Der Wór ist verwundert, wie sehr ihn die Größe der Stadt täuschen konnte. Ein Gefühl, welches der Leonid beim besten Willen nicht ausstehen kann und nie ausstehen können wird. Er schüttelt den Kopf und blickt abermals über die Ebene, die nun hinter ihm liegt, während die Stadt bereits in der greifbarer Nähe ist und ein Gefühl von kaum fassbarer Größe ihn erfasst. Es gab und gibt nichts Vergleichbares in der Lebenswelt Massouds, gar nichts, was in die Nähe dieser, für den Löwenmenschen, monumentalen Steinsetzungen käme. "Um zwei Tage hast du dich verschätzt.", geht durch seinen Kopf und ärgert ihn bis auf das Mark, auch wenn es für Yal sicherlich eine Erleichterung ist, schließlich ist viel des durch die Rationen bedingten Gewichtes dahingeschmolzen, und so sind die letzten Meter der Reise zumindest für die Reitechse Massouds die leichtesten.
Des Löwenmenschen Blick fällt auf seinen anderen geschuppten Begleiter, dem er über die indigofarbenen Auswüchse streicht und dann leicht über die Schuppen streichelt. Gardekat ist in den letzten Wochen, was Streicheleinheiten angeht, deutlich zu kurz gekommen, was Massoud in diesem kurzen Moment nicht nachholen kann, doch will er damit zeigen, dass er den kleinen Pseudodrachen nicht vergessen hat. Auch wenn die Streicheleinheiten von Massoud etwas zu druckvoll sind, da der Leonid abgelenkt ist. Die Bilder des Traumes kehren zurück in die Gedanken Shabanis, als er darüber nachdenkt, wie viele Wesen sich in der Stadt befinden werden. Wie viele Wesen nun die Möglichkeit haben würden, ihn zu provozieren und das eingekerkerte Tier in ihm zu entfesseln. Ein leises Seufzen ist vom Löwenmenschen zu hören, der Yal etwas verlangsamt, um die letzten Meter zur Stadt in Hinblick auf die Zeit zu verlängern. Etwas Schweres lastet auf dem gebrannten Kind, seit er die Stadt in den Augen hat. Aus der anfänglichen Motivation und Lust zu reisen, ist ein Ballast geworden, deutlich schwerer als die Lamellenrüstung, die Massoud trägt. Deutlich schwerer wohl noch, als den Ballast an Reiseproviant, welchen Yal zu tragen hat. Dieser Ballast drückt des alten Kriegers Stimmung enorm und kostet ihn viel Überwindung, denn irgendwas will ihn davon abhalten, die Stadt zu betreten, sich ihr weiter zu nähern.
"Die Wunden sind es nicht, denn diese sind schon längst geheilt." Nur ein inzwischen schmerzloser, blauer Fleck von faszinierender Größe zeugt noch davon, dass Massoud um sein Leben laufen musste. Der Muskelkater ist längst verklungen und nicht einmal mehr einer müden Erinnerung wert, die Anstrengung der Flucht ist in der Anstregung der ganzen Reise aufgegangen. Die Bilder der Vettel sind nur noch krude und verschleiert im Kopf des Löwenmenschen vorhanden, andere Dinge haben größere Priorität, auch wenn er die Lektion, dass unkonditionierte Hilfe auch immer gefährlich ist, wieder einmal gehört hat und nicht vergessen wird. Seine Hoffnung muss jedoch bleiben, dass er sie diesmal auch verinnerlicht hat.
"Was ist es dann?", Yal steht nun schon fast und Massoud schaut schwer auf die ersten Gebäude, die nur noch drei oder vier Echsenlängen entfernt waren. Als er seinen Kopf in den Nacken legt und die steinernen Gebäude anschaut, will ihm schließlich auch einfallen, was ihn so bedrückt.
Seufzend schaut er sich zurück in die Ebene um, ein Ort ohne Grenzen und nur wenigen Regeln, welche sich um das Überleben drehen. Sein Blick fällt zurück auf die Stadt vor ihm, selbst der salzige Geruch kann diese Gedanken an Freiheit nicht in ihm wecken, denn er ist sicher, was die Schwere bedeutet. Sie bedeutet Kerker, viele Grenzen und viel mehr Regeln des Umganges, welche ihn dazu zwingen, sich so zu verhalten, wie er es gar nicht will. Der Umgang mit vielen Menschen und anderen Wesen benötigt viele Worte, von denen die meisten nicht mehr als Schall und Rauch sind, flüchtiger als die meisten Gedanken und von nur mickriger Bedeutung, wenn sie denn überhaupt eine Bedeutung haben. Der Umgang mit anderen Wesen erfordert stets Selbstdisziplinierung, das Zurückhalten von Gedanken, und auch die Rücksichtnahme auf deren Lebensräume. Eine Stadt ist nicht nur ein Gefängnis voller künstlicher Grenzen, es ist ein hoffnungslos überfüllter Käfig. Diese Schwere lastet auf Massoud und dieser Ballast will ihn nicht in die Stadt einkehren lassen. "Reite durch die Stadt und schau dir das Meer genau an, berühre es und dann kehre zurück in die Freiheit zurück. Befriedige deine Neugier und dann kannst du gehen." Selbst wenn er das Meer auch anderer Stelle begutachten könnte, nun ist er hier, unter schweren Gedanken hierhin geritten. Jetzt kann er es auch durchziehen.
