Daanje Firunkis
Die ältere Bauersfrau, welche er angesprochen hat, stellt ihren mit Gemüse gefüllten Korb zu Boden, und schaut in die Richtung, in die Daanje deutet. „Seita nich von hier, wa? Natürlich kann ick euch erzählen, wassat für Häusa sind. Also det jroße da drüben, det mit dem kleenen Park, da wohnt unsere liebe Kronvögtin Tjeika von Jatleskenau. Wundaschön, niwa? Son Jarten hätt ick ooch jern. Und da hinten, det issat Hotel Neersand. Wennze nich einen sehr jroßen Dukatenbeutel dein Eijen nennt, Jungchen, denn kannste dir dort wahrscheinlich nicht ma nen Tee leesten.“ Über ihren eigenen Witz muss die Frau an dieser Stelle erst einmal kichern. Schnell fängt sie sich jedoch wieder. „Ja, also det langjezogene Jebäude jejenüber dem Palast isset Rathaus. Und da hinten, inn de Ecke da, dat issat Kontor der Familie Torvinnen – sehr reiche Händler.“ Dabei blinzelt sie Daanje verschwörerisch zu. „Suchste dann wat bestimmtes, Jungchen?“
Thassilo von Salsweiler
Tissa nickte nur knapp, als Thassilo ohne Pferd wieder antrat. Mit einer Kopfbewegung forderte sie ihn auf zu folgen und legte dabei einen Schritt vor, bei dem sich Thassilo schon anstrengen musste, mitzuhalten und dabei gleichzeitig würdevoll auszusehen. Wortlos marschierten die beiden Ritter den kurzen Weg durch die Siedlung zum Anleger der Fischerboote. Und mit nur wenigen Worten, dafür aber umso mehr Autorität in der Stimme, erreichte Tissa, dass beide sofort von einem der Fischer über den Walsach über gesetzt wurden. Erst jetzt begann die Ritterin zu sprechen.
„In Neersand werden wir selbstverständlich unseren obligatorischen Besuch im Rondratempel machen. Ich möchte, dass ihr das Gebet für uns dort sprecht. Dann werden wir beim örtlichen Efferdgeweihten vorstellig, Jesidoro oder so ähnlich heißt der Mann. Ich habe uns bereits angekündigt. Der Orden hat Kunde davon erhalten, dass etwas aus dem Tempelschatz gestohlen wurde. Leider wissen wir nicht genau was, nur dass es sich dabei um rondragefällige Opfergaben gehandelt haben soll. Für uns ist dies Grund genug, einmal genauer nachzufragen." Dann sprach die Ritterin nicht weiter, doch Thassilo hatte das Gefühl, dass sie noch etwas sagen wollte.
"Wusstet ihr, dass die Stadt Neersand einst sehr eng mit dem rondrianischen Glauben verbunden war? Kaum zu glauben, wenn man sich die träge gewordenen Bewohner heute anschaut.“
An dieser Stelle unterbrach sich Tissa erneut und blickte über die Wellen des Flusses. Auch Thassilo schwieg, denn er hatte abermals den Eindruck, dass sie auf keine Erwiderung wartete sondern nachdachte.
„Das Bornland war in den alten Zeiten ein gefährliches und wildes Land, beherrscht von den Rotpelzen, die hier in Scharen lebten. Vor über 1000 Jahren, nach der ersten Dämonenschlacht als das verdorbene Bosparan niederging, wurde im Theater zu Arivor ein Orden der Göttin gegründet, der Theaterorden. Den kennt ihr sicherlich. Was viele nicht wissen, ist, dass das Bornland einst ein Geschenk des guten Kaisers Gerbald an den Orden war. Der Theaterorden sollte, so die Absicht des Kaisers, Burgen und Siedlungen Gründen, die Rotpelze vertreiben und das Bornland sicherer machen, damit es besiedelt werden konnte. Als Gegenleistung erhielten sie die Herrschaft über das Land. Noch heute können fast alle adligen Familien des Bornlands – und damit sicherlich auch eure – ihre Linie bis zu den Theaterrittern zurückverfolgen.“
Wieder unterbrach sich die Ritterin und blickte versonnen über dem Fluss.
„Nun ja, diese alten Zeiten sind vorbei. Der Theaterorden existiert nicht mehr, seit die Ritter von den Priesterkaisern verfolgt und ermordet wurden. Doch unser Orden, der Widderorden, kann sich als direkter Nachfolger der Theaterritter von Arivor betrachten, zumindest hier in Bornland. Die Ordensburgen entlang des Walsach wurden von den Theaterrittern gebaut. Und auch viele Städte, Festum, Norburg, Notmark und ja, auch Neersand gehen auf Gründungen durch den Theaterorden zurück. Ihr seht also, wir haben eine heilige Pflicht, uns um die Sicherheit der Bürger zu kümmern. Und Ihr seht auch, dass die rondrianische Tradition in diesem Land tiefere Wurzeln hat, als der Uneingeweihte glauben sollte. Und deswegen müssen wir der Sache auch nachgehen, wenn aus einem Tempel Opfergaben gestohlen wurden, die eine rondrianische Tradition haben.“
In diesem Moment erreichte das Fischerboot das andere Ufer.