Milo hatte offensichtlich deutlich mehr Kenntnis von diesen Dingen, als die Kobolde es hatten, denn der Osirier erkannte schnell, dass hier vor allem ziemlicher Unsinn an die Wände gepinselt worden war. Da passte einfach nichts zusammen. Das Werk eines Scharlatans!
Auch der Hinweis von Calxu, dass die Sprache des Schamanen sich nicht so ganz nach einem Muttersprachler anhörte, deutete in diese Richtung. Die violetten Schuppen waren auch zumindest ein wenig seltsam. Aber, auch wo er jetzt tot war, blieb der Körper ein Kobold.
Was hatte all dies zu bedeuten? Milos Worte rangen ihm nocheinmal durch den Kopf.
"Schade. Ein Verhör hätte uns Interessantes verraten können. Wo kam er her, wer hat ihn geschickt, zu welchem Zweck? Wir werden's wohl nie erfahren..."
Victor, aber auch einige der Kobolde, waren in der Zwischenzeit dabei, den gefallenen Schamanen und seine Höhle zu durchsuchen. Zielstrebig machten sich die Kobolde dabei zu einem der Alkoven auf, wo sich ein größerer Schatzhaufen offenbarte. Vor allem viel glitzerndes, aber im Endeffekt nutzloses Zeug befand sich dort, wie beispielsweise Quartze, einfache Kristalle, Metallsplitter, zerbrochene Waffen und anderer Plunder, wahrscheinlich Kriegsbeute der Kobolde. Aber auch haufenweise Münzen aller Art und ein paar andere Gegenstände waren dort aufgetürmt. Ein kleiner Schild, etwa ein halbes Dutzend Armbrustbolzen, ein paar Stiefel, sowie ein kleiner, beschmutzter Ledersack, der auf jeden Fall schon bessere Tage gesehen hatte, aber dafür gut gefüllt war.
Unterdessen hatte sich der Häuptling der Rußschuppen in der Mitte der Kammer aufgebaut, um sich an die Abenteurer zu richten.
"Meine Freunde! Die Rußschuppen stehen in eurer Schuld. Ihr habt uns befreit und endlich können wir diesen zermürbenden Krieg mit den Winzlingen beenden, zu dem Tartuk uns immer wieder angestachelt hat, und der schon so viele Opfer gefordert hat. Der Fluch ist gebrochen. Wir sind frei!"
Gerade in dem Moment hatte Victor auch seine Untersuchung des Schamanen beendet. Neben seiner Sichel hatte Tartuk auch noch einen Zauberstab und ein Paar gutgearbeitete Armschienen, die beide durchaus den Eindruck machten, dass es sich hierbei um etwas Besonderes handeln könnte. Aber eins viel dem Menschen vor allem ins Auge. Ein kleines Buch, welches der Kobold in seiner Schürze versteckt gehalten hatte. Vielleicht würden sie hier mehr erfahren können. Triumphierend schlug er es auf, nur um festzustellen, dass er die Sprache noch nie zuvor gesehen hatte. Auch die anderen Anwesenden schüttelten nur den Kopf und zeigten eine ratlose Miene.
Aber zum Glück hatte Milo ja seinen Verständniszauber. Mit diesem war es ein Leichtes, den Inhalt des Tagebuchs, als welches es sich recht bald herausstellte, zu entziffern.
Das Buch offenbarte die Geschichte eines sehr verwirrten Geists. Am Anfang war der Tod. Tartuks Tod, denn tatsächlich war er bereits einmal gestorben, als er von einer Bande Oger erschlagen wurde, die sein Dorf terrorisiert hatten. Damals war er auch noch kein Kobold, sondern ein Gnom. Sein Eingreifen aber hatte die entscheidende Wende im Kampf gegen die Oger gebracht, und so konnten die übrigen Dorfbewohner diese besiegen. Sein heroisches Opfer - auch wenn es von ihm sicherlich nicht so geplant gewesen war, denn eigentlich wollte er sich auf die Seite der Oger schlagen, diese wiederum hatten ihn aber garnicht erst zu Wort kommen lassen - veranlasste die Dorfbewohner dazu, einen der größten Schätze, die das Dorf besaß, zu verwenden. Eine Schriftrolle mit dem Druidenzauber Reinkarnation. So wurde Tartuk wieder zum Leben erweckt, jedoch steckte er fortan im Körper eines Kobolds. Seine vormals purpurfarbenen Haare spiegelten sich in der Farbe seiner Schuppen wieder.
Voller Hass zog sich Tartuk in die Wälder zurück. Dort fand er einen Koboldstamm, der ihn aufnahm. Doch statt sein Leben etwas Sinnvollem zu widmen, begann er damit, die Kobolde zu manipulieren und am Ende benutze er sie, um gemeinsam sein altes Dorf anzugreifen und zu zerstören. Auf beiden Seiten gab es soviele Opfer, dass am Ende nur noch Tartuk selbst überlebte.
Er zog weiter und es gelang ihm erneut, einen Koboldstamm mit seiner Magie und seinem Wissen, und mit Lügengeschichten über einen Fluch, untermauert von einer alten Dämonenstatue, die er einmal gefunden hatte und von der er behauptete, dass sie zu ihm sprach, zu unterwerfen und in einen aussichtslosen Zermürbungskrieg zu schicken, dessen einziges Ziel das vollständige Aufreiben der Kobolde gewesen war.
Dieses zerstörerische Treiben hatte jetzt aber endlich ein Ende gefunden.
Hinten im Buch eingeklemmt fand sich noch eine Schriftrolle mit einem Flugzauber. Laut seinem Tagebuch hatte Tartuk den Plan gefasst, wenn er einmal seines Daseins überdrüssig werden sollte, damit so hoch emporzufliegen, wie er nur konnte, bis die Magie versagen würde und der anschließende Sturz aus schwindelnder Höhe seine traurige Existenz beendete.