Der Sheriff schüttelte den Kopf.
"Ich denke, Du hast Dir etwas Freizeit verdient. Besuch die Einweihung der Kathedrale, amüsier Dich ein wenig, bis wir Nachricht von den Waldläufern haben, können wir eh nichts unternehmen. Das rate ich auch Euch anderen, wobei es mich freuen würde, falls Ihr mir für weitere Erkundungen zur Verfügung stündet. Ich habe das Gefühl, es braut sich etwas zusammen, und ich glaube, bis zum Ende werden wir über jede Hilfe froh sein."
Hannah hatte Mestrard schweigend zugehört, und ihn nicht ein einziges Mal während seiner Rede unterbrochen. Ihr Schweigen dauerte noch eine Weile, bis sie schlussendlich ihr von den silberweißen Haaren umrahmtes und von vielen Altersfalten gezeichnetes Gesicht hob.
"Es tut mir leid, Mestrard, ich kann Dir deine Fragen nicht beantworten. Nicht, weil ich die Antworten nicht aussprechen möchte, sondern weil ich sie nicht kenne."
Hannah lächelte leicht, als sie Mestrards Enttäuschung bemerkte, und hob die Hand, wie um eine vorschnelle Entgegnung abzuwehren.
"Aber ein paar Dinge werde ich Dir erzählen, auch wenn ich nicht weiß, ob sie Dir irgendwie weiterhelfen können. Aber Rätsel sind wie Geburten: man muss auf die kleinsten Details achten, wenn man am Ende keine Enttäuschung erleben will."
Sie schenkte Mestrard aus dem dampfenden Krug nach und nahm selbst einen kleinen Schluck.
"Die Frage nach Tsuto Kaijitsus Vater zuerst. Ich kann es Dir nicht mit Gewissheit sagen, da Atsuii sich mir nie anvertraut hat, obwohl ich ihr bei der Geburt all ihrer Kinder half. Aber ehrlich gesagt glaube ich nicht, das Iremiel Povalli - möge er Gnade vor Pharasmas Augen gefunden haben - der Vater Tsutos sein kann. Er galt zwar als Frauenheld, aber ich weiß aus dem Munde vieler enttäuschter Frauen, dass er seiner Vernah bis zum Ende treu geblieben und keiner der vielen Avancen, die sie ihm machten, stattgegeben hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er so töricht gewesen wäre, sich ausgerechnet mit der Gemahlin eines der mächtigsten Männer der Stadt eingelassen hätte. Und außerdem kennt Ihr ja Rynshinn selbst. Sie ist das Ebenbild ihrer Mutter, Iremiel hätte sich niemals mehr wünschen können, als das, was er bereits sein Eigen nennen durfte."
Ein weiterer Schluck.
"Wenn ich einen Verdacht äußern sollte, dann würde er eher auf einen Freund Iremiels zutreffen, einen Elfen, der seinerseits mit ihm zusammenreiste. Ich weiß nicht viel von ihm, er wurde immer der "Eisendorn" genannt. Ich habe ihn nicht leiden können, aber er hatte etwas verwegenes an sich, auf dass manche Frauen viel zu sehr ansprachen. Ich habe manches Mal gedacht, dass Tsuto einen ähnlichen Charakter habe wie dieser "Eisendorn" hätte. Aber mehr als vermutet habe ich es nie."
"Über Nualias Herkunft kann ich Euch leider noch weniger sagen. Sie war ein Findelkind, dass eines Tages vor den Toren der Kirche lag. Vater Tobyn brachte sie zu mir, um sie untersuchen zu lassen. Bei dieser Untersuchung stellte ich fest, dass sie nicht vollkommen menschlicher Herkunft war, und Vater Tobyn, der sich wohl etwas in die Kleine verliebt hatte, beschloss, sie an Tochters statt aufzunehmen, da er sie aufgrund ihrer für ein Baby außergewöhnlichen Schönheit für eine Auserwählte des Sphärenklangs hielt.
Wir haben aber nie herausfinden können, wer die Eltern der Kleinen sind."
Hannah schien einen Moment mit sich zu ringen, dann fuhr sie fort."
"Eines solltet Ihr aber wissen. Es gibt eine Sache, die ich bis heute niemandem gegenüber erwähnt habe, um das Andenken Vater Tobyns nicht zu beschmutzen. Nualia..." die alte Hebamme blickte Mestrard direkt in die Augen, "..trug zum Zeitpunkt ihres Todes ein Kind unter ihrem Herzen."