Die Suche dauerte so lange, dass Lei mittlerweile schon den Eindruck hatte, es müsse bereits die Sonne wieder untergegangen sein. Doch wusste sie natürlich auch, dass man in unterirdischen Gängen wie diesem nicht nur leicht die Orientierung, sondern oft auch jegliches Zeitgefühl verlieren konnte. Zudem bot sich hinter jeder Tür dasselbe entmutigende Bild: Ein kleiner, karger Raum mit zwei übereinander hängenden Pritschen an der Wand - oder was davon übrig war. Außerdem hatten alle Räume gemeinsam, dass sich die spärlichen Möbel allesamt in einem fortgeschrittenen Zustand des Zerfalls befanden. Überall lagen auf dem Boden weiter Trümmer einfacher Möbelstücke - vermutlich Hocker oder auch schlichter Regale - die darauf hindeuteten, dass es sich bei diesen Räumen tatsächlich um die Art Zellen gehandelt haben musste, die Lei schon von ihrer Zeit aus dem Kloster kannte.
Die unermüdliche Arbeit der vier schien sich einfach nicht auszahlen zu wollen, denn nicht nur lieferte keiner der Räume einen Hinweis auf das Ziel der Suche - nicht Leis Suche, noch Maras Suche - zu allem Unglück schien dies auch für die vorhersehbare Zukunft so zu bleiben. Einzig Curt schien guten Mutes zu sein und alles interessiert zu mustern. Vermutlich spann er sich gerade jetzt eine neue Geschichte zusammen. In jeder Richtung zeigte der Gang, so weit der Schein ihrer Fackeln den Blick erlaubte dasselbe Bild und es wollte ihnen erscheinen, als würde er unendlich lang so weiter gehen.
Aus diesem Grund wirkte es für alle auch schon wie ein Erfolg, als sich endlich eine Variation dieser Monotonie ergab, nachdem sie schon über zwei Dutzend Räume durchsucht hatten. Bei diesem fiel direkt ins Auge, dass bereits die Tür in einem wesentlich besseren Zustand war, als die anderen, die schon so morsch waren, dass sie kaum noch ihr eigenes Gewicht halten konnten. Diese hier schien im Vergleich dazu neu und stabil und auch ihre Angeln, welche noch nicht die Spur von Rost aufwiesen, waren sicher und fest im Mauerwerk verankert. Als Curt versuchte, die Tür zu öffnen, um einen Blick in den Raum dahinter zu werfen, stieß er beinahe dagegen, so überrascht war er, dass sie verschlossen war.
"Das ist aber seltsam." bemerkte Mara nachdenklich, "Ich weiß genau, dass die Zellen im Kloster von Meister Loewenthal niemals verschlossen waren. Man konnte sie gar nicht verschließen. Diese Tür - oder zumindest das Schloss - muß nachträglich eingebaut worden sein."