04.01.1042 - Tag des Takin - Später VormittagDer Elb hörte sich die Worte des alten Mannes in aller Ruhe an, blieb ruhig dabei, aber sein Blick verriet durchaus, dass er nicht vollkommen mit Xū Dǎnshí übereinstimmte. Er lächelte maßvoll, als er zu seiner Antwort ansetzte.
"Ihr braucht euch nicht zu rechtfertigen, für keines eurer Worte. Wenn es eure Fragen und Anmerkungen es zum Ziel hatten, mich zu einer Antwort kommen zu lassen und ihr erkannt habt, dass ich tatsächlich zu einer gekommen bin, braucht es doch keiner Rechtfertigung eurerseits. Schließt setzt das eine zielgerichtete Gesprächsführung eurerseits voraus, und das wäre ein höchst belehrender Akt, welcher sich selbst rechtfertigt, schließlich seid ihr scheinbar zu einem Erfolg gekommen."Qiānbēi Irindiil blickte zu Hong und nickte ihm zu, aufgrund des von ihm noch gebrachten Kommentars, verzichtete jedoch auf die sonst so häufig genutzen Gesten, damit es zu keinen Irritationen kam.
"Aber ich will, nein, ich muss auch ehrlich sein. Ich habe euch nicht nur für einen Vertreter der gleichmachenden, menschlichen Kultur gehalten, sondern ich halte euch noch immer für einen Vertreter einer solchen Kultur, auch wenn ihr euch in Abgrenzung zur korrumpierten Kultur Chuangs stellt." Der Elb hatte wieder begonnen zu gestikulieren und seine Ausführungen gestenreich zu unterstreichen. Es war erstaunlich, wie flüssig und behände er komplexe Muster mit seinen Fingern und Händen wob, während er bedacht, aber flüssig und kontinuierlich sprach.
"Die Worte Natur und Harmonie widersprechen dem Wort Frieden. Das natürliche Leben existiert mit allen Wechseln zwischen Geburt und Sterben, Blüte und Verfall und kann ohne sie nicht leben. Ja, Friedfertigkeit ist aus dem Blickwinkel der Natur nichts weiter als eine von unzähligen Überlebensstrategien. Frieden selbst ist ein künstlicher Zustand, welche nur innerhalb einer Kultur entsteht und selbst dort ist Frieden eine Abbild des eigentlichen Begriffes, denn wirklichen Frieden gibt es auch innerhalb einer friedliebenden Gesellschaft nicht, aber immerhin gibt es ihn mit Abstrichen." Des Elben Gesten wurden immer energischer.
"«Unsere» Natur, also jene der Menschen, ist nicht friedlich und harmonisierend. Sie besteht aus Missgunst, Neid, Eifersucht, Konkurrenz und dem Willen, immer mehr zu schaffen. Es ist nichts an sich an ihm friedlich, nur dann, wenn er keine andere Wahl hat oder die Friedfertigkeit die einfachste aller Lösungen ist. Und das gilt gleichermaßen für die höchstentwickelte Zivilisation wie für die primitivsten und kulturlosen Exemplare des Menschen, es hat wenig mit kultureller Überformung zu tun. Die Geschichte vom edlen Wilden[1] ist nichts weiter als eine hübsche Mär und gleicherweise ist die Hoffnung, dass menschliche Kultur diese Merkmale überformen kann, ebenso eine Mär. Aber dass dem so ist, braucht euch nicht zu grämen, es sollte euch stattdessen beflügeln, Xū Laoshi! Ihr seid eine willkommene Ausnahme unter euresgleichen."Der Elb hörte auf zu lächeln, sein Gebahren blieb dabei jedoch bestimmt, wenn auch sanft.
