier verteidigten, aber da sie nur selten und dann auch nur am Tag und mit mehreren großen Fackeln in das Gebiet der Katzen begaben, kam es bislang zu keinen gefährlichen Situationen.
Es wurde also lange und ausgiebig gegessen, Geschichten erzählt und über das Land schwadroniert. Die Bewohner hatten eine ähnliche Einstellung zur Regierung wie die Leute in Reschen. Die Bauern versuchen alles zu unterlassen, was die Aufmerksamkeit der Obrigkeit auf sie und ihr Leben hier ziehen könnte. Einmal im Jahr kommt ein Steuereintreiber und der bekam immer einen ordentlichen Anteil an der Ernte und fragt nicht viel. So sind alle Seiten zufrieden und jeder lässt den anderen in Ruhe. Oldor fand wenig zu tun, nur um ein gebrochenes Bein konnte er sich kümmern.
Am nächsten morgen ging die Reise dann weiter und sie benötigten wieder etwas mehr Ziel als geplant. Einmal steckten der Wagen in einem morastigen Loch fest, dass viel tiefer war als es aussah und einmal trafen sie auf einen Herde von Büffeln, die mitten auf dem Weg standen und sich nur sehr langsam vertreiben ließen. Am späten Nachmittag entdeckten sie dann die nächste Siedlung – und warnen sofort alarmiert. Denn von dort stieg dunkler Rauch auf, der ganz offenbar nicht von einem einfachen Herdfeuer stammen konnte. Wenn sie dem Weg folgten würden sie aufgrund des Umwegs noch mindestens eine Stunde benötigen, um den Hof zu erreichen, durch das Gras weniger als eine halbe. Nun stellte sich also die Frage, welchen Weg sie nehmen würden.