Aimerelle schüttelte den Kopf, als wäre sie irritiert über die Vorwürfe. "Ich habe nie gesagt, dass ihr in der Vergangenheit leben sollt. Ich sage nur, dass ihr ein Anrecht habt, eure Vergangenheit zu kennen. Ob ihr der alten Zeit nacheifert, oder nur eure Lehren daraus zieht, das ist euch überlassen."
Sie sah Arue nachdenklich an, und lief bis zum vorderen Rand der Bühne, um der Schneiderin ein wenig entgegen zu kommen. "Ihr sagt, ihr begrüßt, dass man euch eurer Vergangenheit beraubt hat. Doch es gibt auch andere, jene, die darunter leiden. Deren Seelen deshalb so zerrissen sind, dass sie dem Wahnsinn anheim fallen. Und damit spreche ich nicht von Mördern und Räubern, sondern von normalen Menschen, die weder im früheren noch im heutigen Leben jemandem etwas angetan haben. Haben diese Leute keinen Anspruch auf Gerechtigkeit? Ist es gerecht, dass sie alles verlieren, sogar den eigenen Verstand, nur damit ihr die Bequemlichkeit habt, euch nicht mit der Vergangenheit auseinandersetzen zu müssen - etwas, für das ihr euch auch dann entscheiden könntet, wenn ihr diese Erinnerungen hättet?"
"Gazriel reist durch Thaikaris, um das Unrecht in Ordnung zu bringen, das euch allen angetan wurde. Er zwingt niemanden, sein Angebot anzunehmen. Er klärt die Leute genau auf, was sie erwarten könnte. Wenn sich dann der eine oder andere entscheidet, dieses Geschenk für das Schlechte zu nutzen, ist das Grund genug, allen anderen das Geschenk vorzuenthalten? Würdet ihr den Völkern das Feuer nehmen, nur weil es einige gibt, die damit Häuser in Brand stecken?"
Dann wanderte ihr Blick zu Mika. "Und nun zu euch. Wenn ihr Gazriel wirklich begegnet seid, und er euch nicht angeboten hat, euch zu erwecken, dann heißt das entweder, dass ihr bereits erweckt seid, dass ihr bereits Erinnerungen an ein früheres Leben habt, oder - dass ihr diese Erinnerungen im Grunde gar nicht wollt. Ist es nicht so? Ist es nicht so, dass ihr Gazriel vorwerft, euch zu benachteiligen, obwohl ihr genau wisst, dass es nicht der Wahrheit entspricht?"
In dem Moment stieg ein weiterer Mann die Stufen der Bühne hinauf, und blieb auf der obersten Stufe stehen. Es war der Krieger mit dem Symbol der Morgensonne auf dem Umhang. "Ich stimme Aimerelle zu! Leute, denkt doch mal nach! Es geht nicht darum, ob ihr diese Erinnerung unbedingt braucht. Aber man hat euch etwas genommen, das euch gehört, ohne euch zu fragen. Man hat euch beraubt! Ist das nicht Zeichen genug für die Ungerechtigkeit der Herrschenden?"
Einer der beiden Ritter der Morgensonne, die hinten stehen geblieben waren, rief laut "Genau!" in die Menge.
"Und sie hat Recht, wenn sie sagt, dass die Welt im Wandel ist! Wir müssen uns von der Herrschaft der Siddhai befreien! Kämpft mit uns! Wir, die Ritter der Morgensonne, sind die Speerspitze des Wandels! Habt ihr den Mut, den Willen zur Freiheit, um euch uns anzuschließen? Oder verkriecht ihr euch feige in euren Zelten und wartet, bis der Sturm vorbei ist, der das Antlitz dieser Welt für immer verändern wird?"
Während der Mann sprach, verfinsterte sich Aimerelles Miene zusehends. Doch viel deutlicher war die Reaktion Gamaels. Er verließ seinen Platz und ging direkt auf den Mann zu, sprach einige leise Worte zu ihm, und verließ die Bühne. Und es war offensichtlich, dass seine Reaktion sogar Aimerelle und Elvaril überraschte, die ihrem Gefährten noch einige Momente hinterher sahen.