"Die Behauptungen eines Menschen, dass er in seiner natürlichen Art ein friedliebendes Wesen ist, erscheint mir eine Überlebensstrategie, welche er nur manchmal zu verstehen vermag. Er, der Mensch, lässt sich in dieser Art vielleicht, wenn man ein wenig sticheln möchte, mit einem Opossum vergleichen. Dieses Wesen hat auch eine falsche Vorstellung davon, wie es sich seiner Verfolger entledigen kann. Das Opossum stellt sich tot, um dem verfolgenden Wesen den Jagdtrieb zu betäuben. Sie hält dies für die notwendige Methode, um zu überleben, seine eigentliche Überlebensstrategie ist jedoch sein enormer Gestank, welcher jedes Wesen abschreckt. Der Mensch ist so friedfertig, wie das Opossum ein überzeugender Schauspieler." Der Elb legte seine Hände zusammen und nickte Xū Dǎnshí zu.
"Aber das kann ich euch nicht anlasten. Ganz im Gegenteil, ich glaube, dass ihr eure Worte so meint und ich glaube euch sogar, dass ihr nicht den Kaiser getötet habt. Und wer weiß, vielleicht verkenne ich das wahre Wesen der Menschen. Ihr seid ein Soldat gewesen und habt durch eure Erfahrungen durch den Schleier blicken können, welcher euch die Erkenntnis vorenthielt, wie das Wesen des Menschen wirklich ist und vielleicht muss ich diesen Schleier auch noch durchblicken[2]. Es ist mit euren Worten zumindest klar geworden, was ihr damit meint, dass ihr den Menschen reformieren wollt oder müsst. Ihr wollt ihn, der Wortbedeutung und euren Worten nach, wieder zurückführen zu seiner Natur. Deswegen halte ich euch für einen Verfechter der eigentlichen, gleichmachenden Kultur, die sich die Ahnen Chuangs, wie Kung-tse und Menzi, vorgestellt haben. Ihre Wege scheinen den eurigen gar nicht so unähnlich. Und so sehe ich ein, dass ihr euch von Chuang abgrenzt, aber nicht von seinen alten Werten und Forderungen, schließlich bedarf es in der Kultur Chuangs nicht einmal Gesetze für jene, welche in Harmonie und in Edelmut miteinanderleben. Gesetze gibt es schließlich nur für Barbaren, die dies nicht erkennen wollen. Aber mir ist nicht klar, wie ihr jenes anstellen wollt. Wie wollt ihr die Wahrheit oder Erkenntnis über das Wesen des Menschen vermitteln? Wenn ihr diesen Schleier nur durch das Leid, welches ihr auf dem Schlachtfeld und in den Lagern der Soldaten gesehen habt, durchdringen konntet, könnt ihr es anderen durch bloße Worte nahe bringen?"Der Elb schien keine Antwort zu erwarten oder zu verlangen, denn er wandte sich Hong zu, um dessen Fragen zu beantworten. Dabei musste er wiederholt widerspenstige Strähnen aus seinem Gesicht fischen. Seine Stimme nahm wieder den Klang an, den sie gehabt hatte, als er den Raum betreten und die Geschichte des roten Marmors erzählt hatte.
