Als Ghart Jodie seine Vorwürfe unterbreitet, scheint es aus der Halblingsdame herauszubrechen – der ganze Druck des heutigen tages, die Verzweiflung und die riesige Angst vor der Seuche...und eine ganze Menge anderer Emotionen, die für Scarlet und den Zwerg nur zu erahnen sind. Ihr Gesicht läuft knallrot an, sie beginnt wütend zu schnaufen (was niedlich erscheint ob ihrer Zierlichkeit) und ihre Stimme bebt mit einem schrillen Überschlag. “Weil ich nichts Anderes kann du Arschloch!“
Für einen Augenblick hallen die Worte in den nahenden Wäldern, einige Vögel erheben sich schreckhaft aus den Bäumen. Jodie schlägt die hand vor den Mund, ihre Augen sind vor Schreck aufgerissen, und eine dicke Träne kullert ihre Wange herunter. „Bei Arawai...Oh je...Oh je...Verzeiht, oh je!“, stottert sie zusammen, streckt ihre Finger in Richtung des Zwerges, als wolle sie ihn besänftigen. „Och...was ist denn in mich...Bei Arawai...Oh wei...Ent...entschuldigt bitte“, sagt sie immer wieder. Nach einigen Sekunden scheint sie sich zu sammeln und beginnt sich zu erklären. „Ich...äh...ich...ach scheiß drauf. Ihr zwei scheint mir nicht gerade besonders viel Wert auf die Etikette zu legen“, sagt sie, und ein kleines Lachen überfliegt ihr Gesicht. Sie schnäuzt in ihren Handschuh, schleudert das Sekret auf einen nahen Erdhügel, wischt sich mit ihrem Ärmel über das Gesicht und strubbelt ihre Haare durch. „So. Jetzt ist es besser. Also...Warum ich nicht auf die Feueralraunen scheiße? Weil es ziemlich das Einzige ist, was ich kann: Pflanzen pflegen, ernten und verarbeiten. All möglichen Tinkturen daraus mischen, Salben herstellen, Säfte kreieren. Ich bin keine Heilerin, sondern eine Alchemistin. Mit viel Glück kann ich eine Wunde verbinden, ja. Ich trage nicht das Mal der Heilung. Ich bin eine gewöhnliche Jorasco, keine d’Jorasco. Also werf mir nicht vor, dass ich meine Prioritäten falsch setze. Vielleicht...ja, vielleicht liegt in unserem Garten der Schlüssel zur Heilung – wenn man hiervon überhaupt sprechen kann. Doch wenn es so ist, wie Ihr vermutet, und die Fäulnis der Alraunen hängt mit der Seuche zusammen, dann ist das hier“ – sie zeigt auf die Löcher und Erdhaufen im Enklavengarten – „vermutlich das Beste, was ich für die Stadt tuen kann. Abgesehen davon scheinst du die Funktionsweise eines Drachenmalhauses nicht ganz zu verstehen. Wird eine Enklave unrentabel, wird sie wahrscheinlich geschlossen. Die Heiler würden abgezogen werden. Das ist nicht unsere Entscheidung, sondern die der Patriarchen. Ende der Geschichte. Gibt es keine Feueralraunen, wird es auch keiner Heiler mehr geben für Sayandras Garten, zumindest keine Jorascoheiler.“
Als Scarlet ihre weiteren Fragen stellt, zieht Jodie ihre Augenbrauen hoch, und auch Gharts sehnsuchtsvoller Wunsch nach Alkohol ist ihr nicht entgangen. „Hm, dann kommt mal mit“, sagt sie, und geht ein wenig den Garten hinab. „Also, festgestellt, dass die Alraunen faul sind, habe ich heute morgen. Ich vermute jedoch, dass dieser Zustand schon ein oder zwei tage länger angedauert hat – ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Pflanze einfach so über Nacht verfault, vor allem nicht hier in der Manifestationszone. Verfaulte Stellen sind die eben besuchte, dann diese dort“ – sie zeigt auf einen Busch in der Mitte des Gartens – „sowie ein weiterer dahinter“ – für Ghart und Scarlet klar zu erkennen, denn etwa zehn Meter in gerader Linie weiter sehen sie einen weiteren Erdhaufen. „Die einzigen Feueralraunen, die nicht betroffen sind, stehen dort drüben, in der Ecke des Gartens – ihnen scheint es gut zu gehen, aber bis die geernet werden können, wird es noch einiges an Zeit brauchen.“ Sie sind mittlerweile an einem kleinen Gartenhäuschen angelangt und Jodie zückt einen mächtigen Schlüssel, um es zu öffnen. „Wartet einen Moment“, sagt sie, und für Ghart und Scarlet ist auch klar, wieso. Der Zwerg ist für die Tür zu breit und Scarlet für das Häuschen viel zu groß. Nach wenigen Augenblicken kommt Jodie wieder heraus und hat eine Flasche silber schillernde Flüssigkeit dabei sowie drei Gläser, die sie auf das Geländer des Häuschen stellt. „Silberbienenmetbrannt mit einer Spur Talenta-Minze“, sagt sie lächelnd. „Habe ich selbst hergestellt. Eigentlich eine Spezialität aus Thrane, aber...was solls. Die Priester der Silbernen Flamme kaufen ihn für die Feiertage. Doch ab und an schadet es gar nichts, auch mal eine Flasche für die Enklave zu behalten“, erklärt sie, und schüttet die Flüssigkeit großzügig in die Gläser. „Santé!“
Sollten Scarlet und Ghart den Tropfen annehmen, werden sie mit einem gar göttlich süßen Geschmack belohnt. Die Flüssigkeit rinnt langsam den hals hinab und erfüllt den Magen mit einer wohligen Wärme. Ein intensiver Honiggeschmack bleibt lange im Mund und wird schließlich von der Frische der Minze abgelöst, und für einen Moment scheinen die Sorgen der Seuche vergessen, und nur das Entzücken des erlesenen Geschmacks erfüllt die Gedanken der drei so unterschiedlichen Gefolgsleute.
Doch dann wird die vermeintliche Idylle jäh unterbrochen! Ein Schrei, es muss sich um einen Mann handeln, unweit vom Garten, doch scheinbar von der anderen Seite der Enklave! Jodie fährt alamiert herum. „Was...was war das? Hörtet Ihr es auch?“