Seinen großen Irrtum erkannte Tristan, als er, der eigenen Funde entladen, innehielt, um den ungeheuren Haufen an Reichtümern zu bestaunen, den man hier zusammentrug. Um ihn herum taten Fahrtenbrüder es ihm nach. Die Münder standen ihnen offen, die aufgerissenen Augen gingen ihnen über vor Gier. Welch Reichtum! Soviel Gold, Silber und edle Steine hatte noch keiner von ihnen auf einem Haufen gesehen! Wie alles blitzte und funkelte! Goldene Kelche und Schalen, Ketten und Ringe, Kreuze, Kistchen und Figürchen, und daneben das ganze noch einmal in Silber und vieles davon mit Edelsteinen besetzt. Dort: samtene Gewänder; hier: Fellumhänge, Mützen, Decken. Und noch immer wurde fleißig herbeigeschafft. Jasper und der rote Gunnar trugen eine beschlagene Kiste herbei, die zwar klein war, aber sehr schwer schien. Steuereintreiber nächtigten derzeit hier in Kloster Sundheim, erklärten sie grinsend, so ein Glück müsste man erst einmal haben! Ein Wort machte die Runde: Jahrhundertbeute.
Für all das hatte Tristan kein Auge übrig. Er war keuchend zusammengesackt, erst in die Knie, dann vorneüber, jetzt lag er bäuchlings im nassen Gras und hatte die Arme zu beiden Seiten ausgestreckt—in heidnischer Verehrung, würden die Mönche sagen, wenn sie noch lebten. Tatsächlich flehte er die Erdgöttin an:
Nicht meine Lîf, nicht meine Lîf, nimm sie mir nicht, ich bitte dich! Doch natürlich wäre es zu spät. Er hätte nicht mit auf Fahrt gehen sollen. Warum hatte er nicht auf sich selbst gehört? Diesmal war er ein Mann gewesen und hätte was tun können! Diesmal hatte er doch gewusst, dass etwas Schlimmes bevorstand.
Jemand drehte ihn auf den Rücken. Schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. Wieder und wieder, immer dieselbe Seite. Er solle aufhören zu schreien und sagen, was los sei.
Ich schreie? dachte er verwundert. Er hörte damit auf. Aber ein verständliches Wort brachte er dennoch nicht heraus. Man holte Sven Blutaxt herbei, ihren Drachenführer. Der schickte erst einmal die meisten der Männer weg. Ein Wink von ihm, und Tristan wurde etwas eingeflößt—kein Met, sondern Gebrannter—und einflößen war nicht das richtige Wort: man kippte ihm das Zeug in den Rachen, bis es zu beiden Mundwinkeln wieder herauslief.
Als Tristan danach endlich wieder Luft bekam, setzte er sich auf. Seine Worte machten für die anderen keinen Sinn, aber der Drachenführer würde wissen, wovon Tristan sprach.
"Sven, die Warnung, sie galt niemals uns und auch nicht dem Wetter! Kein Sturm drohte unsere Drachen auf die Klippen zu werfen! Daheim! Daheim stand ein Sturm bevor! Aber keiner, bei dem's blitzt und donnert, sondern einer, bei dem Beil und Schwerter singen und der rote Hahn auf Dächern kräht!"Denn was anderes konnte das alles bedeuten? Bestes Wetter seit gut einem Monat, unterwegs schon ein fettes Handelsschiff, das ihnen vor die Nase irrte, am Ziel der unfassbare Reichturm des Klosters, beides erstürmt und errungen unter geringsten Verlusten, und jetzt auch noch der glückliche Zufall, welcher ausgerechnet heute die herzoglichen Steuereintreiber in Sundheim Quartier suchen ließ? Dazu Tristan selbst noch am Leben und unverletzt? Aber dennoch die ahnungsvolle Gewissheit bei der Abreise:
Ich werde alles verlieren. Schon wieder werde ich alles verlieren.Die Erklärung mit dem Wetter hatte Tristan sich ausgedacht, als die bange Unrast der Abschiedsnacht am nächsten Morgen, als er an Bord der 'Jagtfalk' stand und zum Ufer zurückblickte, in eine handfeste
Vorahnung umschlug. Wenn er die Augen zusammenkniff, konnte er gerade noch Lîfs roten Haarschopf inmitten der winkenden Menge ausmachen.
