Um Trophäen ging es Milo nicht, als er dem Eulenbär einige Federn ausriss – zwei aus dem Fell und zwei aus dem Gesicht, dort je eine der beiden unterschiedlichen Farben. Einen Büschel Fellhaar schnitt er auch herunter. Beides verstaute er sorgfältig in einem sonst für archäologische Funde vorbehaltenen kleinen Beutel. Kurz überlegte er, ob er dem Tier eine Kralle abschneiden sollte, doch das erschien ihm dann doch zu geschmacklos. (Oder vielleicht ekelte Milo sich auch zu sehr davor, an dem Kadaver herumzuschnipseln und womöglich eine große Sauerei zu veranstalten, denn weder von der Chirurgie noch von der Waidmannskunst verstand er das geringste.) So begnügte er sich mit einigen hastigen Zeichnungen: vom Gesicht, den Tatzen, der bärengleichen Silhouette. Ein befreundeter Naturkundler daheim an der Universität von Sothis würde sich bestimmt dafür interessieren, und vielleicht auch Nubnefer.
Als die Gruppe dann ein gehöriges Stück von dem Kadaver abrückte – um sich die Gesellschaft der sicherlich bald angelockten Kadaverfresser zu ersparen – kam Milo endlich auf die Idee, sich bei Calxu nach dessen Befinden zu erkundigen. An der verqueren Reihenfolge dieser beiden Aktionen – Inspektion des Kadavers versus Begutachtung des verletzten Kameraden – war indes allein seine Schusseligkeit und gelehrte Zerstreutheit Schuld, nicht etwa mangelndes Interesse am Wohlbefinden seiner Mitreisenden. Ganz furchtbar erschrocken hatte es ihn, wie die schreckliche Kreatur den wackersten ihrer Gruppe einfach so niederhieb!
Den folgenden Vormittag verbrachte Milo dann damit, seinen Mut zu sammeln. Als man Mittags Rast machte, begab er sich erneut zu Calxu.
"Es scheint jedenfalls", gestand er dem Paladin gegenüber ein, "dass die Gottesfürchtigen unter uns auch die Wagemutigsten sind!" Zerknirschtheit schwang in seinen Worten mit. Gerne wäre er selbst etwas mutiger. "Furchtlos ist, wer eine Gottheit an seiner Seite weiß! An diesem Spruch ist wohl viel Wahres dran. Als kleines Menschlein dagegen, ganz auf sich allein gestellt und ohne göttliche Handlungsvorgaben, ach, da gibt es so vieles zu beachten, das einem der Kopf schwirrt vor lauter Möglichkeiten. Je mehr davon, desto größer die Angst vor einem Fehlentscheid. Wäre es besser, wenn ich dies tue oder wird es mich oder den anderen den Kragen kosten? Tue ich also besser jenes? Oder gibt es ein drittes? Man will ja schlau sein, um nicht zu sagen taktisch klug, und das Vorgehen wählen, welches am meisten Erfolg verspricht, aber zu einer solchen Entscheidung bleibt einem weder die Zeit noch reicht die vorhandene Information... etwa wenn man so gänzlich unverhofft einem derartigen Wesen gegenübersteht, über das man so gar nichts weiß... schnelle Entscheidungen aus dem Bauch heraus, so ganz ohne Recherche oder Abwägen aller Möglichkeiten, das liegt mir gar nicht... Und ich sehe, dass es in solchen Situationen ein gehöriger Nachteil, keiner Gottheit oder Institution anzugehören, die klare Verhaltensregeln postuliert. Willensfreiheit ist der positive Aspekt, doch die Kehrseite davon ist, dass jede falsche Entscheidung allein auf einen selbst zurückfällt.
Es kann nicht ein Mann allein die Front bilden und der Rest sich hinter seinem Rücken verstecken wollen. Solange Gulyre den Platz an deiner Seite nicht übernehmen kann, muss ein anderer sich daran versuchen. Wenn du keinen der anderen für diese Aufgabe bevorzugst, so will ich mich gerne dazu melden."
Zu einer Erwiderung kam Calxu allerdings erst einmal nicht, da sich plötzlich etwas in dem warmen Tümpel regte, das womöglich gleich über die Gruppe herfallen wollte.
Sofort zauberte Milo seine Schattenrüstung und trat, probehalber, an Calxus Seite, oder zumindest so ungefähr anderthalb Schritt schräg hinter ihn, was ihm der angemessene Sicherheitsabstand zu dem äußerst schlagkräftig aussehenden Drachenschwanz zu sein schien.