Hintergrund (Anzeigen)Sicherlich könnte man behaupten, dass Nachtsang keine Stadt ist, um dort Kinder groß zu ziehen. Man könnte auch sagen, dass es für einen alleinstehenden Vater dort nicht unbedingt leichter wurde als irgendwo anders. Und trotzdem gibt es alleinstehende Väter, die in Nachtsang Kinder großzogen. Kalim ging sogar noch einen Schritt weiter. Er zog seine beiden Kinder, Moandor und die zwei Jahre ältere Tamika, nicht nur in Nachtsang groß, sondern betrieb nebenbei auch noch das Mondlicht Theater, ein stadtbekanntes Etablissement für Unterhaltung, welche vor allem durch das Vorhandensein schöner – zumeist wenig bekleideter – Frauen erzeugt wurde.
Genaugenommen waren Tamika und Moandor Halbgeschwister, was an Tamikas spitzen Ohren auch leicht zu erkennen war, doch dies war in der kleinen Familie nie ein größeres Thema gewesen. Kalim konnte man auch nicht viel vorwerfen. Er liebte die Frauen nun einmal, aber für eine richtige Beziehung oder gar ein Eheleben war er nicht geschaffen. Und er war sehr verantwortungsvoll, sorgte für seinen Nachwuchs und wollte ihnen eine gute Ausbildung ermöglichen.
An weiblichen Einfluss fehlte es im Leben der beiden Kinder zumindest nicht, bei all den exotischen und auch weniger exotischen Tänzerinnen und anderen Frauen, die im Mondlicht Theater arbeiteten. Die Damen liebten die beiden Kinder und kümmerten sich aufopferungsvoll um sie, da Kalim als Geschäftsführer und Unternehmer auch oft sehr viel Arbeit zu erledigen hatte. So kam es Moandor und Tamika oft sovor, als hätten sie eine riesige Familie. Und so lernte Tamika wie man als Frau an das kam was man wollte und Moandor lernte – nun er versteht sich einfach gut mit dem anderen Geschlecht.
Beide Kinder zeigten schon früh magische Begabung, was Kalim zwar mehr als nur überraschte, aber keineswegs verängstigte. Ein Mann wie er, der mit allen Wassern gewaschen war, kam nicht umhin die Möglichkeiten zu erkennen, die sich seinen Kindern dadurch eröffneten. Und so war es für ihn eine Herzensangelegenheit die beiden zu fördern. Allerdings war die magische Begabung bei den Geschwistern unterschiedlich ausgeprägt. Tamika zeigte nebenher auch ein starkes musikalisches Talent und es zeigte sich, dass sie ihre Magie durch Musik zu wirken vermochte, während ihr Bruder dazu komplizierte und ritualisierte Formeln benötigte. Also war es eine beschlossene Sache, dass jeder einen eigenen Lehrmeister brauchen würde. Tamika einen Barden und Moandor einen Magier. Natürlich war dies mit einer gewissen finanziellen Belastung verbunden, doch Kalim wäre nicht Kalim gewesen, hätte er diese Situation nicht zum Guten wenden können. Und so wurde das Programm im Mondlicht Theater um Bardenkonzerte und Magievorstellungen erweitert. Die Lehrmeister der Kinder wurden mit in den Theaterbetrieb integriert und somit blieb sogar noch ein wenig Gewinn für Kalim übrig.
Auch wenn es niemand glauben mochte, der es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, es waren sehr glückliche Jahre für die beiden Kinder, die langsam zu Erwachsenen heranreiften. Doch alles Glück ist und bleibt dazu bestimmt zu vergehen, so auch das von Moandor und Tamika. Kalim lag eines Morgens tot über seinen Abrechnungen, sein Herz hatte einfach aufgehört zu schlagen. Zu diesem Zeitpunkt war Moandor 17 Jahre alt und seine Schwester 19. Es war eine traurige Zeit und es vergingen viele Tage bis Tamika den Entschluss fasste das Theater wieder zu öffnen und das Werk ihres Vaters fortzuführen. Denn im Grunde war es eine sehr gute Sache, fand sie. Das Theater war auf eine merkwürdige Art zu einem Ort geworden, wo man sich komplett sicher fühlen konnte. Kalims Grundsatz war, dass alles was hier geschah auch hier blieb. Dieser Grundsatz galt für ihn selbst, für seine Angestellten und auch für seine Kunden. Diese schätzten die Privatsphäre dort so sehr, dass es bald ein ungeschriebenes Gesetz geworden war, dass im Mondlicht Theater kein Streit eröffnet oder ausgetragen werden durfte und das war nach Ansicht von Tamika etwas, dass des Bewahrens wert war.
