Bard war dankbar dafür, dass sich die Wartezeit als nur kurz erwies. Wieder offenen Himmel über sich zu haben, ohne dass dieser durch Felsen und Eis eingeschränkt wurde, fühlte sich fast so befreiend an wie das Loswerden von physischen Fesseln – da er dies erst am eigenen Leib erfahren hatte, wusste er sehr genau, wie sich das anfühlte. Bard ließ sich ein wenig zurückfallen, noch bevor er nach Draußen trat und zog die mit Fellkragen besetzte Kapuze seines Wintermantels über seinen Kopf. Dank seiner geringen Körpergröße könnte er so aus der Ferne vielleicht als Erutaki-Kind durchgehen und würde nicht sofort Verdacht erregen. Zumindest, wenn er sich nicht direkt bei den anderen aufhielt.
„Geht ruhig vor“, informierte Bard die anderen über sein Vorhaben, „ich bleibe in eurer Nähe. Ich folge euch im Schatten der Hütten, damit Tunuak mich nicht sieht.“
Und genau das setzte er dann auch in die Tat um. Sobald er den Felsspalt hinter sich gelassen hatte, huschte Bard hinter die nächste Hütte, um dort Deckung zu suchen. Er bewegte sich im Schutz der Behausungen so nah an den Eingang des Turms heran wie möglich. Der Nachteil daran, nicht gesehen werden zu können, war leider auch, selbst nichts sehen zu können, aber er ging lieber kein Risiko ein und verfolgte nur mithilfe seines Gehörs die Entwicklung der Situation. Da die Stimme, die sich nach kurzer Zeit als die des Häuptlings entpuppte, und auch Tunuaks Reaktion nicht gerade leise waren, war es für Bard allerdings kein Problem, den Verlauf der Szene mitzubekommen. Der Klang von Tunuaks Stimme reichte aus, um Bard mit tiefem Grauen zu erfüllen. Dass der Schamane Unschuld und Gebrechlichkeit vortäuschte, machte die Sache nicht besser. Zum Glück ließ sich der Häuptling nicht auf dieses Gehabe ein und forderte sofort Antworten ein.
Sobald Bard hörte, dass sich der versammelte Trupp in Bewegung gesetzt hatte, um Tunuaks Turm zu besteigen. Der Druide wartete einen Moment ab, bis er relativ sicher war, dass Tunuak bereits Angesicht zu Angesicht mit dem Häuptling redete und nicht mehr aus dem Turmfenster schauen würde. Dann wagte Bard einen vorsichtigen Blick aus seiner Deckung hervor. Als er feststellte, dass die Luft rein war, folgte er den anderen in den Turm hinein. Während Bard seine Kapuze wieder abstreifte und die Treppe emporstieg, wurde sein mulmiges Gefühl stärker. Er hatte die Befürchtung, dass die Konfrontation Tunuaks mit einem Blutbad enden würde – denn der Schamane würde sich bestimmt nicht kampflos ergeben. Sobald Bard nah genug war, um das weitere Gespräch verfolgen zu können, wurde er langsamer, und schließlich hielt er noch auf der Treppe inne, um auszuschließen zu können, dass Tunuak ihn erblickte.
Zu Bards Überraschung stritt Tunuak nicht ab, was man ihm zu Last legte. Die Ausführung des Schamanen klang jedoch absurd und sinnbefreit. Katiyana (Bard war sich sicher, dass sie kein Windgeist war) schien Tunuaks Verstand völlig verdreht zu haben, wenn sie ihm wirklich weisgemacht hatte, dass die Rettung Iqaliats darin bestand, alle Bewohner auslöschen zu müssen, bevor man einen „schützenden“ Monolithen errichten könnte. Die Verbitterung, die aus Tunuaks Worten herauszuhören war, hatte ihn anscheinend anfällig für die dämonische Korruption Sithhuds gemacht. Bard bezweifelte, dass Tunuak selbst von einem Dämon besessen war, sondern schloss, dass Katiyana den Schamanen, der ohnehin schon einen Groll auf sein Dorf gehegt hatte, angestachelt und in den Wahnsinn getrieben hatte.
Während Bard diesem Geständnis aus seinem „Versteck“ heraus lauschte, löste er langsam seinen Bogen von seiner Schulter und zog schon einmal einen Pfeil aus seinem Köcher, den er locker anlegte. Denn was auch immer gleich passieren würde: Bard machte sich auf das Schlimmste gefasst.
Aber als Tunuaks Wortschwall versiegte, folgte nicht sofort ein Ausbruch von Lärm und Chaos. Betretenes, schockiertes Schweigen füllte zunächst den Raum an der Spitze des Turms. Doch als Laute der Verwunderungen erklangen und das metallene Schaben einer Klinge, die gezogen wurde, machte Bard bereit, sich zu verteidigen oder voranzustürmen und einzugreifen. Irgendwas ging dort vor sich!