"Der Himmlische Garten ist ein Ort der Erleuchtung und der Schöpfung, ein sagenhafter Ort größter und vollkommenster Energie und Magie. Er symbolisiert das immerwährende Leben als Ganzes und doch gleichzeitig die Blüte und den Verfall des Einzelnen. An einem einzigen Tage entstehen in diesem Garten tausende von Spezies, sowohl Pflanzen als auch Tiere, wie auch Humanoide, und an einem einzigen Tag vergehen ebenso viele. Am Hof erzählt man sich, dass nur bestimmte Personen diesen Garten betreten können. Jeder mit kaiserlichem Blut kann dies tun, jeder andere wird durch den Einblick in die Wahrheit des Lebens an diesem Wissen zerbrechen, so sagt man, während jene, welche Mittler zwischen den Göttern und den Sterblichen sind, diese Weisheit nutzen können, um ihr Reich weise und bleibend zu regieren. Bedeutet, dass nur der designierte Kaiser diesen Ort besuchen darf, so es ihn gibt. Manche behaupten, dass er im Himmel sei und dass deswegen niemand den Palast des Kaisers betreten dürfe, andere behaupten, dass er tief im Westen des Landes läge, irgendwo verborgen zwischen Stein und Sand. Ich kann jedoch nicht sagen, ob dies ein physischer oder nur ein spiritueller Ort ist. Meine Schilderung ist jene des Hofes, so ich sie kenne. Uns Nichtmenschen ist es nicht gestattet, am Hof über den Garten zu sprechen, Fragen darüber zu stellen. Uns ist es nicht erlaubt, die alten Schriften der Weisen über den Garten zu studieren, man möchte uns am liebsten den Garten verschweigen, damit unsere Völker nicht neidisch werden und Chuang wegen des Gartens angreifen oder in sonstiger Art oppunieren, so sagt es der Hofweise zumindest. So besteht mein Wissen aus vagen Vermutungen und den aufgeschnappten Worten in den vielen Jahren, die ich am Hof bin. Es ist nicht viel, aber sollte diese Geschichte wahr sein und ein solch magischer Ort existieren, wäre es nicht auszuschließen, dass der Kaiser tatsächlich diesen Garten vielleicht zu oft besucht hat und selbst daran zerbrochen ist, also jetzt in irgendeiner Art des Jǐnzhāngzhèng[3] vor sich hinsiecht." Der Elb formte immer wieder Gesten, auch wenn er sich deutlich bemühte, nicht zu viele von ihnen zu gebrauchen.
"Fast alle anderen Kulturen glauben daran, dass dieser Garten das schwach schlagende Herz des Kontinents ist oder eine Art Gefängnis für die eingesperrte Kraft des Kontinents, welche nur darauf wartet, befreit zu werden. Der Elben tückische Brüder, die Alben, suchen diesen Ort, weil sie darin den Schlüssel zur Unsterblichkeit erwarten. Die Derwydd Cymdeithas [4] glauben, dass mit der Befreiung dieser Macht, der ganze Kontinent wieder in grüner Pracht erblühen kann, wie es in der altvorderen Zeit der Fall gewesen sein soll. Andere behaupten, dass Chuangs Hauptgott, Vecor, und dessen Dogma [5] dafür verantwortlich seien. Sie würden diese zusammengefasste und für andere verborgene Magie, diese Kraft nutzen, um ihre Herrschaft sichern und das Land in Armut halten zu können, damit jeder auf den Kaiserhof und die Vecorianer angewiesen sei. Das sind die Fesseln der Magie in einer Bedeutung, die andere besteht aus dem Gegenteil und aus einem Grund, warum manche befürworten, dass die mächtige Magie an diesem Ort gefangen ist und bleibt, denn die Magie macht jeden, in dem sie erweckt wird, zu ihrem Untertan. Sie verleitet." Ein kurzer, besorgter Seitenblick traf Xū Dǎnshí, dann stand der Elb auf und neigte entschuldigend den Kopf. Er schien bald aufbrechen zu wollen.
"Ich glaube jedoch, er wurde ermordet. Die Art und Weise, wie die Söhne des Kaisers mit dem Tod umgehen und um die Nachfolge buhlen in solch Dringlichkeit, ja, das erscheint mir als ein Zeichen für dessen Tod."Er verneigte sich nochmal und sagte schließlich.
"Ich bin länger geblieben, als ich hier sein durfte. Ich werde alsbald gehen müssen, weshalb ihr mir jetzt noch Fragen stellen solltet, sind sie von Bedeutung. Ich fürchte, ich habe viele offen gelassen, vielleicht kann ich noch ein paar davon beantworten. Ich bereue es, gehen zu müssen, denn das Gespräch war mir erfrischend."