Gleich verlier ich sie aus den Augen, dachte er noch, da fuhr ihm auch schon ein Schauer durch Leib und Seele, wie er ihn im Leben erst zweimal verspürt hatte. Beide Male war noch in derselben Nacht ein furchtbares Unglück geschehen. Doch mit einer solchen Behauptung hätte er sich nicht an seinen Drachenführer wenden können. Es kostete ihn auch so seinen ganzen Mut, um an Sven Blutaxt heranzutreten—denn
etwas musste er versuchen—und ihm tatsächlich vorzuschlagen, ob man den Beginn der Fahrt nicht besser noch einmal um ein paar Tage verschob. Seine Frau Lîf habe letzte Nacht einen furchtbaren Sturm vorausgesehen, der Art, wie selbst die Ältesten unter ihnen noch nicht gesehen hätten. (Eine Frau, zumal Druidenschülerin, dürfe derlei Vorahnungen ja wohl haben, dachte Tristan sich dabei, während ein Mann sich damit nur lächerlich machte.)
Sven Blutaxt lauschte seinem Rat mit ernstem Blick. Er schien ihn gar zu erwägen. Zumindest schweifte sein Blick über das Wasser, suchte die anderen vier Drachen. (Ein fünfter Drache war über den Winter fertiggestellt worden, man hatte dieses Jahr einen großen Fang geplant. Zum ersten Mal, seit Tristan auf den Inseln lebte, wollte man sich ein Kloster vornehmen, doppelt so groß wie einst das bescheidene Gotburg.) Doch schließlich schüttelte Sven den Kopf. "Es ist gut, dass du es mir sagst, gut, dass deine Frau achtgibt! Deine Lîf wird uns eines Tages eine gute
drudkvinde[1] sein, wenn die alte Esja zu den Ahnen geht, aber noch hat sie viel zu lernen. Esja hat die Zeichen für uns gelesen, sie sagt, der Zeitpunkt sei günstig. Endlich! Darauf mussten wir dieses Jahr schon lange genug gewartet!" Ja, das stimmte. So spät wie in diesem Jahr war man in den vergangenen siebzehn Jahren nicht losgekommen. Und das schlechte Wetter war schuld. Tristan hätte sich eine bessere Erklärung ausdenken sollen. Er hätte sich denken sollen, dass man die alte Esja gewiss nach dem Wetter befragt hatte.
Jetzt, vor den aufgehäuften Schätzen des Klosters Sundheim, beschwor Tristan den Drachenführer erneut, trotzdem er kaum glaubte, erhört zu werden, trotzdem man so oder so zu spät dran wäre:
"Sven, lass uns schnell zurück. Vielleicht"—sein Herz tat einen verzweifelten Satz—
"vielleicht gibt es Überlebende!"Wieder überlegte Sven. Tristans Hoffnung schwand, je länger der Drachenführer überlegte. Was er nicht ahnte: sein Ausbruch vorhin—für den er sich jetzt wohl schämen würde, beherrschte seine Sorge um Lîf nicht all seine Gedanken—hatte alles andere als lächerlich auf die Kameraden gewirkt. Als sei ein Blitz in ihn gefahren, so plötzlich hatte sich jeder Muskel in seinem Körper verkrampft. Die Augen waren Tristan derart im Kopf verdreht, dass nur noch das Weiße zu sehen war. Das gequälte Heulen aus seiner Kehle: nichts menschenähnliches hatte es mehr. Ein Anhänger des Einen Gottes hätte sofort an Besessenheit gedacht und versucht, ihm den Dämon wieder auszutreiben, der in ihn eingefahren war, doch der neue Glaube hatte es noch nicht bis auf die Inseln geschafft. Und so griffen Tristans Fahrtenbrüder das Wispern auf, das einige der Älteren begannen, jene nämlich, die sich an die Erstürmung Gotburgs erinnerten, die dort als erste in die Kapelle gestürmt waren und Tristan hatten singen hören:
Feenbalg.