Moandor hatte sich die Diskretion seines Vaters zwar auch zu Eigen werden lassen, jedoch konnte er sich, im Gegensatz zu Tamika, nicht mit der Bedeutung des Theaters als Vermächtnis seines Vaters hinweg trösten und litt schwer unter dem Verlust des geliebten Vaters. So sehr, dass er sich nicht mehr mit der Magie beschäftigte, die ihm bisher so sehr erfreut hatte und seine Fähigkeiten im Laufe der Monate fast komplett verkümmerten. Er trieb sich in der Stadt herum und kam, wenn überhaupt, nur betrunken nach Hause. Tamika und die Belegschaft des Theaters waren ratlos und konnten dem niedergeschlagenen Moandor nicht helfen. Es ging eine Zeit so weiter und man fand sich damit ab, dass der Junge sich schon wieder einkriegen würde, bis er gar nicht mehr nach Hause kam.
Selbst wenn Moandor wollte, könnte er sich heute nicht mehr daran erinnern, was in der Zeit passierte, als er ziellos umherirrte voller Drogen um den Schmerz zu vergessen, bis er eines Tages in einem weichen Bett aufwachte und voller Erstaunen an seinem inzwischen vorhandenen Vollbart ertastete, dass er mehrere Wochen in diesem Bett verbracht haben musste.
Wie ihm die Besitzerin des Bettes, eine junge Frau Mitte zwanzig namens Charna, erklärte fand sie ihn vor einem Monat ausgemergelt und halbtot in einem Brombeerbusch ihres Gartens. Er befand sich nun in ihrem Haus etwas weiter außerhalb Nachtsangs. Charna hat ihn versorgt und behandelt, sonst wäre er sicher gestorben, das war Moandor klar. Er blieb noch einige Wochen bei der jungen Frau und die beiden freundeten sich an. Das Haus entpuppte sich als weitläufiges Anwesen umgeben von hohen Mauern und der junge Mann konnte sich beileibe nicht erklären, wie er es im Rausch geschafft haben sollte, sich Zugang zu dem Anwesen zu verschaffen. Charna erzählte ihm von sich aus nicht, warum sie ihn gesund gepflegt hatte und nicht einfach von ihrem Besitz hatte entfernen lassen und Moandor war es anfangs nicht wohl dabei, der Frau diese Frage zu stellen. Sie hatte ihm klar gemacht, dass er bleiben konnte, solange er wollte, und er hatte nur wenig Skrupel, da es ihr augenscheinlich keine finanzielle Not bereiten würde für ihn aufzukommen.
Als Moandor nach einigen Wochen wieder bei Kräften war und es schien als seien all die Gifte, die ihr in sich reingeschüttet hatte, wieder verschwunden, begann er mit Charnas Wachmannschaft zu trainieren um wieder zu alter Form zu kommen. Es fiel ihm damals schon auf, dass die Wachen sehr zahlreich und sehr gut ausgebildet waren. Zu zahlreich und zu gut ausgebildet um bloß ein Anwesen außerhalb der Stadt zu beschützen. Aber Moandor stellte keine Fragen, seine Retterin schien nicht gefährlich, wenn auch etwas mysteriös. Die Versuche seine Magie zurück zu erlangen schlugen lange Zeit fehl und die Bitterkeit war auch noch lange nicht aus Moandors Herzen gewichen. Und er kam auch nicht über den Tod seines Vaters hinweg, wenn gleich es ihn nicht mehr so furchtbar quälte wie zuvor. Auch seinen Beinahe-Tod und seine Rettung empfand er als große Schmach.
Man hatte ihm beigebracht Magie frei von negativen Gefühlen zu wirken, doch wie konnte dies geschehen, wenn der Schmerz doch so tief saß? Moandor begann wieder von vorne, als wäre er wieder ein Magierlehrling und vertiefte sich in Konzentrationsübungen in denen er versuchte seine schlechten Gefühle in seinen Zauber fließen zu lassen. Und eines Tages gelang es ihm auch. Es fühlte sich anders an und er wusste sofort dass er lange brauchen würde, bis er diese neue Magie gezielt einsetzen würde können, aber er spürte deutlich, dass er wieder Zugang zur Magie hatte. Er war erfreut und berichtete Charna davon. Die Frau sah ihn eine lange Zeit nur abwägend an und Moandor glaubte schon er hätte sie mit dieser Offenbarung verschreckt. Die Menschen hielten oft nicht viel von der Kunst, das hatte er ganz vergessen. Doch zu seiner großen Verblüffung fragte Charna ob er nicht für sie arbeiten wollen würde.
