Milan, der schon gerade aufgeatmet hatte, weil Arue das Gespräch auf ein anderes Thema brachte, war von Mikas Einwand überhaupt nicht überrascht. Sein Vater hätte es ganz genauso gesehen. Das Problem war, dass Milan diese Einstellung zwar verstand, sie aber für sich selbst nie hatte akzeptieren können. Genau deshalb war er weggegangen. Genau deshalb hätte er Magda nie geheiratet. Als Eretria in Tränen ausbrach, legte Milan ihr einen Arm um die Schulter, sah Mika aber lächelnd an.
"Ich kann deinen Einwurf nachvollziehen, sogar in beiderlei Hinsicht. Wir sind sehr jung und wir kennen einander noch nicht lange. Wahrscheinlich würde jeder Andere tatsächlich sagen, dass wir verrückt sind, jetzt schon zu heiraten. Aber...es gab in meinem Leben nie viele Gewissheiten, Mika. Du weißt, wie wankelmütig und unentschlossen ich ständig bin. Du bist das ganze Gegenteil davon, deshalb verstehe ich deinen Einwand. Aber ich, der sonst jede Entscheidung noch im selben Moment, da ich sie fälle, bereue, weiß, dass ich bei ihr bleiben werde, ganz gleich was geschieht. Ja, es kann sein, dass wir Fehler aneinander entdecken und dass wir Konflikte austragen werden, die unüberbrückbar erscheinen. Aber ich habe mich dazu entschieden, für immer - solange wir leben" - Milan wurde ernst, weil Calfay bereits angesprochen hatte, dass ihr Leben vielleicht nicht so lange währen würde, wie sie es sich erhofften - "für sie da zu sein. Als ihr Mann oder ihr Freund oder nur ein Gefährte, je nachdem wie sich unsere Gefühle irgendwann ändern sollten. Da bin ich wohl nicht wie du. Egal, was geschehen würde, ich würde sie nicht verachten, ich wäre immer für sie da, wenn sie meine Hilfe brauchen würde, weil ich ihr ein Versprechen gegeben habe. Nicht damit, dass ich sie heirate, sondern in dem Moment, als ich gesagt habe, dass ich sie liebe, in dem Moment, in dem mir ihr Leben mehr wert war, als mein eigenes. Und wenn du einmal so etwas für jemanden empfindest, wenn du einmal dein Leben für den anderen geben würdest, dann vergisst du das dein ganzes Leben lang nicht. Dann weißt du auch, was es heißt, zu lieben, und nicht nur verliebt zu sein."
Es war deutlich zu merken, dass Milan Mika nicht das Recht absprechen wollte, dass sie damals mit 14 das Gefühl hatte, den Jungen wirklich zu lieben. Aber vielmehr schien er selbst in diesem Moment zu begreifen, dass es einen Unterschied zwischen Verliebtsein und Liebe gab, und er wirkte plötzlich überrascht, als sei in ihm selbst gerade eine unzerstörbare Gewissheit gewachsen.
"Und ja, wahrscheinlich hat unsere Heirat keinen wirtschaftlichen Nutzen, weder für Eretria noch für mich, denn ich werde das Geschäft meines Vaters vermutlich nie übernehmen. Von daher heiratet sie einen armen Schlucker, was für dich noch weniger nachvollziehbar ist, nehme ich an. Mein Vater fände deine Ansicht großartig. Auch meine Eltern haben nicht aus Liebe geheiratet, auch wenn Liebe in gewisser Hinsicht gewachsen ist. Keine leidenschaftliche, eher eine platonische, aber wichtig ist, dass sie sich zusammen gerauft haben. Nur weiß ich nicht, wie glücklich sie je miteinander waren. Ob meine Mutter nicht einen anderen Mann geliebt hat oder mein Vater eine andere Frau." Er wusste so wenig über seine Eltern. "Die eigentliche Frage aber, die ich mir immer gestellt habe, war, ob ich lieber ein kurzes Glück oder eine lange Zufriedenheit, einen Kompromiss möchte. Und ich habe mich für das Glück entschieden, ganz egal wie lange es dauert." Er lächelte wieder. "Es gibt aber Menschen, die sich für den anderen Weg entscheiden und die Zufriedenheit wählen und wenn es das ist, was sie möchten, ist es der richtige Weg für sie." Milan küsste Eretrias Wange und meinte noch, während er sie beinahe fasziniert betrachtete: "Und keine Sorge, man kann nicht lernen, jemanden zu lieben oder sich zu entlieben. Liebe ist ein Gefühl und hat mit Rationalität nichts zu tun. Wenn du dein Herz dazu prügeln musst, jemanden zu mögen, dann ist es keine Liebe."
Schließlich küsste er Eretria noch einmal und sagte leise in ihr Ohr: "Weine nicht, sonst ist es mit dem Glück gleich vorbei." Er fuhr liebevoll mit einer Hand über ihren Rücken und hoffte, sie werde sich beruhigen, denn es gab bis auf ihr Weinen nur noch eine Sache, die er noch schwerer ertragen konnte und die lag zum Glück nur in seinen Träumen verborgen. "Bei den zwei Monden, ich finde es schlimmer, dich weinen zu sehen, als meine eigene Mutter." Ob diese Worte wirklich an Eretria gerichtet waren, konnte sie nicht genau sagen. Vielmehr schienen sie Milans gerade gewonnene Erkenntnis zu unterstützen.