Langsam füllte sich der Platz, das Stimmengewirr vereinte sich zu einem erwartungsvollen Summen, unterlegt von den Einlagen ein paar vorwitziger Musiker, die den Beginn des Festes gar nicht mehr abwarten konnten. Die zunehmende Enge wurde noch dadurch verstärkt, dass die ersten Händler und Schausteller ihre Wagen am Straßenrand abgestellt hatten. Keiner machte Anstalten, schon mit dem Aufbau zu beginnen, soviel Zeit ließ man sich schon, aber es war klar, dass nach der offiziellen Eröffnung des Festes keine Zeit mehr verschwendet würde.
Und dann war es soweit. Eine burschikos wirkende, dennoch attraktive Frau mittleren Alters, deren grüne Amtstracht in einem reizvollen Gegensatz zu ihrem kurzgeschnittenen, rostroten Haar stand, stieg die Seitentreppe zum großen Podium empor und hob zum Zeichen, sprechen zu wollen, die Hand. So einfach diese Geste auch wahr, verstummte das Summen dennoch mit einem Schlag. Gespannte Vorfreude lag in den Gesichtern der meisten Besucher, die der nun folgenden Ansprache lauschten.
„Es freut mich, dass zu einer so frühen Morgenstunde schon so viele Besucher hier eingetroffen sind, um am im Kürze beginnenden Schwalbenschwanzfest teilzunehmen. Die meisten werden mich kennen“, ein freundliches Lächeln zauberte zwei Grübchen auf die Wangen der Rednerin, „ aber unseren Besuchern von außerhalb möchte ich mich kurz vorstellen. Ich bin Kendra Deverin und habe die Ehre, dieser Stadt als Bürgermeisterin dienen zu dürfen. Und ich heisse Euch alle herzlich Willkommen in Sandspitze. Möget Ihr nur gute Erinnerungen von dem heutigen Tage mit nach hause nehmen.“
Sie holte kurz Luft.
„Ich möchte die Gelegenheit nutzen, vor allem den Einwohnern unseres zauberhaften Städtchens meinen Dank auszudrücken. Dank für die viele Mühe, die sie in die Verschönerung unserer Stadt gesteckt haben. Dank für die Hilfsbereitschaft, den Bau unserer neuen Kirche“ , sie wies auf das prachtvolle Gebäude hinter sich, „sowohl finanziell als auch durch tatkräftiges Anpacken zu unterstützen. Und Dank dafür, dass sie alle heute hier zusammengekommen sind, um das Wahrwerden dieses Traumes, den uns Desna, unser geliebter Sphärenklang geschickt haben muss, gemeinsam zu feiern. Ich sehe“ ,nun wurde ihr Lächeln schelmisch, und die beiden Grübchen bekamen von feinen Lachfältchen um die Augen Kendras Gesellschaft, „ dass sogar der alte Larz die Zeit gefunden hat, seine Arbeit für einen kurzen Moment liegen zu lassen, und mit uns zu feiern.“
Aus den Kehlen der Einwohner erhob sich gutmütiges Gelächter, während die Blicke zu einem etwas am Rande stehenden älteren Herren gingen, der selbst heute statt eines Festanzugs die typische, wenn auch wenigstens neue Arbeitskleidung eines Gerbers trug und ob der Worte Kendras ein etwas mürrisches Gesicht zog. Larz Rovanky war dafür bekannt, dass seine Arbeit ihm über alles andere ging, und es war in der Tat etwas besonderes, dass er sich wenigstens heute hierher bequemt hatte. Wieder hob Kendra die Hand, um die Aufmerksamkeit auf sich zurück zu ziehen.
„Ich will gar nicht mehr viele Worte machen, noch einmal wünsche ich euch allen ein wunderschönes Fest. Mögen unsere Gesänge bis nach Magnimar tönen. Und damit übergebe ich das Wort an unseren verehrten Sheriff, Belor Hemlock. Belor, bitte!“
Tosender Applaus folgte der Bürgermeisterin die Treppe hinab, während ein hochgewachsener, dunkelhäutiger Shoanti mit sorgfältig kahlrasiertem Kopf das Podium bestieg, dessen ernste, strenge Miene so gar nicht zu dem festlichen Anlass passen wollte. Nicht, dass seine Miene unfreundlich gewesen wäre, und doch wirkte er in seiner ganzen Art so kriegerisch, dass der Applaus unwillkürlich schwächer wurde und zur Gänze verstummte, als er vor die wartende Menge trat.
„Ich danke Euch, Bürgermeisterin. Nun, auch wenn heute ein Tag des Feierns ist, so ist es doch auch ein Anlass, der Ereignisse vor fünf Jahren zu gedenken, einer der schwärzesten Stunden, die unsere Stadt erleben musste. Ich bitte euch daher, mit mir gemeinsam eine kurze Gedenkminute für die Opfer des tragischen Brandes, der unsere alte Kirche zerstörte, zu begehen.“
Belor senkte den Kopf, und die Anwesenden, manche von ihnen schauten betroffen, andere eher verwirrt ob des plötzlichen Stimmungswechsels, taten es ihm nach. Der Sheriff schien die Sekunden abgezählt zu haben, denn pünktlich nach einer Minute hob er den Kopf wieder und sprach weiter.
„Die Erinnerung sollte uns auch davor bewahren, denselben Fehler ein zweites Mal zu begehen. Für den heutigen Abend ist ein großes Freudenfeuer geplant“, Belors Miene zeigte deutlich seine Missbilligung, „ und ich möchte euch alle bitten, die nötige Vorsicht walten zu lassen. Und...“
Kurz zögerte der Sheriff, dann verzog er die wulstigen Lippen zu etwas wie einem Lächeln.
„...Genießt den Tag und das Fest. Seid für den heutigen Tage Brüder in Frieden.“