Wie von Furien gehetzt raste Veleri durch den Wald, ohne auch nur noch einen einzigen Gedanken an ihre zurückgelassenen Freunde zu verschwenden. Lauf! Renn! stakkatoartig wiederholte sie diese beiden Worte, so als könne sie damit verhindern, von Neuem die Kontrolle über sich selbst zu verlieren.
Ich hab die Waffe gegen einen von ihnen erhoben. Sie werden mich nie wieder akzeptieren. Nie wieder! Und falls doch, werde ich sie zu töten versuchen, sobald....Lauf!Renn!Lauf!...
Etwas zupfte am Rand ihrer Aufmerksamkeit und ohne sich umzusehen, wusste sie, wer sie verfolgte. Der Mönch war seinem Tod gefolgt.
Wachsam verhielt Stedd, als Veleri abrupt anhielt und sich umdrehte. Das Rennen war kurz gewesen, aber in seinem geschwächten Zustand hatte er seine letzten Energiereserven einsetzen müssen, um mit der jungen Frau mithalten zu können. Ahnung wandelte sich in Gewissheit, als er in das blutverschmierte Gesicht mit den mörderisch starrenden kalten Augen blickte. Der Tag, an dem er seinem Schicksal entgegentreten würde, war gekommen.
Unbewusst ging er in eine Verteidigungsstellung, auch wenn er sich kaum Chancen gegen seine Gefährtin ausrechnete. Deren Gesicht sich gerade zu einem teuflischen Grinsen verzerrte. Einen Schritt nach dem andern, langsam aber unerbittlich, kam sie katzengeschmeidig auf ihn zu...
...als plötzlich ein Blitz in ihr Gehirn einschlug, der ihre Mordpläne auf einen Schlag wegwischte.
Naoko hatte nicht viel Hoffnung gehabt, mit seinem Zauber wirklich etwas auslösen zu können. Die Geister hatten ihn nicht vorgewarnt, dennoch war es einen Versuch wert gewesen, eine möglicherweise anwesende böse Präsenz zu vertreiben. Um so überraschter war er nun, als die Dunkelheit mit einem Mal wie weggewischt war. Außerdem vermeinte er, einen langgezogenen mentalen Schrei verhallen zu hören. Unwillkürlich blickte er zu Marelas Leichnam hinüber. Überrascht stellte er fest, dass kein Tropfen Blut mehr zu sehen war, als ob die Haut wieder eingesaugt hätte, was sie zuvor ausgespien hatte.
Als Veleri wie vom Schlag getroffen zu Boden stürzte, waren alle Gedanken an Kampf wie weggewischt. Stedd stürzte zu der jungen Frau hin, um ihr zu helfen, sah aber sofort, dass es nicht notwendig war, als sie sich von selbst wieder erhob. Eine bemerkenswerte Wandlung war mit ihr vorgegangen. Die Mordlust war von ihren Zügen verschwunden, aber auch das kleinmädchenhafte, dass Veleri sonst ausgezeichnet hatte, war einer ruhigen, selbstgewissen Sanftheit gewichen.
Ich hab nicht viel Zeit, also fasse ich mich kurz. Du, Stedd, Du und deine Freunde, ihr müsst sie gehenlassen. Sie muss ihren, und ihr müsst euren Kampf weiterführen. Doch ist es derselbe, und betet, dass eure Freundin diesen Kampf gewinnt. Denn es steht geschrieben, dass sie für einen kurzen Zeitraum über das Schicksal von Göttern bestimmen wird. Und ihre Wahl wird über euren Erfolg mitentscheiden.
Lasst sie gehen, denn eure Nähe würde sie schwächen. Um ihre eigene Seele zu kämpfen, wird ihr alle Kraft abverlangen. Sollte sie euch aber Schaden zufügen, ob gewollt, oder ungewollt, wird sie den Kampf verlieren.
Wisset, dass die Mächte des Lichts ein Auge auf das Mädchen geworfen haben. Sie ist nicht ohne Schutz. Lasst sie gehen, und vielleicht werden wir uns wiedersehen, wenn die Zeit gekommen ist.
Ohne weitere Worte drehte Veleri sich um und begann wieder, leichtfüssig zu laufen. Der Mönch starrte ihr fassungslos hinterher. Seine Augen hatten Veleri gesehen. Doch seine Ohren hatten die Stimme einer Toten vernommen.