Diese Arbeit entpuppte sich als Anstellung in einer ominösen Handelsgesellschaft von der Moandor noch nie gehört hatte. Elsharin, nannten sie sich und sie beschafften magische Relikte für zahlende Kunden. Die Fähigkeiten des jungen Mannes kamen Charnas Leuten sehr entgegen, er verstand einiges von Magie, konnte gut mit Menschen umgehen und im Training mit Charnas Kämpfern hatte er ein unerwartetes Waffentalent gezeigt. Nachdem er einige kleinere Aufgaben für die Elsharin erledigt hatte kehrte Moandor zum Mondlicht Theater zurück. Es war ein ganzes Jahr vergangen. Tamika war gleichwohl wütend als auch den Tränen nahe als er durch die Tür schritt und es folgte nach einer schwesterlichen Standpredigt ein Abend des gegenseitigen Geschichtenerzählens. Das Theater war beliebter als zuvor, die Leute mussten sich zwar erst an die neue Besitzerin gewöhnen, doch inzwischen war Tamika von allen respektiert und so etwas wie die gute Seele des Nachtlebens der Stadt. Zudem waren ihre Bardenkünste nicht von schlechten Eltern und die Leute kamen jedem Abend gerne um der hübschen Halbelfe beim Spiel zuzuhören und zu sehen.
Moandor berichtet seiner Schwester von seiner drogeninduzierten Irrfahrt und von seiner neugewonnen Freundin, die ihn gerettet hatte. Er erzählte ihr auch, dass er jetzt eine feste Arbeit hatte, allerdings glaubt Tamika bis heute, dass er für die Händlerin Charna neue Märkte erkundet. Zum einen verlangten die Elsharin eine gewisse Verschwiegenheit und zum anderen sah Moandor keinen Sinn darin Tamika in diese Dinge mit einzubeziehen. Moandor schätzt zwar, dass Tamika sich ihren Teil dazu denkt, jedoch weiß er auch, dass seine Schwester seine Geheimnisse akzeptiert.
Moandor musste sich drei Tage später verabschieden, da er einen umfangreicheren Auftrag zu erledigen hatte, der ihn weiter weg führen würde.
Und so vergingen die Jahre. Moandor war so eine Art Kundschafter für die Elsharin, der Gerüchten nachging und sie auf mögliche Wahrheiten prüfte. Er schrieb Berichte und reiste dem nächsten Gerücht hinterher. Jedes zweite Jahr kehrte er zu Charna zurück und überreichte ihr seine Berichte. Aufgrund seiner Berichte konnten die Elsharin Aufträge manchmal schneller erledigen, da sie nicht erst mühsam nach Anhaltspunkten suchen mussten sondern schon eine gewisse Menge an Fakten durch Moandor hatten mit denen sie gezielt zur Tat schreiten konnten.
Dem jungen Mann gefiel seine Arbeit sehr. Das Reisen bereitete ihm große Freude und er lernte gern neue Menschen kennen. Aus diesem Grunde stellte Charna niemals Fragen über die Elsharin und zeichnete sich vor allem durch verschwiegene Zuverlässigkeit aus.
An einem verschneiten und kalten Dunkelnachtabend vor drei Jahren änderte sich jedoch alles auf eine gewisse Weise. Moandor hatte gerade seine Untersuchungen zu den Gerüchten über einen Spiegel beendet, der angeblich die Seelen derer, die in ihn schauten, verzehren würde und saß im Gemeinschaftsraum seiner Herberge bei einem dampfendem Met, als sich eine Frau zu ihm an seinen einsamen Tisch setzte. Eine Frau wäre an dieser Stelle vielleicht untertrieben gewesen. Sie war von solcher Ausstrahlung, dass sie im Mondlicht Theater wohl die Geldbörsen der ganzen Stadt innerhalb einer Nacht hätte ausleeren können. Und sie begann damit Moandor schöne Augen zu machen. Nun war dies nichts ungewöhnliches, denn Moandor hatte einen Schlag bei den Frauen und wusste dies auch sehr gut. Und so ließ er sich zunächst darauf ein und der Abend wurde lang und unterhaltsam. Der Reisende war schon recht angeheitert, aber trotzdem bemerkte er immer wieder, wie die Frau versuchte ihn dazu zu bringen ihr zu erzählen, welcher Arbeit er nachging. Moandor fiel es sehr schwer durch den Schleier der Trunkenheit hindurch und an den Verheißungen, die diese Frau ihm versprach, vorbei seine Gedanken zu sortieren. Und doch lehnte er ihre Offerten ab. Er war sich selbst in seinem damaligen Zustand so sehr darüber bewusst wie gut ihm seine Arbeit gefiel und wie sehr sie ihm geholfen hatte wieder zu einem normalen Menschen zu werden, dass ihn keine Frau der Welt hätte dazu bringen können die Elsharin zu verraten.