Als das Wispern Sven Blutaxt erreichte, kam er endlich zu einem Entschluss.
"Ich muss mich mit den anderen besprechen", sagte er.
"Ich werde ihnen vorschlagen, dass zwei unserer Drachen daheim nach dem Rechten sehen." Ein Wink in Richtung des schönen Karls ließ diesen loseilen, die restlichen vier Drachenführer zu suchen und herbeizuholen.
Zweieinhalb Wochen später näherten sich also zwei schwer mit Schätzen beladene Drachen—falls Tristans Weib mit ihrer Vorahnung unrecht hatte, sollte die Fahrt wenigstens nicht umsonst sein—der Insel Jarlsö. Schon von weitem sahen die Heimkehrer, dass Hóp verwüstet und zu großen Teilen niedergebrannt war. Dort angekommen, durchsuchten sie die Trümmer, fanden weder Tier noch Mensch noch Vorräte noch Gerät noch irgendwas, das sich zu bergen gelohnt hätte. Auch keine Spuren.
Doch es gab Überlebende. Deren Wachposten, welche in den bald acht Wochen seit dem Überfall
[2] die See nicht aus den Augen ließen, falls die Plünderer zurückkehren würden—mit den eigenen Mannen rechnete man frühestens in drei Monaten—hatten die Drachen heranfahren sehen und eilten, nachdem sie die Schiffe als die ihren erkannten, von ihren Spähposten herbei. Tief hinein in den Wald hatte sich geflüchtet, wer konnte, und dorthin folgten Sven Blutaxt, Tristan und eine Handvoll Männer den Spähern jetzt. Das Wiedersehen zwischen Lîf und ihrem Gemahl vollzog sich lautlos. Das Gesicht barg Tristan an ihrem Hals, als er sie in die Arme schloss; Worte aber schafften es nicht an dem Kloß in seiner Kehle vorbei. 'Gaja sei dank, du lebst!' hätte er gerne gerufen und gleich darauf: 'Verzeih mir, Liebes, ich hätte nicht fahren sollen! Ich hätte auf dein Gefühl und mein eigenes hören sollen!' Und: 'Tut mir leid, dass du dies alles allein durchstehen musstest!' All dies blieb ungesagt; vielleicht erriet Lîf es aber trotzdem.
Sven Blutaxt wartete gerade einmal so lange, bis Tristan—höchst widerwillig—sich von seinem Weib löste, bevor er an Lîf herantrat. Als diese ihm bestätigte, was man beim Anblick der niedergebrannten Hütte am Dorfrand bereits befürchtet hatte: dass die alte Esja sich unter den Toten befand, sagte Sven, indem er den Kopf in ihre Richtung senkte:
"Wir hätten auf dich hören sollen, drudkvinde. Sag uns jetzt, was wir tun müssen, wohin wir uns wenden sollen, und wir werden uns nach deinem Rat richten."[1] Värangsk für: Druidin
[2] Der Überfall fand also statt, wenige Tage nachdem die Drachen gestartet sind. Die Angreifer müssen Späher postiert haben, um dies melden zu können.~~~
Zwanzig Jahre auf den Inseln, achtzehn davon mit auf Fahrt, und Tristans Nase war heil geblieben. Eine Woche auf dem Festland unterwegs, allein mit seiner Frau, und drei Kerle hatten ihr Bestes versucht, sie ihm zu Brei zu schlagen. Den Streit aber hatte er begonnen.
Über ihn gebeugt und den Schaden begutachtend, seufzte Lîf. Auch der Rest von ihm sah wüst aus. Sie würde nicht alle seiner Verletzungen mit Gajas Hilfe heute noch versorgen können, sie musste sich auf das Wesentliche konzentrieren. Rippen oder Nase? Das eine war für die Schönheit besonders wichtig, das andere vielleicht fürs Leben. Behutsam tastete sie seinen Brustkorb ab. Waren Rippen gebrochen? Sehr? Oder nur angebrochen? Nur angebrochen, entschied sie. Organe wären nicht in Gefahr. Dann durfte sie sich für die Schönheit entscheiden. Beherzt machte sie sich also an seiner Nase zu schaffen und rückte gerade hin, was ihrer Meinung nach gerade dahin gehörte. Dabei kümmerte sie sich weder um Tristans Protest noch seine Schmerzenslaute.
