Sonntag, 30. Gozran 4717 - 00:51 Uhr - In der Nähe der Louslik-Gerberei
Planlos zogen Schäfchenwolken über den Nachthimmel, kaum in der Lage das schwächliche Mondlicht zu verdecken. Die kalte Frühlingsnacht ließ etwas Bodennebel aufsteigen und tauchte die Landschaft in milchiggelbes Licht. Die Temperaturen waren noch frisch, aber nicht unerträglich. Unerträglich war allerdings der Gestank, der von der Gerberei ausging. Es war, als würden sich die Nasen gar nicht an diesen Hort des Unrats gewöhnen wollen. Lediglich Valerias Zauber konnte den Gestank zumindest für sie etwas lindern. Wer auch immer der geheimnisvolle Auftraggeber von Cimri Staelish war, er wollte wortwörtlich erfahren, ob seine angeheuerten Handlanger bereit waren, sich ihre Hände schmutzig zu machen, bereit waren, die Drecksarbeit zu erledigen.
Drecksarbeit erledigten auch zwei ältere Menschen. Eine ganze Weile hatte sie sich in der Gerberei aufgehalten und jetzt öffnete sich schwerfällig und laut das schwere Zugtor der Gerberei. Ein alter Wagen kam in Sichtweite, im Laternenlicht des geöffneten Tores zeigte sich, dass der Wagen von zwei ältlichen, vom Alter gebeugten Menschen gezogen wurde. Ein Mann mit schlohblonden oder schon weißem Haar und einem struppigen Bart, welches beides durch seine flickwürdige Gugel lugte und eine Frau im ähnlichen Alter und ähnlichen Gesichtszügen und Haarfarbe. Beide trugen einfache Leinenkleidung, die inzwischen nur noch als Lumpen taugten. Sie waren beschmutzt mit Fäkalien, aber ihr Wagen zeigte eine Spur deliriösen Humors. Denn obwohl auf ihm hoch gestapelt entleerte Nachttöpfe lagen, war der hölzerne Wagen übersät mit Fingerfarbe. Rote und violette Blumen waren auf ihn gemalt, einige gelbe Bienen umflatterten die Blumen. Beide Alten pfiffen asynchron dieselbe Melodie. Es war dieselbe Melodie, die sie die ganze letzte Stunde gepfiffen hatten. Unter Mühe ihren Wagen durch den Matsch ziehend, erstarb die Melodie immer wieder und wurde an unterschiedlichen Stellen wieder aufgenommen. Müde grüßten sie zum Abschied einem großen, breitschultrigen Mann mit einem zum Zopf gebunden, schwarzen Haaren. Nur kurz konnten sie einen Blick auf ihn werfen, wie er dort mit sauberer Lederschürze und weißem Hemd stand, sachte über das Fell eines braun-weißen Hundes strich, der ihm fast bis zur Hüfte reichte. Augenscheinlich ein Menador-Gebirgshund
[1]. Dann schloss sich mit krachendem Rattern wieder das Tor und verbarg den Mann in der Nacht.
Dennoch war es notwendig, Geduld zu zeigen und so konnten sie den Alten einige Minuten zuschauen, wie sie nichts ahnend erst in der Nacht verschwanden und dann sich weiter mühsam und langsam durch den Matsch Richtung Stadt quälten, um an ihrer Waschstationen für ein Kupferentgelt die Nachttöpfe zu spülen und sie den Bürgern von Longacre wieder auszuhändigen.
Aus der Gerberei kam kein Geräusch in dieser Zeit, nur das sanfte Fließen der Au war zu hören und das Schnarchen eines großen Hundes im Hof. Doch Wolgwuths Einschätzung, wie lange sie warten müssten, war gut und da die Alten sich nur langsam und unter Knochenschmerzen fortbewegten, stromerten sie doch nur langsam den Pfad entlang, war eben eine Zeit des kalten, kalkulierenden Wartens angebrochen.
Dann war die Zeit gekommen. Nimia hatte ihre Verkleidung gerichtet und mühte sich, als einzige wirklich frierend, bis zum Tor. Ihre Ankunft blieb unbemerkt, bis sie an das Dorf klopfte und der große Menadorhund sich aufrichtete und mit einem unaufgeregten, aber kräftigen Bellen auf sich aufmerksam machte. Es dauerte einen Moment und der Hund musste wiederholt sein tiefes, langsames Bellen von sich geben, ehe sich in der Gerberei etwas regte.
"Ist ja gut, Abbie. Ist ja gut.", sagte eine sanfte Stimme in freundlichem und bestimmtem Ton zu seinem Hund.
"Bei Fuß, Archie!", rief er dann rückwärts gewandt und das Kläffen eines deutlich kleineren Hundes antwortete aufgeregt und preschte dann bis zum Tor vor. Durch den Matsch waren die Schritte des Mannes zu hören. Er wurde augenscheinlich von zwei Hunden begleitet.
