Dorgen - Im Gasthaus "Zur Lindwurm-Schildwache"
"Ich weiß wirklich nicht, ob mir diese Art von Aufmerksamkeit gefällt", murmelte Veeti, ließ sich dann aber zu Dorgen ziehen und gab Ruhe. Dorgen begann zu lesen.
'2. Kytorn 1374 TZ, Weloon. Ich weiß nicht recht. Es ist mir fremd, Eintragungen in etwas vorzunehmen, von dem ich noch nicht einmal genau weiß, welche Kräfte es besitzt. Vielleicht lügt es mich an. Es würde mich nicht wundern, denn immerhin ist es von einem Karren dieser neuen Priester gefallen. Sie sind heute in der Stadt angekommen. Tunaster und ich haben sie eine Weile verfolgt, um zu sehen, was sie treiben. Dabei ist dieses Buch von einem Karren herunter gefallen, neben dem eine Frau mit einem weiten Kapuzenmantel lief. Man konnte ihr Gesicht nicht erkennen, doch von der Statur her war es sicher eine Frau. Ich habe das Buch aufgehoben, weil sie es nicht gemerkt hat. Doch bevor ich es ihr zurück geben konnte, waren sie schon im Altstein-Herrenhaus verschwunden. Ich habe das Buch genauer untersucht. Es redete ziemlich viel, bis ich es zum Schweigen gebracht habe. Es heißt wohl Veetishandros. Es scheint eine Art magisches Tagebuch zu sein. Ich frage mich, wer es geschaffen hat. Vielleicht war es diese Frau, doch daran glaube ich eher nicht. Das Buch strahlt nichts Böses aus. Das hat diese Frau zwar auch nicht, aber an ihr und diesen Priestern ist irgendetwas faul. Ich werde das lieber mit Tunaster ein wenig im Auge behalten.'
'10. Flammleite 1374 TZ, Weloon. Es ist unglaublich, aber diese Priester haben innerhalb nur eines Monats das Grundgerüst des Tempels aufgebaut. Es wird ein prächtiger Bau und doch geht etwas Bedrohliches von ihm aus. Wir halten uns fern von dort, wie sich die Priester anscheinend auch von der Stadt fern halten. Aber ich habe ein paar Freunde damit beauftragt, den Tempel im Auge zu behalten. Außerdem habe ich den Namen der Frau heraus gefunden. Sie heißt Lady Arthas und ist anscheinend die Tempelvorsteherin.'
'16. Eleasias 1374 TZ, Weloon. Der Tempel steht. Ich war bereits dort und habe ihn mir angesehen. Tunaster wollte nicht. Er vergräbt sich zurzeit in seinen Büchern. Der Tempel sieht gewöhnlich aus, aber dieser Priester Shan Thar macht einen seltsamen Eindruck. Er ist freundlich und doch liegt in dieser Freundlichkeit soviel Verschlagenheit, dass ich am liebsten von dort geflohen wäre. Ich habe schon mit Hauptmann Tholl gesprochen. Aber er meint, es gibt keine Verdachtsmomente gegen den Tempel und wie wir überhaupt darauf kommen. Er hat zwar Recht, aber mir ist unwohl. Ich forsche derzeit über Mystra im Genaueren nach. Bis jetzt keine Erkenntnisse, die gegen den Tempel sprechen würden. Ja, sogar der offene Innenhof ist für Tempel der Mystra nicht ungewöhnlich.'
'17. Eleasias 1374 TZ, Weloon. Fabula und Saevel waren heute mit Saevon bei uns. Veeti hat sich mit Fabula unterhalten. Ich glaube, er mag Elfen ganz gern, denn Fabula hat es geschafft, ihn ab und an mal zum Schweigen zu bringen. Die Beiden wollen sich uns anschließen und weil sie keine Menschen sind und nicht aus Weloon stammen, wollen sie am Ritual im Tempel teilnehmen, weil sie weniger auffallen als wir, und Mystras Heiligen Segen erhalten. Ich habe sie gewarnt, denn Tunaster kennt das Ritual nicht und ich habe darüber auch nichts in meinen Büchern finden können. Sie geben Saevon bei Ithon ab. Ich erzähle Tunaster besser nichts davon. Er ist momentan völlig durch den Wind. Er würde es nicht gut heißen, wenn sich die Beiden in Gefahr begeben. Ich habe ihm auch nicht erzählt, dass Ithon und ich eine kleine Gruppierung gegründet haben. Wir werden Flugblätter verteilen, gleich morgen. Sicher hätte er etwas dagegen, soviel Aufmerksamkeit zu erregen, auch wenn er wie ich der Meinung ist, dass die Purpurdrachen diese Priester decken.'
'18. Eleasias 1374 TZ, Weloon. Wir haben heute die Flugblätter verteilt und einige Zettel an den Häuserwänden angebracht. Ich war gerade auf der anderen Seite des Lindwurmlaufs, im Ostviertel, mit einem Zettel beschäftigt, als mich jemand angesprochen hat.'
Plötzlich begann die Schrift zu flackern, zu verschwimmen und blasser zu werden. Dorgen las schnell weiter, aus Angst, die Schrift könnte endgültig verschwinden. Anscheinend gab es ohnehin nur noch diesen einen Eintrag vom 18. Eleasias.
'Der Kerl war komisch. Er hat mich in einem schroffen Ton gefragt, was ich da täte. Das war keiner von uns, niemand aus Weloon. Der Mann trug ein schwarzes Hemd und darunter eine Rüste. Selbst sein Umhang war schwarz. Ich glaubte, mein Herz würde mir aus der Brust springen. Weloon ist ständig so belebt und überall Menschen, aber in diesem Augenblick sah ich niemanden. Er meinte, ich solle mich aus Angelegenheiten heraus halten, die mich nichts angehen, sonst könnte das unangenehme Folgen haben. Für mich und meine Frau. Mela. Er lächelte perfide und meinte, ich solle doch mal in den Tempel kommen und mich davon überzeugen, dass alles in Ordnung ist. Dann verschwand er. Ich eilte sofort nach Hause, aber Mela ging es gut. Ich war so erleichtert. Doch nun habe ich Angst. Und noch schlimmer wird diese Angst, wenn ich mir das Symbol vor Augen rufe, was dieser Mann trug. Ich bin ganz sicher, dass er der Du...'
Die Schrift verblasste endgültig, dann waren nur noch gelbliche Seiten zu sehen. Veeti erzitterte und blieb dann liegen. Die Seiten flach aufeinander gepresst, als sei es erschöpft.