"Was musstest du auch mit den Dreien Streit suchen?" fragte sie ihn—in einem vernünftigen Ton, wie sie meinte.
Das fand Tristan aber nicht. Mehr noch: den Vorwurf fand er ungerecht, denn Streit gesucht hatte er nur mit einem. Die anderen zwei hatten sich ganz ungefragt eingemischt.
"Das fragst du?" rief er, als sie endlich einmal von seiner Nase abließ.
"Er hat dich angefasst!""Das tun die männlichen Patienten manchmal", erklärte sie ruhig.
"Glaubst du, in Hóp war das anders? Verletzte oder kranke Männer nehmen sich gern so einiges heraus. Ihre Angst dürfen sie ja nicht zeigen, also überspielen sie sie auf diese Weise.""Zuhause? Zuhause soll dir einer mit der Hand unter den Rock...? Während du dich über ihn beugst, um ihm einen faulen Zahn zu ziehen?""Vielleicht nicht ganz so dreist, aber viel hat nicht gefehlt. Der schöne Karl war durchaus bekannt mit dem Körperteil, von dem er dir riet, du sollest es mir verdreschen. Er fasste da gerne mal zu."Tristans Unglaube wandelte sich in Empörung. Wenn Lîf derart klare Worte sprach, war daran nicht zu zweifeln; ihn auf diese Weise belügen würde sie niemals.
"Dann hättest du mir das sagen müssen!"Lîf lachte.
"Damit du dich mit ihm prügelst und ich dich hinterher zusammenflicken darf? Nein danke! Nun tu nicht immer so, als wüsste ich mich selbst gar nicht zu wehren. Das vorhin zum Beispiel war völlig unnötig. Mund auf, Zange hinein—schon hätte der Kerl aufgehört."Tristan erwiderte nichts darauf, was hauptsächlich daran lag, dass sie wieder an seiner Nase herumdrückte. Einige Male hielt sie kurz inne, um ihr Werk mit kritischem Blick zu prüfen. Endlich damit zufrieden, legte sie ihm beide Hände auf die Wangen und sandte ein Gebet an Gaja. Das Gefühl, das Tristan dabei durchströmte, hatte er schon einige Male erfahren dürfen, und noch immer fand er keine Worte, es zu beschreiben. 'Wie ein kleines Kind geborgen im Arm seiner Mutter' kam der Sache vielleicht am nächsten, traf sie aber nicht ganz. Danach jedenfalls war der Schmerz verschwunden. Also der im Gesicht.
"Aber du kannst mir sagen, was du willst", schlussfolgerte er, als sie fertig war.
"Dieses von dir vielgepriesene Prinzip 'ehrlichen Lohn für ehrliche Arbeit' funktioniert auch nicht besser als unser Motto 'ein freier Mann nimmt sich, was er haben will'. Tatsächlich erscheint das unsere mir ehrlicher."Lîf schaute fragend, also führte er aus:
"Drei Silber hat der Kerl uns versprochen, wenn du ihn von seinem wehen Zahn befreist. Ja und, wo ist das Geld? Der Zahn war doch hinterher draußen."~~~
Nach dem Abendbrot in der Wirtsstube, für dessen Dauer ein Waffenstillstand ausgemacht war, ging der zuvor begonnene Streit nahtlos weiter. Noch immer stritt man wegen Geld und der Arbeit.
"Ich will das nicht!" sagte Tristan. Er begann ungefähr in der Lautstärke, in der man zuvor geendet war. Wahrscheinlich hätte man genausogut in der Wirtstube weiter diskutieren können; es bekam so oder so wohl das halbe Haus mit.