Langsam öffnete sich das Tor, wieder quarkend und schwer. Irgendwas hatte den Mechanismus in der Vergangenheit beschädigt. Das ganze Torgelände sah aus, als wäre es häufiger von Ochsenkarren beschädigt worden und immer nur notdürftig in Stand gesetzt worden. Als das Tor offen war, stand dort ein großer, kräftiger Mann, der gar nicht so alt war, wie sein Name vermuten ließ. Er trug selbst im Matsch schwarze Halbschuhe und eine Stoffhose. Scheinbar hatte er ungeplant doch noch gearbeitet und hätte eigentlich ausgehen wollen. Er schulterte eine geladene, schwere Armbrust aus robustem, braunen Holz und mit starkem Zugbogen. Eine jener schweren Armbrüste, wie sie die Armbruster der Armee von Cheliax nutzten. In seinen Schritten sah Nimia, dass der Mann zwar noch den Körper eines Soldaten hatte, doch längst nicht mehr dieselbe Kraft in ihm war. Seine Schritte waren etwas steif, er wirkte so, als würde sein Körper in einem Moment gelähmt, im anderen wieder gelöst sein. Augenscheinlich ein verwundeter Veteran der Armee.
Neben ihm standen zwei Hunde. Der ihm bis zur Hüfte reichende Gebirgshund, doch daneben noch ein sehr kleiner Hund mit kurzer Schnauze, langen Schlappohren, schwarzem und mahagonifarbenem Fell: ein Taldor-Spaniel. Der kleine Hund kläffte Nimia aggressiv an und fiepste aufgeregt und feindselig
[2], während der große Hund entspannt schaute und das Bellen einstellte. Der Mann entspannte seinen Griff um die Armbrust.
"Alles gut, Archie[3]. Es ist nur ein verirrtes Kind. Sitz." Der Mann lächelte entgegenkommend.
"Keine Nacht, um hier alleine vor einer Werkstatt zu stehen." Auch von dem Mann ging der furchbare Gestank von Unrat und Chemikalien aus.
"Bist du irgendwie verloren? Weißt du, wie du in die Stadt findest? Wenn du einen Moment hast, kann ich dich gleich mitnehmen. Ich wollte sowieso bald los. Ist ja doch spät geworden.", er lächelte verlegen und hielt sich die linke Hand hinter den Kopf. Nimia konnte ihm ansehen, dass er sich über sich selbst wunderte und sie mehr musterte, als er ein junges Mädchen mustern sollte.
Das Tor hatte sich geöffnet und somit hatte der Plan bis hierhin gut geklappt. Noch hatte er auch noch nicht bemerkt, dass das Mädchen nicht alleine gekommen war. Allerdings musste Valeria das schützende Emmerfeld verlassen, um ihre Bezauberung wirken zu lassen. Zielgerichtet band sie ihre Worte ein, als sie an die Seite von Nimia treten musste
[4]. Jabral verstand nicht, was vor sich ging und schluckte nervös, als ein zweites, bildschönes und in seinen Augen viel zu junges Mädchen vor seiner Tür erschien. Er nestelte sich an seinem Hemd, als wäre es am Hals nun viel zu eng geworden. Unter dem Laternenlicht glänzte der leichte Schweißfilm auf seinen Schläfen, obwohl es eine kühle Nacht war
[5].
"Oh, Junge. Was für eine ungewöhnliche Nacht, was?" Gerade der kleine Hund spürte die Unsicherheit seines Herren und fing jetzt auch an zu knurren. Der große Hund schlich bedächtig an die Seite seines Herren und deckte ihn enger. Hunde hatte wie immer einen sechsten Sinn.
"Zwei blutjunge, hübsche Engel an meiner Tür mitten in der Nacht.", wieder das verschücherte, überraschte, unsichere Lachen. Er musterte jetzt das Gesicht Nimias genauer und erkannte ihre ungewöhnlichen Augen und unter dem Schmutz erkannte er eine Rune, die ihn erbleichen ließ. Ruckartig fiel seine Armbrust in Anschlag. Er zitterte.
"Was wird hier gespielt? Was wollt ihr?"Seine Armbrust zielte auf Nimia, dann auf Valeria, wieder auf Nimia. Sie war geladen und der kleine Taldor-Spaniel knurrte sich die Seele aus dem kleinen Leib. Irgendwas kam dem Mann faul vor, aber er konnte es nicht greifen. Das machte ihn ängstlich. Noch hatte er die anderen nicht entdeckt. Stattdessen erwartete er eine Reaktion der beiden jungen Mädchen. Ihre blutschöne Jugendlichkeit machte für ihn die Situation viel bedrohlicher als wären wieder einmal einschüchternde Schläger des Barons gekommen, um ihn auf Spur zu bringen. Sein Finger zitterte am Abzug. Auch der Menador-Gebirgshund ließ sich jetzt von den Instinkten leiten. Ein tiefes, viel eindrücklicheres Knurren des riesigen Molossers verdeutlichte, dass er sein Herrchen verteidigen würde
[6]...