5. Eleint 1374 TZ, drei Stunden nach Mitternacht, Arion
Arion hatte sich ein Stück weit vom Tempel entfernt, damit die Bogenschützen ihn nicht sehen konnten. Er hatte in der vergangenen Nacht nicht geschlafen und die wenigen Stunden im Gasthaus schienen auch schon wieder ewig her. Am Tempel tat sich nichts Außergewöhnliches. Die Wachen patrouillierten. Ab und an wurden sie ausgetauscht. Aus dem Häuschen neben dem Tempel kamen dann zwei andere Bogenschützen und gingen in den Innenhof, schlossen die Türen hinter sich und kurze Zeit später wurde auf dem Wehrgang die Wache abgelöst und die anderen Bogenschützen kamen wieder aus dem Tempel und gingen zurück in das Häuschen. Sonst tat sich nichts und gerade das war es, was Arion ermüden ließ. Er versuchte sich wach zu halten, aber es fiel ihm schwer. Und dann, es mochte nur Sekunden gewesen sein, war er eingeschlafen und wurde durch eine Hand auf seiner Schulter aufgeweckt. Als er hochfuhr, standen da zwei Menschen mit Kapuzenmänteln und hoben abwehrend die Hände. "Bitte, keine Aufregung, wir wollen Euch nichts", flüsterten sie. "Wir sahen Euch hier liegen und den Tempel beobachten. Außerdem haben wir heute gesehen, wie Ihr mit Tunaster gesprochen habt. Wir kamen nicht umhin zu bemerken, dass Ihr ihm anscheinend helfen wollt. Das ist auch etwas, was wir wollen. Wir sind Freunde von Amnic Basult, der auch ein Freund des alten Priesters war und vor kurzem verschwunden ist." Arion erinnerte sich, dass Tunaster einen Freund von ihm erwähnt hatte, der verschwunden war. "Leider sind unsere Fähigkeiten begrenzt, so dass wir bisher noch nichts gegen...das da..." Der Mann deutete auf den Tempel. "Unternehmen und Amnic da raus holen konnten." Die Männer nahmen die Kapuzen von ihren Köpfen und Arion erkannte einen wieder. Er hatte während der Zeremonie am Abend dicht bei ihm gestanden und war noch sehr jung. Dieser setzte nun an: "Ich habe mitbekommen, dass Ihr an dem Ritual teilnehmen wollt. Das ist gefährlich. Wir wissen nicht genau, was dort passiert. Wir haben jemanden hingeschickt, aber...der ist nicht wieder gekommen nach den drei Tagen...deshalb solltet Ihr nicht unvorbereitet dort hingehen." Die Gesichter der Männer waren sorgenvoll. Der andere Mann, deutlich älter, etwa in der Mitte der Vierziger, atmete tief durch, denn das, was er nun sagte, schien ihn viel Überwindung zu kosten: "Wir haben geglaubt, dass wir es allein schaffen. Amnic hat das geglaubt. Er dachte, wenn die Purpurdrachen schon nichts unternehmen, dann doch wenigstens wir. Aber nachdem er entführt wurde...wir wissen nicht mehr weiter. Ihr habt keinen Grund, uns zu glauben, und wenn Ihr keinen Wert darauf legt, uns zu helfen, verstehen wir das, aber..." Wiederum atmete er tief durch. Sein Gesicht war abgehärmt und durch zahlreiche Narben geziert. Anscheinend war er ein Krieger gewesen. "Wir brauchen Eure Hilfe und bieten Euch dafür auch die unsrige an. Unser Quartier ist ganz in der Nähe. Ithon hat uns zwar verboten, mit Euch zu sprechen, weil er...sehr wenig Vertrauen in Fremde hat, aber...wenn wir Euch mitbringen, wird er Euch auch nicht einfach so raus schmeißen." Die Männer wirkten hilflos. Arion war zwar müde, aber er konnte nichts Falsches an den Beiden erkennen. Sie hatten ihm genau das widergegeben, was er auch von Tunaster erfahren hatte.
5. Eleint, 1374 TZ, drei Stunden nach Mitternacht, Verdan
Er hatte einfach kein Auge zu tun können. Kaum zu glauben, was er hier gerade erlebte. Unruhig drehte er sich in seinem Bett hin und her und sprang schließlich auf. Nein, er musste sich die Beine vertreten und zwar dringend. Er verließ das Gasthaus und streunte ein wenig durch die Straßen, am Lindwurmlauf entlang, bis ihm plötzlich zwei Gestalten auffielen. Es war die tiefste Nacht, sie stahlen sich von Häuserschatten zu Häuserschatten - da war doch was faul. Er überlegte eine Weile, ob er es wagen sollte, doch dann begann er ihnen nachzuschleichen. Die Zwei sahen sich ab und an um, aber eher flüchtig, und hielten auf den Tempel zu. Doch kurz zuvor bogen sie ab und schlichen geduckt weiter bis zu einem kleinen Hügel, an dem eine schwarze Gestalt kauerte oder lag. Verdan konnte nichts Genaueres erkennen. Als er aber näher kam, erhoben sich zwei Männerstimmen und nun konnte Verdan auch erkennen, wer da gekauert hatte. Das war Arion. Was wollten diese Männer von ihm und was machte er da eigentlich?