Außer dem Dain in seiner lauten Rüstung hören alle die Stimmen. Worte aber kann niemand ausmachen, doch bald war den Gefährten klar, woran dies liegt: weder Suli noch Värangsk noch Khusti noch Kissa wird dort gesprochen und auch kein Elbisch. Zunächst könnte man es für Gegrunze halten, doch wird trotzdem bald klar, dass es sich um eine Sprache handelt, so wenig ansprechend diese auch für ihre Ohren klingt: kehlig, nasal, voller Bell- und Grunzlauten. Ein halbes Dutzend Sprecher scheinen dort wild durcheinander zu palavern, einige schrillere Laute könnten womöglich von Furcht zeugen, die tiefkehligen Grunzlaute dagegen klingen eher aggressiv, herrisch, drohend.
Was immer Brakus riecht – und es ist sicherlich etwas, das ihn beunruhigt – doch aus seiner Reaktion kann Wulfgar nur ersehen, was es nicht ist, das ihnen da über den Weg läuft. Denn er kennt Brakus' unterschiedliche Reaktionen auf: Mensch, Elb, Kolkar, Beutetier oder ein anderers Raubtier. Nichts davon scheint dies zu sein. Vielleicht etwas, das Brakus noch nie untergekommen ist?
Lîf hält derweil nach alten Bäumen Ausschau. Der Wald ist noch immer sehr jung, wenn auch keine Kinderstube mehr wie zuvor am Waldrand. Tatsächlich kann sie einen erwachsenen Baum in ihrer Nähe entdecken, eine stattliche Linde. Wahrheitsfinderin, Urteilsfinderin, Friedenswahrerin. Die gerechte Linde. Mittelpunkt aller Thingstätten. Umstanden, in respektvollem Abstand, von einer Schar Jungbäume, scheint es fast, als hielte sie Gericht, als lausche sie den Worten der Kläger, der Antwortrede der Verteidiger. Mahnte zu kühlen Köpfen. Zu klugem Vorgehen. Zu Weitsicht. Zur Wahrung des Friedens. Denn nichts geht über den Frieden unter den Sippen.
Abdo derweil, nichts von Lîfs stiller Zwisprache mit der Linde ahnend, klettert beherzt an ihr hinauf, denn sie ist der höchste Baum ringsum. Bald erreicht er einen Ast, der über die Wipfel aller Nachbarbäume hinausragt, und von dort bietet sich ein wahrlich grandioser Blick über den Wald. Weit in der Ferne entdeckt er das Kloster auf dem Hang des Wächters, dahinter ragt der Erlstav empor. Das Meer sieht er von hier. Im Süden, etwa doppelt so weit entfernt, die große Mauer, Bollwerk gegen die Dämonen. Gen Westen blendet ihn das Licht der Abendsonne, die just in diesem Moment durch die Regenwolken durchbrechen muss. Mit einer Hand als Schirm in die Ferne blinzelnd, erkennt er dennoch, dass dort, vielleicht noch anderthalb Tagreisen entfernt (und ziemlich genau in der Richtung, in der sie bislang unterwegs waren) die Bäume zunehmend höher werden, dichter wohl auch dichter, dunkler, älter, wilder.
Was Abdo von seiner hohen Warte aus nicht erkennen kann sind die Urheber der Stimmen. Außer den Gefährten direkt unter ihm sieht er nichts vom Waldboden, dazu sind die Kronen der Bäume und das buschige Unterholz zu dicht.
Arnvidh derweil will es wie Wulfgar halten und hat sich auch schon ein gutes Versteck ausgeguckt, in das man sich entweder weiter hineinverkriechen könnte, um einer Entdeckung zu entgehen, aus dem sich aber ebensogut zu einem Hinterhalt hervorspringen ließe. Doch er hielt inne. Die Stimmen... ist da jemand in Not? Zwar versteht er kein Wort, aber bei den Feen hat er gelernt, auf andere Dinge zu achten. Ja, je länger er lauscht, desto mehr festigt sich sein Eindruck: da ist jemand in Not! Was nun allerdings noch nicht heißt, dass man sich ihnen gefahrlos nähern könnte, vielleicht sogar eher im Gegenteil. Man stelle sich ein verletztes Raubtier war, das ließe gewiss noch weniger gern einen Fremden - eine potentielle Gefahr – an sich heran, als ein gesundes Exemplar seiner Art.
Aeryn schleicht sich unterdessen beherzt vor. Zweiglein knacken entsetzlich laut unter jedem ihrer Schritte, oder so kommt es ihr selbst vor, doch gelangt sie in die Nähe der Stimme, ohne das jemand plötzlich einen Warnlaut ausstieße oder auf sie zueilt. Zuletzt kann sie zwischen ein paar Zweigen hindurch einen Blick auf die Gruppe erhaschen. Eine Gruppe aus sieben grauhäutigen Zweibeinern, gekleidet in Felle, zwei Männer, zwei Weibchen, drei Kinder. Die beiden Männer tragen kurze Bronzeschwerter am Gürtel, die beiden Frauen Knüppel. Die Kreaturen haben kurze Beine, dafür lange, muskulöse Arme. Ihre Augen sind klein, die Ohren so lang wie Elbenohren nur weniger spitz, dafür stehen sie steil nach oben. Barfuß laufen sie herum, bekrallt sind Zehen und Finger. Ihre Münder sind grotesk breit.
Die drei Kinder scheinen zu maulen und zu meutern und eines der Weibchen kauert auf dem Boden, offensichtlich unter Schmerzen. Das zweite streitet mit den beiden Männern, während es zwischendurch immer mal wieder nach einem der quengelnden Kinder haut.