"Und wenn du mal richtig überlegen würdest, müsstest du einsehen, dass du so etwas von keinem Ehemann erwarten kannst: dass er ruhig zusieht, wie andere Männer seine Frau begrabschen! Also nein und nochmals nein! Ich erlaube nicht, dass du deine Heilkünste jedem Dahergelaufenen gegen Geld verkaufst!""Und wovon sollen wir dann leben?" gab Lîf ebenso erregt zurück.
"In drei Tagen geht uns das Geld aus! Was essen wir dann? Was du mit der Schleuder erlegst? Glaubst du, wir kommen so bis zu meiner Familie hoch? Und wenn wir dann oben sind? Wir brauchen doch ein Auskommen! Wir können den Eltern doch nicht auf der Tasche liegen! Und außerdem, was sollen meine Eltern von uns denken, wenn wir so abgerissen daherkommen!"Damit legte sie den Finger natürlich genau auf Tristans Wunde. Ja, was sollten ihre Eltern nur von ihm denken. Was sollte er selbst von sich denken? Ein Mann, der es nicht schaffte, seinem Weib ein Heim zu bieten, Schutz und Geborgenheit, einen warmen Herd, Essen auf dem Tisch, einen halbwegs sorgenfreien Blick in die Zukunft... Nichts davon konnte er seiner Lîf mehr bieten, verloren war alles, so sah die Wahrheit aus! Und dennoch hatte er sich von ihr überreden lassen, sich von den Seinen zu trennen, mit deren Hilfe er einiges davon hätte zurückgewinnen können! Hatte sich zu zweit nur mit Lîf auf den langen Weg zu ihren Eltern und ihrem Clan gemacht. Ein hoffnungsfrohes Bild hatte sie ihm gezeichnet; nicht einen Moment daran geglaubt hatte er. Er hatte nur nachgegeben, weil er ahnte, dass sie es ihm nie verzeihen würde, wenn er ihr diesen Herzenswunsch versagte. Weil er Angst hatte, sie auch noch zu verlieren. Was hielt sie denn bei ihm? Was hinderte sie daran, jetzt wo man auf dem Festland war, dem Mann, der sie gegen ihren Willen geraubt, gegen ihren Willen gebettet und zu seinem Eheweib gemacht hatte, eines Nachts einfach davonzulaufen?
Nichts.
"Ich könnte mir auch andere Arbeit suchen", schlug Lîf vor, im Ton versöhnlicher. Offenbar las sie ihm die Seelenqual an der Miene ab.
"Ich bin nicht ungeschickt mit Lederarbeiten... Mit Tieren kann ich auch umgehen... mit der Landarbeit kenne ich mich bestens aus. Es ist doch bald Erntezeit, da wird immer jemand gesucht...""Die Arbeit einer Magd willst du verrichten? Was denkst du dir! Wo soll das enden? Im Bett des Herren, der dir befiehlt? Kommt nicht in Frage!""Na, dann schlag du mal was vor!" rief Lîf erbost.
"Erklär' du mir mal, wie wir an Lohn und Brot kommen sollen, wenn nicht durch meiner Hände Arbeit!""Durch meiner Hände Arbeit!" rief Tristan und senkte darauf den Ton. "Der Baumeister vorhin am Nachbartisch, mit dem holden Töchterlein, der will morgen los, hast du nicht gehört? Nach Kromdag soll es gehen. Einen fetten Beutel hat der dabei und reist nur mit einem Gesellen! Den könnte ich mir schon vorknöpfen, das trau ich mir wohl allein zu!"
Lîf machte einen Schritt auf ihn zu, beide Arme in die Hüften gestemmt. "Wir sind jetzt auf dem Festland", zischte sie. "Hier nennt man so etwas 'gemeinen Straßenraub' und nicht 'Arbeit'! So glaub mir doch! Du kannst nicht einfach so weitermachen wie bisher, du hast jetzt ein Weib und bald schon ein Kind! Was soll denn aus uns werden, wenn du an den Galgen musst?"
Tristan erstarrte. Hatte sie da gerade gesagt...? Meinte sie damit...?
"Du... du bist..." stammelte er.
"Du meinst, ich werde... wir werden... Ja, bist du dir auch sicher? Weißt du's gewiss? Wie lange noch?"Seine Frau verdrehte die Augen.
