Kal erkennt, dass es Shaniya ist, die den wandelnden Baum nach ihm erklommen hat. Fast wirkt sie glücklich, mindestens aber guten Mutes. Sie schreckt etwas zusammen, als seine Stimme aus dem Blattwerk tönt. In der Dunkelheit dürfte sie ihn kaum erkennen können. Auf seinen Zuruf hin bewegt sie sich vorsichtig vorwärts, angefeuert von ihrer leuchtenden Begleiterin. Auf dem feuchten Moos ist das gar nicht einfach. Für Seemänner gilt das natürlich nicht unbedingt. Kal ist es ein Leichtes, sich zwischen den Ästen und sie umschlingenden Lianen zu bewegen. Es gibt genug Halt, die Bewegungen des Grunds sind kalkulierbar und es fällt genug Mondlicht herab, um ihn etwas sehen zu lassen. Unter anderem kann er mehrere Früchte nicht weit entfernt ausmachen.
Unter Ächzen und Stöhnen krabbelt sich über den Arm zu ihm hoch. Ein Stück muss sie balancieren, um nicht abzurutschen, einige Schritt weiter kann sie nur kriechen. Ohne die überall aus der Rinde ragenden Ästlein hätte sie die Kletterpartie nicht überstanden. Seltsam für jemanden, der mit der Natur im Einklang zu leben scheint.
Sie muss sich unter einigen herabhängenden Engelstrompeten bücken und durch eine Astgabel steigen, um an ihn heranzukommen. Als sie ihn schließlich erkennen kann, erbebt sie für einen Augenblick. Unglauben streitet auf ihrem Gesicht mit Erleichterung wider. Dann, langsam wie eine sich öffnende Blüte, breitet sich ein zaghaftes Lächeln auf ihrem Gesicht aus. Immerhin besteht er aus Fleisch und Blut und befindet sich auf der selben Existenzebene. Weder atmet er Schwefel noch begleitet ihn ein flammendes Inferno. Im Gegenteil, er befindet sich in der Krone eines scheinbar wohlgesonnenen Waldgeistes, der ihn ebenso akzeptiert wie sie selbst.
„Du lebst?“, fragt sie überflüssigerweise. Wundersamerweise sieht sie unverletzt aus. Nicht einmal Quetschungen offenbart das Licht der Feen. Wie das sein kann, ist ihm völlig schleierhaft. Er hat mit eigenen Augen gesehen, wie ihr das Ding an die Gurgel gegangen ist. Sie lag wie tot darnieder.
Jetzt scheint sie quicklebendig. Neben ihm angelangt beginnt sie gierig zu trinken, als sei sie gerade der Zeitlosen Wüste entkommen.
Die beiden Feen klatschen aufgeregt in die Hände. „Jetzt sind wir alle zusammen! Ist das nicht toll!“, trällern sie wie im Chor. Kal traut seinen Augen kaum, als sie lachend aufeinander zufliegen und sich wie Schwestern umarmen, um im nächsten Moment ineinanderzufließen wie Rum und Kaffeelikör. Zurück bleibt eine einzelne Fee, unverändert strahlend und scheinbar kein bisschen irritiert.