Als Milan plötzlich seinen Rapier zog, wich die Halblingsfrau erschrocken zurück – ebenso wie die anderen Besucher des Marktes. Wie durch einen Nebelschleier bekam der junge Mann mit, dass einige Leute sogar mit Angstschreien davon rannten, während zwei oder drei andere ebenfalls ihre Waffen zogen.
Gerade, als die Angst, dass die Situation noch weiter eskalierte, dass tatsächlich Blut fließen würde, langsam in seinen Verstand kroch, spürte er, wie eine große, feste Hand seine Schulter ergriff. Er rechnete mit einem Schlag, mit Prügeln, oder damit, herumgerissen zu werden. Stattdessen blieb die Hand einfach nur auf seiner Schulter liegen.
„Das willst Du doch gar nicht“, erklärte eine tiefe Männerstimme. „Komm, steck die Waffe weg, dann gehen wir zwei ein Bier trinken und reden über alles. Ein Gespräch unter Männern.“Als Milan seinen Blick nach hinten wandte, sah er einen Mann mittleren Alters, kaum größer als er selbst, aber muskulös wie ein Bär. Milan konnte ein Kettenhemd unter dem hellbraunen Leinenhemd erkennen – und auf dem Leinenhemd das Symbol der Stadtwache von Himmelstor.
Es war die Frau, die sich für die Rubine interessiert hatte, die Eretria antwortete. „Wir würden uns niemals Mutter Sonne in den Weg stellen, junge Priesterin. Wir kommen von weit her als Besucher in diese Stadt. Auch wenn wir noch nicht alle Sitten beherrschen, so möchten wir doch das Recht einfordern, Geschäfte zu machen wie jeder andere.“
Nun wurde der Gnom offenbar wütend, und er ging wieder einen Schritt auf die bleichhäutige Frau zu. „Sitten? Man braucht nicht die Sitten beherrschen, um zu wissen, dass es nicht in Ordnung ist, Leute zu bedrohen und sie unter Druck zu setzen!“ Mit langsam rot werdendem Kopf wandte er sich nun an Eretria. „Sind gestern abend in meinen Laden gekommen“, erklärte er und zeigte auf das Gebäude hinter sich. „Boten mir Gold, damit ich mit meiner Familie die Stadt verlasse. Aber ich lasse mich nicht unter Druck setzen. Nicht mit mir, so was!“
Waldemar konnte an den seltsamen Gestalten nichts ungewöhnliches entdecken, bis auf die Dinge, die offensichtlich waren: Die strenge, schwarze Kleidung, die bleiche Haut und das Fehlen jeglicher Körperbehaarung. Offenbar verwandelte sich die Situation an dem gnomischen Stand allerdings gerade in einen handfesten Streit.
„Diese Leute“, erklärte Quinta mit leiser Stimme, „sind seit wenigen Wochen in Himmelstor. Nennen sich selbst Die Ergebenen. Wem sie ergeben sind, wüsste ich gerne mal. Machen nur Probleme, setzen die Händler unter Druck – einige haben wegen denen schon die Stadt verlassen. Und… in den letzten Tagen wurden sogar Leute entführt. Die Stadtwache meint, es gibt keine Beweise, dass es die Ergebenen waren, aber ich glaube nicht, dass jemand sonst in Frage kommt.“
Mit festem Blick sah die alte Wahrsagerin in Calfays Augen. „Du hast einen außergewöhnlichen Weg beschritten. Ich sehe das Blut der Drachen in deinen Adern.“
Für einen langen Augenblick ließ Kay diese Worte im Raum stehen, und beobachtete grinsend, wie sich die Augen der jungen Frau weiteten.
„Heute bin ich zwar nur eine alte Frau, die mit Wahrsagerei und Handel ihr Abendbrot verdient, aber früher…“ Sie beugte sich vor, und wieder schlug ihr saurer Atem in Calfays Gesicht. „Es gibt sie. Nicht viele, aber es gibt sie wirklich“, flüsterte sie verschwörerisch.
„Aber du musst Geduld haben. Es ist ein langer Weg, bis du mit den Großen fliegen kannst. Ohne Geduld wirst du fallen, bevor du dich auch nur das erste Mal erhebst. Achte auf die Zeichen, und nutze die Chancen. Neue Gefährten werden sich dir anbieten, sehr, sehr bald. Eine große Aufgabe steht dir bevor, aber nur, wenn du den Mut hast, dem Schrecken ins Auge zu sehen. Der wahre Schrecken verbirgt sich im Tageslicht. Er ist nah, das spüre ich. Du wirst die Zeichen sehen. Aber rechne immer mit dem Tod, sonst wird er dich überraschen.“
Kay war offenbar fertig, und starrte Calfay aus harten, funkelnden Augen an.