Die Gedanken haben ihn bis zur Lösung so schwer belastet, dass er nicht einmal die nervtötenden Kinder, die ihm folgten, bemerkt hat, auch wenn die Gedanken von Gesellschaft sicherlich von ihnen im Unterbewusstsein beeinflusst wurden. Massoud blickt in ihre fleischigen, felllosen, ja nackten, Gesichter. Sie sehen merkwürdig aus, mit ihren platten Schnauzen und merkwürdigen Knopfaugen, ihre Schnauze wirkt nicht fähig, um in der Wildnis zu überleben. Menschen sehen immer wieder merkwürdig aus, gerade die kleinen Menschenkinder. Auch wenn Massoud schon ein paar gesehen hat, er wird sich nie ganz an ihren Anblick gewöhnen können. Geschichten aus der Ferne erzählen, das will er allerdings nicht. Und so kommt es, dass Massoud gerade wieder in Gedanken darüber verfallen will, dass er gar nicht bemerkt, dass er schon fast die Stadtgrenze überschritten hat und sich nun beinahe inmitten dieses steinernen Gefängnisses befindet und sich neugierig umschaut. "Immerhin scheinen diese Menschen etwas aus den Gefängnissen zu machen, die sie sich erwählen." Des gebrannten Kindes Waffen sind festgebunden und so will er gar nicht erst den Eindruck machen, dass er eine Gefahr sein könnte. Gleichzeitig erfreut er sich daran, dass er als Fremdling kein so ungewöhnlicher Anblick ist, sodass sich nicht zu viele um ihn kümmern. Es ist eine der zentralen Sorgen gewesen, als er losgeritten ist, dass er zu viele Fragen ertragen müsste, zu viele Hände, die seine fellbewachsene Haut berühren wollen, seine Waffe, seinen Kopf und seine Haare. Und noch weniger will er die Beleidigungen hören, die andere für ihn übrig hatten, wie etwa die Orks. Das hat er durchmachen müssen in der Zeit, in welcher er mit zermalmten Beinen unter Orks leben musste. Massoud versinkt wieder in Gedanken und das Weiß der Mauern vor ihm verschwimmt zu einem gleichbleibenden Farbton, der die Formen und Besonderheiten der Mauer wieder aus der Erinnerung des Löwenmenschen löscht, ebenso wie die vielen Gesichter, die er sieht und auf den Hanfplantagen gesehen hat, gleich wieder aus seiner Erinnerung verschwinden. Zumindest bleibt er in Gedanken, bis der Goliath ihn anspricht. Massoud hat gar nicht gemerkt, dass er schon einige Meter neben ihm hergelaufen sein muss.
Interessiert betrachtet der Leonid die Muster auf der fast steinernen Haut des Goliaths und versucht diesen einzuordnen, was nur leidlich gelingt. Der Löwenmensch beantwortet die Frage des Goliaths nicht sofort, es fällt ihm schwer zu sprechen, obwohl er in Dagaan angesprochen wird. Doch dies wirft wieder viele Bilder in den Kopf Massouds, die er nur schwer formulieren und ordnen kann. Es fällt ihm schwer, sich der notwendigen Floskeln zu entsinnen, um einen Goliath angemessen zu begrüßen. Durchsetzt wird dies alles mit Gedanken an seine Zeit unter dem Goliathvolk, welchem er so viel zu verdanken hatte. Schließlich überwindet sich der Leonid und kann seine Sprachblockade aufheben. Es fühlt sich merkwürdig an, Sprechen zu wollen, wenn man es für Tage nicht getan hat. Etwas schwer und träge verlassen die ersten beiden Worte den Mund Massouds, in der Sprache der Goliath. "Das Meer."
Massoud blickt so freundlich, wie es ihm möglich ist, in die Richtung des Goliaths. Zufrieden damit, dass er die Sprache der Goliath genutzt hat, um die Höflichkeit zu erwidern, wagt er es noch ein paar Worte zu sprechen. "Ich bin Massoud Shabani. Was treibt einen Goliath in diesen Käfig?" Auch wenn Massoud nachvollziehen kann, dass der Goliath ein anderes Bild von dieser Stadt haben könnte, nennt der Leonid diesen Ort einfach einen Käfig, denn mehr wird er für das gebrannte Kind auch nicht werden, auch nicht, wenn er ihn endlich betreten hat..