Nachdem alle Vorräte bezogen und sich jedes Mitglied des Erkundungstrupps abmarschbereit gemacht hatte, brachen die Gefährten auf und verschwanden in dem fremden und unbekannten Urwald.
Der Zwerg Rogav übernahm die Führung, gefolgt von Asha und Ravok mit seinem treuen Wolf, die ihre Aufgabe weiterhin pflichtbewusst erfüllten, während die Nachhut aus Miriel, Araki und Gelirion bestand.
Der Wald schien unberührt und still, doch bald wurde den Naturkundigen unter den Sechs klar, dass es hier mehr Leben geben musste, als die Späher berichtet hatten. Wenngleich sich anfangs noch keine größeren Tiere zeigen wollten, so gab es doch zahlreiche Fährten, abgebrochene Zweige und andere Zeichen dir von einem regen Kommen und Gehen kündeten.
Die erste - schon erkundete - Meile wurde schnell durchquert und am ersten Tag ihrer Reise konnten die Gefährten unerwartet tief in den Urwald eindringen, jedoch ohne auf etwas sonderlich bemerkenswertes zu treffen. Viele der Pflanzenarten und auch der Tiere, die sich hin und wieder zeigten - vor allem Vögel und kleinere Reptilien - hatte noch niemand gesehen. Dies mochte aber auch daran liegen, dass niemand sonderlich mit den vergleichbaren Urwäldern Marandens vertraut war.
Am zweiten Tag stieg das Gelände langsam an und wurde zunehmend unwegsamer. Die Bäume standen hier enger als zuvor und das Unterholz war oftmals so dicht, dass man es nicht einmal mit einem Schwert zerteilen konnte und umgehen oder drüber hinweg Klettern musste. Insgesamt veränderte sich die Atmossphäre im Wald am zweiten Tag zunehmend.
Es drang schon seit langem kein direktes Sonnenlicht mehr durch das komplett geschlossene Blätterdach, das hoch über den Reisenden wogte. Es lies nur eine merkwürdige, grünlich-wabernde Art von Licht hindurch, das in Verbindung mit der hohen Luftfeuchte und der trotz alledem drückenden Hitze das Gefühl auslöste, man könne es in die Hand nehmen, ergreifen und formen. War es am Vortag schon still, steigerte sich dieser Zustand nunmehr ins Unermessliche. Die eigenen Bewegungen und Schritte erschienen wie lautes Geschrei und jeder meinte hin und wieder stumme Schatten hinter diesem und dem nächsten Baum zu erblicken, die sich ruckartig einer näheren Untersuchung entzogen.
All dies zusammen erzeugte eine Aura der Feindseligkeit und der Bedrohung, die sich bleiern um die Häupter und Gedanken der Sechs rankte.
Und Gedanken machte sich wohl jeder, denn seit der Mittagsstunde stießen sie immer wieder auf merkwürdige Steinformationen, die wie Finger oder Klauen aus dem Waldboden herausbrachen. Sie bestanden aus einem rötlichen Gestein, das Rogav mühelos als
Buntsandstein identifizieren konnte.
Diese merkwürdigen Finger zeigten keine Spuren, die auf eine Bearbeitung schließen ließen, wirkten aber auch auf eine unverständliche Art so, als hätte sich jemand Gedanken darüber gemacht und diese Steine genau dort platziert, wo sie nun standen. Sie fügten sich kaum in ihre Umgebung ein, wirkten andererseits jedoch so als wäre ihre Präsenz gerechtfertigt.
Die meisten dieser Steine hatten einen Durchmesser von einem Schritt, der sich wie ein Reißzahn zur Spitze hin verjüngte, und waren selten größer als zwei ausgewachsene Männer, allerdings gab es eine Handvoll besonders mächtiger Steinsäulen, die sogar das Blätterdach durchbrachen. Sie durchbrachen es nicht nur, nein es wirkte fast so, als schreckten die Zweige der Bäume vor ihnen zurück. Teilweise wuchs das grüne Dach wahrhaftig um sie herum, einen respektablen Abstand von einigen Handbreit lassend.
Diese mächtigen Steinkrallen zeigten Durchmesser von bis zu acht Schritten und ihre Höhe schätzten die Reisenden auf das drei bis vierfache. Der Umstand, dass sie das Dach des Waldes durchbrochen bewirkte, dass das einfallende Licht - je nach Sonnenstand - die merkwürdigen Steine in die verschiedensten Farbtöne von einem gleißendem orange-gelb zur Mittagszeit bis hin zu einem mystischen violetten Glimmen in der Abenddämmerung.
Zu jener Zeit kehrte auch Rogav, der immer Mal wieder den vor ihnen liegenden Weg erkundete zur Gruppe zurück und berichtete von einer Höhle, die nach einer Erkundung vielleicht zur Übernachtung geeignet wäre.
Wenige Schritte vor besagter Höhle befand sich ein weiterer der besonders großen Felskrallen. Die Höhle selbst befand sich in einem Steilhang. Anscheinend erhob sich hier ein kleinerer Berg aus der Insel, dessen Gipfel weit über den Bäumen liegen musste.
Die Erkundung der Höhle barg eine Reihe unvermuteter Überraschungen. Das Gestein des Gebirges glich nicht dem der Felsstacheln, sondern handelte es sich hierbei laut den kundigen Worten des Zwerges um
Granit. Zudem schien die Höhle kein Ende zu haben. Der Gang führte lange Zeit tief in den Berg hinein ohne seine Höhe zu verändern. Nichts deutete darauf hin, dass sich hier jemals ein Lebewesen vor ihnen hinein verirrt haben könnte.
Die größte Überraschung barg jedoch das vermeintliche Ende des Höhlenganges: Nach einem halbstündigen Marsch fanden die Reisenden sich plötzlich vor einer Felswand. Dies kam dermaßen unerwartet, dass erst nach einigen Augenblicken, die die Gruppe stumm auf die Wand blickend verbracht hatte, jeder zur gleichen Zeit bemerkte, dass sich rechts von ihnen
Stufen befanden, die anscheinend nicht natürlichen Ursprunges waren und nach oben führten...