In den nächsten Monaten passierten ihm immer wieder ähnliche Dinge. Es waren nicht immer bloß Frauen, die ihn angeblich begehrten, sondern manchmal wollte man ihn mit Gold überschütten oder Ländereien überlassen. Es war nicht schwer für Moandor diese Angebote auszuschlagen, waren doch die Frauen seine größte Schwäche gewesen.
Schließlich fand er sich in einer Seitengasse wieder, von mehreren Messern mit dazugehörigen Halunken bedroht, die ihn umbringen würden, wenn er seine Berichte nicht freiwillig herausgeben würde. Moandor war dieser Spielchen Leid und er sagte er würde seine Berichte freigeben, wenn man ihn im Zweikampf besiegte. Der Anführer der Räuber stellte sich daraufhin dem jungen Mann entgegen. Moandor war zu gleichen Teilen verwundert und verärgert über diese seltsamen Schurken. Sein Ärger wuchs jedoch als er an all die anderen merkwürdigen Versuche dachte, an seine berichte zu gelangen. Als wüsste er unterbewusst was zu tun war richtete er seine Klinge auf seinen Kontrahenten und sah ihn hasserfüllt an. Er bemerkte wie seine Klinge ein bläuliches kühles Licht emittierte und wie ein gleichfarbiger Schein kurz sein Ziel umspielte. Der Mann wirkte plötzlich gebrechlicher und schwächer als zuvor. Er schwang seinen Morgenstern nur mit wenig Präzision und schien selbst erstaunt darüber zu sein. Noch erstaunter war er, als er sah wie sich Moandors Klinge nun hervor stieß und sich durch seinen Brustkorp in sein Herz graben würde. Doch dann alles um Moandor dunkel.
Die Straßenräuber waren weg und so auch jedes Geräusch von den umliegenden Straßen. Eine merkwürdige Stimme sprach nun zu ihm. Sie klang merkwürdig verzerrt, wie Wind der durch ein verrostetes Eisengitter pfiff. Sie nannte sich Vokial und man konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, ob das Wesen weiblich oder männlich sein könnte. Sie sagte, sie wäre ein Schatten und arbeite für eine Organisation, die gerne auf Moandors Fähigkeiten zurückgreifen würde. Würde er Ablehnen, würde man lediglich seine Erinnerungen an dieses Gespräch löschen und er könne gehen.
Moandor sagte der Stimme, dass er seine Notizen nicht hergeben würde und man ihn nicht mit solch einem Zauber einschüchtern könne, wenngleich letzteres auch nicht so ganz überzeugend hervorgebracht werden konnte. Vokial offenbarte, dass es gar nicht um die Berichte ging, es wäre bloß ein Test gewesen, ob er verschwiegen genug für die Organisation wäre. Man wolle vielmehr, dass er für die Organisation eigene Berichte anfertige und seine Reisen ab und zu mal in eine bestimmte Richtung lenken würde, wo es ja schließlich auch genug Gerüchte geben würde, denen er nachgehen könnte sobald er seinen Bericht für die Organisation erstellt hätte. Im Gegenzug würde man ihm Informationen zukommen lassen, die ihm bei seiner Arbeit für die Elsharin helfen würde und auch an zusätzlicher Vergütung in jeglicher Form würde es nicht mangeln.
Moandor dachte einen Moment nach und befand, dass seine Arbeit damit prinzipiell nicht gefährdet wäre. Er willigte ein und die Dunkelheit verließ ihn. Er stand alleine in der Seitengasse und von den Dieben war keine Spur zu entdecken.
Und so kam es dass sich Moandors Papierverbrauch ein wenig erhöhte und er mehr Berichte als zuvor anfertigte. Ab und zu kam die Dunkelheit namens Vokial wieder zu ihm und unterhielt sich mit ihm. Mal bat sie ihn eine gewisse Sache zu untersuchen, mal gab sie ihm Hinweise, die ihm persönlich oder für seine Arbeit nützlich waren. Moandor lieferte weiterhin alle zwei Jahre seine Berichte bei Charna ab und besuchte dann seine Schwester, wenn es ihm möglich war.