Ayleen genießt den Aufenthalt und das gemeinsame Singen so sehr wie wenig anderes in ihrem bisherigen Leben. Es ist so perfekt wie ihre Großmutter ihr vor, nach und während der Unterrichtsstunden und Seancen erzählt hat. Mit der Geschichte, die besungen wird, verschwinden die Erinnerungen an das Internat immer weiter. Der Inhalt der Geschichte wird lebendig, auch wenn sie mehr mit der Frau mitfühlt als dem Jäger. Parallel hört sie die Stimme ihrer Großmutter - leise und schleppend, wie in Trance sprechend. Was sie sagt, versteht Ayleen nicht, doch es macht ihr komischerweise nichts aus. Irgendwie weiß sie es doch. Es geht um die Regeln der Gemeinschaft, sowohl mit den Stämmen, als auch den Tieren und der Natur. Lächelnd und entspannt lässt sie auch nach den letzten Tönen des Liedes dessen Wirkung für eine Weile ungestört sich entfalten.
Bevor die Stille jedoch unangenehm drückende Züge annimmt, steht sie auf, nickt in die Runde und bedankt sich für diese eindrucksvolle Erfahrung. Ihre Antwort ist höflich, angemessen und nicht lang. Sie macht sich weder die Mühe, es zu übersetzen, noch explizit im Namen der anderen zu danken. Ausschließen tut sie es aber auch nicht.
Anschließend tritt sie noch näher ans Feuer und weiter in die Mitte der Runde. Ohne Rücksicht auf die anderen Fremdlinge benutzt sie weiter die Sprache der Cherokee und kündigt an, von den Weisheiten zu erzählen, die die Vögel ihrem Volk mitteilen können. Sie wartet, bis die Stille nur vom knisternden Feuer und Tierrufen durchbrochen wird, und beginnt, aufrecht, mit geschlossenen Augen, inbrünstig zu singen. Ihre Stimme füllt schnell den Platz, obwohl sie eigentlich alleine singt. Noch singt sie ohne Worte, der Klang suggeriert bereits etwas umfassendes, respekteinflößendes, Mächtiges, aber auch nicht böswilliges. Unbewusst greift Ayleen auf ihr Feenerbe zurück
[1]. Mit Höherschrauben der Stimme hebt auch die dargestellte Kraft ab, beginnt zu fliegen und von oben herabzuschauen.
Schließlich beginnt die jugendliche Indianerin, ihren Gesang mit Worten zu füllen. Sie erzählt von Donner-Blitz, dem Donnervogel, und dem Adler. Es wird gesagt, dass der Donner und der Adler enge Freunde sind. Vor langer Zeit sprach Donner mit allen wilden Kreaturen - allen, die fliegen, und allen auf vier Beinen - und zum Adler sagte er: 'Ich ernenne dich zum Herrscher. Du musst ein Treffen mit allen wilden Kreaturen veranstalten und du musst auf all ihre Wünsche Antworten. Wenn du entscheidest, wie sie sein sollten, mache sie entsprechend. Du musst sie fragen, was sie sein wollen.', sprach Donner. Also berief der Adler ein Treffen. Alle Arten von Vögeln kamen. Nachdem sie eingetroffen waren, begann das Treffen. Er fragte sie alle, was sie zu tun imstande sein wollten.
Die Wachtel, die sehr selbstsüchtig war, wann immer sie nach etwas gefragt wurde, stand sofort auf und stellte sich neben den Adler. 'Kannst du mir nicht die Kraft geben, dass wenn ein Mensch mich fliegen sieht, er sofort vor Angst stirbt?', fragte die Wachtel den Adler. 'Nein', sagte der Adler. 'Du bist absolut zu klein. Ich kann dir diese Art von Kraft nicht geben. Aber ich kann soweit gehen: Ich kann dich fliegen lassen, und wenn ein Mensch dich fliegen hört, wird er sich ängstigen.', sagte der Adler zur Wachtel. Die Wachtel antwortete: 'Alles klar.' Das ist der Grund, warum wir, wenn wir eine fliegen hören, erschreckt werden, weil sie so ein surrendes Geräusch macht. Das ist alle Kraft, die ihr erlaubt wurde.
Als nächstes kam die Diamantschildkröte, die auf der Erde kriecht. 'Ich würde gerne in der Lage sein, ein Gift zu produzieren, dass Menschen töten kann. Gewähre mir diese Kraft.', sprach sie zum Adler. 'Nein', antwortete der Adler, 'Du bist viel zu langsam und klein.' Donner und der Adler berieten sich. (Donner war der Herrscher über die ganze Welt und den Himmel. Deswegen hat er seinen Freund zum Herrscher über die Erde ernannt.)
Woran ich mich beim Wirken des Adlers besonders erinnere ist die Kraft, die er der Meise gab. Ihr war die Kraft gewährt worden so etwas wie eine Wahrsagerin bei den Menschen zu sein, da sie dorthin konnte, wo die Menschen waren, und sie diese im Voraus informieren konnte, wenn sie Gäste bekommen würden. Dies konnte getan werden, indem sie in einen Baum in ihrer Nähe flog und ein fröhliches Lied anstimmte. 'Könntest du mir diese Kraft geben?', fragte die Meise. Also wurde sie ihr gegeben. Deswegen sagen wir, wenn wir eine Meise in einen Baum fliegen sehen, 'Die Meise teilt uns mit, dass jemand kommt.' Dies is die Kraft, die ihr gegeben wurde, sagen wir.
Dann trat der Rotkardinal, der wunderschöne Singvogel, auf: 'Lass die Menschen mir vertrauen. Ich möchte fröhliche Lieder singen, wenn es bald regnen wird.' Also wurde ihm diese Kraft gewährt. Deswegen glauben die Alten meiner Stämme, dass es regnen wird, wenn sie diesen Vogel oben auf einem Baum singen sehen. Das ist die ganze Kraft, die ihm gegeben worden war.
Der Würger trat vor und sagte: 'Alles, was ich sein möchte, ist ein Experte darin, zum Tanz zu rufen.' Und so wurde ihm diese Kraft verliehen.
Es erzählten die Menschen vor langer Zeit: Der Adler war der Herr der Erde, aber Donner war der Herr des ganzen Universums, und sie traten zusammen, um zu entscheiden, ob all die von ihnen verliehenen Kräfte gut waren. So erzählen uns unsere Vorfahren.
Mit den letzten Worten verstummt auch Ayleen. Wie von ihr gewohnt, hatte auch ihre Gesangsstimme die Präzision und Perfektion von Stimmgabeln, aber immerhin klang es diesmal nicht so gefühllos wie sonst. Eher im Gegenteil, sie senkt ihren Kopf und eine leichte Rötung der spitzen Ohren ist zu erkennen in der folgenden Stille.