Hintergrund (Anzeigen)
"Oh, Du hast gesehen wie ich auf brennenden Brücken ging,
ja, Du hast gesehen wie ich mein Herz an eine Hexe verlor,
und Du weißt genau, dass Nähte meinen Verstand zusammenhalten,
und dennoch habe ich all deinen liebevollen Belagerungen standgehalten...!"
Auszug aus impulturischem Volkslied, Herkunft: Hidrillez (Xыдриллeз)
Die Jugend in dem kleinen Städtchen Hidrillez im Süden Impilturs hat es nicht leicht. Dies gilt vor allem für die Jungen. Kaum ist man in das Alter gelangt, in dem das Spielen mit Stock und Stein nicht mehr das Interesse der noch unschuldigen Gemüter zu fesseln vermag, heißt es arbeiten, tragen, schleppen, ziehen und schieben. Das Leben versorgt sich schließlich nicht von selbst. Wer das Feld nicht bestellt, muss auf das Brot nicht warten, und ein Huhn füllt auch keinen Stall. Aber während der Körper mit harter Arbeit geschunden wird, ist der Verstand der jungen angehenden Männer etwas ganz anderem gewidmet. Lass es Frühling sein, die Felder duften, die Sonnenblumen strahlen und lachen, die Vögel singen, den Himmel bläuen - solange die Mädchen in ihren bunten Kleidern barfuß über den Straßenstaub springen, und lernen, die Arbeit der Frauen zu verrichten, denkt keiner der Jungen mehr daran, dass es noch etwas anderes auf dieser Welt geben könnte.
Es sei denn, man hat das Glück, in die Hände von Dragan Bregovitch geboren zu sein. Der strenge Witwer mittleren Alters verdient trotz seiner Disziplin das Geld nicht damit, Felder zu bewirten oder Tiere zu züchten. Bittet man diesen Halunken darum, so sorgt er jeden Abend für einen neuen Anlass, zu welchem die Mädchen des Städtchens den Jungen noch weiter die Köpfe verdrehen können. Sobald die Arbeit der Bauern verrichtet ist, kurz bevor die Sonne untergeht, greift er sich Pauken und Trompeten und trommelt seine kleine Kapelle zusammen. Seine drei Freunde begleiten ihn auf den abends leeren Marktplatz, gefolgt von seinem Sohn Nikolai, der seinen Geigenkoffer schüchtern im Arm hält. Während die Männer ihre Instrumente aufstellen und stimmen, ergeht es Nikolai nicht anders als den anderen Jungen der Stadt. Zwar muss er keine harte Arbeit verrichten und darf mit dem Spiel seines Vaters das Brot verdienen, aber in seinen Gedanken tanzen die Mädchen bereits mit wirbelnden und bauschenden Kleidern zu seiner Musik. Und diese Vorstellung gefällt ihm natürlich so sehr, wie den Mädchen auch sein Spiel mit der Violine.
Und während später am Abend die Laternen leuchten, die Menschen ausgelassen tanzen und singen, sein Vater die Saiten seiner schweren Bass Balalaika zupft, Valentin auf Trommeln und Schellen schlägt, Ivan und Dmitri Trompete und Posaune schmettern, streicht Nikolai gedankenverloren aber konzentriert über die Saiten seiner Violine. Die Augen geschlossen sieht er zwar nicht, dass die Mädchen den jungen Künstler ein wenig bewundern und anhimmeln, aber immer wenn das Orchester ein Stück beendet hat, wirft der junge Geigenspieler einen verstohlenen Blick in die jubelnde Menge und weiß schon, wem der Beifall der jungen Damen gebührt.
Je älter Nikolai wird, desto eher traut er sich in die Nähe der Mädchen. Während er anfangs noch schüchterne Worte wechselt, lacht er bald auch schon mit ihnen, treibt Scherze und Späße für sie und stiehlt sich nachts aus dem Haus, um kleine Steinchen an kleine Fenster zu werfen. Sein Vater tobt und schimpft, wenn er nach Hause kommt, und wirft mit Gläsern voll Alkohol und dreckigen Worten nach ihm. Doch Nikolai ist das gleich, sein alter Mann hat bereits vor langer Zeit damit angefangen, seine Sorgen zu ertränken. Der Sohn schert sich nicht darum, genießt das Leben und fühlt sich wohl.
Und verliert an einem unseligen Abend Herz und Verstand an ein wunderschönes Mädchen im blauen Kleid, mit kastanienbraunen Haaren, weicher, blasser Haut und olivgrünen Augen. Plötzlich weiß Nikolai, was er zu tun hat, und versucht von da an wochen- und monatelang damit, dieses Mädchen zu beeindrucken. Kein anderes ist ihm mehr wichtig. Doch sie will nichts von ihm wissen, beachtet seine Musik und sein Spiel nicht. Die Lieder und Texte, die er für sie schreibt, lassen sie kalt. Und Nikolai weiß nicht, was tun.
Als bereits ein vergebliches Jahr vergeht, und er nicht mehr als ihren Namen hat in Erfahrung bringen können, reicht es ihm schließlich. Sein Vater trinkt sich langsam in den seligen Tod, die Mädchen interessieren ihn nicht mehr, und seine Geliebte interessiert sich offenbar nicht für ihn. Gebrochenen Herzens greift er sich seinen Violinenkoffer, wirft das wenige, was er besitzt, in einen Rucksack, nimmt einen Schluck Vodka und verlässt früh morgens das Haus, die Stadt, seinen Vater und das Mädchen, für das er den Himmel auf Erden gespielt hätte.
Und auch wenn Nikolai mittlerweile ein Mann geworden ist und Hidrellez bereits vor fünf Jahren verlassen hat, hat es die Jugend dort noch immer nicht leicht. Lass es Frühling sein, die Felder duften, die Sonnenblumen strahlen und lachen, die Vögel singen, den Himmel bläuen - solange die Mädchen in ihren bunten Kleidern barfuß über den Straßenstaub springen, und lernen, die Arbeit der Frauen zu verrichten, denkt keiner der Jungen mehr daran, dass es noch etwas anderes auf dieser Welt geben könnte.