"Ja, mein Gemahl. Du wirst, wir werden, und ich weiß es gewiss. Nicht wahr, du siehst nun, warum ich meinen Beruf ausüben muss? Mit der Heilkunst lässt sich gut über die Runden kommen, damit lässt sich für drei ein Auskommen verdienen. Im dritten Mond bin ich erst, das Kind wird also ein Winterkind, aber weit hin zum Frühling wird's nicht mehr sein.""Ich werde Vater", murmelte Tristan verzückt und blieb doch stur.
"Dann kommt erst recht nicht in Frage, dass du arbeitest! Mit meinem Kind unter dem Herzen! Kranke versorgen, die dir die schrecklichsten Leiden antragen könnten? Und du stirbst mir darauf weg und das Kind gleich mit: niemals!" Er streckte den Arm nach ihr aus, versuchte sie zu sich heranziehen.
"Lîf, Liebes, du hast mich so glücklich gemacht! Ein Kind! Unser erstes Kind! Ach, da sieht die Welt doch schon viel heller aus! 'Alles hast du verloren!' dachte ich, 'außer deiner Lîf!' Und nun erfahr ich, dass ich noch einmal so viel wie dich gewonnen hab'!"Trotz der lieben Worte aber entwand sein Weib sich seinem Griff und wich vor ihm zurück.
"In Kromdag, habe ich gestern gehört, wird eine neue Kirche gebaut. Hunderte von Arbeitern werden gesucht, wenn nicht gar tausende. Das wäre ein leichtes für einen kräftigen Mann wie dich, dort Anstellung zu finden." Eine Kirche? Eine Kirche bauen sollte er helfen? Was dachte sich sein Weib? Sieben Jahre lang hatten die Mönche ihn gequält, um ein Haar verrückt wäre er in ihrer "Obhut" geworden—und er sollte auch nur einen Finger krumm machen für ihren Gott, den 'einzig wahren'? Tristan musste lachen.
"Na, ich hör' wohl nicht recht. Und das schlägt eine Priesterin Gajas vor. Eine Kirche!""So, das ist als auch unter deiner Würde als ehemaliger Gutsherr!" schimpfte Lîf und senkte dann die Stimme. "Oder ist's der Seeräuber, an dessen Würde jegliche Form der Arbeit kratzt?" Schließlich zuckte sie aber mit den Schultern und sagte ebenso resigniert wie entschlossen: "Gut, dann verkaufe ich eben meinen Schmuck. Etwas anderes bleibt mir nicht."
"Deinen Schmuck? Was, nein, bevor du das tun musst, fällt mir schon noch was ein! Ich habe nämlich gestern gehört, dass ein gewisser Lord Ajrin tüchtige Männer sucht, die eine Waffe zu schwingen wissen. Das wäre wohl die rechte Arbeit für mich. Ist sie dir ehrlich genug? Dann will ich mich bei ihm melden. Nun sei aber ein Herz und mir nicht mehr bös'. Ich tu' doch alles für dich—und noch viel mehr!—ehe ich dich oder mein Kind Not leiden ließe."Und Tristan zog seine Lîf in den Arm und sie ließ es geschehen, und der Tag endete in stiller, glücklicher Zweisamkeit.
"Ein Kind bekommen wir", murmelte Tristan noch kurz vor dem Einschlafen. "Dann mag dein Vater sich rühren lassen. Dann erschlägt er mich vielleicht nicht gleich auf der Stelle, wie es sein gutes Recht wäre, weil ich ihm ohne seine Einwilligung die Tochter verführt habe!"
Das erklärte, so im Nachhinein, dachte Lîf, warum ihr Gemahl sich so gesträubt hatte, als sie ihn von Herzen bat, doch mit ihr gen Norden zu ziehen, damit sie ihre Familie wissen lassen könne, dass sie noch lebe und es ihr gut ginge. Manchmal wäre es wirklich hilfreich, wenn er die Dinge, die ihm Sorge bereiteten, auch aussprechen würde. Das aber verbot wohl das stolze Männerherz! Und so endete der Tag für sie fast so, wie er begann: mit einem tiefen Seufzer.