01.01.1042 - Tag des Skorpions - Späte NachtRuhe war wieder zwischen den Denunzianten eingekehrt. Eine Ruhe, welche sicherlich nur eine trügerische war und mitnichten eine angenehme. Es lag Anspannung in ihr und damit keine Stille. Wahrscheinlich konnte man jedem Einzelnen die Anspannung im Gesicht stehen sehen. Was mochte in Sūn Ai vorgehen? Sie war jetzt die einzige Frau in diesem Gefängnis und ohne Rücksicht auf ihre Würde war sie eingesperrt mit gleich fünf männlichen Gefangenen. Noch war erst der Tag und sicherlich hatte jeder seine Triebe noch einigermaßen unter Kontrolle, aber hatte nicht Hong Gil-Dong heute schonmal seine Beherrschung verloren? Würden andere sie schützen? Steckte hinter den ruhigen Art Xū Dǎnshís ein bösartiger Yaoguai
[1]? Vielleicht dachte Sūn Ai auch gar nicht an solche Dinge, aber die Angst könnte da sein, schließlich starb die Halbelbe vor ihren Augen, vielleicht sogar in ihrem Armen und obgleich es möglich war, dass Zhào Làn sich aus Versehen selbst vergiftete, blieb sicherlich ein Rest der Zweifel bestehen. Was wenn einer ihrer Mitinsassen der Mörder war? Hatte sie alle ausgiebig genug beobachtet? Das Gefühl von Einsamkeit mochte sie umfangen haben, vielleicht lag darin ihr Schweigen.
Schweigen war nicht immer ein Segen, oftmals war ein stilles Anklagen von größerer Bedrückung als jede geäußerte Beleidigung. Nichts erschien Fremden so schwer erlernbar, wie die Schweigekultur in Chuang. In solchen Momenten wurde sie zur Belastung, und obzwar Shǎzi sicherlich die Möglichkeit gehabt hätte, die hohen Herren in schnellere Abfolge in den Raum zu schicken, nutzte er augenscheinlich diese Schweigekultur aus, um das Schwebebeil bedrohlicher wirken zu lassen. Jede Minute kam der Tag des Drachen näher. Mit jeder einzelnen Minute wurde greifbarer, dass Schweigen eine Waffe sein konnte. Und auch das Schweigen zwischen einem Teil der Denunzianten verbesserte die Situation dabei wohl nicht.
Das Schweigen wurde noch in der Nacht durchbrochen, während die Denunzianten sich wahrscheinlich schon darauf vorbereiteten, in ihr hartes Bett zu gehen oder schon schliefen. Noch waren ihre freien Wünsche nicht erfüllt wurden, selbst Oda Zektau hatte noch nicht seine Werkzeuge erhalten und musste sich dementsprechend mit einer Mischung aus Argwohn, Sorge um das eigene Wohl und wahrscheinlich sogar Langeweile auseinandersetzen oder eben mit seinem Schlaf.
Doch das Quietschen der sich ansonsten leise öffneten Tür kündigte Besuch an. Das Abstellen eines steinernen oder tönernen Gegenstandes war zu hören, dann war die Tür bereits wieder geschlossen, ehe man einen Blick auf die überbringende Person werfen konnte. Doch aus seinem kleinen Zimmer schaute, konnte eine Vase sehen, von ungewöhnlich einfacher Machart, die schon mehrmals wieder zusammengefügt wurde und dementsprechend zerbrochen war. Auch ihre Form, war nicht absolut symmetrisch und schien auf die Herstellung durch eine nicht meisterhafte Hand schließen zu lassen. Alles andere als das Perfektionsideal der Kunst schien hierin erkennbar. Die Figur eines Kriegers war erkennbar auf der Vase, der Schild und Speer hielt. Die große Vase war selbst schwarz, die Verzierungen in gelblicher und rötlicher Farbe, bildeten ockerfarbige Akzente. Ohne Zweifel war dieses Stück, vielleicht um die fünfzig Zentimeter hoch, alt.
[2]In dieser Vase war Erde; grober, klumpiger, roter Sand und auf dem Sand war ein bisschen drapiertes Grün und zwischen diesem Grün wiederum eine einzelne Päonie
[3].
An einem der beiden Henkel der großen Vase, die aufgrund des ganzen Sandes außerordentlich schwer war und es umso erstaunlicher macht, dass jemand diese Vase so lautlos in das Zimmer schaffen konnte, war ein Brief befestigt, er war mit Wachs versiegelt wurden, zeigte jedoch kein hoheitliches Zeichen. Er war auf kostbaren, parfümiertem Papier geschrieben. Es roch nach Rosen.